Elisabeth bewegt - zur Barmherzigkeit

Ansprache von Bischof Wanke zum Elisabethjubiläum am 16.09.2007

Liebe Wallfahrtsgemeinde,
liebe Brüder und Schwestern  im Herrn!

„Danken wir, dass uns Elisabeth, diese wahrhaft große Frau geschenkt wurde"  - so hat uns heute Kardinal Walter Kasper in seiner Festpredigt  zugerufen.  Genau das tun wir heute -  mit unserer Wallfahrt und  den  Feiern  gestern  an  den  fünf authentischen  Elisabethorten,  der  abendlichen  Lichterprozession  hier  in  der Stadt,  dem  Festgottesdienst  heute  morgen  und  nun  mit  diesem  festlichen Abschluss des Tages an den Domstufen.

In  diesem  Augenblick gehen  meine  Gedanken  zurück  zur  Elisabethwallfahrt 1981,  ebenfalls  hier  auf  diesem  Platz  gefeiert,  damals  anlässlich  ihres  750. Todesjahres.  Ich  weiß  noch  um  die  Schwierigkeiten  und  Probleme,  die diese Wallfahrt  gemacht  hat,  weniger  uns  als  vielmehr  den  damaligen  staatlichen Stellen.  In den Stasi-Protokollen ist heute alles noch nachzulesen.

Welch eine Veränderung! Heute haben wir den Bundespräsidenten zu Gast, aber nicht  als  Repräsentant  eines  anderen  Landes,  sondern  unseres  gemeinsamen, friedlich wiedervereinigten  Vaterlandes.

Sehr  geehrter  Herr  Bundespräsident!  Ich  danke  Ihnen  für  Ihr  Kommen  und schon jetzt  für Ihr Wort,  dass Sie  am  Ende dieser Feierstunde  an  uns  richten werden. Ich sehe in ihrem Kommen ein Zeichen der Anerkennung für die vielen, die  in  den  Jahren  vor  dem  politischen  Umschwung  ihr  Christsein  unter  den schwierigen Bedingungen  des  damaligen  Staatssozialismus gelebt  haben. Dazu gehörten  Tapferkeit und  Durchhaltevermögen -  vor  allem auch  das  Aushalten der frustrierenden Erfahrung, oft mit seinen Überzeugungen allein zu stehen und sich  in den  Gemeinden  als  kleine  Herde  zu  erfahren.  Aber  das  war  auch  die kostbare, positive Erfahrung jener Jahrzehnte: Die Wahrheit ist nicht immer bei Mehrheiten, mögen diese sich noch so lautstark und scheinbar allmächtig geben.
Ich  sehe  in  Ihrer  Anwesenheit,  Herr  Bundespräsident,  ein  Zeichen  der Ermutigung,  das  Christsein  auch  in  der  heutigen  offenen  und  pluralen Gesellschaft erkennbar und erfahrbar zu leben.

Liebe Schwestern und Brüder,
Ihr wisst, wie sehr uns damals die Feier des Elisabethjubiläums im Glauben und beim  Zusammenhalt  in den  Pfarrgemeinden bestärkt  hat.  Dankbar waren wir 1981 besonders auch für die Gäste aus Osteuropa, die ja den gleichen, oft noch schlimmeren Bedrängnissen  wie wir ausgesetzt waren. Die Bischöfe aus Fulda, Würzburg  und  Paderborn  durften  damals  ja  überhaupt  nicht  nach  Erfurt
kommen.  Umso  dankbarer  bin  ich  für den  heutigen  Tag  und  die  erfahrene Gemeinschaft mit so vielen  Gästen und Wallfahrern aus  West und Ost. Danke Ihnen allen, dass Sie heute unter uns sind!

Ich verrate kein  Geheimnis: Auch heute ist es nicht leicht, als Christ zu leben. Die  Freiheit,  christlich  zu  handeln  und  das  Evangelium in  die  Gesellschaft hineinzutragen, muss heutzutage nicht gegenüber einer allmächtigen  Staatspartei mühsam  behauptet  werden.  Diese  Freiheit  muss  heute  vielmehr  gegenüber verbreiteter  religiöser  Gleichgültigkeit  und  wahrheitsmüdem  Skeptizismus
festgehalten  werden.  Religiöser  Glaube  ist  jetzt  zwar  nicht  mehr  falsches Denken, wie uns der Marxismus einzureden versuchte, aber er erscheint vielen als zu mühselig und zu anstrengend.

In  dieser  so veränderten gesellschaftlichen Umwelt ist das Lebenszeugnis  einer Heiligen  wie  Elisabeth, unserer  Bistumspatronin, ein  großes Ausrufezeichen, genauso wie damals  in der  geistigen Luft von  1981, als manche  noch auf das Aussterben  des  Christentums  hofften. Auch  im Jahr  2007  spricht  Elisabeths Leben die Menschen an. Ich staune und bin dankbar, welch vielfältiges Echo das
Jubiläumsjahr weit  über  die christlichen  Kirchen hinaus  auch in der  säkularen Öffentlichkeit gefunden hat. Es muss  doch etwas  geben, was die Menschen an dieser Gestalt fasziniert.

Vielleicht ist es dies: Die Heiligen  schauen  in ihrem Handeln nicht auf andere. Sie  verstecken  sich  nicht  hinter  Mehrheiten. Sie  handeln  einfach aus  ihrem Gewissen heraus, aus dem, was ihnen der Glaube sagt. „Was du dem Geringsten meiner  Brüder  getan  hast,  dass  hast  du  mir  getan!"  Dieses  Wort  Jesu  hat Elisabeths Leben bestimmt. Und sie hat dieses Wort  gehört vom Kreuz her, von dem, der sich selbst uns in Liebe geschenkt hat. Ein bekannter  Werbespruch sagt: „Mit  dem zweiten sieht man besser!" In der Tat: Mit dem zweiten Auge, dem Auge des  Glaubens, mit der Perspektive  des Evangeliums  sieht  man  mehr.  Man  sieht  besser,  worauf  es  ankommt,  was
wirklich  zählt  und  mein  Leben  reich  macht.  Man  sieht  auch,  was  uns  und unserer  Gesellschaft  Zukunft  gibt:  Solidarität,  Liebe, ja:  auch Gerechtigkeit, aber noch mehr Barmherzigkeit, Bereitschaft zum Teilen und Hilfe für jene, die auf Unterstützung angewiesen sind.

Wie hieß es in der  „Sendung mit dem Schaf?  Ohne Barmherzigkeit wird alles erbärmlich.

Und  lasst mich auch diesen, mir wichtigen Gedanken  anfügen: Menschen,  die mit erbarmender Liebe in Berührung kommen, kommen mit Gott in Berührung. Das  geht  weit  über  die  Grenzen  der  Kichenmitgliedschaft  hinaus.  Unsere Caritasfrauen und -männer -  was  tun sie anderes, als  in ihrem Tun von Gottes Liebe zu sprechen? Sie  machen diese Liebe  gleichsam  hautnah erfahrbar. Und
deine alltäglich geübte Barmherzigkeit in der  Familie, in der Nachbarschaft,  im Berufsalltag, und das nicht nur in Pflege- und Krankenhausberufen,  ist das nicht auch Gottesberührung? Braucht  es  im Raum  des  politischen Handelns -  neben aller kühlen  Sachlichkeit,  die  den  Problemen  auf den  Grund geht -  nicht auch dort Barmherzigkeit,  braucht  nicht auch unsere Wirtschaft eine Ethik, die  den
anderen nicht einfach an die Wand spielt, braucht  es nicht auch in der Bildung, in  der  Kunst  und  Kultur  den  Hinweis  auf  dieses  Ferment  wahrer Menschlichkeit?  Ich danke  allen,  die  sich  im Geist  Elisabeths  für eine solche „Kultur der Barmherzigkeit'' in der Gesellschaft einsetzen.

Überall  dort,  wo  Lasten  mitgetragen,  Leid  gemindert,  Schuld  vergeben, Versöhnung  ermöglicht,  eben,  wo  barmherzig  gehandelt  wird,  wird  Gott verherrlicht -  und darin der  Mensch  groß gemacht. Dafür steht Elisabeth.  Dazu will  sie  uns  anstiften,  auch heute.  Wenn  das  die  Früchte  des  Elisabethjahres sind, dann hat es sich gelohnt dieses Jahr zu feiern. Amen.