"Gott will mit uns, nicht gegen uns Zukunft und Heil schaffen"

Wort zum Tage von Altbischof Joachim Wanke beim Festakt der Thüringer Landesregierung zum Tag der Deutschen Einheit 2012 im Theater Erfurt

Es ist heilsam und zu gewissen Zeiten immer wieder höchst aktuell, an die folgende Geschichte zu erinnern, die im Lukasevangelium von Jesus erzählt wird: 

"Als die Zeit herankam, in der er in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloss sich Jesus, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf" (Lk 9,51-56).

Es braucht keine lange Erklärung, um die Botschaft dieser Geschichte zu erfassen. Samaritaner und Juden, die schon damals eine lange gemeinsame Geschichte hatten, lebten zur Zeit Jesu bekanntlich in Feindschaft, und eine Feindschaft unter Verwandten kann besonders bitter und andauernd sein. Das gibt es - so höre ich - auch unter Parteifreunden. Wir Christen haben da auch unsere Erfahrungen. Man findet genügend Beispiele in der Geschichte und bis in die Gegenwart hinein: Man muss da nur nach Nordirland schauen oder auf den Balkan, wiewohl bei diesen Spannungen immer auch noch andere nichtreligiöse Faktoren eine Rolle spielen.

Dennoch bin ich sehr froh, diesen Text von der Zurechtweisung der Jünger in der Bibel zu finden - hören wir doch neuerdings verstärkt, jeder Fromme, der sich bemühe, einigermaßen den Vorschriften seiner Religion gemäß zu leben, sei ein versteckter Taliban, oder zumindest auf dem Weg dazu, einer zu werden.

Es ist leider wahr: Religionen mussten und müssen sich zu jeder Zeit des politischen Missbrauchs und der Vereinnahmung etwa durch nationalistische Extremisten erwehren. Und ein beliebtes Mittel solcher Vereinnahmung mit Hilfe der Religion ist die Verteufelung der Andersglaubenden, der Fremden, der Minderheiten - die dann an allen Übeln schuld sind. 

Es ist in der Tat eine Urversuchung des Menschen, was da von den Jüngern Jesu berichtet wird: das Verlangen, Feuer auf die Schismatiker und Ungläubigen, die Abweichler, die Fremden herabregnen zu lassen. Wir wissen: Innergesellschaftliche Probleme werden gern durch aggressives Verhalten nach außen hin kompensiert. Wenn die Argumente ausgehen, müssen die Knüppel her. Und wenn noch fehlendes Selbstwertgefühl dazukommt, hat der Fremdenhass ein leichtes Spiel. Selbst in unserer scheinbar so zivilisierten Gesellschaft lebt sich solches fehlgeleitete Denken in Hassdelikten aus, wie wir jüngst leidvoll erfahren mussten.  

In den letzten Tagen habe ich dankbar auf den Besuch von Papst Benedikt bei uns vor einem Jahr zurückgeschaut. Zeitungen und Fernsehen haben an dieses Ereignis erinnert und manche der bewegenden Bilder von damals nochmals in uns aufsteigen lassen.

Vor einigen Tagen, inmitten der gerade wieder neu aufflammenden antiwestlichen Gewalttaten in den arabischen Ländern, musste der Papst einen weitaus schwierigeren, ja gefährlichen Besuch im Libanon absolvieren. Auch wenn der Besuch schon lange vorher terminiert war: Ich fand beachtlich, dass der Papst ihn angesichts der explosiven Situation vor Ort nicht abgesagt hat. Dieser Besuch war ein eindringlicher Aufruf zur Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien, zur Gewaltfreiheit, zur Respektierung der Menschenrechte, für einen Dialog unter den Religionen und den ethnischen Gruppen dieser Region. 

Ob die Worte des Papstes gehört werden? Ob Machtinteressen der Führungsschichten durch Einsicht und Selbstbesinnung eingedämmt werden können? Ob die Religionsführer die Kraft finden, die Fundamentalisten in ihren eigenen Reihen für das wahre Wesen ihrer Religion neu zu gewinnen?

Fanatismus und wahre Religion schließen einander aus. Für das Christentum stellt unsere Geschichte eindeutig klar: Es geht darum, Gott zu dienen, nicht Gott zu spielen. Und Gott dient man nicht, indem man andere opfert. Es gilt vielmehr, sich selbst gemäß der Weisung Jesu in den Dienst für den anderen, besonders den Hilfsbedürftigen und Fremden nehmen zu lassen - in freier Hingabe, im Alltag des eigenen Lebens und im politischen und gesellschaftlichen Einsatz zusammen mit anderen.  

Weder das Christentum noch der Islam sind von ihrem Wesen her zwangsläufig gewalttätig. Religiöse Entschiedenheit kann durchaus mit Toleranz, Festigkeit im Gottesglauben mit Zuwendung zum Nächsten zusammengehen. Freilich: Das Christentum wie der Islam, wie überhaupt die religiöse Anlage des Menschen können missbraucht werden. Die religiösen Antriebskräfte gehören bekanntlich mit zu den stärksten, die das Verhalten des Menschen bestimmen. Darum hat deren Missbrauch oft verheerende Folgen.

"Und Jesus wies die Jünger zurecht." Diese Zurechtweisung der Jünger durch Jesus ist sehr ernst zu nehmen. Sie wird im Weltgespräch der Religionen, welches das gerade beginnende neue Jahrhundert bestimmen wird, eine wichtige Rolle spielen.

Für den christlichen Glauben gilt: Alle ungerechte Gewalt, die sich gegen Menschen richtet, richtet sich gegen Gott, den Schöpfer und Erlöser des Menschen, gegen den - wie ich gern sage -"Liebhaber und Erfinder des Lebens". Gottes Schöpfungsintention ist Leben, nicht Vernichtung und Tod. Er will mit uns, nicht gegen uns Zukunft und Heil schaffen.

Und wer innerlich unsicher ist, ob man mit Gott und seiner Verheißung rechnen kann, dem sei empfohlen darüber nachzudenken, ob nicht seine innersten Wünsche für sich persönlich und für die Zukunft der Menschen, die er liebt, ja auch die Visionen, die sein politisches und gesellschaftliches Engagement für dieses Land und seine Menschen tragen, nicht doch etwas mit der Hoffnung zu tun haben, die der Glaube an den Gott Jesu schenkt.

Das endzeitliche Festmahl Gottes, um dieses Bild aus den Gleichnissen Jesu zu gebrauchen, ist für alle bereitet. Wir sind gemeinsam Eingeladene. Das, so meine ich, ist eine Botschaft, die wir gerade in dieser Feierstunde am Tag der Deutschen Einheit neu hören und bedenken sollten.