Verehrte Damen und Herren Abgeordnete des Landtags!
Liebe Gäste! Liebe Gemeinde!
Einer guten Tradition folgend, beginnt die Arbeit des neuen Landtags in Thüringen mit einem Gottesdienst. Das ist erfreulich, aber alles andere als selbstverständlich. Die Mehrzahl der Bewohner unseres Freistaates gehören keiner Kirche an. Und auch unter Ihnen werden nicht alle Mitglied einer Kirche sein. Ich gestehe: Das macht meine Rolle als Prediger vor einer solchen Gemeinde nicht einfach.
Doch möchte ich gleich eingangs meine Karten offen legen: Ich rede zu Ihnen durchaus als Kirchenmann, aber auch als Bürger dieses Landes, zugegeben: aus christlicher Perspektive, denn die kann und will ich nicht verleugnen. Doch hoffe ich, dass meine Auslegung eines Textes aus der Bibel nicht nur den Christen unter Ihnen etwas zu sagen hat, sondern auch den "religiös Unmusikalischen".
Ich habe für den heutigen Gottesdienst anlässlich der Konstituierung des neuen Landtags einen Text aus dem Matthäusevangelium ausgewählt, die Perikope über die Steuerfrage (Matthäus-Evangelium 22,15-21). Keine Sorge: Ich möchte hier nicht über Steuern und Finanzpolitik reden. Aber die Frage nach der Berechtigung der römischen Besatzungsmacht, von den Juden Steuern zu verlangen, mit der man Jesus damals provozieren wollte, ist auch heute durchaus von Interesse. Im Übrigen: Ohne Kenntnis dieses Textes versteht man nicht die kulturelle Entwicklung Europas, speziell das bei uns geschichtlich gewachsene Verhältnis von Staat und Kirche, von Gewissensfreiheit und Religion.
Ich verstehe die Antwort Jesu auf die Frage nach der Legitimität des Steuerzahlens so: Jesu Hinweis auf die Steuermünze, auf der der Kaiser als Repräsentant staatlicher Gewalt abgebildet ist, will die Heuchelei der Fragesteller entlarven. Sie tun faktisch, was sie theoretisch in Frage stellen. Jesus weigert sich, für das Steuerzahlen eine religiöse Legitimierung zu geben.
Übrigens für die Theologen unter Ihnen: Paulus wird diesbezüglich in Röm 13 weitergehen. Er stützt die staatliche Autorität insofern, als er in ihr eine ordnende Instanz sieht: Sie belohnt das Gute und straft das Böse. Sie steht im Dienste Gottes und verdient daher Gehorsam, wenngleich Paulus bedeutsam hinzufügt: vor allem um des Gewissens willen. Und dieses Gewissen ist Gott verpflichtet, nicht zuerst menschlichen Ordnungen.
Aber lassen wir das hier einmal außer Acht. Bleiben wir bei unserer Perikope. Ihre Aussage ist wichtig und auch für uns heute bedeutsam. Jesus verweist auf die politische Realität. Sie ist eine von Menschen gemachte Ordnung und darf nicht göttlich überhöht werden. Das Zeitalter von Theokratien ist in Europa endgültig vorbei. Das hat das Christentum in seiner Geschichte schmerzhaft lernen müssen. Und das wird wohl auch der Islam noch lernen.
Ich ziehe daraus diese Folgerung: Wie wir unser Staatswesen einrichten, welche Gesetze dort zu gelten haben und welche Wertvorstellungen leitend sein sollen, das ist unsere Sache, Sache der Menschen, Sache der Bürgerschaft. Wir haben in Deutschland mit der parlamentarischen Demokratie gute Erfahrungen gemacht. In den neuen Bundesländern sind wir immer noch dabei, in diesen Lernvorgang einzutreten, wobei wir wissen, dass diese Staatsform verbesserungsfähig ist. Ja, die Lernfähigkeit der parlamentarischen Demokratie gehört zu den Vorzügen dieser politischen Ordnung. Das zeichnet sie neben anderen Kennzeichen, wie etwa das Prinzip der Gewaltenteilung, vor anderen Staatsformen aus.
Das ist also der erste Teil der Antwort Jesu: "Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört - also: gebt ihm eure Loyalität, eure Steuern, eure Söhne als Soldaten usw." Denn das ist die Realität, auch wenn sie von den Pharisäern (angesichts der Gewaltherrschaft der Römer) so nicht gewollt ist.
Nun aber belässt es Jesus nicht bei dieser Feststellung. Er fügt seiner Antwort als zweiten, gewichtigeren Teil hinzu: "Und gebt Gott, was Gott gehört."
Ich interpretiere das so: Politik kann nur Teilansprüche an den Menschen stellen. Gott allein hat ein Anrecht auf den ganzen Menschen, so, wie es wenige Verse weiter bei Matthäus im Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe formuliert ist: Du sollt den Herrn, deinen Gott lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, und mit all deinen Gedanken (Mt 22,37). Man könnte es verkürzt so sagen: Der Politik gehört unser Verstand. Gott gehört unser Verstand und unser Herz.
Das sagt nichts gegen jene unter Ihnen, verehrte Abgeordnete, die sich als Vollblut-Politiker verstehen, als Frauen und Männer, die sich mit Herz und Hand, mit dem Einsatz aller Verstandes- und Gemütskräfte in ihren Beruf hineingeben. Das ist durchaus gut so.
Aber könnte es nicht sein, dass es noch besser ist, eine zweite Ebene zu kennen, die die erste Ebene des politischen Alltagsgeschäftes übersteigt? Eine Ebene, die das, was Sie im Landtag und als Abgeordnete tun, noch einmal einem größeren Horizont aussetzt als nur dem politischen oder gar parteipolitischen Kalkül?
Dazu lädt uns das Wort Jesu ein. Ich fasse diese Einladung einmal in ein Bild, das für sich sprechen mag. Viele von Ihnen kennen das Schloss Sanssouci in Potsdam. Einer Baulaune der damaligen Fürsten folgend hat dieses Schloss ein so genanntes Spiegelkabinett, einen Raum, der völlig mit Spiegeln ausgekleidet ist, auch die Fenster und Türen. Wenn man als Besucher dort hineingeführt wird, bekommt man ein beklemmendes Gefühl. Wohin man auch blickt: Überall sieht man nur - sich selbst.
Das ist für mich das Bild einer Welt, aus der Jesu Wort herausführen will. Der Mensch soll nicht nur den "Kaiser", nicht nur die politischen Realitäten und mit ihnen all die Probleme sehen, mit denen wir uns heute wie zu allen Zeiten herumplagen. Er soll gleichsam die Fenster und Türen seines Lebenshauses öffnen auf den größeren Horizont hin, der hinter den Spiegeln dieser Welt und ihren Problemen vorhanden ist: Gott, sein Leben, seine Schöpfermacht, seine Verheißung und daraus resultierend eine Hoffnung, die alle innerweltlichen Hoffnungen überschreitet.
Ich bekenne: Ich war froh, als ich das Spiegelkabinett dank der freundlichen Führerin, die uns seinerzeit durch das Schloss geleitete, bald wieder verlassen konnte. Im Freien, im Tageslicht konnte man wieder aufatmen.
In der Rolle dieser freundlichen Frau sehe ich mich heute vor Ihnen: Ich möchte Sie einladen, in ihrem Alltagsgeschäft als Parlamentarier immer wieder den größeren Horizont in den Blick zu nehmen, der hinter den Spiegeln, in denen wir nur uns selbst sehen, auf uns wartet.
Wir Christen nennen diesen Horizont Gott, den Vater aller Menschen, unseren Schöpfer und Erlöser. Andere mögen diesem Horizont andere Namen geben: Lebenskraft, grenzenloses Sein, die unendliche, evolutionäre Dynamik - oder wie auch immer.
Mein Wunsch wäre, dass sich möglichst viele - auch unserer politischen Repräsentanten - diesem größeren Gotteshorizont, der hinter und über allen Dingen dieser Welt aufleuchtet, aussetzen. Das Licht, das von dorther leuchtet, hat seine eigene Dynamik. Es hilft, das Wichtige vom weniger Wichtigen zu unterscheiden. Es hilft, den Menschen in seiner unveräußerlichen Würde im Blick zu behalten, die Zukunft offen zu halten und jedem ideologischen Denken zu widerstehen. Dieses Licht von oben hilft, die Dinge dieser Welt, auch meines ganz persönlichen Lebens in noch anderer Beleuchtung zu sehen als dies gewöhnlich geschieht, auch die Dinge, die bitter sind, die querlaufen oder Niederlagen darstellen. Das Wissen um den Gotteshorizont unseres Lebens und Handelns, auch des Dienstes in der Politik, macht uns wirklich souverän, unabhängig von Tagesmeinungen und manchmal auch Parteizwängen. Sie werden diese Souveränität, diese Standfestigkeit brauchen. Ja, sie wird von Ihnen erwartet.
Verehrte Abgeordnete!
Als Prediger und Ausleger der Heiligen Schrift kann ich freilich noch mehr, als nur diese Erwartung an Sie zu richten. Ich kann Sie auf den verweisen, in dem wir uns selbst, unser Denken und Handeln - und unser Herz - sicher und fest machen können: Gott, unseren Herrn und Vater. Geben wir ihm, was ihm gebührt - dann werden wir auch dem "Kaiser", sprich: unseren Aufgaben in dieser Welt gerecht werden. Amen.
Predigten von Bischof Joachim Wanke werden im Newsletter "BEA - Bistum Erfurt Aktuell" dokumentiert. Für weitere Informationen bitte diese Zeilen anklicken!