Nachfolge Jesu bleibt nicht folgenlos

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr  am 3. September 2017 im Dom St. Marien, Erfurt

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
der Abschnitt aus dem Matthäus-Evangelium, den wir eben gehört haben, geht wirklich ans Eingemachte. Es geht um unsere Wünsche und Bedürfnisse. Natürlich wollte Petrus nicht, dass Jesus getötet oder gar nach Recht und Gesetz hingerichtet wird. Das wollte er mit allen Mitteln verhindern. Jesus ruft ihn in die Nachfolge zurück mit starken Worten: "Weg mit dir, Satan. Geh mir aus den Augen!" (Mt 16,23) Wörtlich übersetzt müsste es heißen: "Hinter mich". Die neue Einheitsübersetzung schreibt: "Tritt hinter mich, du Satan!" Jesus ruft also den Petrus hinter sich in seine Nachfolge. Es war für Jesus wohl eine Versuchung, so zu denken wie Petrus. Deswegen bezeichnet er ihn als den Versucher, als den Satan. Jesus will seinen Weg konsequent zu Ende gehen. Davon soll ihn niemand abhalten auch nicht seine Freunde. Deswegen ruft er den Petrus in die Nachfolge zurück. Er schließt einen sehr wichtigen Satz an: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." (Mt 16, 24)

Jesus spricht hier drei Aspekte des christlichen Lebens an:
Das griechische Wort verleugnen meint Nein sagen zu etwas oder zu jemandem. Im Neuen Testament meint es nur Nein sagen zu jemandem, hauptsächlich zur Person Jesu Christi. Aber es gibt auch die Bedeutung zu sich selbst Nein sagen. Dabei geht es nicht nur darum, sich den ein oder anderen kleinen Wunsch nicht zu erfüllen. Dazu sind wir im Leben ohnehin immer wieder herausgefordert.
 Im 2. Timotheus-Brief heißt es: "Wenn wir untreu sind, bleibt Gott oft treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen." (2 Tim 2,13) Die Treue gehört zum Wesen Gottes, das er nicht verleugnen kann. Bei der Selbstverleugnung geht es also nicht nur darum, zu dem ein oder anderen kleinen Wunsch Nein zu sagen, sondern zu etwas Wesentlichem.

Mein Lieblingsfach in der Schule etwa war Physik. Ich hätte mir gut vorstellen können, Elektrotechnik zu studieren, aber ich wollte einen Beruf haben, in dem ich unmittelbar mit Menschen zu tun habe und ihnen helfen kann, dass ihr Leben gelingt. So kam ich auf die Idee, entweder Medizin zu studieren, um Arzt zu werden, oder eben Theologie zu studieren, um Priester zu werden. Das Interesse an Technik habe ich nicht verloren, aber ich habe diesen Wesenszug in mir nicht zur Entfaltung gebracht. Wer mit Jesus durchs Leben gehen will, der wird immer wieder vor solchen Herausforderungen stehen.
Nicht nur derjenige, der den Priesterberuf wählt, sondern auch diejenigen, die in einer christlichen Ehe miteinander leben oder diejenigen, die alleinstehend bleiben oder auf andere Weise ihr Leben Christus weihen. Nachfolge Christi kann bedeuten, auf ein selbstbestimmtes Leben zu verzichten, darauf zu verzichten, Erfolge sehen zu wollen oder viel Zeit für sich selbst zu haben.

Die zweite Forderung christlicher Nachfolge formuliert Jesus so: "Er nehme sein Kreuz auf sich" (Mt 16,24). Dieser Satz musste für die Menschen, die die Worte Jesu unmittelbar gehört haben, dunkel bleiben. Beim Kreuz mussten sie an eine römische Hinrichtungsart denken, bei der der Verurteilte den Kreuzesbalken zu seiner eigenen Hinrichtung schleppen musste. Was das mit der Nachfolge Christi zu tun hat, wird erst nach dem Karfreitag deutlich.
Jesus Christus, der ohne jede Schuld war, wurde im Namen des Volkes zum Tod verurteilt. Er wurde behandelt wie einer, der schlimmste Schuld auf sich geladen hat. Er begab sich hinab in tiefste menschliche oder unmenschliche Abgründe. Auf diese Weise hat er uns von unserer Schuld und von unseren Sünden erlöst. Christusnachfolge bedeutet, dass wir auch mit unserer Schuld und mit unseren Sünden hinter Christus hergehen.

Heute sind sich viele Menschen keiner Schuld bewusst. Viele fragen sich ganz ehrlich, was soll ich denn beichten? Wenn man die Sünden anderer beichten könnte, kämen die Priester aus dem Beichtstuhl nicht heraus. Manchmal ist es sinnvoll, auf die anderen hinzuhören oder sie zu fragen, wo man ihnen nicht gerecht geworden ist oder sie verletzt hat. Auf dem Auge der eigenen Schuld sind wir leider sehbehindert oder blind.

Die dritte Aufforderung Jesu ist eine sehr positive Aufforderung: "Folge mir nach!" (Mt 16,24) Unser christlicher Glaube ist nicht bloß ein Lehrgebäude, vielmehr ist Gott uns in Jesus Christus ganz nahe gekommen. Seit seiner Auferstehung ist Christus bei allen, die sich seiner Gegenwart öffnen.

Die Evangelien schildern ein sehr anschauliches Bild vom Menschen Jesus von Nazareth. Die Entdeckung, dass in ihm Gott selbst in der Welt war, ist und bleibt, ist der große Schatz des Christentums. Jesus Christus lädt euch ein, hinter ihm herzugehen.
Viele Generationen von Christen vor uns haben dies getan und haben im Vertrauen auf Jesus Christus ein sehr erfülltes Leben geführt. Wir glauben und hoffen, dass er sie auch zum ewigen Leben führt.

Wer hinter Jesus herläuft, der muss zwar auf das ein oder andere verzichten, nicht nur auf kleine Wünsche, sondern auch auf große. Er muss bereit sein, auch seine Schattenseiten Christus hinzuhalten. Aber dann gilt ihm auch die Verheißung: "Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen." (Mt 16,25)