„Zusammenfinden“ ist das Gebot der Stunde

Predigt des Erfurter Bischofs Ulrich Neymeyr bei der Bistumswallfahrt zum Erfurter Dom St. Marien

Bild: Peter Weidemann

„ZusammenFinden“ – so lautet das Leitwort unserer diesjährigen Bistumswallfahrt. Aus vielen Dörfern und Städten im Bistum und darüber hinaus haben wir hier auf dem Domplatz zusammengefunden. Viele haben sich schon zuvor in kleineren Gruppen an anderen Orten zusammengefunden und sind gemeinsam hierher gelaufen oder gefahren.

Das Ziel einer Wallfahrt ist es, Gott zu finden. Glücklicherweise gibt es viele Wege Gott zu finden. Im Urlaub in Tirol bin ich auf dem Weg zum Wallfahrtsort Maria Waldrast an einem Denkmal an den früheren Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher vorbeigekommen. Die Inschrift ist ein Satz von ihm: „Viele Wege führen zu Gott, einer davon über die Berge.“ Eine Wallfahrt ist ein ganz besonderer Weg, zu Gott zu finden. Es gibt in unserem Bistum viele Wallfahrten, auch mehrtägige Wallfahrten nach Walldürn, Vierzehnheiligen oder zum Klüschen Hagis. Die Pilgerinnen und Pilger lassen den Alltag hinter sich, verzichten auf Annehmlichkeiten des Lebens und sind ganz bewusst und hellhörig für die Gegenwart Gottes mit Gott unterwegs. Bewährte Gebetstraditionen sind dabei eine große Stütze. Ich möchte an dieser Stelle allen Wallfahrtsleitern danken und allen, die die Wallfahrtsorte in unserem Bistum pflegen und mit geistlichem Leben erfüllen. Für die Pilgerinnen und Pilger ist die Wallfahrt eine Zeit, in der sie Gott mit ganzem Herzen suchen und in der sich die Verheißung des Propheten Jeremia erfüllen kann, die wir in der Lesung gehört haben: „Ihr werdet mich suchen und ihr werdet mich finden, wenn ihr nach mir fragt von ganzem Herzen.“ (Jer 29,11)

Wallfahrerinnen und Wallfahrer sind in der Regel gemeinsam unterwegs und erleben die Zusage Jesu: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) Es ist eine unerlässliche Stütze für unseren Glauben, wenn wir ihn gemeinsam feiern, leben und teilen. „Zusammen finden wir Gott.“ – so könnte das Leitwort unserer diesjährigen Bistumswallfahrt fortgesetzt werden. Wie sehr wir die Gemeinschaft der Christen brauchen, haben wir in der Coronapandemie erleben müssen. Gott sei Dank können wir wieder gemeinsam unterwegs sein, um Gott zu finden. So wie die Männer, von denen wir im Evangelium gehört haben: Vier Männer haben sich zusammengetan und haben Jesus gefunden.

Sie haben einen Gelähmten mitgebracht und haben ihn zu Jesus gebracht. Bei einer Wallfahrt bringen die Gläubigen meist auch Menschen mit, deren Schicksal sie Jesus anvertrauen. Sie tragen sie nicht buchstäblich mit, sondern bringen sie im Gebet vor Jesus hin. Augustinus hat gesagt: „Wer singt, betet doppelt.“ Dann ist eine Wallfahrt ein dreifaches Gebet. Wir haben nicht nur konkrete Menschen, deren Schicksal wir vor Gott hintragen, sondern auch Sorgen, die uns alle bedrücken: Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen, die Coronapandemie, die drohende Klimakatastrophe, die Zerrissenheit der Gesellschaft in unserem Land. All das und anderes mehr tragen wir bei einer Wallfahrt vor Jesus hin. Vielleicht müssen wir auch die Decke durchschlagen: Die Decke unserer Zweifel; die Decke der Gottvergessenheit unserer Zeit; die Decke einer lauten Welt. Die Männer, die den Gelähmten vor Jesus getragen haben, haben zusammengefunden, um den Gelähmten zum Heiland zu bringen, sie haben zusammen Jesus gefunden und sie haben die Hindernisse überwunden, die sich ihnen in den Weg gestellt haben: Die vielen Menschen, die den Weg versperrten und die dicke Decke. Möge uns das auf unserer heutigen Bistumswallfahrt und auf den anderen Wallfahrten auch gelingen.Ich möchte gerne noch den Horizont des Leitwortes unserer diesjährigen Bistumswallfahrt weiten: Die Gemeinschaft der Gläubigen, die zusammenfindet, ist größer als unsere heutige Wallfahrtsgemeinde. Nach der Coronapandemie haben Christen an vielen Kirchorten kreative Ideen entwickelt, um die anderen Gemeindemitglieder, die sich zurückgezogen hatten, einzuladen und auch andere Katholikinnen und Katholiken zu gewinnen, ihren Glauben miteinander zu feiern, zu leben und zu teilen. Ich möchte Sie gerne auf eine große Gruppe von Katholikinnen und Katholiken hinweisen, die unter uns leben, katholisch sind, aber keinen Kontakt zur Kirche vor Ort pflegen: Die Katholikinnen und Katholiken, die aus dem Ausland zu uns gekommen sind. Manche sind zum Studium hier. Manche sind zur Arbeit hier und ihre Familie lebt zu Hause. Viele sind aber auch mit ihrer Familie hierhergezogen und wollen hierbleiben. Die mit Abstand größte Gruppe unter diesen katholischen Mitchristen ist aus Polen zu uns gekommen. Es ist wichtig, auf sie zu zugehen und sei einzuladen, am Leben der Kirche vor Ort teilzunehmen. Gerade über die Kinder lassen sich gut Kontakte knüpfen durch Taufe, Erstkommunion und Firmung. Die katholische Kirche in der thüringischen Diaspora nach der Reformation ist entstanden durch Arbeitsmigranten vor 150 bis 100 Jahren, durch Vertriebene nach 1945 und jetzt wieder durch Arbeitsmigranten. „Zusammenfinden“ ist das Gebot der Stunde.

Lassen Sie mich den Horizont des Leitwortes unserer diesjährigen Bistumswallfahrt noch weiterziehen: Am vergangenen Wochenende hat in Frankfurt am Main die dritte Synodalversammlung des Synodalen Weges in unserem Land stattgefunden. Pfarrer Dr. Bock wird nachher in einer Zwischenveranstaltung davon berichten. Die Synodalversammlung hat gezeigt, dass es unterschiedliche Vorstellungen über den Weg unserer Kirche in die Zukunft gibt. Es ist eine große Herausforderung „synodal“, wörtlich „auf einem gemeinsamen Weg“ zu bleiben. Manches können wir in unserer katholischen Kirche hier in Deutschland selbst gestalten. In vielen Bereichen sind wir aber eingebunden in die Weltkirche. Es gibt keine deutsche katholische Kirche. Wir sind katholische Kirche in Deutschland. Das verhindert nationale Irrwege und Alleingänge und es verhindert, dass die Kirche an die Mächtigen ausgeliefert ist. Das haben diejenigen unter Ihnen, die die SED-Diktatur miterlitten haben, in lebendiger Erinnerung. Auf dem Synodalen Weg, auf den sich die katholische Kirche in Deutschland gemacht hat, wird diese Einbindung in die Weltkirche oft als Hindernis oder gar Fessel empfunden. Für mich ist sie ein wichtiger Anker, der nicht gekappt werden darf, auch wenn wir nicht alles verwirklichen können, was eine Mehrheit der katholischen Bischöfe und der katholischen Gläubigen wünschen. Das Leitwort unserer diesjährigen Bistumswallfahrt erweitert sich so: „Zusammenfinden und zusammenbleiben“.

Bitten wir den Herrn seiner Kirche, dass es er seine Kirche zusammenführt. Das große Sakrament der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn Jesus Christus und miteinander ist das Sakrament der Eucharistie, das wir jetzt miteinander feiern.