Der „Ständige Diakonat“ – ein wiederentdecktes kirchliches Amt mit Zukunftspotential

Vortrag von Bischof em. Joachim Wanke zum Jahrestreffen der Ständigen Diakone, Region Ost/ 11. März 2023 Erfurt

Als Theologen wissen wir: Von Gott sprechen heißt, in „Bildern“ sprechen. Ich stelle mir manchmal Gott vor als genialen Maler, der mit seiner Farben-Palette in der einen Hand und seinem Pinsel in der anderen Hand dabei ist, ein großes Gemälde zu schaffen.  Die Schöpfung, dieses Wunderwerk aus Sonnen und Sternenstaub, mit deren Betrachtung und Erforschung wir wohl kaum jemals an ein Ende kommen werden, ist im Größten wie im Kleinsten nicht nur gewaltig und staunenswert, sie ist zudem auch schön. Für mich sind z.B. die neuen Bilder des James-Webb-Teleskops vom Weltall mehr als Astronomie. Sie zeigen „Kunstwerke“!

Einen solchen künstlerischen Einfall musste Gott wohl vor rund 60 Jahren gehabt haben, als er den in Rom versammelten Bischöfen beim 2. Vatikanischen Konzil die Idee eingab, den altkirchlichen Diakonat neu zu beleben - eben nicht nur in seiner „Schrumpfversion“ als Durchgangsstufe zum Presbyterat, sondern als einen eigenen Stand, als ein kirchliches Dienstamt mit spezieller Prägung. Und ich meine zudem: mit einem noch lange nicht ausgeschöpften Zukunftspotential. Schauen wie einmal etwas näher auf diesen neuen „Farbtupfer“ Gottes in seinem Kirchengemälde.

1.    Blick in die Vergangenheit
Von den ersten Anfängen an gab es in der Kirche Diakone. Lukas bezeugt uns dies mit seinem Verweis auf die Bestellung von Stephanus und seiner sechs Kollegen für den „Dienst an den Tischen“. Ein erstaunlicher Einfall der Urapostel! Auslöser war eine Panne bei der Jerusalemer „Caritas“. Es gab Probleme bei der täglichen Versorgung der Witwen der sog. Hellenisten. Ein Streit wird zum Auslöser einer Innovation: Die zwölf Apostel erfinden die Diakone. Von Bischöfen und Pfarrern ist noch gar nicht die Rede!

Das dürfen Sie sich, liebe Diakone, selbstbewusst sagen: Sie haben einen kirchlichen Stammbaum, der bis zu den Zeiten der Apostel Petrus, Jakobus und Johannes reicht! Die Anfänge dieses „Dienstamtes“ liegen naturgemäß im Dunkeln. Aber bald sind solche „Diener/Diakone“ auch andernorts zu finden, wobei sich das Spektrum ihrer Tätigkeiten verbreitert. Lukas selbst beschreibt Stephanus merkwürdigerweise ja nicht beim „Tischdienst“, sondern als wortgewandten Verkündiger. Zur Zeit des Paulus gehörten die Diakone In der Gemeinde von Philippi wohl schon zur Gemeindeleitung. Nach Didache 8,15 dienen sie in der Gemeinde zusammen mit sog. Episkopen als Propheten und Lehrer. 1 Tim 3,8ff weiß von Eignungsanforderungen für dieses Amt, wobei der Verfasser in 3,11 höchst wahrscheinlich auch die damals dort vorhandenen Diakoninnen gleich mit ins Visier nimmt. Schon Jahrzehnte zuvor hatte Paulus ja ganz selbstverständlich die bekannte Phöbe als Diakonin der Gemeinde von Kenchreä grüßen lassen. In dieser frühen Zeit war eben noch vieles im Fluss. Die Aufgabenbereiche diakonaler Dienste überschnitten sich vermutlich von Region zu Region, je nach den anstehenden Aufgaben. Das war damals schon so wie heute!

Vermutlich entstehen Ämter und Dienste oft aufgrund von Notsituationen. Zur Illustration ein Beispiel: ein unverhoffter Fahrstuhl-Defekt. Was passiert mit Leuten, die in einem Aufzug plötzlich feststecken? Es passiert Folgendes: Aus einer beziehungslosen Anzahl von Einzelpersonen wird auf einmal eine sich blitzschnell differenzierende, interaktiv tätig werdende Gruppe. Der eine fängt an zu jammern oder – je nach Temperament – zu schimpfen, der andere versucht mit seinem Handy zu telefonieren, wieder ein anderer widmet sich dem Armaturenbrett mit seinen diversen Signalknöpfen und einer schließlich holt sein Lunchpaket aus der Tasche und teilt es mit seinen Schicksalsgefährten…… Manche Fähigkeiten entfalten sich eben erst, wenn sie gebraucht werden. Wenn die Flut heranrollt, rufen alle nach dem Deichgrafen. Und weil man an der Küste weiß, dass Fluten sich ab und zu wiederholen, sucht man im Vorhinein nach einer geeigneten Person, die weiß, was im Notfall zu tun ist. Man verleiht dieser Person Autorität und sorgt dafür, dass sie und ihr Rettungsteam in der Lage sind, möglichst alle vor einer künftigen Flut zu schützen.
 
Ähnliche Gesetzmäßigkeiten gelten auch im kirchlichen Bereich. Paulus schreibt den soeben erst bekehrten Thessalonichern: „Ich bitte euch, Brüder und Schwestern: Erkennt die an, die sich unter euch mühen und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen. Achtet sie äußerst hoch in Liebe wegen ihres Wirkens“ (1 Thess 5,12f). So einfach fängt Gott sein Bild zu „malen“ an!

Natürlich entstehen solche Dienste und Ämter nicht im luftleeren Raum. Sie haben ihre Vorbilder. Man nahm Gepflogenheiten der Zeit und Umwelt auf.  Im jüdischen Bereich des frühen Christentums lehnt man sich an das dort übliche „Presbyter /Ältesten - Modell“ an. Im heidnischen Umfeld nennt man Gemeindeleiter „Episkopen“, an sich ein profaner Titel für kommunale Magistratsbeamte. Es gab eben damals noch keinen allgemein verbindlichen Kirchenkodex.
Bekannt ist, dass in der Kirche der ersten Jahrhunderte der Diakon dem Bischofsamt zugeordnet war. Die Presbyter übernahmen zwar auch für den Bischof Vertretungsaufgaben, zunehmend als Leiter von Lokalgemeinden. Die Diakone dagegen entlasteten den Bischof im liturgischen Bereich (z.B. als Taufspender). Doch Diakone finden sich auch in den Kanzleien und den Verwaltungen, wieder andere in der Aufgabe, sich um die Kranken und Armen zu kümmern. Laurentius war wohl so etwas wie ein Caritasdirektor des Bischofs von Rom. Der Malerpinsel des lieben Gottes hat hier die wunderlichsten Tupfer in die diversen Ortskirchengemälde eingebracht! Vieles ist nicht mehr historisch rekonstruierbar. Es soll ja zudem vorkommen, dass Künstler auch manchmal ihre alten Bilder übermalen!

Das aber lässt sich sagen: Die Diakone waren in den ersten Jahrhunderten in Ost und West gefragt. Meist waren sie den Bischöfen, die mehr und mehr Leiter von größeren Diözesen wurden, untergeordnet, den Presbytern hingegen, die auf dem Lande Gemeinden vorstanden, mehr gleichgeordnet, aber eben mit anderen Arbeitsschwerpunkten. Erst sehr spät, etwa im 10./11. Jahrhundert ist die Dreifachgliederung des Weihesakramentes in Episkopat, Presbyterat und Diakonat mit dieser Rangabfolge im Wesentlichen abgeschlossen. Der Diakonat verkümmerte in Folge zu einer Durchgangsstufe zur Priesterweihe – bis Gott im Vatikanum II nach einen neuen, in gewisser Hinsicht aber auch „altkirchlichen Farbtopf“ griff – den Ständigen Diakonat.
 
Neue Ämter und Dienste entstehen in der Kirche nun nicht in einer „theologischen Retorte“. Da gibt es – besonders in den Anfängen einer Entwicklung – eine manchmal verwirrende Vielgestaltigkeit. Wie das eben bei Künstlern so ist! Und 60 Jahre sind ja für die 2000jährige Kirche auch kein sonderlich langer Zeitraum. Es ist darum nicht verwunderlich, dass bezüglich des erneuerten Diakonats auch gegenwärtig viele theologische Fragen noch offen sind bzw. auch kontrovers diskutiert werden.   

2.    Theologische Erinnerungen
Eine Besonderheit des erneuerten Ständigen Diakonates ist schon in der Dogmatischen Konstitution des Vatikanum II „Lumen Gentium“ angedeutet, wenn es in Nr. 29 heißt, dass die Ständigen Diakone die Handauflegung „nicht zum Priestertum, sondern zur Dienstleistung (ad ministerium) empfangen“. Auch die Festlegung von Papst Benedikt XVI. von 2009, dass der Diakon, obgleich er eindeutig Anteil am Weiheamt hat, nicht „in persona Christi capitis“ handle, weist indirekt auf eine interessante Differenzierung innerhalb des einen Weihesakramentes hin, die aufhorchen lässt. Darauf kommen wir noch zu sprechen.

Zunächst gilt grundsätzlich: Der Ständige Diakon gehört zum dreigestuften Weiheamt der Kirche, wodurch er Kleriker ist und auf Dauer bleibt. Aber es gibt an seinem Amt einige Besonderheiten, die – wie gesagt – im Blick auf künftige Entwicklungen von Interesse sind.
 
Äußerlich erkennbar ist das daran, dass der Ständige Diakon zumeist in Ehe und Familie lebt, oft einen Profanberuf ausübt bzw. spezielle Berufserfahrungen bzw. Spezialkenntnisse in seinen Diakonat mit einbringt. Seine Tätigkeiten sind sehr breit gestreut. Je nach Bedarf und Anlass predigt er, assistiert er bei der Eucharistiefeier, er tauft und kann einer Trauung vorstehen, er hält sonstige Gottesdienste, Andachten, leitet Wallfahrten. Er segnet die Lebenden, er besucht die Kranken, er begräbt die Verstorbenen. In der Gemeinde hört er oft den Ruf: „Das kann doch unser Diakon machen!“

Aber er ist eben auch in seinem Alltagsberuf „Diakon“, was ja zu DDR-Zeiten bekanntlich Schwierigkeiten machte und letztlich weithin hier im Ostbereich zur kirchlichen Anstellung führte (für die es sicher auch gute Gründe gibt). Zivilberuf und Diakonat ist heute nicht mehr ein Problem. Es finden sich, besonders in westdeutschen Diözesen, Diakone in vielen interessanten Berufen, oft solchen mit einem sozialen Bezug. Und doch bleiben diese Diakone trotz – oder soll ich sagen: gerade wegen dieses „Spagats“ ihrer speziellen Diakonen-Berufung durchaus treu.
 
Eine weitere Erinnerung: Kleriker und Laie sind eigentlich keine theologischen Begriffe. Sie dienen (für den Kirchenjuristen sehr praktisch) nur der säuberlichen Kennzeichnung von „Geweihten“ und „Nichtgeweihten“. Das aber ist nur eine nachgeordnete Sichtweise auf das Gottesvolk als Ganzem. Man kann das deutsche Volk auch in Akademiker und Nichtakademiker einteilen – aber ist damit alles über die Deutschen gesagt, vor allem Wesentliches?

Die gemeinsame und entscheidende Basis aller Glieder der Kirche sind vielmehr die Taufe und der Geistbesitz. Das hat uns das 2. Vatikanum in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ eindringlich neu ins Stammbuch geschrieben. Es hat ja bewusst das Kapitel über das Gottesvolk und dessen Würde und Sendung dem Kapitel über die Ämter und Dienste vorgeordnet. Erst baut man das Haus als Ganzes. Dann kann man dort wohnliche Zimmer und diverse Funktionsbereiche einbauen.

Nun sind Bilder (z.B. „Kirche als Haus Gottes“) im Zusammenhang mit theologischen Überlegungen mit Vorsicht zu gebrauchen. Bildvergleiche machen oft nur einen Gesichtspunkt anschaulich. Es bedarf daher meist weiterer Bilder (etwa: „Kirche als pilgerndes Volk Gottes“ u.ä.), um ekklesiologische Gesichtspunkte auf den Punkt zu bringen.
Wie dem auch sei: Im Normalfall muss der Bauherr in etwa wissen, was für ein Haus gebaut werden soll. Ein Gebäude hat ja keinen Selbstzweck. Es soll bestimmten Aufgaben dienen. Wozu ist also das „Haus Kirche“ da?

Ich umschreibe den Daseinszweck der Kirche einmal mit diesen Stichworten: Verkündigung des Evangeliums, Caritas und Weltdienst, Liturgie, Gemeindeaufbau. Die Kirche hat dem Evangelium Gehör zu verschaffen, der Nächstenliebe Raum zu geben, das Gotteslob nicht verstummen zu lassen und zu helfen, dass allerorts und in jeder Generation neu Christen gemeinsam und als Einzelne als „Reich-Gottes-Anwärter“ in Welt und Gesellschaft am Werk sind. Jesus spricht (wieder ein Bild!) vom Sauerteig, ohne den es kein schmackhaftes Brot gibt.

Die „Sauerteig-Funktion“ von Kirche ist dem ganzen Gottesvolk aufgetragen – das dürfen wir als Träger eines kirchlichen Dienstamtes niemals vergessen: die Mutter die ihr Kind segnet und zum Beten anleitet; der Christ, der dem kranken Nachbarn beisteht oder beim freiwilligen Rettungsdienst seiner Kommune mitmacht; die kleine Schar, die stellvertretend Sonntag für Sonntag in der Kirche das Gloria anstimmt; der Freund, der unter vier Augen einem müde gewordenen befreundeten Mitchristen neuen Mut zum Glauben und Hoffen zuspricht.

Um es noch einmal zu wiederholen: Es gibt zunächst, wie das Vatikanum II betont, die Sendung aller Getauften und Gefirmten zu Verkündigung, zu gegenseitiger Seelsorge, zur Diakonie, also für alles, was dem „Auferbaut-Werden“ von Kirche dient. Erst aus dieser Grundsendung von Kirche heraus entfalten sich dann die Ämter und Dienste, die diese Grundsendung stützen, beleben und absichern sollen, also ein Mühen in Sorge um den Erhalt des geistliches „Grundwasser“, damit oben etwas sprießen und sprossen und an (kirchlichen und himmlischen) Früchten reifen kann!
Auch wir als Träger eines Weihe-Amtes, unabhängig von unseren Amtsaufgaben, sind in diese Grundaufgaben von Kirche ganz persönlich eingebunden. Auch Bischöfe, Priester und Diakone sind ja Getaufte und Gefirmte, also „Gesendete“, die mit ihrem ganzen Dasein, Auftreten und Wirken (und das besteht nicht nur aus Pontifikalämtern, „Beicht-Hören“ und Assistenz am Traualtar) dafür zu sorgen haben, dass die Kirche nicht nur „ein Ofen“ ist, „der sich selber wärmt“ (Originalton Alfred Bengsch).

3.    Der Ständige Diakon – heute und morgen
Nachdem wir dies uns wieder neu „verinnerlicht“ haben, schauen wir nun noch einmal auf jene, bei denen sich diese fundamentale Sendung aller in ihrer eigenen Biographie zu einem amtlichen Dienst verdichtet.

Das 2. Vatikanische Konzil hat, wie wir gesehen haben, schon Grundkorrekturen im überkommenen Kirchenbild vorgenommen („Von der Papstkirche zur Kirche des ganzen Gottesvolkes“). Aber im Blick auf die kirchlichen Ämter (munera/ministeria) hat das Konzil manche heute anstehenden weiteren Überlegungen und Entscheidungen offengelassen. Es gibt dringlichen theologischen Klärungsbedarf, wobei dabei von den Weichenstellungen des Vatikanum II auszugehen wäre.

Das Konzil spricht mehrfach von den drei Grundtypen des kirchlichen Dienstamtes (tres munera): dem priesterlichen Dienst (Heiligungsaufgaben), dem prophetischen Dienst (Verkündigungstätigkeit) und dem Hirtendienst (Leitungsfunktionen). Vergessen wir nicht: diese Begriffe sind eigentlich Metaphern mit beträchtlicher Randunschärfe. Übrigens benutzte das Konzil damit (was kaum einer weiß) ein Denkmodell des Schweizer Reformators Calvin.

Das Konzil hat an einzelnen Stellen dieses Modell einfach aus der theologischen Reflexion übernommen, vermutlich um auf diese Weise der Starrheit der alten sacra-potestas-Lehre zu entkommen, die besagt: jedwede Amtsvollmacht (iurisdictio) müsse sich von einer sakramentalen Weihe ableiten.  

Das Problem ist also: Das Konzil hat das Drei-Ämter-Modell nicht näher in seinen Konsequenzen bedacht. Wie verhalten sich denn diese drei Grunddienste zueinander? Welche Voraussetzungen braucht es für sie? Braucht es z. B. für alle Ämter und Dienste durchweg eine Weihe? Vorkonziliär wurde das meist so gesehen. Laien konnten immer nur Mitarbeiter der Bischöfe und Priester sein (Seelsorgehelferinnen!), nie selbst Träger eines eigenständigen Apostolats. Hier setzt sich langsam eine Änderung im Denken durch, wie es z.B. sich in den deutschsprachigen Ortskirchen in der Praxis von bischöflichen Sendungen von Fachleuten schon seit längerem herausgebildet hat. Für den weltkirchlichen Rahmen gibt es dazu analoge nachkonziliäre päpstliche Initiativen, die neue Wege beschreiten.  

Sicher: Das dreigestufte Weiheamt (Bischof, Priester, Diakon) ist und bleibt konstitutiv für die Kirche. Warum? Weil durch die Weihe angezeigt wird, dass jede Heiligung unseres Lebens Geschenk von oben ist. Die Sakramente (die man sich ja nicht selbst spenden kann!) erinnern daran, ja: sie aktualisieren immer wieder neu unsere von Gott geschenkte „Heiligung“, der wir dann im Alltag entsprechen sollen („Werde, was Du bist: heilig!“). Es geht hier nicht vorerst um moralische Heiligkeit, sondern um das eschatologische Gerettet-Sein des Sünders, welches „unverdienbar“ ist.

Auf dieser theologischen Weitung der Kirchensicht beruhen nun päpstliche Initiativen, für Getaufte, sowohl Männern und als auch Frauen, eigenständige Ämter mit eigener Jurisdiktion vorzusehen, und zwar ohne diese Personen zu weihen.
 
In diesem Zusammenhang las ich jüngst den Begriff „Taufdienste“ (im Sinn von: Dienste, auszuüben von Getauften),  also ein auf dem Getauft-Sein aufruhendes Dienstamt mit einer speziellen Sendung.

Hier tut sich also eine neue Praxis in der Ämterfrage auf, was derzeit das ganze Feld der kirchlichen Ämter und Dienste noch unübersichtlicher macht. Aber wir dürfen nicht die Augen verschließen vor dem, was Gott sich für seine Kirche „auf ihrem Weg durch die Zeit“ ausdenkt. Die theologische Linie scheint mir folgende zu sein:
Auch die grundsätzliche Sendung aller Glieder des Gottesvolkes, wie wir sie soeben in Erinnerung gerufen hatten, verdichtet sich in offiziellen, kirchenamtlichen (!) Sendungen (missiones) von einzelnen Personen, also in „Tauf-Ministerien“. In ihnen steht eine Person (ob haupt- oder nebenberuflich ist dabei zunächst sekundär) mit ihrer ganzen Biographie für eine Aufgabe ein, die die Kirche zu erfüllen hat. Sie beruhen nicht auf dem Weihesakrament, sondern setzten das Getauft-Sein voraus und eine ausdrückliche, öffentliche Beauftragung für eine kirchliche „Aufbau-Aufgabe“.
 
Wir stehen zurzeit noch ganz am Anfang einer sich andeutenden künftigen Entfaltung solcher Ämter für Laien. In den Jahren nach dem Konzil wurde von den Päpsten dazu die Möglichkeit eröffnet und z.T. im CIC 1983 verankert, etwa dass Laien richterliche Jurisdiktion ausüben dürfen. Laien können schon kirchenoffiziell über Priester Recht sprechen. Neuerdings gibt es Laien, auch Frauen, in kurialen Ämtern (samt dazugehörenden Stimmrechten).

Schon 1972 hat Paul VI. die ministeria (Beauftragungen) zum Lektorat und Akolythat geschaffen und weitere angeregt, doch blieben diese zunächst Durchgangsstufen zur Priesterweihe, an denen auch Laien mit Spezialmandat partizipieren durften. P. Franziskus hat dies insofern erweitert, als er diese Ämter grundsätzlich für alle Getauften und auch für Frauen öffnete (in seinem Motu proprio Spiritus domini 2021).
 
Das jüngste Beispiel für solche „Tauf-Ministerien“: Papst Franziskus errichtete (durch sein Motu proprio Antiquum ministerium  2021) das eigenständige (!) Amt des Katecheten (altkirchlich: „Lehrer“). Diese Katecheten werden nicht „geweiht“, dennoch sind sie wirkliche Ämter (und nicht nur pastorales Hobby für katechetisch Begabte!). Ihre ausdrückliche Sendung durch die Kirche und eine spezielle missio canonica mit Bezug auf ihr Getauft-Sein legitimiert ihre „Kirchenamtlichkeit“.

Die heutigen Gemeinde- bzw. Pastoralreferenten und -innen, meist im deutschsprachigen Raum, mit ihrer bischöflichen Sendung und missio-Urkunde wären in diese Denkrichtung einzuordnen. Wir erleben übrigens derzeit im Bistum Erfurt erste Modelle von Gemeindeleitung („Hirtenamt“!) durch Diakone und durch nichtgeweihte Personen (auch Frauen).
Meine Beispiele sollen nur zeigen: Anpassungen kirchlicher Ämterstrukturen an Zeiterfordernisse hat es zu allen Zeiten gegeben. Die Kirche hat die Vollmacht, ihre Ämter und Dienste so einzurichten, dass sie ihrer Sendung in der jeweiligen Gegenwart dienen können. Erfüllen diese Dienste das nicht, können sie reformiert oder gar abgeschafft werden (wie z.B. 1972 die sog. „niederen“ Weihestufen durch P. Paul VI.). Doch gilt eben auch umgekehrt: Wer Bestehendes abschafft, kann auch Neues kreieren! Der derzeit laufende synodale Prozess für die Weltkirche dürfte hier neue Perspektiven für solche Laienämter („Taufdienste“) für Männer und Frauen, besonders in den Ländern des globalen Südens eröffnen.

Ich möchte In diesem Zusammenhang, wie angekündigt, auf jene umstrittene Festlegung hinweisen, die seinerzeit der jetzt verstorbene Papst Benedikt XVI. zum Diakonat angeordnet hat. Diese hatte ja damals bei manchen Diakonen Ärgernis erregt. Im Rahmen meiner Darlegungen heute können wir diesem Vorgang m.E. einen durchaus positiven Aspekt abgewinnen.
 
Papst Benedikt hatte ja 2009 in seinem Motu proprio „Omnium in mentem“ festgelegt: Der Ständige Diakon sei dazu gesandt, das Volk Gottes im Dienst in der Liturgie, im Dienst am Wort und in der Nächstenliebe zu unterstützen. Dadurch erhalte dessen Amt seine besondere Prägung  -  und nicht wie bei den Priestern durch deren Vollmacht, insbesondere bei der Eucharistie, Christus als Haupt der Kirche darzustellen (in persona Christi capitis agere). Vgl. die entsprechenden Änderungen in den can. 1008 und 1009 im CIC.

Manche hatten das damals als Abqualifizierung der Diakone empfunden. Ich meine: zu Unrecht. M.E. stärkt diese Aussage die Ständigen Diakone in ihrem theologischen Profil. Sie sind „Geweihte“ mit Spezialmandat zum „Aufbau“ von Kirche (im Sinne der paulinischen oikodome) angesichts dessen, was Kirche heute und morgen braucht.: Das haben die Ständigen Diakone, wenn man hier in solchen eigentlich unangemessenen Kategorien denken will, den Priestern „voraus“: Möge das Weiheamt Bischöfe und Priester befähigen, Christus als Haupt zu repräsentieren (in persona Christi capitis agere), so repräsentieren die Ständigen Diakone in ihrem Wirken die Hände Christi (cum Christi manibus agere).

Etwas bildhaft nach Art der jüdischen Haggada weitergesponnen, wage ich zu sagen: Ein Haupt ohne Arme wäre arm dran! Ich denke an das große, armlose Kruzifix in der Hauskapelle des Marcel-Callo-Hauses in Heiligenstadt: Das, liebe Diakone, ist Euer Kreuz!

Und ich denke in diesem Zusammenhang bewusst auch an Sie, liebe Ehefrauen, die Sie den Diakonat Ihrer Männer auf vielfache Weise mit unterstützt, ja geistlich mitgestaltet, und manchmal die Last dieses Amtes auch miterleidet. Dafür ein ganz herzlicher Dank! Schließlich braucht der Herr ja zwei Arme, um seine Liebe, sein Erbarmen, seine Geduld mit uns Menschen sichtbar, erfahrbar zu machen!

Die Ständigen Diakone bereichern also auf interessante, zukunftsorientierte Weise die Ämterpalette der Kirche. Sie wehren durch ihr Da-Sein und So-Sein die gefährlichen Denkfigur eines „Zwei-Klassen-Christentums“ (Klerus 1. Klasse, Laien 2.Klasse!). In ihrem Dienst helfen sie dabei, alle Getauften und Geweihten „zum gemeinsamen Werk“ (Hugo Aufderbeck) zu verbinden. Die Diakone sind mit ihrem speziellen ministerium, dessen Möglichkeiten derzeit (weltweit gesehen) noch lange nicht ausgeschöpft sind, ein Potential der Hoffnung für eine Kirche in sich wandelnden Zeiten. Sie zeigen den Kleriker-Priestern, dass Kleriker-Sein auch anders geht, und sie ermutigen die sog. Laien, sich nicht nur als passive Objekte priesterlicher Fürsorge zu verstehen!

In dieser Sichtweise verbietet sich die Frage, was denn nun der eine Dienst anderen Diensten „voraus“ hat. Ich antworte wieder mit einem Vergleich: Geschmacksfermente, die sich bekanntlich in einem Getränk völlig auflösen und dennoch dieses Getränk dauerhaft charakteristisch machen, gibt es in unterschiedlichster Coleur. (Das wissen Weinkenner zu schätzen!). Es genügt, dass Gott allein weiß, welches Ferment hier und jetzt nötig und gute Wirkung zeigt. Den Winzern billigen wir zu, dass sie ihre Kelter-Geheimnisse für sich behalten. Billigen wir das auch unserem Herrn Jesus Christus zu! Vielleicht will er auf diese Weise verhindern, dass wir uns jeweils auf unseren Dienst etwas einbilden. Und auf Rangstreitigkeiten unter seinen Jüngern hat der Heiland schon damals ziemlich unwillig reagiert!

Rainer Bucher (em. Pastoraltheologe von Graz) hat jüngst formuliert: „Die Ständigen Diakone sind Speerspitze einer nachklerikalen Kirche!“ (KNA 16.1.2023). Er meinte wohl: nachklerikalistischen Kirche. Leider können wir P. Benedikt nicht mehr fragen, ob er das damals schon mit seiner lehrmäßigen Festlegung des Diakonats im Sinne hatte. Auf jeden Fall hat er damit nicht Türen verschlossen, sondern geöffnet.


Wir spüren derzeit: Ein Gestaltwandel von Kirche ist im Gange. Das erklärt auch die jetzige Unruhe in der Kirche. Kirchliches Leben wird in Zukunft nicht mehr (wie bisher weithin) in vielen Lebensbereichen nur hierarchisch verfasst sein, also „von oben nach unten“, sondern stärker synodal, also durch einen zirkulären Austausch der Leitungsebenen mit ihren je eigenen Ämtern und Verantwortlichkeiten.
Ich habe in diesem Jahr am 24. Februar mit besonderer Andacht im Brevier die Homilie von Johannes Chrysostomus zur Nachwahl des Apostels Matthias gelesen: Großes Lob von Chrysostomus für Petrus: Petrus bestimmte nicht einfach - er ließ bestimmen!

Um hier Ängsten mancher besorgten Mitchristen (und Kardinäle) von vornherein Wind aus den Segeln zu nehmen: „Synodal“ meint nicht „demokratisch“. Bischof Aufderbeck pflegte gern zu sagen: „Die Kirche ist keine Hierarchie, denn wir alle sind Brüder. Sie ist auch keine Demokratie, denn wir alle haben einen Herrn“!  Demokratie verpflichtet auf den durch Abstimmungen bzw. Wahlen ermittelten Mehrheitswillen eines Staatsvolkes („Unser Wille geschehe!“). Synodalität in kirchlichem Verständnis verpflichtet hingegen das Gottesvolk auf Gottes Anspruch („Dein Wille geschehe!“).

Um diesen Willen zu erspüren, braucht es mehr als Abstimmungen. Es braucht ein Hören auf die „Anrufe“ Gottes. Und das vollzieht sich im Bedenken der Hl. Schrift, der kirchlichen Überlieferung, der „Zeichen der Zeit“. Und es vollzieht sich im eigenen und gemeinsamen Nachdenken, Prüfen und Urteilen und im (neuerdings weltweiten) Hören aufeinander.
 
Also: Auch eine stärker synodal verfasste Kirche wird katholisch bleiben. Sie war dies ja schon über Jahrhunderte. Und die Ständigen Diakone mit ihrem spezifischen theologischen Profil und ihrer Flexibilität in ihren diversen Arbeitsfeldern sind wohl doch ein guter „Einfall“ Gottes für seine Kirche im 21. Jahrhundert.
Darum, liebe Diakone: Werdet immer mehr das, was ihr seid: „Speerspitze“ für eine dem Evangelium gemäße Gestalt von Kirche. Es ist viel „Raum nach vorn“.