Caritasdirektor Bruno Heller
Interview mit Caritasdirektor Heller zum Caritastag im Elisabeth-Jahr
Der Caritastag versteht sich als Ergänzung zum Pastoraltag. Was sind die Schwerpunkte?
Heller: Der Caritastag steht unter dem Leitwort: "Elisabeth bewegt - zur Liebe, die verkündet." Es geht also schwerpunktmäßig um die Verkündigung. Unser alltägliches Tun in den mannigfaltigen Einrichtungen und Diensten - die liebende Zuwendung zum Nächsten - ist Verkündigung. Dabei stehen wir oft und sehr engagiert an den Rändern der Gesellschaft, da wo Menschen vergessen, ausgegrenzt und abgeschrieben sind. Wir wollen an diesem Tag über die Quellen und Wurzeln unseres Dienstes nachdenken und darüber, wie wir mit Zweifel und Mißerfolg umgehen.
Darüber hinaus wollen wir uns aber auch weitergehenden Fragen stellen: Sprechen wir haupt- und ehrenamtlichen Caritas-Mitarbeiter/innen an geeigneten Orten über Gottes Güte und Liebe? Sprechen wir über den Glauben einer Heiligen Elisabeth, der sie trug und ihr Halt und Stütze gab; sprechen wir davon, was uns trägt? "Gönnen" wir den Mitmenschen unsere Glaubenszuversicht oder schämen wir uns in dieser scheinbar gottlosen Zeit? Bleiben wir der Welt unser verbales christliches Zeugnis nicht all zu oft schuldig? Dabei ist und bleibt es unverzichtbar, dass das christliche Profil einer Caritaseinrichtung oder eines Beratungsdienstes von allen mitgetragen und gefördert wird. Es geht um das christliche Menschenbild, das für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gültig ist.
Ganz pragmatisch könnte man fragen: Was unterscheidet die Caritas von einem anderen Anbieter sozialer Dienstleistungen? Ein wenig salopp gefragt: Da wo Caritas dran steht, muss da nicht auch Caritas drin sein? Nach dem Festgottesdienst im Erfurter Dom gibt es im ersten Teil des Tages zwei Referate. Es sprechen der Präsident des Deutschen Caritasverbandes Dr. Peter Neher und unsere Bischof Dr. Joachim Wanke. Danach folgt ein weiterführendes offenes Podium, bei dem es um "die große Sicht" geht. Im zweiten Teil laden wir dann alle ein, sich in verschiedenen Dialogangeboten zu den Themen Not, Projektarbeit, Ehrenamt und Kinder mit ihren Fragen und Erfahrungen einzubringen.
Wie schätzen Sie die Situation in den Einrichtungen der Caritas ein. Was unterscheidet beispielsweise ein Caritas-Altenheim?
Heller: Die Caritas steht im Meinungsbild der Gesellschaft meist hoch im Kurs. Das belegen deutschlandweit Umfrageergebnisse. Dazu kommt auch im Osten ein recht hoher Bekanntheitsgrad. Wertschätzend geachtet wurde zu jeder Zeit der Einsatz für Randgruppen, der Dienst und die Lobbyarbeit für Behinderte, Alte und Kranke. Oft wurde das Bild von den zerfaserten Rändern in feststehenden Milieus bemüht. Caritas erreicht in diesen Randzonen Menschen, die mit der Kirche sonst niemals Kontakt bekommen hätten.
Das war und ist auch heute eine große Chance für die Kirche und für die Verkündigung, denn im Bereich der Erfurter Diözesancaritas gibt es heute gut 4.600 Mitarbeiter/innen, die in allen Bereichen der Sozialarbeit tätig sind. Kirche legt Hand an und zeigt, dass sie in zentralen Lebensbereiche der Menschen präsent ist. Seit längerer Zeit hat die Caritas im Bistum den Slogan formuliert: Caritas - Kirche mittendrin. Das ist unser Anspruch: Wir wollen Kirche mitten unter den Menschen, mitten in der Gesellschaft für alle greifbar machen, bildlich gesprochen: Wir wollen mit dazu beitragen, den Himmel für allen Menschen - ob einsam, ratlos, ausgegrenzt oder hoffnungslos, offen zu halten; entsprechend dem christlichen Menschenbild und ganz in der Tradition unserer Bistumspatronin.
Und jetzt kommen wir zu einer entscheidenden Frage: Woher nimmt der gläubige Mensch die ausdauernde Kraft für die Hinwendung zum Nächsten? Die Kraft einer Schwester in einer Sozialstation - Tag für Tag, im abgerechneten Minutentakt, bei stark wachsender Bürokratie, bei einem Arbeitgeber, der zu Schnelligkeit und Sparsamkeit mahnt, dem Nächsten gut zu sein - ihm liebende Zuneigung zu schenken? Aus welcher Quelle speist sich der Dienst der Mitarbeiter ? Diese Frage stellt sich im Ü;brigen auch für Ehrenamtliche. Und es geht auch um die Frage: Wie geht es den Mitarbeitern, die keiner christlichen Kirche angehören? Antworten auf diese Fragen sind nicht immer leicht zu formulieren, vieles muss und kann nur vor Ort geregelt werden, aber es gibt hilfreiche Stichworte.
Dazu zählen: Glaubenszuversicht und Gottvertrauen, Führungsqualität, Transparenz und Vorbild, Dienstgemeinschaft, Kompetenz, Verbindlichkeit und Loyalität. Und es zählt das gute Wort, das Lächeln zur rechten Zeit an der richtigen Stelle. Es sind mitunter Kleinigkeiten, die oft so viel bewirken können. Das klingt einfach und ist oft so schwer. Für den Bereich der Altenhilfe haben wir die Rahmenbedingungen neu geordnet. Heute gibt es für die 18 Altenhilfeeinrichtungen zwei Trägergesellschaften: eine im Eichsfeld und eine in der Diaspora, die sich den Herausforderungen unserer Zeit zukunftstorientiert stellen.
Das christliche Profil, der Unterschied zu anderen sozialer Trägern, muss - wie bereits erwähnt - Aufgabe und Anliegen aller Mitarbeiter sein. Dabei praktizieren wir seit vielen Jahren ein gutes Miteinander im ökumenischen Geist und unter Einbeziehung der konfessionslosen Mitarbeiter. Ich möchte eine Anregung unseres Bischofs an dieser Stelle gern aufnehmen und weitergeben, dass man diese fast modellhaften Erfahrungen im Miteinander gesamtdeutsch aufarbeiten und kommunizieren sollte.
Kann hauptamtliche Caritas auch die Seelsorge in den Blick nehmen?
Heller: Haupt- und ehrenamtliche Caritas kann und will natürlich die Seelsorge in den Blick nehmen. Caritativer Dienst, beratend oder helfend, ist seelsorglich angelegt. Anders gesagt: Caritas und Pastoral sind zwei Seiten einer Medaille. Es ist wohl unstrittig, dass unser Glaube uns zur tätigen Nächstenliebe drängt. Es gibt eine christliche Verantwortung zur Hilfe für Menschen in Not. Die mitunter schwierige Situation unserer Mitmenschen ist uns in der Regel eben nicht egal, sie läßt uns auch nicht kalt. Im Gegenteil: Katholiken (Christen) engagieren sich überdurchschnittlich im Ehrenamt und spenden viel und viel häufiger als Nichtchristen. Da ist es völlig egal, ob wir im pastoralen oder im caritativen Dienst stehen. Im Gegenteil, jede und jeder will seinen ganz spezifischen Beitrag einbringen, um Not zu lindern.
Mit welchem Ziel? Es geht wohl letztendlich um mehr als Gesundheit, um Wohlergehen, eine gefüllte Geldbörse oder um das persönliche Glück - zweifelsohne nicht unwichtig - aber, es geht um mehr, es geht um das "Heil" für jede und jeden. Dieser Ansatz klingt fromm, aber er trägt, denn "Heil" meint entschieden mehr als Gesundheit. Dieser "Heilsaspekt" verbindet Caritas und Seelsorge. Der Caritasverband für das Bistum Erfurt hat diesen "Heilsgedanken" als so entscheidend erachtet, dass er in das Leitbild aufgenommen wurde. Dieses Leitbild hängt heute in vielen Eingangsbereichen der Sozialeinrichtungen und Diensten. Und davor findet sich oft das Caritaslogo. Ich wandle jetzt den Spruch vom Caritaszeichen an der Tür mal ein wenig "pastoral" ab: Da wo das Kreuz vom Turm ragt, muss auch der gute Geist Gottes wehen, ein Geist der nicht ausgegrenzt, der nicht verurteilt, ... sie können die Reihe beliebig fortführen.
Haben Sie Erwartungen an die Pfarrgemeinden vor Ort ?
Heller: Dazu ist beim Pastoraltag schon vieles gesagt und auch in ihrer Zeitung publiziert worden. Eines ist mir aber ganz wichtig: Gemeinden, besser der einzelne Christ, darf die Augen für die Not der Mitmenschen nicht verschließen. Es gibt Ausgrenzung, Einsamkeit und Isolation, echte Not und Armut mitten in der Gesellschaft. Gemeinde sollte für diese Wahrnehmung aber auch sensibel sein. Das kostet Aufmerksamkeit und Zeit. Daraus muss dann Engagement erwachsen, das sich in der Gemeinschaft ja bedeutend leichter Tragen läßt als allein. Diese christliche Verantwortung kann der einzelnen Christ nicht einfach an den Pfarrer, den Pfarrgemeinderat oder die Caritas delegieren, die dafür im Meinungsbild vieler doch wohl zuständig seien.
Hilfe in konkreter Not ist nicht einfach delegierbar. Hier gilt die Subsidiarität, die besagt, dass immer die jeweilige Ebene zuständig ist. Erst wenn eine Gemeinde überfordert ist, greift die nächste Ebene, dann ist zum Beispiel verbandliche Caritas in Form von Schuldner-, Sucht- oder Erziehungsberatung gefragt oder der Dienst einer spezielle Sozialeinrichtung. Ich wünsche mir die Nähe der verbandlichen Caritas zur Pfarrgemeinde, den Austausch und das Wissen voneinander. Die gepflegte Beziehung kann für beide Seiten nur befruchtend sein und zeigt der Gesellschaft, dass Kirche Hand anlegt und somit in zentralen Lebensfeldern der Menschen präsent ist. Das wir gemeinsam in der weltweiten Hilfe von Omsk bis Afrika Großartiges leisten, ist in vielen Gemeinden nicht nur durch großzügige Kollekten belegbar.
Wir kann es nach den beiden Tagen mit der Caritas im Bistum Erfurt weitergehen?
Heller: Vier Aspekte sind mir wichtig: Zum einen möchte ich an den Gedanken unseres Bischofs zur Schaffung von Caritasteams in den Gemeinden erinnern. Sie können eine Art Seismographen zur Wahrnehmung von Not im konkreten Umfeld der Pfarrei sein. Ähnlich sieht ja die Arbeit unserer Caritashelferinnen und Helfer aus. Sie stellen Kontakte her, machen auf Not aufmerksam und helfen pragamatisch dort, wo Hilfe gebraucht wird. Damit es nicht zu Ü;berforderung kommt, sollte die verbandliche Caritas mit im Boot sitzen. Wichtig ist hierbei auch die Anerkennung und Begleitung ehrenamtlicher Arbeit.
2. Caritas erreicht in den Randzonen verschiedener Milieus unserer Gesellschaft Menschen, die mit der Kirche sonst niemals Kontakt bekommen hätten. Das bleibt eine große Chance für die Kirche und für Verkündigung. Das modellhafte Miteinander der Dienstgemeinschaft in unseren Häuser und Diensten sollte für andere Interessenten aufgearbeitet werden.
3. Haupt- und ehrenamtliche Caritas zeigt der Welt unübersehbar, dass Kirche Hand anlegt und in den zentralen Lebensfeldern der Menschen präsent ist; ganz im Sinn der Heiligen Elisabeth. Dazu bedarf es aber auch der Rahmenbedingungen die Staat und Kirche schaffen müssen. Wer Dienste und Einrichtungen ständig neuen finanziellen "Kürzungswellen" aussetzt, kann nicht auf Dauer gleiche Qualität, Kompetenz, Innovation und Leistungsfähigkeit einfordern.
4. Abschließend möchte ich daran erinnern: Wenn wir erwarten, dass andere gut über Caritas und Kirche denken und reden, müssen wir selbst gut denken und reden. Wir sind die erlebaren Glaubensboten Gottes in dieser Welt. Und dabei gilt: Wenn jeder an seinem Platz gut denkt, redete und das ihm Mögliche tut, dann können wir mit Gottes Hilfe Berge versetzen. Was hat Elisabeth getan? Sie hat angefangen!
Interview: Caritas Pressedienst; Katholische Wochenzeitung "Tag des Herrn"
Liebe und Verkündigung. Caritastag im Elisabeth-Jahr