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Eine der merkwürdigsten Aussagen des Apostels Paulus über sich selbst findet sich im 2. Korintherbrief. Dort (2 Kor 6,4ff) beschreibt er die Leiden und Bedrängnisse, die er in seinem Wirken als rastloser Missionar und Gemeindegründer erleidet. Und er schließt diese Aufzählung mit einem paradoxen Gedanken: Gerade darin, in diesen Bedrängnissen leuchtet etwas auf von der Herrlichkeit seines Dienstes. Die apostolischen Leiden offenbaren die Kraft Gottes. Sie helfen dem Apostel, jederzeit zuversichtlich zu bleiben, ja andere beschenken zu können. Und er schließt diesen Briefpassus mit den Worten: "Uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich; wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles" (2 Kor 6,10).
Irgendwie hat der Himmel eine andere Rechenkunst als wir hier auf Erden. Vor Gott, vor den Augen des Glaubens gilt etwas als groß und bedeutsam, was in unseren bloß irdischen Augen nur als Belastung, als Ärgernis, als zu vermeidendes Übel angesehen wird. Der christliche Glaube, auch die Volksfrömmigkeit weiß davon, etwa wenn auf dem Hülfensberg im Eichsfeld in der Kirche auf fünf Holztafeln die verklärten fünf Wunden unseres Herrn zur Andacht ausgestellt werden. Die durchbohrten Glieder des Herrn - umgeben von goldenen Flammenzeichen! Kürzlich war ich in der berühmten Wieskirche in Bayern, einem kostbaren Juwel sakraler Rokoko-Kunst. Der Kern dieses wunderbaren Gebäudes aus Licht und Gold ist - ein Folterbild: der an der Geißelsäule stehende Herr. Ihm gilt dieser Prachtbau, in merkwürdiger Verkehrung von Inhalt und Rahmen dessen, was eigentlich zu bewundern, ja anzubeten ist: die göttliche Liebe, die in ihrer freiwilligen Armseligkeit uns sucht und selig machen will.
Etwas von dieser Paradoxie unseres Glaubens klingt in dem Pastoralthema an, dem wir uns in diesem und im kommenden Jahr widmen: "Mit dem Himmel beschenkt". Eigentlich dienen Pastoralthemen in der Regel dazu, uns aktiv zu machen, uns etwas einfallen zu lassen, wie unser christliches Alltagsleben wieder agiler werden könnte. Das Elisabethjahr mit seinen vielen Impulsen und Anregungen für das Einbringen von konkreter Barmherzigkeit in Kirche und Gesellschaft war dafür ein Beispiel.
Hier ist es offensichtlich anders: Wir sind nicht zuerst zu reger Aktivität aufgefordert, zu angestrengter religiöser "Planerfüllung". Unser Thema lenkt unseren Blick auf das, was Gott tut. Er ist es, der aktiv ist. Er macht uns reich, aber eben in paradoxer Weise dadurch, dass er sich arm macht, unsretwillen.
Nun ist das natürlich eine Grundaussage unseres Glaubens, die etwa auch beim Barmherzigkeitsthema des Elisabethjahres zu bedenken war: Bevor wir barmherzig sein können, umfängt Gott uns mit seiner Barmherzigkeit, die größer ist als seine Gerechtigkeit. Dafür stand und steht Elisabeth von Thüringen ebenso wie alle Heiligen der christlichen Nächstenliebe.
Für uns Christen kommt zuerst die Verheißung, dann die Aufforderung zum Handeln, der Indikativ also vor dem Imperativ. Unser Glaube ist nicht zuerst ein Anspruch, sondern ein Zuspruch, nicht zuerst verpflichtende Ethik, sondern Freisetzung von Mächten, die uns versklaven, vor allem von der versklavenden Macht der Sünde und der alles sinnlos machenden Macht des Todes. Der Grundtenor unseres Glaubens ist das "Alleluja", dann folgt das "Erbarme dich", das "Miserere", und dann kommt die Einladung, das je eigene und gemeinsame "Amen" zu Gottes Willen in unserem Alltag zu sagen und entsprechend zu handeln.
So haben wir die rechte Perspektive gewonnen, wenn wir uns bei diesem Pastoraltag um eine vertiefte Einsicht in diesen pastoralen Impuls für unser ortskirchliches Leben bemühen: Wir leben und bewegen uns unter einem schon geöffneten Himmel, nicht nur dort in der Wieskirche, oder in dem herrlichen Kirchenbau zu Vierzehnheiligen, oder hier im Dom, wenn uns heute am Abend durch Licht, Tanz und Musik die Schönheit dieses sakralen Raumes erschlossen wird, sondern eben auch dort, wo wir es nicht vermuten: im Alltag unseres Lebens, dort wo der Schein des Himmels unser Herz berührt, etwa im Mitfeiern der Feste des Kirchenjahres, ja auch in den Erfahrungen, die mit Leiden und langsamem Sterben und Loslassen-müssen zu tun haben. Der Apostel Paulus lässt grüßen!
Wir sind reicher als wir meinen. Und weil das so ist, können wir auch andere reich machen, zumindest aufmerksam machen auf eine größere Dimension ihres Lebens, die über Produzieren und Konsumieren hinausgeht, auf einen geweiteten Horizont des Menschlichen, der auch noch das Sterben und den Tod auf Hoffnung hin umfangen kann.
Ich möchte das einmal kurz dadurch entfalten, dass ich ein wenig bei dem schönen Wort "schenken" verweile. Unser Thema heißt ja nicht: Zuteilung von Himmel, oder: Kauf dir den Himmel. Nein: Wir sagen: Mit dem Himmel beschenkt.
Was ist das eigentlich: schenken, beschenkt werden? Wir können uns dieser Dimension des Menschlichen ein wenig nähern, wenn wir uns einmal die Frage stellen:
Warum werden Geschenke eigentlich verpackt? z. T. aufwendig verpackt? In jedem besseren Geschäft fragt uns - gerade wieder in der vorweihnachtlichen Zeit - die Verkäuferin: "Soll es ein Geschenk sein?" Die Frage zeigt an, dass einer gekauften Ware nicht von vornherein der Charakter eines Geschenkes anhaftet. Eine Sache muss zum Geschenk werden. Die entsprechende Verpackung ist ein erster Hinweis.
Verpackung ist eine bedeutungsvolle Verhüllung. Es gibt so etwas wie Verhüllungskünstler. Als das Ehepaar Christo den Reichstag verhüllte, fuhren die Menschen in Scharen nach Berlin. Was wollten sie eigentlich sehen? Die Verhüllung zeigt eine bekannte Sache in neuem Licht. Sie signalisiert: "Du weißt von mir, dem verhüllten Gegenstand nicht alles!" Ich bin überzeugt, dass die politische Akzeptanz des in mehrfacher Hinsicht geschichtlich belasteten Reichstaggebäudes in unserer Bevölkerung nicht zuletzt dieser Verpackungs-Aktion zu verdanken ist. Altes neu sehen lernen, in ein neues Licht tauchen: Die Verhüllung enthält eine Verheißung. Sie signalisiert Bedeutungsüberschuss. Sie schafft Freiraum für Neues, für Ungewohntes, für eine noch ausstehende Wirklichkeit. Ob deswegen Geschenke verpackt werden?
Verpackung verspricht eine Überraschung. Man soll nicht sofort sehen, was unter der Hülle verborgen ist. Ich weiß noch, wie mir als Kind der lange ersehnte Holzroller geschenkt wurde. Normalerweise war über allen Geschenken, die unter dem Christbaum lagen, eine Decke ausgebreitet. Wir Kinder sollten erst andächtig der Verlesung des Weihnachtsevangeliums lauschen und die gewohnten Gebete sprechen. Aber mit meiner Andacht war es dahin: Am Rande der verhüllenden Decke lugte schon der Lenker des heiß ersehnten Tretrollers hervor!
Die Verhüllung will andeuten, dass wir im Leben mit Überraschungen rechnen dürfen. Es gibt eine Freude, die zwar noch unbestimmt ist, noch nicht gegenständlich fixiert, aber dennoch sich schon auf eine vorhandene Wirklichkeit bezieht. Wer das verpackte Geschenk in den Händen hat, hat schon das Geschenk, aber die volle Freude wird sich noch entfalten. Die Verhüllung verlangsamt, dehnt gleichsam den Weg zur vollen Freude, die unser Herz ersehnt. Sie schafft einer Freude Tiefe, sie gibt die Möglichkeit, Freude auszukosten und durch Sehnsucht zu steigern.
Und schließlich ist die Verhüllung ein Auftakt zu einem Dialog, zu einer Beziehung oder einer Vertiefung von Beziehung. Der eine sagt: "Was mag es wohl sein?" "Womit will er, will sie mich wohl überraschen?" Der andere denkt sich: "Was wird er, was wird sie wohl zu meinem Geschenk sagen?" Schenken wird zu einem interaktiven Vorgang. Dieser Vorgang betrifft stets zwei Seiten: den Schenkenden, der mit seiner Phantasie und seinem Geldbeutel gefordert ist, und dem Beschenkten, der ein Geschenk nicht nur rein passiv empfängt, sondern der es sich schenken lässt, der sich gleichsam durch das Geschenk ansprechen und aus der Reserve locken lässt. Und, der aus einem Geschenk - in diesem Falle ein Tretroller - etwas macht. Meine zerschrammten Knie zeigten der Mutter, wie sehr das Geschenk angenommen war.
Schenken setzt in Beziehung. Es baut Brücken auf, die bekanntlich auf zwei Pfeilern ruhen müssen. Der Volksmund sagt nicht ohne Grund: "Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft!" Das Geschenk aktiviert - den Schenkenden und den Beschenkten.
Aber da sind wir schon mitten bei unserem Thema. Meine Überlegungen, die ich an so etwas Äußerlichem wie dem Phänomen des Einpackens festgemacht habe, zeigen, dass im Vorgang des Schenkens und Beschenkt-Werdens zutiefst menschliche Grunddaten berührt werden, und ich meine: auch religiöse. Tiere können nicht schenken. Ich behaupte es einfach einmal. Das Muttertier wird den Jungen Beute überlassen. Die Herde muss dem Leittier den fettesten Bissen zukommen lassen. Aber das sind wohl mehr Vorgänge, die mit Herrschaftsstrukturen unter Menschen in Vergleich zu setzen sind. Schenken ist wohl doch etwas anderes. - Oder täusche ich mich? Ich vertiefe meine Betrachtung mit drei Hinweisen:
1. Schenken schafft Räume des Lebens und Leben-Lassens.
Bekanntlich ist unser eigenes Leben ein Geschenk. Manche wollen das nicht gern hören. Manche hätten vielleicht sogar - im Wissen um das, was kommt - die Annahme dieses Geschenkes verweigert. In der Tat, manche Menschen tragen schwer an ihrem Leben. Aber dennoch: Eigentlich hängen wir an unserem Leben - auch dann noch, wenn es uns nicht auf Rosen bettet.
"Schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst!" singen gern die Kinder des Domkindergartens, wenn sie zum Geburtstagsständchen beim Bischof abgeordnet werden. Das ungelenke Bild, das sie in Händen haben, die Blümchen, die sie mitbringen, erinnern mich dann sehr daran, das ich im Letzten vor meinem Schöpfer ein Kind bleibe, angewiesen auf Zuwendung und Liebe, auf Fürsorge und Nachsicht.
Jedes echte Geschenk signalisiert einem anderen: Es ist gut, dass es dich gibt. Die Seligkeit, gewollt zu sein, macht den Menschen aus. Wahre Liebe und die ihr eigenen Zeichen wollen zum Ausdruck bringen, dass der andere, die andere leben möge, ja möglichst ewig leben möge. Ist das nur ein frommer Wunsch? Ich meine: Nein. Die in dem Geschenk enthaltene Kraft der Zuneigung, der Solidarität und Liebe schafft in Wirklichkeit, was sie in der gegenständlichen Sache anzeigt. Ein Geschenk hat - wenn Sie so wollen - einen "sakramentalen" Charakter. Sakramente sind für den Christen ja nicht nur Symbole, Hinweise oder Wunschbilder, sondern (in diesem Falle) von Gott gesetzte Wirklichkeit. Sie bewirken, was sie anzeigen. "Mit dem Himmel beschenkt" heißt: Wir sind schon Himmelsbesitzer, Anrechtsinhaber, so wie man eine ersehnte Eintrittskarte schon in der Tasche hat, auch wenn das Konzert, der festliche Abend erst noch kommt.
Die Linguistiker kennen nicht nur das informative Sprechen, sondern auch den sogenannten performativen Sprechakt: Sprache, die nicht nur informiert, sondern Realitäten setzt. Ein Richter, der den Angeklagten verurteilt oder freispricht, signalisiert nicht nur etwas, er schafft für den Betreffenden Wirklichkeit. Ein Wort der Vergebung eröffnet den Raum der Vergebung, der dem schuldig Gewordenen einen neuen Anfang ermöglicht. Ohne das Wort: "Es ist wieder gut! Ich hab Dir vergeben!" gäbe es diese Wirklichkeit nicht.
In der Zeit nach der friedlichen Revolution 1989/90 haben wir erfahren, wie bitter es ist, wenn weder Schuldbekenntnisse für getanes Unrecht noch Zeichen des Vergebens von Seiten der Opfer erfolgen. Es ist nicht von ungefähr, wenn im Neuen Testament das griechische Wort für Schenken: charisomai sowohl schenken wie auch vergeben bedeuten kann. "Sünden vergeben" wie: "Leben schenken" sieht der christliche Glaube als zwei Seiten der gleichen Medaille. Darum weiß der Glaube, dass letztlich Leben, ja der Himmel, nicht gemacht, sondern nur geschenkt werden kann. Jeder Himmel, den man sich nicht schenken lassen will, den man selber machen, selbst erkämpfen will, wird meist zur Hölle.
Einen Spitzensatz der Heiligen Schrift finden wir etwa im Paulusbrief an die Römer, wo der Apostel auf die sieghafte Zuversicht der Glaubenden zu sprechen kommt. Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert - nichts, "weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges" - nichts soll uns schrecken. Und Paulus begründet diese Zuversicht mit dem Hinweis: "Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" (Röm 8,32). Mit dem Himmel beschenkt sein heißt letztlich: Gott selbst schenkt sich uns mit seiner ganzen Lebensfülle. Das ist unbegreifbar - aber das ist die selige Mitte unseres Glaubens.
Ein weiterer Hinweis:
2. Schenken hat Verheißungscharakter
Wir haben diesen Aspekt schon am Anfang in den Blick genommen, als vom Einpacken der Geschenke die Rede war. Das verhüllte Geschenk ist eine Metapher für noch ausstehende Herrlichkeit - ob das nun Kinderherrlichkeit ist oder Vorfreude über die noch ausstehende Reise, die ich erst in Gestalt eines Gutscheins in Händen halte oder ob es um die Herrlichkeit geht, von der die Schrift spricht, wenn sie uns im Wasser der Taufe Anteil am Wasser des Lebens verspricht, das jeden Lebensdurst zu stillen vermag. Unterschiede sind hier nur graduell, nicht prinzipiell zu machen.
Ich finde, ein Geschenk ist dann wirklich echt, zutiefst menschlich, wenn es Verweischarakter hat, wenn es anzeigt: In dieser Gabe steckt mehr. Darin zeigt sich meine Hochschätzung, meine Zuneigung, meine Dankbarkeit, ja meine Liebe. Geschenke, über die man sich freut, signalisieren etwas Größeres, eine Wirklichkeit, die sich nicht in Zahlen oder gar in Geldwert ausdrücken lässt. Darum können auch kleine Geschenke sprechend sein.
Im Evangelium wird berichtet, wie Jesus eine arme Frau beobachtet, die zwei Kleinstmünzen in den Opferkasten am Tempel als Gabe hineintat. Und er macht seine Jünger darauf aufmerksam und bewertet diese Opfergabe mit den Worten: "Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle anderen. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt" (Mk 12, 43f).
Unsere Kultur des Schenkens könnte von dieser Sichtweise einiges lernen. Wir werden nicht aufgefordert, den ganzen Lebensunterhalt herzugeben. Aber manchmal wird von einzelnen Menschen sehr viel gefordert: Zeit etwa, Nervenkraft, Bereitschaft zur Pflege eines Angehörigen, Offenheit für ein Menschenleben, das sich ungeplant anmeldet und zu leben begehrt. Aber wir wollen hier gar nicht so große Dinge nennen. Es geht manchmal in der Tat um kleine Zeichen einer Zuwendung zum Mitmenschen. Diese Zuwendung muss in der Tat "sprechend" werden, in Worten und Zeichen, etwa auch in einer materiellen Gabe, die dann eine Botschaft für Größeres, im Letzten Unsagbares ist. "Du bist gewollt!" "Du bist von mir angenommen!" "Du hast bei mir Heimat und Geborgenheit!" "Ich freue mich, dass es dich gibt!" Das sind die Botschaften wirklicher Geschenke, die wir in ihrem Verheißungscharakter oft nicht ganz einlösen können, die aber dem anderen etwas signalisieren von dem, wonach das menschliche Herz verlangt. Für mich als gläubigen Christen enthalten alle Geschenke, auch die kleinsten, einen Hinweis auf Gott, dessen Geschenke nicht nur eine bloße Gabe sind, sondern den Geber selbst enthalten. Und das ist uns Menschen bekanntlich höchstens annähernd möglich.
Und schließlich nenne ich als letzten Hinweis:
3. Authentisches Schenken braucht (zumindest in Ansätzen) die Intention der Zweckfreiheit.
Einem Geschenk muss ein Hauch des großen "Umsonst" anhaften, oder besser gesagt: der Zweckfreiheit, die die Dimension des Nützlichen zumindest zurücktreten lässt.
Das neue Hemd, das ich ohnehin ab und zu einmal brauche, ist eine nützliche Gabe, aber nur in begrenzter Weise ein Geschenk. Und am selbstgehäkelten Schal ist nicht die Tatsache wichtig, dass ich nun einen praktischen Schal für meinen Mantel habe, sondern dass dieser echte Handarbeit der geliebten Großmutter ist, an die mich dieses Stück auch nach ihrem Tode erinnern wird (falls die Mode solange hält).
Sind die in einem Warenhaus aufgehäuften Dinge Geschenke? Sie können es werden, selbst wenn sie nützliche Funktionen erfüllen. Aber am schönsten sind jene Dinge, die möglichst nicht auf der ohnehin verabredeten Anschaffungsliste für den Haushalt stehen. Es gibt Gaben, die eine Beziehung schön und eine Stunde der Gemeinsamkeit festlich machen: Weil sich in ihnen das große "Umsonst" einer Liebe widerspiegelt, die man sich nicht kaufen, nicht verdienen, nicht ertrotzen kann, sondern die man sich eben schenken lassen muss.
Und da sind wir bei dem, was ich eingangs vom interaktiven Charakter des Schenkens sagte. Es gibt Menschen, die sich nicht gern beschenken lassen. Sie meinen, dadurch gebunden zu werden. In der Tat: Es gibt Dinge, die mich binden. Ich denke an das Wort eines Schriftstellers (J. Romains), der etwas bissig bemerkte: "Nichts kommt einen Mann so teuer zu stehen wie die Opfer, die eine Frau für ihn bringt". Wer Geschenke als Opfer erfährt, der sollte sich in der Tat nicht beschenken lassen.
Ich erinnere an eine wunderbare Stelle der Heiligen Schrift, wo es in einem Prophetentext von Gottes Zuneigung zu Israel, dem erwählten Volk heißt: "Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe" (Hos 11,4). Es gibt eine Liebe, die am Busen erdrückt. Es gibt Geschenke, die einem die Luft zum Atmen nehmen. Aber es gibt auch jene wunderbare Erfahrung, dass ich mich - durch ein Geschenk angeregt und gelockt - einer Beziehung anvertraue, die mich freisetzt, die mich mutig macht, die mir Leben und Zukunft schenkt. Ein Kletterseil bindet den Bergsteiger. Das ist wahr. Aber ein solches Seil lässt ihn auch klettern, lässt ihn Höhe gewinnen. Wer jedem Geschenk verdächtige Motive unterschiebt, wer zu enge Bindungen scheut und tiefer gehende Zeichen der Zuneigung als lästig empfindet, der wird bald merken, dass er auf Dauer allein bleibt. Wer sich dagegen beschenken lässt - von Menschen, die ihm nahe stehen und noch mehr von Gott, "von dem jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt" (vgl. Jak 1,17), der wird selig zu preisen sein.
Von Meister Eckart, der hier in unserer Stadt lebte und wirkte und der wohl angesichts der Warenfülle unserer Kaufhäuser ins Grübeln käme, stammt das Wort: "Der Verzicht nimmt nicht, er gibt". Dem Einzelhandel wird dieses Wort nicht unbedingt gefallen. Aber es stimmt wohl doch: Zum Feiern des Weihnachstsfestes brauchen wir nicht unbedingt Karstadt. Aber wir brauchen sicher dazu den guten Brauch zu schenken und uns beschenken zu lassen, vielleicht auch mit Dingen aus Geschäften - aber nur, wenn darin etwas von uns selbst enthalten ist. Und eben das macht den Zauber des Schenkens und Beschenkt-Werdens aus, auch und gerade dann, wenn man scheinbar alles hat.
* * *
Wir sind mit dem Himmel beschenkt. Jetzt hat dieses Wort doch eine größere Tiefe bekommen. Wir werden dann im Dom einen Schrifttext aus dem Epheserbrief hören. Dort ist davon die Rede, dass Gott seinen Leib, die Kirche aufbauen möchte. Das Bild seines Sohnes ist dafür der Maßstab, das bleibende Grundmodell. Der Briefverfasser nutzt einen Psalm, in dem ein archaisches Bild gebraucht wird, das uns freilich auch heute vertraut ist: Wenn einer einen politischen oder gar militärischen Sieg errungen hat, da gibt er gewöhnlich seinen getreuen Gefolgsleuten Geschenke, Ministerposten oder sonstige einträgliche Vergünstigungen.
Christus, der zum Vater emporgestiegen ist als Sieger über Sünde und Tod, gibt in ähnlicher, freilich das Bild überbietender Weise den Seinen Geschenke: seine Gnadengaben, seine Charismen. Und dann zählt der Apostel die Ämter der jungen Kirche auf. Er nennt die Apostel (und da gab es bekanntlich mehr als 12), die Propheten (zu denen ich heute Martin Luther King oder die Schwester Teresa von Kalkutta zählen würde), die Evangelisten, die Hirten und die Lehrer. Und dann heißt es: Sie alle sollen mit ihren Gaben, mit ihren von Gott gegebenen Geschenken "die Heiligen" (also uns alle) "für die Erfüllung ihres Dienstes zurüsten" (man könnte auch übersetzen: präparieren, ausstatten, befähigen). Und was ist dieser Dienst? Der "Aufbau des Leibes Christi" (vgl. Eph 4,11ff). So sollen wir alle durch den Glauben und durch das Erkennen Jesu Christi zur Einheit untereinander gelangen. Wir dürfen damit rechnen, so zum "vollkommenen", zum gelingenden Menschsein zu gelangen, zur Darstellung Christi in seiner vollendeten Gestalt - und diese ist ja seine himmlische, verherrlichte Daseinsweise.
Das ist ein gewaltiges Programm für uns als Kirche, für jeden Einzelnen und für uns als Ortskirche in der Diaspora Thüringens, im Eichsfeld: Auf den vollendeten Christus zu verweisen, auf das Ziel unseres Leben, das darin besteht, bei Gott mit ihm, unserem Herrn verherrlicht zu werden. Und das alles ist Programm nicht für ein imaginäres Morgen, sondern für heute, für hier und jetzt.
Wenn wir uns dann morgen anregen lassen und selbst in den Gruppengesprächen fragen, wo denn solche "Himmelsaspekte" unter uns zu finden sind, dann lasst uns nicht diese Perspektive vergessen: Wir sind schon beschenkt, aber eben deshalb können und wollen wir diese Hoffnung weiterschenken - und nicht zuletzt, diese Hoffnung als unseren bleibenden Reichtum feiern.
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