[...] Am 19. November vor einem Jahr, am Fest unserer Bistumspatronin, der heiligen Elisabeth, wurde bekannt, dass Papst Benedikt XVI. nun doch auf Einladung des Bundespräsidenten hin Deutschland besuchen würde, u. a. auch das Bistum Erfurt. So liegt es nahe ein Jahr danach, nach erfolgtem Besuch Benedikts in den Bistümern Berlin, Erfurt und Freiburg, Rückschau zu halten.
Beginnen möchte ich mit einem herzlichen Dank an alle öffentlichen Verantwortungsträger im Freistaat Thüringen, die durch ihren Dienst und durch ihre Unterstützung - nicht selten über das normale Maß hinaus - dazu beigetragen haben, dass der Besuch so gut gelingen konnte.
Mein Dank gilt mit der Einladung zum heutigen Abend der Landesregierung, den einzelnen Ministerien, den Landesämtern, dem Protokoll, der Polizei auf Bundes- und Landesebene, der Stadt Erfurt und dem Landkreis Eichsfeld mit seinen jeweiligen Ämtern, den Medien für die weltweite Berichterstattung, sowie Einrichtungen wie dem Erfurter Flughafen, dem Theater, der LEG oder der Tourismus-Gesellschaft in Stadt und Land. Mit ihrer Hilfe und Kooperation war es unserem Bistum zusammen möglich, einen würdigen und ich meine auch eindrucksvollen Besuchsrahmen zu schaffen. Ausdrücklich beziehe ich die von uns beauftragten Firmen in meinen Dank ein.
Eine Antwort aus Rom ließ auch nicht lange auf sich warten. Papst Benedikt schrieb mir rückblickend vor einigen Tagen:
"Für Ihre herzliche Aufnahme und Gastfreundschaft im Bistum Erfurt möchte ich Ihnen Vergelt’s Gott sagen.
Der Besuch in Ihrer Bischofsstadt und die Marienvesper mit den Katholiken im Eichsfeld waren für mich ein besonderes Erlebnis und werden mir stets in lebendiger Erinnerung bleiben. Bitte übermitteln Sie meinen aufrichtigen Dank auch Ihren Mitarbeitern und allen Helfern, die zum Gelingen meines Aufenthalts beigetragen haben ..."
Papst Benedikt grüßt die Menschen bei der Marienvesper in Etzelsbach
Sehr geehrte Damen und Herren,
Was wird von diesem Besuch bleiben? Ich nenne einige mir wichtige Punkte.
Ø Der Papst hat die religiöse Sendung der Kirche betont. Die Kirche lebt in dieser konkreten Welt, sie hat aber eine Botschaft, die über diese Welt hinausgeht. Zur Sendung der Kirche gehört Nähe zur Welt und gleichzeitig eine grundsätzliche Weltdistanz. Unsere Hoffnung auf eine gute Zukunft gründet nicht allein auf dem, was wir können und zustande bringen. Benedikts Stichwort in seiner Freiburger Rede, das Wort von der "Entweltlichung der Kirche" sollte als positive Würdigung historischer Säkularisierungsschübe für den Sendungsauftrag der Kirche gesehen werden und nicht als Vermutung, der Papst strebe eine Änderung des bewährten Gefüges der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland an..
Benedikt hat immer wieder die Kirche ermutigt, die Gesellschaft im Geist Jesu Christi zu prägen und offen zu sein für die Anliegen der Welt, für die Fragen und Sorgen der Menschen von heute. Unser Bistum wird diese Wegweisung auch weiter beherzigen.
Ø Der Papst würdigte die Standfestigkeit der Christen im Osten in der kommunistischen Zeit und die Aufbauleistung aller Menschen in den neuen Bundesländern. Das hat uns im Osten gut getan. Etzelsbach und der Gottesdienst auf dem Erfurter Domplatz waren aus meiner Sicht auch emotionale Höhepunkte der Papstreise. Aber in den Predigten war auch die eindringliche Mahnung hörbar: Ihr habt dem Kommunismus widerstanden, nun steht auch fest in einer gewandelten Gesellschaft, die in der Gefahr steht, den Gotteshorizont zu verlieren. Wer den Fall der kommunistischen Mauern erlebt hat, lässt sich nicht neu in Fesseln legen, mögen diese auch golden sein. Diese Mahnung sollten wir nicht vergessen.
Ø Der Papst setzte mit dem Besuch des Augustinerklosters ein ökumenisches Zeichen. Die Begegnung Benedikts mit evangelischen Kirchenvertretern konnte nur jene enttäuschen, die auf die Erwartung konkreter Vereinbarungen über zwischenkirchliche Streitpunkte fixiert waren. Dafür war Erfurt nicht der Ort. Ich habe immer vor solchen Erwartungen gewarnt. Der Papst redete in Erfurt vom Fundament ökumenischer Arbeit, nicht von einzelnen Arbeitsschritten, die anstehen. Wenn uns der Gotteshorizont entschwindet, wenn uns die Frage nach Gott nicht mehr bewegt, dann gerät alle Ökumene in den Leerlauf. Deshalb sollte es gewürdigt werden, dass der Papst positiv an Luthers Frage nach dem gnädigen Gott anknüpfte. Das leidenschaftliche Fragen nach Gott ist das Lebenselixier jeder ernsthaften Suche nach Glaubenssicherheit. Das soll und muss katholische und evangelische Christen mehr und mehr untereinander verbinden.
Mir war es ein Anliegen, bei der Begrüßung des Papstes auf dem Erfurter Domplatz auf diese grundsätzliche Glaubenssolidarität mit unseren evangelischen Mitchristen hinzuweisen.
Der Papst und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland,
Präses Nikolaus Schneider, in der Kirche des Erfurter Augustinerklosters
Ø Und schließlich als vierten Gedanken meines Rückblicks - der Papst hatte auch eine bemerkenswerte Botschaft für die säkulare Gesellschaft, die er im Deutschen Bundestag vortrug. Die Vernunft des Menschen, erhellt vom Glauben an den Schöpfergott, vermag durchaus eine auf Recht und Wahrheit gegründete Gesellschaft zu gestalten. Im interreligiösen Vergleich führte er mit Blick auf das Christentum aus: "Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, eine Rechtsordnung aus der Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen."
Dabei ging Benedikt der Frage nach, wie die Vernunft und die Natur - oftmals in unserer Zeit positivistisch verengt - wieder ihre Größe und wahre Tiefe finden können. Viele Hörer waren überrascht, dass der Papst auf die ökologische Bewegung positiv Bezug nahm. Erst auf den zweiten Blick war freilich die "Hinterlist" des Papstes erkennbar: seine Erwartung, nun auch ökologisches Denken auf den Menschen auszuweiten: "Es gibt auch eine Ökologie des Menschen. Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann." Denn die Natur des Menschen besteht gerade in seiner Unverfügbarkeit für fremde Interessen. Wer den Menschen anfängt zu "vermarkten", zu welchem Zweck auch immer, zerstört die Würde des Menschen an der Wurzel.
In diesem Zusammenhang begrüße ich ausdrücklich das kürzlich ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Ablehnung der Patentierung der embryonalen Stammzellenforschung. Dieses Urteil ist ein Erfolg für die Menschenwürde und stärkt die Auffassung "Mensch von Anbeginn". Umso bedauerlicher ist der im Juli erfolgte Beschluss des Deutschen Bundestages zur Änderung des Embryonenschutzgesetzes im Sinne einer eingeschränkten Zulassung der Prägimplantationsdiagnostik. Nach dieser Methode wird in gesetzlich festgelegten Fällen menschliches Leben nach bestimmten Merkmalen ausgewählt. Deshalb ist eine Beteiligung der Katholischen Kirche an den zu bildenden Ethikkommissionen zur PID nicht möglich.
Das sind einige Gedanken, die mich angesichts des Papstbesuches im September bewegen. Diese Tage haben uns viel abverlangt, besonders jenen, die mit der näheren Vorbereitung des Besuches befasst waren.
Mein persönliches Fazit: Dieser Besuch hat uns zwar einiges gekostet, aber er hat uns alle reicher gemacht.
Sehr geehrte Damen und Herren,
erwarten Sie bitte nicht von mir als Bischof ein Wort zur Finanzkrise, auch wenn die Krise uns zunehmend in dramatischer Art und Weise bewegt. Nur soviel: Die Finanzkrise muss auch als Teil einer Orientierungskrise verstanden werden. Das Verhältnis von Eigeninteresse und Gemeinwohl ist aus dem Gleichgewicht geraten. Die individuelle Verantwortung für die Aufrechterhaltung einer Ordnung wird unterschätzt bzw. die Freiheit hat sich bisweilen von der Verantwortung gelöst.
Zur Wahrung der Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit begibt sich der Freistaat Thüringen auf den richtigen Weg, wenn er im kommenden Haushaltsjahr keine neuen Schulden aufnimmt. Das wird den Finanzminister freuen, auch wenn ich bedaure, dass auf diesem Weg die Stiftung "FamilienSinn" um ihr Stiftungskapital erleichtert wird. Vielleicht findet sich an dieser Stelle noch eine bessere Lösung.
Und erlauben Sie mir bei allem Dank und aller Wertschätzung abschließend noch einen kritischen Zwischenruf an den Landesgesetzgeber, den Thüringer Landtag: Mit Blick auf den Sonntagsschutz, dessen Bedeutung ich hier nicht zu erläutern brauche, sollte das Thüringer Ladenöffnungsgesetz nicht verändert werden. Eine wahlweise Öffnung am ersten oder zweiten Adventssonntag kommt faktisch einer Ausweitung der Öffnungszeiten auf zwei Sonntage in Thüringen gleich. Auch die vorgesehenen Erweiterungen der Ortsteil- und Stadtteilregelungen tragen nicht zur Gewährleistung des Sonntagsschutzes bei.
Und schließlich aus aktuellem Anlass ein Wort zu extremistischer, insbesondere rechtsextremistischer Gewalt, ohne hier konkrete Vorgänge und Ermittlungen bewerten zu wollen: Die Auseinandersetzung mit menschenverachtenden Ideologien muss in der ganzen Breite der Gesellschaft geführt werden.
Ich zitiere aus dem Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit, das ich ausdrücklich begrüße:
"Es sind alle Bürgerinnen und Bürger als Teil der Zivilgesellschaft und insbesondere Eltern und Erzieher, Lehrer und Jugendarbeiter, Schulen und Universitäten, Jugend- und Sportverbände, Parteien und Politiker, private und staatliche Institutionen, Kirchen und Glaubensgemeinschaften, Sozialpartner und die Medien gefordert."
Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen.
Ansprache gehalten am 17.11.2011 in der Erfurter Brunnenkirche