"Hin zu Christus, dem Erlöser des Menschen, zu Christus, dem Erlöser der Welt"

Predigt von Bischof Joachim Wanke zur Seligsprechung von Papst Johannes Paul II.

"Einen Katechumenen fragen: Möchtest du die Taufe empfangen?, das schließt gleichzeitig die Frage ein: Möchtest du heilig werden?", so schreibt einmal Papst Johannes Paul II, der am heutigen Tag selig gesprochen wird. Er erinnert in diesem Zusammenhang an das Wort Jesu: "Ihr sollt vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist" (Mt 5,48). Und der Papst fährt - gleichsam sein eigenes Handeln erklärend - fort: "Ich danke dem Herrn, dass er es mir geschenkt hat, in diesen Jahren so viele Christen selig und heilig sprechen zu dürfen. Darunter waren auch viele Laien, die unter Bedingungen, wie sie das ganz gewöhnliche Leben vorgibt, heilig wurden. Es ist jetzt an der Zeit, allen mit Überzeugungskraft diesen ´hohen Maßstab´ des gewöhnlichen christlichen Lebens vor Augen zu stellen" (Novo millennio ineunte 31). Also: Heiligkeit als Normalzustand des Christenlebens - nicht die Ausnahme.

Papst Johannes Paulus II. war eine außergewöhnliche Papstgestalt, wie sie nur selten der Kirche geschenkt wird. Wir alle waren Zeugen eines Pontifikats, das in eine bewegte Zeit fiel.

Wir katholische Christen in Thüringen sind diesem Papst in besonderer Weise verbunden. Zum einen hat er 1994 das Bistum Erfurt wieder neu begründet. Seine Unterschrift steht unter der Gründungsbulle aus dem Vatikan, die sich in unserem Archiv befindet. Zum anderen hat er auch zu uns Bischöfen, die aus Thüringen kommen, eine besondere Beziehung: Joachim Meisner hat er schon 1975 bei einem Besuch als Kardinal von Krakow kennen- und schätzen gelernt, was sich dann auf dessen weiteren Lebens- und Dienstweg auswirkte. Die Weihbischöfe Hans-Reinhard Koch und Reinhard Hauke sind von ihm ernannt und auch mich selbst hat als bischöflicher Administrator und dann als Bischof von Erfurt berufen. Bei meinen Begegnungen mit ihm in Rom war ihm unsere Situation in Thüringen wohl vertraut, die Erinnerung an die Bistumswallfahrt 1975 noch lebendig und nicht zuletzt auch an Bischof Hugo Aufderbeck, den er vom Konzil her kannte und den er als Seelsorger und Theologen sehr schätzte.

Wir brauchen hier nicht das reiche Wirken dieses Papstes zu entfalten. Von 1978 an führte er die Kirche bis über die Jahrtausendwende, deren Feier ihm so am Herzen lag. Sein Pontifikat bis 2005 ist das zweitlängste der Geschichte und in mancherlei Hinsicht ein Pontifikat der Superlative. Denken wir nur an seine Rolle beim Untergang des alten Sowjetimperiums. Durch seine Reisen und seine Predigten in aller Welt machte er deutlich, dass nicht Panzer und die Verfügungsgewalt über Atomwaffen den Lauf der Weltgeschichte bestimmen, sondern der Freiheitswille der Völker, den Gott in sie hineingesenkt hat. Darum konnte er immer wieder den Menschen zurufen: Habt keine Angst! Vertraut auf Gottes Führung! Wagt es, in der Wahrheit zu leben, denn die Wahrheit, die Gott selbst ist, wird euch frei machen.

Papst Johannes Paul ging in der Tat selbst auch unkonventionelle Wege, wenngleich er im tiefsten Herzen konservativ im bestem Sinne dieses Wortes war, ganz verpflichtet dem Glaubensgut, wie es uns das Evangelium und die Lehre der Kirche vermittelt. Er war ein Mann, der in der Öffentlichkeit der Welt präsent war. Er scheute die Medien nicht, er nutze sie für die Verkündigung der Frohbotschaft. Sein Wort hatte Gewicht und Einfluss. Er ist auf die Juden zugegangen und hat für ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihnen mehr getan als alle seine Vorgänger. Er hat als erster Papst in Damaskus eine Moschee betreten. Er hat die Vertreter der Weltreligionen zu einem Gebetstreffen nach Assisi eingeladen und dafür nicht nur Lob geerntet. Aber er meinte, dieses Friedenszeichen setzen zu müssen. Und wir spüren heute mehr und mehr, wie prophetisch dieses Zeichen war.

Er hat sich dafür eingesetzt, das durch Aufklärung und falsche Apologetik gestörte Verhältnis von Gottesglaube und Wissenschaft wieder ins rechte Lot zu setzen. Ein Zeichen dafür war die Rehabilitation Galileis und die bis heute lesenswerte Enzyklika "Fides et ratio", über das richtige Verhältnis von Glaube und Wissen. Er hat die Ökumene gefördert (als erster Papst schrieb er dazu eine Enzyklika) und die getrennten Glaubensgeschwister eingeladen, ihm Vorschläge für eine richtige, schriftgemäße Ausübung des Petrusdienstes zu machen. Vielleicht wird diese Anregung auch demnächst bei der Begegnung seines Nachfolgers mit Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland hier in Erfurt, im Augustinerkloster, eine Rolle spielen.

Dieser Papst hat den Mut gehabt, im Jubiläumsjahr 2000 ein öffentliches Schuldbekenntnis für die Sünden der Kirche in Zeit und Geschichte abzulegen, was durchaus nicht allen Leuten besonders am rechten Rand der Kirche gepasst hat. Der Papst wusste mit dem Apostel Paulus: Wir tragen den kostbaren Inhalt , das Evangelium, in zerbrechlichen Gefäßen. Und darum braucht auch die Kirche insgesamt das Erbarmen Gottes, das freilich nur denen geschenkt wird, die ihre Schuld bekennen und demütig um Vergebung bitten.

Und nicht zuletzt sei an die Weltjugendtage und die Weltfamilientage erinnert, die dieser Papst ins Leben gerufen hat - eben weil er sich mit der Jugend besser verstand als so mancher seiner Kritiker. Dieser Mann ist echt, das spürten besonders die jungen Menschen - und so kamen sie damals zu seinem Sterben und seinem Begräbnis in großer Zahl nach Rom, bewegt von einem Menschen, dem nichts Menschliches fern war.

All das, was wir bisher gesagt haben, ist mehr oder weniger allen Menschen zugänglich, auch ungläubigen Zeitgenossen und Historikern. Es werden noch manche Bücher über diesen Papst geschrieben und Filme gedreht werden, auch kritische. Aber keiner, der diese Biographie und deren Lebensleistung zu würdigen hat, wird sich der Faszination dieser Persönlichkeit entziehen können.

Und nun: ein Seliger der Kirche! Das macht uns aufmerksam auf die tiefste Lebensquelle dieses Papstes, aus der er seine Kraft und seine Inspiration bezog: seine Christusbeziehung. Und darin kann uns der neue Selige der Kirche ein Vorbild sein. An ihm können wir ablesen, was es heißt: wirksam können wir nur sein, wenn wir Rebzweige am Weinstock des Herrn bleiben. Das hat Papst Johannes Paul uns vorgelebt.

Schon in seiner ersten Botschaft an die Weltkirche, in der Enzyklika "Redemptor hominis" von 1979, beschreibt er, was ihn in seinem Dienst am Herzen liegt: "Die einzige Ausrichtung des Geistes, die einzige Zielsetzung des Intellektes, des Willens und des Herzens ist für uns dieses: hin zu Christus, dem Erlöser des Menschen, zu Christus, dem Erlöser der Welt. Auf ihn wollen wir schauen, denn nur in ihm, dem Sohne Gottes, ist Heil; wir wollen den Ausruf des Petrus wiederholen: ´Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens´" (Nr.7).

Und gleichsam das Gegenstück dieser Aussage, die sich wie ein roter Faden durch dieses Pontifikat zieht, wiederholt Johannes Paul in einer mich bewegenden Botschaft nach der Feier der drei Jubiläumsjahre zur Jahrtausendwende, in dem Schreiben "Novo millennio ineunte", das ich schon eingangs zitierte. Er knüpft an die Frage der Menge nach der Ansprache des Petrus an das Volk in der Apostelgeschichte an: "Was sollen wir tun!" Er macht diese Frage zur eigenen Frage und schreibt: "Wir stellen uns diese Frage mit zuversichtlichem Optimismus, ohne dabei die Probleme zu unterschätzen. Das verleitet uns sicher nicht zu der naiven Ansicht, im Hinblick auf die großen Herausforderungen unserer Zeit könnte es für uns eine ´Zauberformel` geben. Nein, keine Formel wird uns retten, sondern eine Person, und die Gewissheit, die sie uns ins Herz spricht: Ich bin bei euch!"

Und der Papst fährt fort: "Es geht also nicht darum ein ´neues Programm´ zu erfinden. Das Programm liegt schon vor: Seit jeher besteht es, zusammengestellt vom Evangelium und der lebendigen Tradition. Es findet letztlich in Christus selbst seine Mitte. Ihn gilt es kennen zu lernen, zu lieben und nachzuahmen und mit ihm der Geschichte eine neues Gestalt zu geben, bis sie (sc. die Kirche) sich im himmlischen Jerusalem erfüllt .... (Dies) ist unser Programm für das dritte Jahrtausend."

Und es ist ein Programm für unsere Kirche in der Diaspora Thüringens, die dieser Papst gewagt hat, in die Selbstständigkeit zu entlassen. Es tröstet mich, wenn ich jetzt zu ihm rufen kann (und Sie alle lade ich dazu mit ein): Seliger Papst Johannes Paul, bitte für uns. Amen.


Predigt gehalten am 1. Mai 2011 im Erfurter Dom St. Marien