Liebe Wallfahrer,
„ich habe dich beim Namen gerufen“ (Jes 43,1) – so lautet das Leitwort der diesjährigen Männerwallfahrt.
Der Name ist etwas existenziell Wichtiges in unserem Leben. Er dient nicht unserer Identifizierung, dazu braucht es noch das Geburtsdatum und den Geburtsort. Der Name ist für unsere Beziehungen wesentlich, denn wir werden mit unserem Namen angeredet und angesprochen. Nur vertraute Menschen sprechen uns mit unserem Vornamen an. Erwachsene werden in der Regel mit ihrem Nachnamen oder mit ihrem Titel angeredet.
Für uns Christen ist es grundlegend wichtig, dass wir nicht nur von Menschen angesprochen werden, sondern auch von Gott, und dass er uns mit unserem Vornamen anspricht. Der Taufname ist der wichtigste Name im Leben eines Christenmenschen, weil es der Name ist, mit dem Gott uns ruft. In der Taufe wurden wir nicht nur in das Erlösungswerk Jesu Christi hineingetaucht, sondern wir wurden von Gott gerufen. Bei der Firmung wird dies erneuert und die Firmlinge nehmen den Ruf Gottes zu einem christlichen Leben an. Als Christen stehen wir in einer sehr persönlichen Beziehung zu Gott. Er ist nicht nur unser Schöpfer und Erlöser, sondern er ruft uns zur Lebensgemeinschaft mit ihm. In diesem Ruf spricht Gott jeden einzelnen Christen ganz persönlich dazu heraus, sein Leben als Christ zu führen, und seine Lebenswelt als Christ zu gestalten.
Diese Berufung durch Gott verbindet uns Christen auch miteinander. Der griechische Begriff für Kirche – ekklesia – heißt wörtlich „Gemeinschaft der Herausgerufenen“. Diese Gemeinschaft der Herausgerufenen ist ein globales Unternehmen.
Ich freue mich sehr, dass Bischof Andrzej Czaja aus Oppeln zu unserer Wallfahrt ins Klüschen Hagis gekommen ist. Verehrter, lieber Mitbruder, ich möchte Ihnen auch hier nochmals danken, für die überaus große Gastfreundschaft, die unsere Jugendlichen beim Weltjugendtag im Jahre 2016 im Bistum Oppeln erfahren haben. Ich freue mich auch, dass es eine bewährte Partnerschaft zwischen den Katholisch-Theologischen Fakultäten in Oppeln und Erfurt gibt. Wir überlegen, wie wir unsere Beziehungen zueinander weiter intensivieren können. Gerade in der Beziehung zwischen Deutschen und Polen hat sich gezeigt, dass die Gemeinschaft der Herausgerufenen stärker ist als Ungerechtigkeit, Verbrechen, Hass und Vergeltung. Es waren maßgeblich die Bischöfe beider Länder, die die Versöhnung zwischen Deutschen und Polen initiiert und gestaltet haben. Diesen Weg wollen wir auch weiter miteinander gehen. Dies fordert uns auch dazu heraus, die historisch gewachsenen Befindlichkeiten wahr- und ernst zu nehmen.
Die ersten Christen haben ihre Gemeinschaft als „ekklesia“ bezeichnet – als Gemeinschaft der Herausgerufenen. Als Christen sind wir aus der Welt gerufen. Wir sind herausgerufen aus der Welt ohne Gott, in der wir in den Weiten der thüringischen Diaspora leben. Die Welt ohne Gott ist keine unmenschliche Welt. Deswegen ist es eine Versuchung, sich dieser Welt anzupassen und die Gemeinschaft mit Gott nicht mehr zu pflegen. Eine Wallfahrt ist auch die Herausforderung zu einer ehrlichen Bestandsaufnahme des alltäglichen Lebens: Kommt Gott darin überhaupt noch vor?
Als Christen sind wir zwar aus der Welt herausgerufen, aber wir leben im Staat. In einem Brief aus dem zweiten Jahrhundert, dem sogenannten Diognetbrief, vergleichen sich die Christen mit der Seele im Körper: Was die Seele im Körper ist, das sind die Christen im Staat. Dieses Bild setzt voraus, dass der Staat Vielfalt ermöglicht. Das ist unsere grundlegende Forderung an den Staat. Rechte Parteien wollen dagegen ihre Vorstellungen vom Volk oder vom christlichen Abendland allen aufoktroyieren und diejenigen, die nicht dazu passen, wegschicken. Linke Parteien wollen den Einfluss des Staates, der ihrem Gesellschaftsbild entspricht, ausweiten und freies zivilgesellschaftliches Engagement zurückdrängen. Wir wollen in einem Staat, der Vielfalt ermöglicht, unsere christliche Berufung leben und einbringen, im frohen Bewusstsein, dass wir von Gott beim Namen gerufen sind.
Wir antworten auch auf diesen Ruf Gottes. Auch wir rufen Gott an. Wir sprechen zu ihm. Wir beten zu ihm. Üblicherweise verwenden wir dabei aber nicht den Namen, den Gott dem Moses im brennenden Dornbusch offenbart hat. Die Juden sprechen diesen Namen grundsätzlich nicht aus und schreiben ihn auch nicht. Auch wir Christen sind dabei sehr zurückhaltend. Das zweite Gebot gilt Juden wie Christen: Du sollst den Namen Gottes nicht missbrauchen! Es ist ein Zeichen unserer Ehrfurcht, dass wir den Namen nicht gebrauchen, den Gott im brennenden Dornbusch Moses geoffenbart hat. Wir sprechen ja auch die wichtigsten Menschen in unserem Leben nicht mit ihrem Namen an. Auch als Erwachsene sagen wir zu unseren Eltern Vati oder Papa, Mutti oder Mama, aber nennen sie nicht bei ihrem Vornamen. Auch dies ist ein Zeichen der Ehrfurcht vor den Eltern. Diese Ehrfurcht ist uns im vierten Gebot aufgetragen: Du sollst Vater und Mutter ehren!
Jesus hat uns nicht nur erlaubt, sondern auch dazu eingeladen, den allmächtigen Gott mit Vater anzurufen. Ja mehr noch, wir dürfen ihn Abba nennen – ein hebräisches Wort, das im Deutschen mit Vati oder Papa wiedergegeben werden kann.
Zum Gottesnamen hat Dietrich Bonhoeffer geschrieben: „Gott ist für uns nicht ein allgemeiner Begriff, mit dem wir das denkbar Höchste, Heiligste, Mächtigste bezeichnen, sondern Gott ist ein Name. Es ist etwas anderes, wenn Heiden Gott sagen als wenn wir, zu denen Gott selbst gesprochen hat, Gott sagen. Gott ist für uns unser Gott, der Herr, der Lebendige. Gott ist ein Name und dieser Name ist das größte Heiligtum, was wir besitzen. Denn wir haben in ihm nicht etwas Selbsterdachtes, sondern Gott selbst in seinem ganzen Wesen in seiner Offenbarung. Wenn wir Gott sagen dürfen, so allein darum, weil Gott sich in unbegreiflicher Gnade uns zu erkennen gegeben hat. Wenn wir Gott sagen, so hören wir ihn gleichsam selbst zu uns sprechen, uns rufen, trösten, uns gebieten. Wir spüren ihn an uns handelnd, schaffend, richtend, erneuernd. (…) Das Wort Gott ist gar nichts. Der Name Gott ist alles.“
(Dietrich Bonhoeffer, Konspiration und Haft 1940-1945, DBW Band 16, S.666f.) Die Ehrfurcht vor dem Namen Gottes prägt seit Jahrhunderten das Eichsfeld, nicht nur durch die schönen Kirchengebäude, die Kapellen, Bildstöcke und Kreuzwege, sondern auch durch die vielen Prozessionen und Wallfahrten, durch die Tausende ihre Ehrfurcht vor Gott bekunden. Hauptsächlich bekunden sie ihre Ehrfurcht vor Gott natürlich gegenüber Gott selbst, aber sie bekunden ihren Glauben auch in die Gesellschaft hinein, dem Kulturkampf, dem Nationalsozialismus und dem Sozialismus zum Trotz.
Auch unsere freiheitlich demokratische Gesellschaft, in der wir Gott sei Dank leben dürfen, braucht dieses Zeugnis. Ich danke Ihnen dafür, sei es bei der bewegenden Passionsprozession in Heiligenstadt, bei den Wallfahrten auf dem Hülfensberg und in Etzelsbach, bei der Frauenwallfahrt auf dem Kerb’schen Berg oder heute hier bei der Männerwallfahrt zum Klüschen Hagis. „Gott ist ein Name. Es ist etwas anderes, wenn Heiden Gott sagen als wenn wir, zu denen Gott selbst gesprochen hat, Gott sagen. Gott ist für uns unser Gott, der Herr, der Lebendige. Gott ist ein Name und dieser Name ist das größte Heiligtum, was wir besitzen.“ (Dietrich Bonhoeffer a.a.O.)