"Christ-Werden und Christ-Sein sind nicht selbstverständlich"

Interview des Bonifatiusblattes, Paderborn, mit Bischof Joachim Wanke

Ein Drittel der Einwohner in unserem Land gehört keiner Konfession mehr an. In manchen Gegenden Ostdeutschlands sind über 80 Prozent der Menschen nicht getauft. Schon bald werden Christen beider Konfessionen in zahlreichen deutschen Großstädten eine Minderheit darstellen. Doch weder Schönreden noch Schwarzmalen hilft weiter. Sondern vielmehr ist die Zeit gekommen, noch intensiver über die Weitergabe des Glaubens, also die Evangelisierung oder Mission, nachzudenken und selbstbewusst neue Wege zu gehen. Darüber sprachen wir mit Bischof Joachim Wanke, dem Vorsitzenden der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz.

Herr Bischof Wanke, der Begriff "Mission" hat für viele Menschen einen negativen Beigeschmack. Das aus der Historie geprägte Klischee, dass einem dabei der Glaube eines anderen aufgezwungen werden soll, hält sich fest in den Köpfen. Was versteht die katholische Kirche heute wirklich unter Mission?

Das Wort Mission kann durchaus auch positive Bedeutung haben , z. B. "Marsmission". Mission heißt schlicht Sendung. Missionieren meint: Verbindung schaffen, mit jemandem in Kontakt treten. Den Mars kann man gegebenenfalls "erobern". Wenn es freilich um Kontakt zu Menschen geht, kommt die Freiheit ins Spiel. Da zählt das Gespräch, der Dialog, der auf gegenseitiger Sympathie und Einsicht beruht. Jesus versteht sich als Sendbote seines Vaters. Er will die Menschen gewinnen, sich der Liebe Gottes zu öffnen. Die Kirche steht in der Sendung Jesu. Sie will und soll für jede Generation neu "Resonanzraum" des Evangeliums sein, also in Wort und Tat das bezeugen, was wir Jesus "abkaufen": Gott meint es zutiefst gut mit uns.

Als Bischof von Erfurt wirken Sie in einer Region, in der sich nur eine Minderheit zum christlichen Glauben bekennt und nur wenige davon wiederum katholisch sind. Wie sprechen Sie Menschen auf Christus an, die wenig oder gar nichts vom christlichen Glauben wissen?

Der wichtigste Ansprechpartner für Glaubensfragen ist der einzelne Christ. Haltungen und Überzeugungen sprechen dort, wo eine Person das lebt, wovon sie überzeugt ist. Dazu kommen natürlich die Möglichkeiten, die wir als Christen gemeinsam haben, als Gemeinden, Verbände, Diözesen. Ein Beispiel: Die Feier des Elisabethjubiläums 2007 war für ganz Thüringen durchaus auch Glaubensverkündigung. Die "Suppenküche" der Caritas ist ein Ort auch der Seelsorge. Nichtsakramentale Feiern (etwa das Totengedenken im Erfurter Dom u. ä.) sprechen Nichtgetaufte an. Die Bildungsarbeit der Kirche hilft, die Nachdenklichkeit in der Gesellschaft zu verstärken und Wege zu Gott hin zu eröffnen.

Auf was muss sich die Pastoral in der säkularisierten Gesellschaft einstellen?

Auf die Tatsache, dass man nicht als Christ geboren wird. Christ-Sein und Christ-Werden sind nicht selbstverständlich. Die Überzeugung, mit Gott zu rechnen, kann durch Tradition und Herkommen gestützt werden, aber sie lebt letztlich von einer eigenen, immer neu zu "ratifizierenden" Grundentscheidung und den Erfahrungen, die man dabei macht. Das macht christliches Leben spannend, aber auch authentisch.

Wie können Glaubensvermittlung und Katechese in solch einer Situation funktionieren?


Der Glaube kann an sich nicht "produziert" werden. Zur Liebe kann man bekanntlich auch nicht überreden. Aber man kann Gelegenheiten schaffen, bei denen Menschen ein "Licht" aufgehen kann. Der Glaube an Gott kann gefördert, verteidigt, gefeiert werden. Katechese etwa ist Vertiefung eines anfänglichen (wenn auch noch so kleinen) Glaubens. Das kann gelingen, wenn der Katechet (der Prediger, der gläubige Erzieher usw.) sich selbst mit seinem Leben als Glaubender zu erkennen gibt - und im Leben des anderen nach Anknüpfungspunkten ("Brückenköpfen") für das Evangelium sucht.

Wie stark ist eine vernünftige missionarische Arbeit vom Geld abhängig?


Geld ist dabei ein Hilfsmittel. Jesus hatte auch ein Kasse. Entscheidend freilich war für Jesus die Zurüstung der Jünger. In der Kirchengeschichte brauchte es immer wieder Unterstützung für neue Ortskirchen, besonders für jene, die selbst arm waren. Wir unterstützen von Deutschland aus andere Bistümer in der Welt. Das machen selbst wir in Erfurt, die von Gaben anderer leben. Wir üben Solidarität - nicht nur mit Worten, sondern auch durch Taten. Wir helfen gleichsam mit, "Bahnschienen" zu legen. Aber dass die "Züge" dann wirklich rollen, das muss immer vorrangig vor Ort passieren.

Auch in katholisch geprägten Regionen haben sich viele Getaufte weit von der Kirche entfernt. Der Glaube spielt im Leben oftmals keine Rolle mehr. Wie kann Kirche die Lebenswirklichkeit dieser Menschen wieder erreichen?

Es braucht Einfühlungsvermögen und Sympathie mit den Menschen, vor allen bei denen, die in der Kirche eine Aufgabe und ein Amt haben. Es braucht eine Verkündigung, die das Evangelium und unsere heutigen Lebenserfahrungen zusammenbringt. Es braucht Gottesdienste, in denen vor Gott Freude und Klage, Gemeinschaft und Intimität, Zuversicht und Ängste "zur Sprache kommen" dürfen. Es braucht mehr Ermutigung als Belehrung, mehr Begleitung als Verurteilung. Und ich füge hinzu: Die Einladung des Apostels Paulus "Nehmt einander an!" meint ja nicht nur die Hauptamtlichen in den Gemeinden.

Inwieweit können katholisch geprägte Bistümer in solch einer Situation von den Erfahrungen der Diaspora-Kirche lernen?


Institutionen sind nur sehr begrenzt lernfähig. Dennoch: Diaspora und katholisch geprägte Regionen sind aufeinander angewiesen. Der gegenseitige Austausch der Gläubigen und ihrer jeweiligen Erfahrungen ist etwas Kostbares. Die Diaspora lässt Kirche als Familie erleben. Eine große Diözese andererseits kann Kräfte für große Aufgaben mobilisieren. Christsein in der Vereinzelung kann geistlich "wach" halten und helfen, Kirche zu suchen. Gute religiöse Traditionen helfen umgekehrt den Schwachen im Glauben, am Leben mit Gott dran zu bleiben. Kostbar sind geistliche Erfahrungen des "Trostes von oben", gerade wenn man als Christ in der Diaspora sich klein und gering oder gar diskriminiert fühlt. In der Diaspora betet man irgendwie den Kreuzweg "leichter".

Müssen sich die Diaspora-Bistümer noch stärker in die Diskussion um Mission und Evangelisierung in Deutschland einbringen, sich mehr Gehör verschaffen, und wie kann das funktionieren?

Antwort: Durch "leise Töne", weil Diaspora nicht automatisch Glaubensstärke bedeutet. Auch wir im Osten haben unsere Schwächen und Fehler. Nochmals: Die starken und die schwachen Bistümer leben voneinander. Wir können nur gemeinsam katholische Kirche in Deutschland sein. Aber ich freue mich, dass jetzt eine Arbeitsstelle der Deutschen Bischofskonferenz für missionarische Pastoral in Erfurt eröffnet wird. Und das Bonifatiuswerk trägt auch erfreulich dazu bei, den Blick auf Erfahrungen von Kirche-Sein in der Diaspora - die es übrigens auch in den alten Bundesländern gibt - zu lenken.

Müssen wir Christen lernen, wieder mehr vom Glauben zu sprechen? Oder kommt es mehr auf die Taten an?

Antwort: Das ist meine dringliche Bitte an alle Mitchristen: Haben wir Mut und Phantasie, in Glaubensdingen für Mitmenschen das Herz aufzutun, "auskunftsfähig" zu werden, in Worten (wo es angebracht ist) und in Taten. Das setzt voraus, dass wir "auskunftswillig" sind. Wer etwas Schönes erfahren hat, erzählt davon weiter. Gute Tipps für erholsame Urlaubsgegenden halten wir ja auch nicht geheim. Gälte das nicht auch für unsere Erfahrungen mit Gott und einem Leben aus dem Vertrauen auf ihn (wozu auch dunkle Stunden zählen können)? Solche Zeugnisse, von Mensch zu Mensch gegeben, wirken mehr als lange Bischofsinterviews.

Das Interview mit Bischof Wanke führte Alfred Herrmann. Es ist im

Bonifatiusblatt, Paderborn, in der Ausgabe Juli/September 2009

erschienen.