Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Landesrabbiner Nachama,
sehr geehrter Herr Professor Schramm,
sehr geehrter Herr Rabbiner Yaacobov,
liebe Mitglieder der Jüdischen Landesgemeinde,
sehr geehrter Herr Landesbischof Kramer,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Ramelow,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
es ist eine sehr große Freude, heute der Jüdischen Landesgemeinde diese Torarolle übergeben zu können und ihre Einbringung in die Synagoge mitzufeiern.
Mein Dank gilt besonders Herrn Rabbiner Yaacobov, der es geschafft hat, die Torarolle bis zum heutigen Tag fertig zu schreiben. Sie haben allen Hindernissen getrotzt. Während des Lockdowns haben Sie für Ihre Kinder gesorgt. Auch eine Schulterverletzung konnte Sie nicht abhalten, mit gestochen scharfer Schrift die Tora zu schreiben.
Mein Dank gilt auch Herrn Landesrabbiner Nachama, der die Idee hatte, das Themenjahr „Tora ist Leben - 900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen“ seitens der Kirchen dadurch hervorzuheben, dass wir der Jüdischen Landesgemeinde und ihrer Synagoge eine Torarolle schenken. Ich muss gestehen, dass wir zunächst verwundert waren, weil wir wussten, dass es in der Erfurter Synagoge eine Torarolle gibt, die die Barbarei der Nationalsozialisten in einem kirchlichen Raum überstanden hat. Aber wir haben dazu gelernt: Beim Fest „Simchat Tora“, das seit dem 14. Jahrhundert begangen wird, werden die Torarollen in einer Prozession, „Hakafot“ genannt, feierlich durch die Synagoge getragen als Zeichen der Freude über die Weisungen Gottes in den fünf Büchern Mose, der Tora. Es ist uns eine große Freude, künftig Ihr Glaubensleben mit einer weiteren Torarolle zu bereichern.
Dankbar bin ich auch für das selbstverständliche und vertrauensvolle Miteinander mit den evangelischen Glaubensgeschwistern. In einem Gespräch mit der damaligen Landesbischöfin Junkermann, dem Vorsitzenden der Jüdischen Landesgemeinde, Herrn Prof. Schramm und mir ist die Idee geboren worden, in unseren Beziehungen zu den Juden in Thüringen nicht nur von der Schoa und dem aktuellen und akuten Antisemitismus zu sprechen, so bedeutend diese Themen sind, sondern auch unsere Freude über jüdisches Leben und jüdische Gottesdienste in der Gegenwart hier in Thüringen zum Ausdruck zu bringen. Das daraus entstandene großartige Themenjahr „Tora ist Leben – 900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen“ wäre ohne die tatkräftige Unterstützung der Landesregierung nicht zustande gekommen. Vielen Dank auch dafür!
Die katholische Kirche hat großen Respekt vor der Bedeutung, die die Tora im Leben der Juden und der jüdischen Gemeinden hat. Die vatikanische Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum hat 2015 Reflexionen zu theologischen Fragestellungen in den katholisch-jüdischen Beziehungen veröffentlicht mit dem Titel „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ (Röm 11,29). Darin heißt es (Nr. 24):
„Gott offenbarte sich in seinem Wort, so dass es von Menschen in konkreten geschichtlichen Situationen wahrnehmbar ist. Dieses Wort lädt alle Menschen zur Antwort ein. Entspricht der Mensch in seiner Antwort dem Wort Gottes, steht er im rechten Gottesverhältnis. Für Juden kann dieses Wort in der Tora und in den auf sie gründenden Traditionen erlernt werden. (…) In dieser Hinsicht erklärte Papst Franziskus: ‚Die verschiedenen christlichen Konfessionen finden ihre Einheit in Christus; das Judentum findet seine Einheit in der Tora. Die Christen glauben, dass Jesus Christus das Wort Gottes ist, das Fleisch geworden ist in der Welt; für die Juden ist das Wort Gottes vor allem in der Tora gegenwärtig. Beide Glaubenstraditionen beziehen sich auf den einen Gott, den Gott des Bundes, der sich der Menschheit durch Sein Wort offenbart hat. Auf der Suche nach dem richtigen Verhalten gegenüber Gott wenden sich die Christen Christus zu, der für sie die Quelle des neuen Lebens ist und die Juden wenden sich der Lehre der Tora zu‘ (Rede an die Mitglieder des International Council of Christians and Jews, 30. Juni 2015).“
In einem großen Moment des jüdisch-christlichen Dialogs antworteten die Konferenz Europäischer Rabbiner, das Oberrabbinat des Staates Israel und der amerikanische Rabbinerverband mit einer Schrift mit dem schönen Titel „Zwischen Jerusalem und Rom“. Darin heißt es:
„Trotz grundlegender theologischer Differenzen teilen Katholiken und Juden den gemeinsamen Glauben an den göttlichen Ursprung der Tora und an den Gedanken einer endgültigen Erlösung und heute auch die Überzeugung, dass Religionen durch moralisches Verhalten und religiöse Erziehung – nicht aber durch Krieg, Zwang oder gesellschaftlichen Druck – ihren inspirierenden Einfluss ausüben sollen.“
In dieser Gemeinsamkeit begegnen wir uns heute bei diesem frohen Ereignis.