„Gut, dass du da bist!"

Predigt von Bischof Wanke zur Bistumswallfahrt am 17.09.2006

Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!
„Gut, dass du da gewesen bist, Heiliger Vater!" Das werden sicher viele sagen, die in dieser Woche dem Papst in Bayern begegnet sind oder die seinen Besuch, die Gottesdienste und Ansprachen im Fernsehen verfolgt haben. Ob wir hier in den neuen Bundesländern das wohl auch einmal sagen können? Es wäre schön. Wir hoffen, dass der liebe Gott unserem Papst Kraft und Gesundheit gibt, vielleicht in einigen Jahren ein drittes Mal nach Deutschland zu kommen, und dann vielleicht auch zu uns.

„Gut, dass du da bist!" Wir gebrauchen dieses Wort als freudigen Ausruf, wenn wir einen Menschen grüßen, der uns Stütze und Halt ist. Gerade in Zeiten, in denen manchmal alles drunter und drüber geht, in Augenblicken, wo einem das Wasser bis zum Halse steht - da kann sich zeigen, wie wichtig ein starker Helfer an meiner Seite ist, der Ehepartner, ein Freund, eine Freundin, ein Arbeitskollege, ein zuverlässiger Nachbar. „Es ist gut, dass du da bist!"

Aber natürlich dürfen wir das noch mehr von Gott sagen. Das Leitwort unserer Wallfahrt ist zwar kein Zitat aus der Hl. Schrift. Aber es könnte sich durchaus auch in einem der Psalmen finden. Denn dort kann der Beter ganz ähnlich sprechen: „Ich sage zum Herrn: Du bist mein Herr, mein ganzes Glück bist du allein!" (Ps 16,1). Oder er kann ausrufen: „Ja, du (Gott) wurdest meine Hilfe, jubeln kann ich im Schatten deiner Flügel. Meine Seele hängt an dir, deine rechte Hand hält mich fest"(Ps 63,6f).

Was gibt uns die Sicherheit, so von Gott zu sprechen? Das Recht, mit solchem Zutrauen sich Gott zu nähern, gibt uns Jesus Christus. Denken wir an das heutige Evangelium. Jesus preist Gott um seiner väterlichen Liebe, um seines Erbarmens mit den Kleinen und Geringen willen - und dazu gehören wir. Gott ist der Geber aller guten Gaben. Er ist es, der zuerst zu uns Menschen, zu jedem Einzelnen sagt: „Gut, dass du da bist!" Gott hat uns sein Herz aufgetan. Er hat uns das Geheimnis schlechthin eröffnet, das so unwahrscheinlich und gleichzeitig so beglückend ist: dass wir über alle Maßen von ihm gewollt und geliebt sind.

Mit diesem Gott will uns Jesus bekannt machen, mehr noch: Er ermuntert uns, dass wir uns diesem Gott, seinem Vater, dem Vater des Erbarmens und dem Gott allen Trostes (wie der Apostel Paulus gern sagt), anvertrauen. Dass wir diesen Gott kennen - das ist Grund der Seligpreisung. Sie gilt den Jüngern Jesu, sie gilt allen Getauften und Glaubenden, sie gilt jedem von uns.

Es hat mich sehr beeindruckt, wie unser Heiliger Vater von diesem Kern unseres Glaubens in seiner Predigt jüngst in Regensburg auf ganz einfache und verständliche Weise gesprochen hat. Er fragt zunächst: Was ist das eigentlich, Glaube? Wenn man auf die vielen gelehrten Bücher über den Glauben schaut, zu denen der Papst ja selbst einiges beigetragen hat, oder auch auf jene Literatur, die den Sinn des Gottesglaubens mit allen möglichen Argumenten bestreitet - ist das nicht alles für den einfachen Menschen viel zu kompliziert?

Und dann fährt der Papst fort: „Vor lauter Bäumen sieht man am Ende den Wald nicht mehr. Es ist wahr: Die Vision des Glaubens umfasst Himmel und Erde; Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Ewigkeit und ist insofern gar nie auszuschöpfen. Und doch ist diese Vision im Kern ganz einfach. Der Herr sagt ja zum Vater darüber: Den Einfachen hast du es offenbaren wollen - denen, die mit dem Herzen sehen können."

Und noch einmal mit den Worten unseres Papstes: „Der Glaube ist einfach. Wir glauben an Gott - an Gott, den Ursprung und das Ziel menschlichen Lebens. An den Gott, der sich auf uns Menschen einlässt, der uns Herkunft und Zukunft ist. So ist Glaube immer zugleich Hoffnung, Gewissheit, dass wir Zukunft haben und dass wir nicht ins Leere fallen. Und der Glaube ist Liebe, weil Gottes Liebe uns anstecken will".

Ja, der Glaube ist letztlich etwas Einfaches. Für mich ganz persönlich etwa ist es die Gewissheit, dass ich euch, die große Bistumsgemeinde in Gottes Händen geborgen weiß. Für mich ist es die Mitfreude, wenn junge Eltern mir strahlend ihre kleinen Kinder vorstellen. Für mich ist einfacher Glaube der Mut, mit dem ich jeden Morgen mit Zuversicht ein großes Kreuzzeichen über jeden neuen Tag schlage. Für mich heißt einfacher Glaube, über zu enge Herzkranzgefäße nicht ins Grübeln zu kommen.

Liebe Brüder und Schwestern! Das ist die Einladung des Glaubens, der auch wir folgen. Das ist die Einladung des Evangeliums, die allen Menschen gilt, die an das Leben Fragen haben. Wir spüren heute: Religion ist wieder im Kommen. Man getraut sich wieder, öffentlich über Religion und Gott zu reden. Das ist nach so viel Christentumsfeindlichkeit und atheistischer Propaganda erstaunlich und durchaus erfreulich.

Aber meine bange Frage ist: Wird jene Religiosität wachsen, die uns den Gott und Vater Jesu Christi vor Augen stellt - oder ist die neue Sehnsucht nach Religiosität so eng, dass sie für den großen Gott unseres Glaubens keinen Platz hat?

Papst Benedikt hat daraufhingewiesen - was heute viele Menschen spüren: „Die Sache mit dem Menschen geht nicht auf ohne Gott, und die Sache mit der Welt, dem ganzen weiten Universum, geht nicht auf ohne ihn." Ich denke dabei an ein Wort eines modernen Denkers, des Philosophen Wittgenstein, der gesagt hat: „Wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, sind unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt."

Liebe Schwestern, liebe Brüder! Eine Welterklärung, die Gott ausschließt, reicht nicht. Sie macht uns dialogunfähig im Blick auf die anderen Religionen, und wir haben in den letzten zwei Tagen erfahren, wie schwierig dieser Dialog, besonders mit den Vertretern des Islam werden wird. Aber noch mehr: Eine solche Welterklärung ohne Gott macht uns selbst krank, sie hindert uns daran, das eigene Leben als Geschenk und Gabe zu verstehen und verantwortlich vor Gott und den Mitmenschen zu leben.

Manche Kritiker haben die Papstreise mit dem Schlagwort „event" abgetan. Ich antworte darauf: Ein „event" muss nicht unbedingt etwas Negatives sein. Das hat sich beim Weltjugendtag in Köln gezeigt, auch bei der Fußball-Weltmeisterschaft mit ihren guten Auswirkungen. Es darf freilich nicht nur beim „event" bleiben.

Ich bin überzeugt, dass der Papst mit seinen Worten viele Menschen auch als Einzelne angesprochen hat. Es ist einfach so: Viele Botschaften gehen heute via Fernsehen zu den Herzen. Ich habe manchmal den Eindruck, dass manche Kritiker, die genau aufzählen, was der Papst alles nicht gesagt hat, sich damit an seiner zentralen Botschaft vorbeimogeln. Sie suchen in dunklen Ecken, um nicht von dem Licht reden zu müssen, das angezündet wird. Und diese Botschaft der Papstpredigten war eindeutig: Bringt das Evangelium hier in Deutschland unter die Menschen! Überwindet die gesellschaftliche „Schwerhörigkeit" gegenüber dem Anruf Gottes! Und an uns Gläubige gerichtet: Werdet selbst eures Glaubens froh und lebt aus seiner Kraft.

Liebe Wallfahrer! Ich möchte euch einladen, diese Botschaft tief innerlich neu zu bejahen und im eigenen Leben fruchtbar werden zu lassen. Es ist die Kernbotschaft des Evangeliums. Es ist die Einladung, die der Herr selbst uns ausspricht. Wie kann diese Antwort konkret werden?

Ich greife einmal auf ein Wort von Bischof Marc Stenger zurück, unseres lieben Gastes bei der heutigen Wallfahrt. Als Bischof von Troyes in Frankreich lebt er in einer weithin säkularisierten, glaubensfernen Gesellschaft, nahezu vergleichbar mit der unsrigen. Er war einmal Gast bei einer unserer Bischofskonferenzen in Fulda. Dort hat er ein bemerkenswertes Grußwort gesprochen, das mir noch gut in Erinnerung ist. Er sagte damals sinngemäß:
Wir können als Kirche in Frankreich die Gesellschaft, so wie sie nun einmal ist, kaum oder zumindest nur wenig verändern. Aber - so meinte Bischof Marc - wir können der Gesellschaft zwei wichtige Dienste leisten: den Dienst der „Beleuchtung" (illumination) und den der „Begleitung" (accompagnement). Ich fand diese beiden Stichworte sehr hilfreich. Vor allem: Diese Worte sind selbstbewusst, aber dennoch „demütig", weil sie nicht auf uns, sondern auf Gott verweisen. Sie sind unserer kirchlichen Realität, wie ich sie auch als Bischof hier in Thüringen erfahre, sehr angemessen.

Beleuchtung: Wir Christen sind dazu berufen, in dieses Land, in alle Lebensbereiche, in denen wir selbst stehen, das „Licht von oben", unseren Glauben, unsere Hoffnung, unsere auf Gott und die Menschen gerichtete Liebe einzubringen. Eigentlich brauche ich euch dazu gar nicht aufzurufen. Das tut ihr ja - tagtäglich, ohne dabei erhabene religiöse Gefühle zu haben.

Ich möchte euch freilich aufrufen: Tut es selbstbewusst, freilich auch demütig - denn das Licht kommt nicht von uns, sondern von Gott. Aber ohne das Licht von oben wäre dieses unser Land dunkler, kälter, hoffnungsloser. Ich denke an die vielen, die in Treue Sonntag für Sonntag Gottesdienst feiern - und das stellvertretend für andere, die darin müde geworden sind, und für jene, die den Gott und Vater Jesu Christi noch nicht kennen. Ich denke an jene, die sich in ihrem Beruf verantwortungsvoll und selbstlos für das Gemeinwohl einsetzen, ohne dabei große Lorbeeren zu ernten. Ich denke an jene, die Kranke pflegen, Alte versorgen, Behinderten Heimat schaffen, die sich um Heranwachsende mühen - und Zeit und Nerven lassen bei vielgestaltiger Sozialarbeit. Ja, ohne sie alle würde in Thüringen bald das Licht ausgehen. Und wenn ihr dabei manchmal müde werdet - stellt euch selbst in das Licht, das durch das Evangelium in unser aller Leben fällt. Sagt, wenn euch die Kraft auszugehen droht oder wenn ihr manchmal verzweifelt und ratlos seid: Du mein Gott, gut das du da bist!

Und das zweite Stichwort: Begleitung. Dieses Land mit seinen Menschen, seiner Geschichte, seiner augenblicklichen Lage - dieses Land Thüringen ist unsere Heimat. Wir teilen mit allen Menschen in diesem Land die Freuden und Sorgen, die Ängste und Hoffnungen, die diese Zeit für uns bereit hält. Wir haben keine Patentrezepte für wirtschaftliche oder politische Fragen. Wir sind angewiesen, mit vielen anderen zusammen nach den besten Wegen in die Zukunft zu suchen. Wir teilen auch Unsicherheiten und Ängste, wie sie alle Menschen kennen.

Aber eines können wir: Weil wir um Gottes Nähe und seine rettende Macht wissen, können wir helfen, an eine gute Zukunft zu glauben, auch für dieses Land. Wir können helfen, Lebensqualität nicht allein am Geld festzumachen. Wir können laut sagen, dass Kinder zuerst ein Geschenk und nicht nur eine Belastung sind. Wir können Unrecht beim Namen nennen und uns ihm verweigern. Wir können den Geist und die Gesinnung der hl. Elisabeth in Thüringen einbringen, wo immer uns das möglich ist.
Wer einen schwierigen Weg zu gehen hat, hat gern jemanden bei sich, der ihn begleitet. „Komm, ich gehe ein Stück des Weges mit dir!" Sagen wir es einander. Dann wird das Gehen leichter und das Vertrauen in die eigenen Kräfte gestärkt.

Liebe Brüder und Schwestern! „Gut, dass du da bist!" Das ist ein Wort, dass man nie genug sagen und vor allem: nie oft genug hören kann! Gott sagt uns dieses Wort das wollen wir heute wieder dankbar feiern, jetzt in der Eucharistie und immer wieder im Gottesdienst der Kirche unser Leben lang. Das soll aber dann auch unsere Antwort für ihn sein: „Gut, dass du da bist!" Geben wir diese Antwort aus gläubigem und frohem Herzen! Amen.