Schmalkalder Antithesen

Bischof Dr. Ulrich Neymeyr am 9. September 2017

Die Schmalkalder Thesen und Antithesen, die mir zugedacht wurden, befassen sich mit dem Zölibat, der Verpflichtung katholischer Priester zur Ehelosigkeit. Die These lautet: "Ein Bischof muss untadelig sein, Ehemann einer einzigen Frau und ein Presbyter sei ohne Vorwurf, einer der gläubige Söhne hat." Dies ist ein Zitat aus dem ersten Timotheusbrief. Das dazugehörige Brief von Harald R. Gratz zeigt eine Familienidylle: Eltern und drei Kinder sitzen gemeinsam auf einem Sofa. Erschöpft, aber auch entspannt genießen sie eine gemeinsame Zeit. Dieses idyllische Familienbild scheint mir die Realität der Familie eines Pfarrers oder einer Pfarrerin nicht recht darzustellen. Was für verheiratete evangelische Pfarrerinnen oder Pfarrer zutrifft, gilt genauso für katholische Gemeindereferentinnen oder Gemeindereferenten: Der pastorale Beruf stellt hohe Anforderungen, auch und gerade was die zeitliche Beanspruchung betrifft. Die Gemeindemitglieder, die Gläubigen und andere Menschen haben wenig Verständnis dafür, dass der Pfarrer Freizeit braucht oder Zeit für seine Familie. Gerade zu den Zeiten, zu denen andere Menschen Zeit für die Familie haben, sind die Pfarrerinnen und Pfarrer besonders gefordert, nämlich am Abend bei Gemeindeabenden, Taufgesprächen, Traugesprächen oder anderen seelsorgerlichen Gesprächen und erst recht am Wochenende. Der Samstag ist belegt mit Trauungen, Ehejubiläen, Taufen und zunehmend Beerdigungen. Am Sonntag gibt es Verpflichtungen für Gottesdienste, Tauffeiern, Gemeindefeste und vieles andere mehr. Die Zeit für die Familie muss sich ein Pfarrer oder eine Pfarrerin energisch und selbstbewusst erkämpfen. Dies wird dadurch erschwert, dass die Pfarrer eine Residenzpflicht haben, sie müssen im Pfarrhaus wohnen. Auch dies ist dem Familienleben nicht zuträglich, die Klingel und das Telefon sind ständige Störenfriede im Pfarrhaus. Deswegen kann ich das Bild zur These nur als zu idyllisch bezeichnen.
Die Antithese lautet: "Wenn jemand behauptet, dass die in die geweihten Stände eingesetzten, wenn sie die Gabe der Keuschheit nicht erfassen, eine Ehe eingehen können, der sei verdammt." Dies ist ein Zitat des tridentinischen Konzils, das dazugehörige Bild zeigt auf der linken Seite einen Pfarrer, der offensichtlich vom gekreuzigten Herrn Jesus Christus angezogen ist, für den aber ein Weg zugemauert ist. Dies wird wohl der Weg der Keuschheit sein, der ihm nicht möglich ist. So sucht und findet er die Zuneigung einer Frau, mit der zusammen er ein Kind bekommt. Die rechte Seite des Bildes zeigt, dass den Beiden der Weg in die Ehe verschlossen ist. Drei großen schwarzen Kreuze symbolisieren das kirchliche Nein, außerdem hat die Frau offensichtlich keinen Arm, den sie dem Mann hinhalten kann. Dieses Bild scheint mir eine gelungene Darstellung der Antithese zu sein.
Nun möchte ich gerne etwas ausführlicher auf die eingangs genannte These eingehen. Der vollständige Text des ersten Timotheusbriefes (1 Tim 3,2-7) lautet in der neuen katholischen Bibelübersetzung: "Wer das Amt eines Bischofs anstrebt, der strebt nach einer großen Aufgabe. Deshalb soll der Bischof untadelig, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen sein, von würdiger Haltung, gastfreundlich, fähig zu lernen. Er sei kein Trinker und kein gewalttätiger Mensch, sondern rücksichtsvoll. Er sei nicht streitsüchtig und nicht geldgierig. Er muss seinem eigenen Haus gut vorstehen, seine Kinder im Gehorsam und allem Anstand erziehen. Wenn einer seinem eigenen Haus nicht vorstehen kann, wie soll der für die Kirche Gottes sorgen? Er darf kein Neubekehrter sein, damit er nicht hochmütig wird und dem Gericht des Teufel verfällt. Er muss aber auch bei den Außenstehenden einen guten Ruf haben, damit er nicht in üble Nachrede kommt und in die Falle des Teufels gerät." Ganz eindeutig und unbestritten waren die Amtsträger der frühen Kirche verheiratet und hatten eine Familie. Wenn es heißt, der Bischof ist Mann einer einzigen Frau, dann bedeutet dies nicht das Verbot der Polygamie, sondern vielmehr das Verbot, nach dem Tod der Frau wieder eine andere Frau zu heiraten. Das Zölibatsgesetz kam erst im vierten Jahrhundert auf und hat sich erst langsam in der gesamten Kirche durchgesetzt. Der Grund für das Zölibatsgesetz war wohl weniger, dass Hürden errichtet werden sollten, als nach der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion es für viele attraktiv war, ein Kirchenamt zu ergreifen. Hintergrund war wohl auch nicht die Sorge, dass die Pfarrer ihre Söhne im Amt bevorzugen würden. Hintergrund war vielmehr der Gedanke der liturgischen Reinheit. Das heißt die Forderung, dass der Priester, der den heiligen Dienst vollzieht, sexuell enthaltsam sein soll. Wer das Allerheiligste betritt und die heiligen Gestalten berührt, soll sich nicht durch sexuelle Begegnungen befleckt haben. Dieser Gedanke ist uns heute auch in der katholischen Kirche eher fremd, war aber vor etwa 50 Jahren noch Selbstverständlichkeit. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Motivation für die Ehelosigkeit der Priester nicht mehr aufgegriffen, sondern in der Konstitution über die Kirche den Zölibat allein damit begründet, dass sich der Priester "leichter ungeteilten Herzens Gott allein hingibt" (Lumen gentium 42). Das Zölibatsgesetz hat also in der katholischen Kirche nicht immer gegolten und gilt nicht unbedingt. Schon in der Reformation wurde den Reformatoren die Priesterehe zugestanden. An dieser Frage wäre die Kirche nicht zerbrochen. Wenn heute ein evangelischer Pfarrer sich entschließt, katholisch zu werden, kann er auch katholischer Pfarrer werden, vorausgesetzt seine Frau stimmt dem zu. Es gibt also verheiratete katholische Priester. Außerdem können orthodoxe Priester, die einer der mit Rom unierten Kirchen angehören, auch im Lateinischen Ritus zelebrieren, obwohl sie verheiratet sind. Generell gilt aber das Gebot, dass in der katholischen Kirche nur unverheiratete, getaufte und gefirmte Männer, die entsprechend vorbereitet sind, zu Priestern geweiht werden können.
Der Text der Antithese ist der Konstitution "Matrimonii perpetuum" des Konzils von Trient vom 11. November 1563 entnommen. Darin heißt es im 9. Kanon: "Wenn jemand sagt, die in die heiligen Weihen erhobenen Geistlichen oder die Ordensmitglieder, die feierlich die Keuschheit angelobt haben, können die Ehe eingehen, und die Eingegangene sei gültig, ohne dass das Kirchengesetz oder das Gelübde dagegen sein könne und das Entgegengesetzte sei nichts anderes, als die Ehe verdammen und es können alle die Ehe eingehen, welche die Gabe der Keuschheit, auch wenn sie sie angelobt, nicht zu haben meinen, der sei im Bann. Denn Gott vorenthält dieselbige denen nicht, welche recht dafür bitten und läßt uns (1 Kor 10,13) nicht über unsere Kräfte versucht werden." Das Tridentinische Konzil hat seine Lehrmeinungen in sogenannten Anathema formuliert. Es wurde das formuliert, was als falsch angesehen wurde und demjenigen, der diese falsche Meinung vertritt, wurde der Kirchenbann angedroht. Im 9. Kanon wird denjenigen der Bann angedroht, die meinen, dass jemand, der die Priesterweihe empfangen hat oder ein Ordensgelübde abgelegt hat, eine gültige Ehe eingehen könne. Die Begründung des Konzils ist diejenige, dass jemand, der die Priesterweihe empfangen oder ein Ordensgelübde abgelegt hat, auf jeden Fall zur Keuschheit fähig ist. Die Überzeugung, dass ein gültig geweihter Priester oder jemand, der das Gelübde der Keuschheit abgelegt hat, in keinem Fall eine gültige Ehe eingehen kann, hat die katholische Kirche revidiert. Schon 1548 legitimierte der damalige Papst Paul III. in der Bulle Benedictus Deus die Ehe von Priestern, die während der Reformation geheiratet hatten. Sie durften allerdings das geistliche Amt nicht mehr ausüben. Im Jahre 1971 entschied die Vatikanische Glaubenskongregation, dass das Ausscheiden aus dem Klerikerstand untrennbar mit der Dispens von der Zölibatspflicht verbunden ist. Nur der Papst kann einen Priester aus dem Klerikerstand entlassen - man spricht von der "Laisierung" - und ihn damit auch von der Zölibatspflicht entbinden. Ein laisierter Priester kann eine gültige katholische Ehe eingehen. Dasselbe gilt für die Dispens von Gelübden. Bei Orden päpstlichen Rechtes ist es dem Papst vorbehalten, jemanden von seinen Gelübden zu lösen, bei Orden bischöflichen Rechts legt das Dispensrecht beim Bischof.
Lassen Sie mich bitte auch noch etwa zum 10. Kanon des Tridentinischen Dekrets über das Ehesakrament sagen. Dort heißt es: "Wenn jemand sagt, der Ehestand müsse dem Stande der Jungfräulichkeit oder Ehelosigkeit vorgezogen werden und es sei nicht besser und gottseliger, in der Jungfrauschaft oder Ehelosigkeit zu verbleiben, als sich durch die Ehe zu verbinden, der sei im Bann." Hier wird also dem Stand der Jungfräulichkeit oder Ehelosigkeit in aller Deutlichkeit der Vorzug vor dem Stand der Ehe gegeben. Auch hier gibt es eine wesentliche Weiterentwicklung in der katholischen Lehrverkündigung. Ich zitiere das nachsynodale apostolische Schreiben Amoris Laetitia von Papst Franziskus vom 19. März 2016 (siehe 159): "[...] Johannes Paul II. [sagt] in Bezug auf die sexuelle Enthaltsamkeit, dass die biblischen Texte ´weder einen Grund dafür [liefern], die ´Minderwertigkeit´ der Ehe zu behaupten, noch dafür, die ´Überlegenheit´ der Jungfräulichkeit bzw. des Zölibats zu vertreten´.  Anstatt von der Überlegenheit der Jungfräulichkeit in jeder Hinsicht zu sprechen, scheint es vielmehr angebracht, zu zeigen, dass die verschiedenen Lebensstände sich ergänzen, so dass einer in einer Hinsicht und ein anderer unter einem anderen Gesichtspunkt vollkommener sein kann. Alexander von Hales sagte zum Beispiel, dass in einer Hinsicht die Ehe als den anderen Sakramenten überlegen angesehen werden kann, weil sie so etwas Großes symbolisiert wie "die Vereinigung Christi mit der Kirche oder die Vereinigung der göttlichen mit der menschlichen Natur."
Aus 162: "Der Zölibat läuft Gefahr, eine bequeme Einsamkeit zu sein, welche die Freiheit gewährt, sich selbstbestimmt zu bewegen, Orte, Aufgaben und Entscheidungen zu ändern, über das eigene Geld zu verfügen, je nach der Attraktion des Momentes Kontakte mit verschiedenen Menschen zu pflegen. Hier glänzt das Zeugnis der Verheirateten. Wer zur Jungfräulichkeit berufen ist, kann in manchen Ehen ein deutliches Zeichen der großherzigen und unerschütterlichen Treue Gottes zu seinem Bund finden, das sein Herz zu einer konkreteren und hingebungsvolleren Verfügbarkeit anspornt. Denn es gibt Verheiratete, die ihre Treue bewahren, wenn der Partner oder die Partnerin physisch unangenehm geworden ist oder die eigenen Bedürfnisse nicht befriedigt, und das, obwohl viele Angebote zur Untreue einladen oder dazu, den bzw. die andere zu verlassen. Eine Frau kann ihren kranken Ehegatten pflegen und dort, unter dem Kreuz, erneut das Jawort ihrer Liebe bis zum Tod sprechen. In dieser Liebe erstrahlt in beeindruckender Weise die Würde des liebenden Menschen - Würde als Abglanz der schenkenden Liebe (caritas) -, denn dieser Liebe geht es mehr darum zu lieben, als selbst geliebt zu werden. In vielen Familien können wir auch eine Fähigkeit zu hingebungsvollem und zärtlichem Dienst gegenüber schwierigen und sogar undankbaren Kindern bemerken. Das macht diese Eltern zu einem Zeichen der freien und selbstlosen Liebe Jesu. All das wird zu einer Einladung an die zölibatär lebenden Personen, ihre Hingabe an das Reich Gottes mit mehr Großherzigkeit und größerer Verfügbarkeit zu leben. Heute hat die Säkularisierung den Wert einer Vereinigung für das ganze Leben verschwimmen lassen und den Sinn für den Reichtum der ehelichen Hingabe geschwächt. Darum ´empfiehlt es sich, die positiven Aspekte der ehelichen Liebe zu vertiefen´."