"Christi Spuren folgen"

Fastenpredigt von Altbischof Joachim Wanke am Sonntag "Laetare" in der österlichen Bußzeit 2013

Der 1. Petrusbrief ist an eine Gemeinde gerichtet, die es in ihrer heidnischen Umwelt nicht leicht hat. Es gibt zwar keine massive Verfolgung der Christen, bei der es um Leib und Leben geht - es sind vielmehr Sticheleien, Beschimpfungen, Verleumdungen, Schikanen, Ausgrenzungen, wie sie eben Minderheiten in einer Mehrheitsgesellschaft manchmal auszustehen haben. Der Brief greift Erfahrungen einer Kirche in der Diasporasituation auf, die sich unter Andersdenkenden behaupten muss. Da können wir, die wir nicht aus dem Rheinland oder aus Bayern stammen, mitreden!

Ich habe den 1. Petrusbrief immer als ein Trost- und Ermutigungsschreiben für Diasporachristen gelesen und verstanden, damals in den DDR-Jahren, als es um die Selbstbehauptung der Christen angesichts der scheinbar allmächtigen Staatsideologie ging, und auch jetzt im geeinten Deutschland, wo wieder deutlicher die Fremdheit des christlichen Lebensentwurfes in einer Gesellschaft hervortritt, die sich zunehmend nichtreligiös versteht und den Gottesglauben als Bevormundung, als Einschränkung menschlicher Freiheitsräume versteht.

Ein mir bekannter Pfarrer, der auf seiner Steuerkarte den irrtümlichen Eintrag "ohne Religion" verändert haben wollte und bei der Behörde vorsprach mit der Bitte, in die entsprechende Rubrik "katholisch" eintragen zu lassen, wurde mit der erstaunten Gegenfrage des Behördenmitarbeiters konfrontiert: "Katholisch? Ja, gibt´s denn das wirklich noch?" Gottlob, das ist in Magdeburg passiert, nicht hier bei uns in Thüringen!

Genau in eine solche Situation hinein spricht unser Briefautor. Und er argumentiert mit dem Hinweis auf den leidenden Christus, wobei er sorgfältig differenziert: Nicht jedes Leiden ist Nachfolge in den Leiden der Herrn. An späterer Stelle schreibt er in seinem Brief: "Wenn einer von euch leiden muss, soll es nicht deswegen sein, weil er ein Mörder oder ein Dieb ist, weil er Böses tut oder sich in fremde Angelegenheiten einmischt. Wenn er aber leidet, weil er ein Christ ist, dann soll er sich nicht schämen, sondern Gott verherrlichen, indem er sich zu diesem Namen bekennt" (1 Petr 4,15f).

Wenn es um sein Bekenntnis zu Gott geht, wenn seine Treue in der Nachfolge des Herrn verspottet oder er wegen seiner Gläubigkeit diskriminiert wird, dann gilt für den Christen: Solches Leiden, dass uns deswegen trifft, ist Gnade in den Augen Gottes. Ja noch mehr, wie der Briefautor hinzufügt: Dazu - zu einem solchen Leiden, das im Bekenntnis zu Christus seine Ursache hat - "dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt" (1 Petr 2,21). Und er, Christus, war doch ohne Sünde, "er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter" (1 Petr 2,23).

Und dann folgt ein Spitzensatz, der das Leiden Christi als Stellvertretungsleiden uns zugute versteht und so den bedrängten Briefadressaten die Argumentation des Verfassers mit dem Leiden Christi verständlich machen will: "Durch seine Wunden seid ihr geheilt" (1 Petr 2,24c).

Wer um des Glaubens willen leidet, folgt dem Herrn darin nach. Er antwortet so der leidensbereiten Liebe des Herrn. Er geht in seinen Spuren. Das schließt nicht aus, dass der Christ seine gesellschaftliche Diskriminierung, seine Stigmatisierung als bitter, ja empörend empfindet - aber wird in einer tieferen, spirituellen Dimension dieses Leiden und Erleiden von Unrecht um des Glaubens willen als Vergewisserung seiner Christuszugehörigkeit verstehen können. Wenn Christsein in einem letzten, tiefsten Sinn Verähnlichung meines Lebens mit dem Leben, Sterben und Auferstehen des Herrn ist, dann soll ich nicht nur suchen, mich auf die Seite des triumphierenden Christus zu schlagen (so wie die beiden Zebedäussöhne es wollten, als sie sich bei der Wiederkunft Christi die Plätze zu seiner Rechten und Linken sichern wollten). Ich muss auch bereit sein, dem leidenden Christus nachzufolgen, dessen Ostersieg aus einer leidensbereiten Liebe zu uns erwuchs: So, mit seinen Wunden, kehrt Christus zum Vater im Himmel heim, wie auch uns die Heilige Schrift immer wieder versichert, dass wir nur "durch viele Drangsale hindurch" (vgl. Apg 14,22) in das Reich Gottes gelangen können.

Viele Christen haben das so erfahren und verstanden, nicht nur in der frühen Kirche, sondern auch in unseren Zeiten, in denen die Kirche in manchen Regionen der Welt wieder zu einer Kirche der Bekenner und Märtyrer geworden ist.

Ich habe mir als junger Christ und dann für meinen priesterlichen Dienst und später als Bischof dieses Wort zu eigen gemacht: den Spuren des leidensbereiten Christu folgen. Gerade die Widrigkeiten, die Schwierigkeiten, die es auszuhalten galt¸ damals in einer Schulklasse an einer Schule in der DDR als praktizierender Katholik immer mit einem gewissen Vorbehalt als potentieller Staatsfeind angesehen zu werden, oder neuerdings heute, wenn einem gläubigen Menschen, der zu seinem Glauben öffentlich steht, egal ob Muslim oder Christ, unterstellt wird, er sei ein potentieller Taliban - da spüren wir, wie sehr der Gottesglaube Selbstbewusstsein, Kraft und Standfestigkeit braucht, um sich in einer solchen Atmosphäre behaupten zu können.

Und ich füge dies noch als kostbare Erfahrung hinzu: Solche Entschiedenheit im Glauben, die auch Widerstände und Einsamkeitserfahrungen in Kauf nahm, gab und gibt mir die innere Gewissheit, mit meinem Glauben nicht

  • einem falschen Denken aufzusitzen, wie der Marxismus mit Feuerbach behauptete, oder einem Opiat, das mich betäubt und nur von Kampf für eine bessere Welt ablenkt, so Marx und Lenin,
  • oder mit meinem Glauben ein persönlichen Defizit an "Kunst und Wissenschaft" zu kompensieren, das man - wie der alte Goethe herablassend meinte - dann wenigstens mit etwas Religion aufbessern sollte,
  • oder dem Verdikt Siegmund Freuds zu verfallen, der den religiösen Glauben als Wunschdenken, als Infantilismus und Illusion erklärte,
  • oder sich dem Vorwurf Friedrich Nietzsches auszusetzen, der den Christen unterstellte, nur aus einem Ressentiment heraus zu handeln, weil sie in ihrer buckeligen Demut und ihrem insgeheimen Neid gegenüber den Starken heraus ihr Leiden heroisierten, - eben, weil sie zu schwach seien, ihre Sklavenmoral abzulegen, sich als "Herrenmensch" zu verstehen und entsprechend souverän zu handeln.

Das ist meine Erfahrung: Die Leidensgemeinschaft mit dem Herrn vertreibt vom Gottesglauben jeden Ideologieverdacht! So ähnlich, wie das einer erfährt, wenn er für einen geliebten Menschen etwas Schmerzliches auf sich nimmt oder tapfer für ihn aushält. Er wird dadurch nicht schwächer in seiner Liebe, sondern wird sich umso stärker der Echtheit und Tiefe seiner Zuneigung zum anderen inne werden.


"Den Spuren Christi folgen"! Das macht mir dieses Wort aus dem 1. Petrusbrief so kostbar: Auch in der Bedrängnis, auch im ungewollten, aber unvermeidlichen Leiden zum Beispiel Christi stehen, macht meine Option für den Gottesglauben überzeugend, macht sie authentisch and auch gegenüber Außenstehenden glaubhaft.

Natürlich gilt dieses Wort: Den Spuren Christi folgen! auch in einem weiteren Sinn. Wir sind als Christen immer auf dem richtigem Weg, wenn wir in den Spuren Christi bleiben - jeder einzelne von uns, wenn wir uns auch in anderen Situationen des Alltags, in denen man so oder so entscheiden könnte, an das Vorbild Christi halten, an sein Wort, an sein Beispiel. Und dieses Wort gilt für die Kirche insgesamt, die auf ihrem Weg durch die Geschichte lernen muss, sich nicht selbst darzustellen, sondern die durch ihr Reden und Handeln den Menschen das Bild und Beispiel Christi vor Augen zu stellen hat.

Kein Tag sollte vergehen, an dem wir zu dieser wunderbaren Auftrag nicht auch selbst, als Gemeinde, als Ortskirche in Thüringen einen Beitrag leisten. Jesus Christus durch unser Leben, durch unser Handeln erkennbar werden lassen! Mein bischöfliches Losungswort erinnert mich täglich daran - und hoffentlich jetzt auch Sie alle! Amen.


Predigt zur Vesper am Sonntag "Laetare" in der Fastenzeit in der Pfarrkirche Jena, 10.3.2013