30 Jahre Ökumenische Friedensdekade

Predigt von Bischof Joachim Wanke im Gottesdienst anlässlich der Jubiläumsfeier und der Tagung "Hoffnung säen - Strategien für die Friedensdekade"

 

Unser Bibeltext (Jakobus 3,13-18) stellt die wahre Weisheit mit ihren Werthaltungen der falschen Weisheit, die von Eifersucht, Ehrgeiz, Unordnung und bösen Taten aller Art gekennzeichnet ist, gegenüber.

Der inspirierte Verfasser hat die Hoffnung, dass man den Geist Gottes an den Früchten erkennen kann, die dieser Geist wachsen lässt. Und zu diesen Früchten zählen Erbarmen, Freundlichkeit, Wahrhaftigkeit - und eben der Friede. Die Bedeutung des Friedens als Frucht des Geistes Gottes unterstreicht der letzte Satz unseres Textabschnittes: "Wo Friede herrscht, wird (von Gott) für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut." (Jak 3,18).

Wir spüren: Dieser Text atmet den Geist der Bergpredigt. Der Briefschreiber teilt ganz die Sicht der Verkündigung Jesu. Also: beileibe keine "stroherne Epistel", wie Luther das insgesamt vom Jakobusbrief meinte. Der Friedensstifter trägt dazu bei, die Saat der Gerechtigkeit aufgehen zu lassen.

Das ist eine passende Botschaft für den heutigen Jubiläumstag: 30 Jahre ökumenische Friedensdekade. Wir dürfen dankbar sei für das, was Gott an Gerechtigkeit und Frieden in den Herzen von Menschen und Völkern hat wachsen lassen, nicht zuletzt auch in den Ereignissen der friedlichen Revolution hier bei uns im Osten Deutschlands im Herbst 1989.

Ich möchte meinen Blick freilich nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft richten. Wie kann es gelingen, auch weiterhin eine breite Allianz von Menschen zu finden, die sich immer neu von der Vision des Friedens inspirieren lassen, von dem die Bibel spricht? In heutiger Sprache formuliert: Was lässt die Werte bzw. Werthaltungen in unserer Gesellschaft wachsen, die sich am Frieden und der Gerechtigkeit orientieren? (Und von diesem Wachsen hängt ja auch die Zukunft der Friedensdekade ab!)

Eine kurze Überlegung zu dem, was ich mit Werten bzw. Werthaltungen meine. Werte sind starke Vorstellungen von etwas Wünschenswertem, etwa: gerechte Verhältnisse, ein friedliches Zusammenleben von Menschen und Völkern, der Ausschluss von Gewalt als Lösungsweg für Konflikte.

Wir wissen: Werte gründen nicht nur in einer Überzeugung, einer Einsicht o.ä.
Werte kann man im Normalfall einem Menschen nicht einreden. Man wird von ihnen ergriffen. Sie erschließen sich von selbst. Werte wählt man nicht, von Werten wird man gepackt. Sie werden vor allem auch von Emotionen getragen. Welche Werte für mich wichtig sind, erkenne ich, wenn ich mich frage, worüber ich mich aufrege: Z.B., dass man Kinder quält oder gar foltert. Werte haben also eine Selbstevidenz. Sie leuchten einfach ein. Und so fordern sie mich heraus. Aber sie setzen mich dann auch frei. "Ich kann nicht anders!" sagt jemand, der einen Partner liebt. Er weiß sich gebunden, aber in dieser Liebe zum Partner weiß er sich auch ganz frei, ganz bei sich selbst. So ähnlich ist das übrigens auch mit unserer Bindung an Gott, aber eben auch mit friedensethischen Wertüberzeugungen.

Ich meine, dass unser christlicher Glaube wertvolle Impulse für ein Wachsen friedensethischer Haltungen in unserer Gesellschaft einbringt. Und diese Impulse sind m.E. auch für Nichtchristen interessant.

Der erste Impuls basiert auf der Anerkennung des Mitmenschen als meinesgleichen.

Diese Anerkennung ist schon im Alten Testament enthaltenen (vgl. die sog. Goldenen Regel: Was du nicht willst, dass man dir´s tu, das füg auch keinem anderen zu!) und in Jesu Gebot der Nächstenliebe verankert. Im Zuge der neuzeitlichen Diskussion um Menschenwürde und Menschenrechte gewinnt diese wertschätzende Haltung dem Anderen gegenüber eine weiterreichende, umfassendere Bedeutung. Auch Institutionen, die Gesellschaft insgesamt, auch in ihrer sich weltweit ausdehnenden Dimension, werden nur auf der Anerkennung der Würde und des Selbstbestimmungsrechts aller ihrer Glieder Zukunft gewinnen.

Für Christen ist die biblische Begründung dafür wichtig: der Glaube, dass im Menschen Jesus Christus Gott selbst begegnet. Damit ist jeder Menschen geheiligt. Gott begegnet nicht im Himmel, sondern im Anderen.

Nur nebenbei bemerkt: Der wichtigste Beitrag des Christentums zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft ist nicht der soziale Einsatz der Kirche und Christen, sind auch nicht moralische Appelle von der Kanzel aus, sondern das Offenhalten eines solchen biblischen Gottesverständnisses: Gott macht sich für mich zum Mitmenschen.

Der zweite friedensethische Impuls ist der immer neue und geduldige Hinweis auf die Leidenden.

Wer die Leidenden dieser Welt in den Blick rückt, stiftet zur Solidarität an. Einige Fernsehbilder vom Hochwasserelend in Pakistan bewirken mehr als trockene Reden. Der Umgang mit der Herausforderung des Leides ist ein Proprium der christlichen Religion. Die Frage nach dem Sinn des Leidens, die schon das Judentum stellt, hat das Christentum nie losgelassen. Der Schrei Jesu am Kreuz: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" beunruhigt bis heute die christliche Frömmigkeit. Das Leid ist nicht nur "der Fels des Atheismus" (Georg Büchner), es ist auch der Ort, an dem die Gottesfrage offen gehalten wird. Eine Religion, die das Kreuz Christi in den Mittelpunkt stellt, kann nie zu einer Ideologie verkommen.

Im christlichen Ethos ist letztlich das tragende Fundament nicht eine formale Autorität (Ich verletze eine Norm!), sondern die Autorität eines leidenden, für den Menschen leidbereiten Gottes. Der Anspruch des Evangeliums an den Menschen lautet: "Du bist bis in den Tod hinein geliebt, darum kannst du es wagen, auf diese Liebe ebenso radikal zu antworten!"

Keine andere Religion kennt einen leidenden Gott. Die Autorität des leidenden Christus geht über auf alle Leidenden dieser Welt. Menschliche Autonomie und Emanzipation wird dort unmenschlich, wenn sie macht, was sie will. Sie bleibt dort menschlich, wenn sie sich der Autorität des leidenden Mitmenschen beugt.

Übrigens sei darauf nur kurz hingewiesen: Eine sich am Leid des anderen orientierende Lebenshaltung ließe sich durchaus mit dem Autonomieverlangen des modernen Menschen verbinden, insofern der Anspruch Gottes ihm dann nicht in einem abstrakten Moralkodex begegnet, sondern im Anspruch des Mitmenschen, besonders im Anspruch des leidenden und gequälten Mitmenschen. Es gilt dann nicht nur: "Meine Freiheit ist immer auch durch die Freiheit des anderen begrenzt", sondern noch mehr: "Meine Freiheit ist immer auch durch das Leid des anderen begrenzt."

Ich meine, dass solche Überlegungen durchaus zum heutigen Gedenken an 30 Jahre Friedensdekade passen. Wir streuen die Saat der Gerechtigkeit aus, wenn wir im konkreten Mitmenschen uns selbst erkennen, unseren eigenen Hunger nach Anerkennung, nach Gerechtigkeit, nach Frieden. Und wir werden zu Friedensstiftern, wenn wir uns vom Leid des Mitmenschen berühren lassen. Denn Frieden und Erbarmen sind beides Früchte des Geistes Gottes, Gaben der Weisheit Gottes, wie uns Jakobus heute belehrt hat. Amen.


Predigt gehalten am 18.9.2010 in der Erfurter Augustinerkirche