Religion - Friedensengel oder Feuerteufel?

"Die christliche Religion war nicht immer in ihrer Geschichte Friedensengel, aber sie hat das Zeug dazu", so der Bischof in seiner Ansprache





Es ist mir eine große Freude, Sie zu diesem traditionellen Elisabethempfang als neuer Bischof von Erfurt ganz herzlich willkommen zu heißen. Ich freue mich auf die Gespräche und Begegnungen an diesem Abend und hoffe, diese in der nächsten Zeit auch vertiefen zu können. Ich bin gern von Mainz in das schöne Thüringen gekommen und möchte auch mit Blick auf die gesellschaftliche Situation in Thüringen erst einmal Hörender, Sehender und Lernender sein.

Danken möchte ich zunächst Ihnen, sehr verehrter Herr Landtagspräsident, und Ihnen, sehr geehrter Herr Bildungsminister, für Ihre freundlichen und ermunternden Grußworte und Wünsche.

Erlauben Sie mir, dass ich am Ende meiner Ansprache die Stichworte Dank und Wünsche noch einmal aufgreife.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Auf vielen Ebenen wird zur Zeit diskutiert, ob die Religionen nicht doch Feuerteufel sind anstatt - wie sie selbst behaupten - Friedensengel. Der Friedensengel über den Feldern von Betlehem wurde von einem großen himmlischen Heer unterstützt, "das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade" (Lk 13f.). Was ist aus diesen großen Worten geworden? Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sagte in seiner diesjährigen Neujahrsrede: "Religion verursacht auch heute kriegerische Konflikte, und manchmal möchte man zweifeln, ob Religionsgemeinschaften überhaupt fähig sind zu einem friedlichen Miteinander, zu einem Leben in Freiheit und Toleranz." (Zeit online 2.1.14) Unrecht hat er nicht, wie ein Blick in die Geschichte und in die Gegenwart lehrt. Viele politische Konflikte und Kriege wurden und werden von Religionen oder Konfessionen verursacht oder verschärft. "2012 lag die Zahl der Konflikte im religiösen Bereich auf einem Sechs-Jahre-Hoch. In 166 Ländern der Welt wurden Mitglieder einzelner Religionen schikaniert. In Europa und Nordafrika haben die Ressentiments am stärksten zugenommen. In den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas war die Zahl von Konflikten in religiösen Belangen in den letzten sechs Jahren am höchsten. Das sei auf die politischen Veränderungen im Zuge des «arabischen Frühlings» zurückzuführen, schrieb das amerikanische Pew Research Center in einem Bericht." (NZZ 15.1.2014) Religion kommt nicht als Friedensengel, sondern als Feuerteufel. Manche meinen, ohne Religion ginge es der Gesellschaft besser.

Wolfgang Thierse fährt aber in dem eben zitierten Vortrag so fort: "Von Alexis von Tocqueville (französischer Publizist und Politiker 1805-1859) stammt der Satz: "Despotismus kommt ohne Religion aus, Freiheit nicht." (a.a.O.)" Thierse fragt: "Braucht Demokratie wirklich Religion, kommt Freiheit nicht ohne Religion aus? Und wie steht es um die religiöse Toleranz in einer pluralistischen Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Pluralismus: Das sagt sich so leicht. Gemeint ist die konfliktreiche Pluralität von Überzeugungen, Weltbildern, Wahrheitsansprüchen, Wertorientierungen, Lebensweisen. Wie lässt sich die Vielfalt in unserer Gesellschaft ertragen - ohne Gewalt? (....) Fest steht: Es geht nicht ohne Toleranz. In einer freien Gesellschaft wird Toleranz überhaupt erst existenziell nötig - im Gesinnungsstaat brauchte man sie nicht. In der Demokratie hingegen mit ihren Differenzen erweist sich Toleranz als notwendige und zugleich anstrengende Tugend, um die man sich sorgen muss." (a.a.O.)

Das Verhältnis von Religion und Toleranz ist ambivalent. Einerseits sind Religionen auf Toleranz angewiesen, vor allem wenn sie ein Minderheitenphänomen sind. So beendete erst das Toleranzedikt des Galerius im Jahr 311 die Verfolgung der Christen. Andererseits neigen Religionen wegen ihres Wahrheitsanspruches zur Intoleranz. Für den religiösen Menschen kann das Verhältnis zu seinem Gott wichtiger sein als sein eigenes Leben oder das Leben anderer Menschen. Religionen, religiöse Menschen und religiöse Führer, müssen sich dieser Ambivalenz bewusst sein und sie in eine positive Spannung zueinander bringen. In unserer globalisierten und mobilen Welt ist nahezu jede Religion angewiesen auf Toleranz und aufgerufen zur Toleranz. Wenn Christen hierzulande die Verfolgung von Christen in anderen Ländern beklagen und sich um die Flüchtlinge von dort kümmern, müssen sie zugleich Toleranz gegenüber Menschen anderer Religion, die hier bei uns leben, predigen und praktizieren. Wenn Muslime hierzulande Moscheen bauen dürfen, müssen sie sich auch dafür einsetzen, dass die Christen in ihren Herkunftsländern Kirchen bauen dürfen.

Sind so die Religionen nicht doch Feuerteufel, die man mühsam bezähmen muss, die aber nicht zum Friedensengel taugen? Ich kann nur für meine christliche Religion sprechen und möchte nochmals den Friedensengel über den Feldern von Betlehem erwähnen: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade." (Lk 13f.) In diesen wenigen Worten sind einige Voraussetzungen dafür enthalten, dass die christliche Religion Friedensengel sein kann. Die christliche Religion war nicht immer in ihrer Geschichte Friedensengel, aber sie hat das Zeug dazu. Dies möchte ich gerne in drei Punkten erläutern:

1. Die christliche Religion ist sich der Größe und Unverfügbarkeit Gottes bewusst: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe". Damit ist gesagt, dass Gott für uns Menschen unbegreiflich ist und bleibt. Das können glaubende Menschen erfahren, wenn sie die Schönheit und Größe, die Vielfalt und Genialität der Natur bestaunen und sie als Schöpfung Gottes verstehen. Die Unbegreiflichkeit Gottes müssen glaubende Menschen aber auch dann erfahren, wenn sie ihr Schicksal nicht verstehen können, wenn sie mit Gott hadern und doch an ihm festhalten, weil sie seine Unbegreiflichkeit akzeptieren. Die Unbegreiflichkeit und Größe Gottes heißt auch, zu akzeptieren, dass Gott sich nicht vor den Karren menschlicher Interessen spannen kann. Gott bleibt unbegreiflich. Was wir von ihm erahnen können, ist nur ein kleiner Teil seiner unfassbaren Wirklichkeit. Das lässt uns demütig neben jedem Menschen mit anderer Religion Platz nehmen und auch neben jedem, der nichts von Gott erahnen kann. Glaubende Menschen besitzen Gott nicht. Der Satz "Gott ist groß." mündet leider oft in Intoleranz, ist aber eigentlich gerade das Tor zur Toleranz. Die katholische Kirche hat auf dem II. Vatikanischen Konzil in einer dogmatischen Konstitution über die Kirche, die fast auf den Tag genau heute vor 50 Jahren (21.11.1964) feierlich verkündet wurde, festgeschrieben, dass der Heilswille Gottes auch die Menschen mit anderen Religionen umfasst und auch diejenigen, die "noch nicht zur ausdrücklichen Anerkennung Gottes gekommen sind". (Lumen gentium Nr. 16) Die Botschaft über die Engel auf den Feldern von Bethlehem "Verherrlicht ist Gott in der Höhe" ist also eine ständige Ermahnung zur Bescheidenheit und zur Toleranz.

2. Die Friedenszusage der Weihnachtsbotschaft gilt "den Menschen seiner Gnade". Der Glaube ist ein Geschenk Gottes, den keiner sich erwerben kann und den man niemandem aufzwingen kann. Ich bin mir bewusst, dass mein christlicher Glaube ein Geschenk Gottes ist. Sicher habe ich ihn meinen Eltern, meiner Heimatgemeinde und meinem Heimatpfarrer zu verdanken, aber im Letzten bleibt es doch aus meiner Sicht ein Geschenk Gottes, dass der Glaube so sehr mein Leben prägt. Ich habe daher Sympathie für die Menschen, in deren Leben der Glaube keine Rolle oder keine Rolle mehr spielt. Ich werde mich bemühen, sie für den Glauben zu gewinnen, aber ich muss es auch aushalten können, dass dies nicht gelingt. Das heißt für mich nicht, dass ich deswegen mit einem Menschen breche. Und selbstverständlich heißt dies, dass man den Glauben niemandem aufzwingen kann. Wie der "Islamische Staat" mit den Christen in Syrien und im Irak umgeht, ist nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch gegen den Glauben an einen großen Gott. In der Weihnachtsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom vergangenen Jahr berichtete Rainer Hermann: "Erstmals hatten die Dschihadisten Anfang September Maaloula, nördlich von Damaskus, heimgesucht. Damals kontrollierten sie die Personalausweise der Bewohner. Wer einen christlichen Namen hatte und bereit war, zum Islam zu konvertieren, überlebte. Drei junge Männer waren nicht bereit und wurden hingerichtet." So lesen sich heute christliche Märtyrerberichte. Das teilweise Schweigen muslimischer Vertreter und Gelehrter zu dem, was mit unvorstellbarer Grausamkeit dort geschieht, wird immer unbegreiflicher. In unserer Gesellschaft gilt nun einmal der berechtigte Satz: "Wer schweigt, stimmt zu."

3. Das Zeichen, auf das die himmlischen Heerscharen die Hirten auf den Feldern von Bethlehem hinweisen, ist kein bombastischer Tempel oder eine Versammlung von Millionen von Menschen. "Ihr werdet ein Kind finden, das in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt." (Lk 2,12) Das Zeichen ist ein Kind: der Retter, der Messias, der Herr als Kind, das ist kaum zusammen zu denken. Und die Steigerung nach unten geht weiter. Das Kind ist in Windeln gewickelt. Deutlicher kann man nicht darauf hinweisen, dass es wirklich ein ganz gewöhnliches Baby ist. Und es liegt in einer Krippe, einem Futtertrog. Der dreifachen Steigerung von Retter, Messias, Herr entspricht der dreifache Abstieg von Kind, Windeln, Krippe. Wer sich als Christ auf dieses Zeichen, auf diesen Gottgesandten einlässt, der taugt zum Friedensengel.


Sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich abschließend noch einmal nach Thüringen schauen, soweit mir das überhaupt schon möglich ist. Gerade am Ende eines auch politisch bewegten Jahres - ich denke an die Europa- und Landtagswahlen und die damit verbundenen Regierungsbildungen - sind Begegnungen und Gespräche besonders wichtig. Das über Jahre gewachsene Vertrauen zwischen Kirche, Staat  und Gesellschaft - ich spreche im Namen meiner Vorgänger Bischof Dr. Wanke und Weihbischof Dr. Hauke - muss sich immer wieder neu bewähren.

Mein Dank und meine Anerkennung gelten den Thüringer Europa- und Landtagsabgeordneten, die in der letzten Legislatur politische Verantwortung getragen haben. So hat Weihbischof Dr. Hauke heute ausdrücklich auch die Abgeordneten eingeladen, die nicht mehr im Landtag vertreten sind. Stellvertretend für alle Abgeordneten möchte ich namentlich der bisherigen Landtagspräsidentin Frau Diezel danken, auch wenn sie heute Abend nicht anwesend sein kann.

Der Arbeit des neu gewählten Parlamentes mit seinem Präsidenten Herrn Carius und all seinen Fraktionen - ob künftig in Regierungsverantwortung oder Opposition - gelten meine guten Wünsche und meine Bitte um Gottes Segen für den Dienst aller Abgeordneten.

Mein Dank, auch im Namen von Bischof Dr. Wanke und Weihbischof Dr. Hauke, geht nicht nur an die Parlamentarier der vergangenen Legislatur. Dank und Anerkennung gelten in gleicher Weise der amtierenden Landesregierung, die das Land Thüringen vorangebracht hat und kontinuierlich den Dialog und die Kooperation mit den Kirchen geführt und ausgestaltet hat. Stellvertretend danke ich Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht und Ihnen, Herr Minister Matschie.

Der künftigen, hoffentlich stabilen, Landesregierung wünsche ich für ihren verantwortungsvollen Dienst zum Wohle unseres Landes eine glückliche Hand, Augenmaß und Sachbezogenheit im politischen Streit, verantwortbare Lösungen, wohlwollende, aber auch kritische Begleiter und vor allem Gottes Segen.

Erwarten Sie bitte heute Abend von mir keine Anmerkungen zum Koalitionsvertrag. Ich weiß, dass das Katholische Büro auf familien-, sozial- und bildungspolitische Anliegen der Kirchen aufmerksam gemacht hat und mit den politisch Verantwortlichen im Gespräch ist.


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wünsche Ihnen, in öffentlicher Verantwortung stehend, das Ringen und gute Lösungen für die Menschen in unserem Land sowie den Mut und die Kraft für die notwendigen Entscheidungen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld und freue mich auf die Begegnungen und Gespräche an diesem Abend.

26.11.2014