Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,
"Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt, nicht auf dem Weg der Sünder geht, nicht auf dem Stuhl der Spötter sitzt." (Ps 1,1)
Diesen ersten Vers des Psalms 1 hat der lateinische Schriftsteller Tertullian (160-220) in seiner Schrift "De spectaculis" auf den Christen und sein Verhältnis zum Theater bezogen. Dieser Tertullian ist schon eine interessante Persönlichkeit. Nach seiner Ausbildung und nach seinem Lebensstil zählte er zu den Intellektuellen der damaligen Zeit. Er ist einer der ersten bedeutenden Kirchenschriftsteller. Seine geistige Haltung und sein Rigorismus haben ihn aber bereits 205 aus der Kirche in die Sekte geführt. Dennoch - und dies ist in Ehrlichkeit zuzugeben - hat seine Bewertung des Theaters einen langen Schatten auf die Geschichte des Verhältnisses von Christentum und Kultur geworfen. Misstrauen und Zurückhaltung bestimmten über lange Jahrhunderte das Verhältnis zwischen Kirche und Theater. Aus der jüngeren Zeit sei hier nur an so unterschiedliche Theaterstücke erinnert, wie "Der Stellvertreter" von Rolf Hochhuth oder "Corpus Christi" von Terrence McNelly.
Und nun, ein Grußwort eines katholischen Bischofs zum Jahrestreffen des Deutschen Bühnenvereins. Ein Grußwort, nicht im Theater, sondern hier auf dem Domberg, einem Ort, an dem an vielen Stellen an das barocke Jesuitentheater der nachreformatorischen Zeit zu erinnern wäre. Ich denke an das Heilige Grab bzw. die Heilige Truhe hier im Dom, ich denke an die Deckenöffnung in der Kunigundenhalle des Kreuzganges zum Coelicum, einem Ort von Himmelfahrtsdarstellungen, aber auch an die bekannte Palmsonntagsprozession in Heiligenstadt, ebenfalls ein Erbe des Jesuitentheaters der Barockzeit.
Heute ist der Domberg wieder Ort des Theaters, anlässlich der DomStufen-Festspiele. Mit seiner imposanten Kulisse bestimmt er, vielleicht nicht immer zur Begeisterung des Regisseurs und des Publikums, die Aufführungen mit. Im Jahr 2010 war der Domberg auch Ort eines Passionsspiels, aufgeführt von der Erfurter katholischen Jugend, die dabei den Gedanken des Kreuzwegs und des Passionsspiels miteinander verbunden haben. Ort der Verkündigung und Ort des Theaters - ein Widerspruch? Ich glaube nein.
Sicher, die Erinnerung an das Jesuitentheater und die Bedeutung der Passionsspiele, sei es in Oberammergau oder hier auf dem Domberg, verführen sehr schnell dem Verdacht der Instrumentalisierung, ja der Indoktrinierung nachzugeben. Eine solche Antwort greift aber zu kurz.
Sicher, die Kirche ringt darum, die Inhalte ihrer Botschaft den Menschen von heute zu erschließen. Wir verstehen heute neu unsere Liturgie auch als eine, alle Sinne des Menschen ansprechende, ja man kann sagen sinnliche, Vermittlung der Botschaft. Gleichzeitig bemühen wir uns aber auch die Autonomie der jeweiligen Form der Vermittlung zu achten.
Wir beobachten mit ehrlichem Erstaunen aber auch mit großem Interesse die Thematisierung von religiösen Fragen auf den Bühnen von heute. Das gilt für die Klassiker wie "Faust" oder "Nathan der Weise" ebenso, wie für ein Luther-Musical oder neuere Aufführungen von Paul Claudels "Mittagswende". Vielleicht gehört hierzu auch die Aufführung von George Taboris "Goldberg-Variationen" an der Erfurter Puppenbühne oder das Drama "Einige Nachrichten an das All" von Wolfram Lotz in Weimar.
Ich will nicht von einer "Wiederkehr der Religion" auf den Theaterbühnen sprechen. Auch das wäre sicher so etwas wie eine Instrumentalisierung. Aber vielleicht ist es, wie Dirk Pilz in seinem Bericht über das Werkstattgespräch im Jahr 2010 der Deutsche Bischofskonferenz mit Theatervertretern beschrieben hat: "Die Theater realisieren augenscheinlich, dass die Religion eine zeitgenössische Gestalt des Geistes geblieben ist."
Ich werbe dafür, über die grundlegenden Zusammenhänge des Lebens, über die großen Themen von Glaube und Nichtglaube miteinander ins Gespräch zu kommen. Nein, eigentlich hat dieses Gespräch schon begonnen.
Ich denke an die Einrichtung des Päpstlichen Kulturrates mit Gianfranco Kardinal Ravasi, an die Werkstattgespräche der Deutschen Bischofskonferenz, aber auch an die Einführungen zu den DomStufen-Festspielen hier in Erfurt und an die ersten gemeinsamen Veranstaltungen der Gesellschaft der Theater- und Musikfreunde Erfurts mit dem Katholischen Forum im Land Thüringen, der Katholischen Akademie des Bistums Erfurt. Ich behaupte nicht, dass diese Gespräche leicht sind. Vieles an der Sprache und der Form ist uns Kirchenmenschen fremd, manchmal fühlen wir uns missverstanden und manches schmerzt. Dennoch wünsche ich mir manchmal in meiner Kirche diesen Ausbruch an Religiosität, dieses Ringen - dieses öffentliche Ringen - um Gott, wie im Tagebuch von Christoph Schlingensief .
Beiden, Kirche und Theater, wünsche ich, ein spannungsreiches Miteinander. Ihnen wünsche ich gute und interessante Tage hier in Erfurt und sage Ihnen - vielleicht ist es ein kleiner Trost in der gegenwärtigen Diskussion über Sparmaßnahmen auch im Kulturbereich - es ist gut, dass es das Theater gibt.
Grußwort gesprochen am 27. Mai 2011.