Dass es Gott gibt, entdecken wir nicht von alleine

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr am 12. August 2017 auf dem Hülfensberg

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium, den wir gerade gehört haben, ist ein großes Loblied auf den Glauben.

Manche werden es als Zumutung empfinden, dass Jesus dem Glauben alles zutraut. Jeder Gläubige kann davon erzählen, dass der Glaube ihn auch schon enttäuscht hat, dass ein flehentliches Gebet unerhört geblieben ist. Jeder Gläubige wird aber auch von Erfahrungen berichten können, in denen ihn der Glaube getragen hat. Im Gespräch mit Menschen, die den Gottesglauben gar nicht als Dimension ihres Lebens kennen, ist es wichtig, von solchen Erfahrungen zu berichten. Denn wie alle anderen Menschen finden auch wir uns zunächst als lebendige Wesen vor. Wir entdecken die Wirklichkeit des Lebens und die besondere Bedeutung der Personalität unserer Mitmenschen, die etwas ganz anderes ist als die pure Existenz von Gegenständen oder das Leben von Tieren.

Dass es aber Gott gibt, entdecken wir nicht von alleine. Ich habe vor allem meinen Eltern und meiner Familie meinen Gottesglauben zu verdanken. Aber auch meiner Heimatgemeinde in Worms-Herrnsheim und ihrem Pfarrer Klaus Allendorf, sowie anderen überzeugenden Priestern in meiner Heimatstadt Worms. Ihnen habe ich zu verdanken, dass ich Gott kennengelernt habe, oder wie Paulus im Galaterbrief schreibt "Durch sie hat Gott seinen Sohn in mir geoffenbart." (Galater 2,16).

Viele Menschen, die nicht an Gott glauben, oder nicht glauben wollen, befürchten, dass der Gottesglaube ihnen Vorschriften macht für ihr Leben, dass er ihre Freiheit eingrenzt, dass er sie einschüchtert und verängstigt durch Drohungen mit Höllenstrafen. So habe ich den Glauben nie erlebt. Auch in meiner Heimatkirche ist über dem Beichtstuhl das Auge Gottes dargestellt: Ein Auge in einem Dreieck als Symbol dafür, dass der dreifaltige Gott alles sieht. Sicher ist es unangenehm zu glauben, da sieht mich einer, auch wenn ich nasche. Aber ich habe es immer - auch durch die Verkündigung meines Heimatpfarrers - als sehr beruhigend erfahren, dass da einer immer ein Auge auf mich hat und auf mich aufpasst. So ist es für mich geradezu selbstverständlich, dass die Worte "glauben" und "loben" und "lieben" nicht nur im Deutschen sprachlich miteinander verwandt sind, sondern auch inhaltlich zusammengehören. Den Gott und Vater Jesu Christi können wir lieben, ja Jesus hat uns dazu herausgefordert, ihn wie einen guten Vater zu lieben und wir können ihm im frohen Lobgesang dafür danken, dass er uns und unsere Welt ins Leben gerufen hat, dass er uns jeden Atemzug erhält und dass er uns durch seinen Sohn Jesus Christus erlöst hat.

Noch ein weiteres Wort ist nicht nur sprachlich mit dem Begriff "glauben" verwandt, nämlich das Wort "geloben". "Geloben" ist eine besondere Form der Verpflichtung, die unter Umständen die ganze Existenz mit einschließt. Gelöbnisse gibt es auch im Öffentlichen Dienst als eine besondere Verpflichtung gegenüber einem Land. Im religiösen Leben ist ein Gelöbnis oder ein Gelübde ein ganz besonderer Ausdruck der Zuwendung zu Gott, eine existenzielle Antwort auf seine Liebe. Ich verbinde damit einen der wichtigsten Tage meines Lebens, den 9. Januar 1982, als ich im Mainzer Dom bei der Diakonenweihe mein Leben Christus geweiht habe. Aus dieser Lebensweihe an Christus heraus habe ich seither in verschiedenen Funktionen und an verschiedenen Orten der Kirche gedient.

Grundlage ist und bleibt der Glaube an den dreifaltigen Gott, der mir geschenkt worden ist. Ich sehe meine Lebensaufgabe darin, den Glauben von Menschen zu wecken und zu stärken. Ich muss aber auch selbst immer wieder im Glauben bestärkt werden. Deswegen bin ich zum Hülfensberg gepilgert, weil dieser Ort ein besonderer Ort der Glaubensstärke ist.

Seit 650 Jahren ist hier oben ein besonderer Ort, an dem Menschen im Auf und Ab des Lebens Hilfe und Stärkung aus dem Glauben heraus erfahren. Nicht nur das Gnadenbild des Gehülfen spendet Glaubenskraft, sondern auch die besondere Geschichte des Hülfensbergs als ein Ort des Glaubens an das scheinbar Unmögliche. Ich habe Pater Elmar nicht kennengelernt, aber dass er hier oben alleine ausgeharrt hat, beeindruckt mich zutiefst. Die großen Wallfahrten nach der Grenzöffnung haben alle, die daran teilgenommen haben, für immer beeindruckt. Der Glaube hat den Hülfensberg nicht versetzt, aber geöffnet, zu einem Gnadenort und zu einem Ort der Stärkung im Glauben für alle.