Er gehört zu den wertvollsten Kunstwerken des Erfurter Mariendomes, aber auch der Sakralkunst in Deutschland überhaupt, der sogenannte "Wolfram-Leuchter", eine romanische Vollplastik. Fachleute datieren die Figur auf die Zeit um 1160. Der Name Wolfram weist auf den Stifter hin. Er ist auf dem herabhängenden Gürtel der Gestalt in einer kurzen Gebetsanrufung vermerkt.
Ich gehe oft an dieser Figur vorbei - beim Gottesdienst, mit Gästen, beim persönlichen Verweilen im Dom. Die meisten Erfurter werden diese Plastik kennen. Mit weit ausgebreiteten Armen hält der Wolfram das Licht der Kerzen empor.
Es berührt mich sehr, wenn ich bedenke, dass diese Figur über 800 Jahre lang ihr Licht in die Domhalle hineinstrahlen lässt. Was mag der "Wolfram" alles gesehen haben? Kriegs- und Friedenszeiten, Glanzzeiten und auch Zeiten der Not und des Elends. Kaiser und Könige haben vor dieser Figur gestanden. Elisabeth von Thüringen und Martin Luther, Johann Wolfgang von Goethe und Karl Theodor von Dalberg, Schiller und Wieland haben sich den "Wolfram" angeschaut. Und auch die französischen Besatzungssoldaten unter Napoleon, die den Dom zeitweilig als Ersatzkaserne benutzten.
"Jemandem ein Licht anzünden" - das ist bis heute eine stehende Redewendung. "Mir ist ein Licht aufgegangen!", das sagen wir, wenn auf einmal etwas klar geworden ist, was eigentlich auf der Hand liegt. Es braucht manchmal eine besondere Beleuchtung, um die ganze Wirklichkeit zu sehen. Da hat sich z. B. einer mir gegenüber in einer schwierigen Situation als treu und zuverlässig erwiesen. Und auf einmal begreife ich wieder neu, was ich eigentlich an diesem Menschen an meiner Seite habe.
Vielfach sind es gerade "Lichter", die mir durch gute Menschen in meiner Nähe "aufgesteckt" werden, z. B. wenn ich mich verrannt habe. Oder, wenn einen ganz plötzlich schweres Leid überfällt, wenn man sich einsam und verlassen fühlt: dann jemanden zu haben, von dem man sagen kann: "Es ist gut, dass Du da bist!" Das macht das Leben hell. Das gibt Zuversicht und richtet auf.
Der Erfurter Wolfram ruft uns zu: Es ist gut, dass Gott da ist. Wer an Gott glaubt, weiß um ein Licht, das von oben, vom Himmel her kommt. Ostern wurde dieses Licht im Symbol der Osterkerze wieder in den Kirchen gefeiert. Es gibt kein letztes, unwiderrufliches Dunkel, weder für den einzelnen Menschen noch für die Welt und ihre Zukunft insgesamt. Der Wolfram ist ein Hoffnungsträger. Dafür steht und leuchtet er. Ich bin froh, dass wir ihn haben.
Erschienen in der Thüringer Allgemeinen vom 14.5.2011