Vortrag von Bischof Wanke "Die Kirche und ihr bauliches Erbe..."

Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz tagt in Erfurt zum Thema "Nichts für die Ewigkeit? Kirchengebäude zwischen Wertschätzung und Altlast"

Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz veranstaltet vom 5. bis 7. Oktober in der Erfurter Brunnenkirche eine Tagung zum Thema "Nichts für die Ewigkeit? Kirchengebäude zwischen Wertschätzung und Altlast". Zur Eröffnung der Tagung mit Referenten und Gästen aus mehreren europäischen Ländern sprechen der Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel und die Präsidentin des Thüringer Landtages, Christine Lieberknecht, Grußworte.

"Die Kirche und ihr bauliches Erbe ..." ist am Donnerstag, 5. Oktober, der erste thematische Block. Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag "... aus der Sicht der katholischen Kirche" von Bischof Dr. Joachim Wanke, Erfurt.

Die Kirche und ihr bauliches Erbe ...... aus der Sicht der katholischen KirchevonBischof Dr. Joachim Wanke
"Beklemmung kommt auf, führt man die Phantasie in Versuchung sich vorzustellen, was da dem Untergang preisgegeben wird. Diese Kirchen waren über Jahrhunderte das erste und das letzte, was man sah, wenn man sein Dorf verließ oder sich mit klopfendem Herzen nach Jahren wieder näherte ... ."

Hier spricht Gottfried Kiesow, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, ein Denkmalpfleger im besten Sinne des Wortes, offenbar von einer besonderen Gattung unter den Denkmalpflegern.

Das Wort "Denkmal" ist ein guter Begriff. Denn es geht nicht nur um Steine, Holz, gestaltete Materie sondern es geht um Denken, um Eingedenken, um Gedächtnis. Das Gedächtnis braucht aber einen Haftgrund.
Im Zeitalter der Beschleunigung werden die Spuren der Vergangenheit zum knappen Gut. Je mehr und je schneller sich alles ändert, um so wichtiger wird unsere Verankerung, wenn wir nicht mitgerissen werden wollen von einer immer schnelleren Strömung.
Der Beschleunigungsdruck, den wir alle spüren, enthält einen Imperativ, der befiehlt: "Du musst mithalten, du darfst dich nicht abhängen lassen!" Da kann schon Angst aufkommen. Vielleicht ist es diese Beschleunigungsangst, die viele unserer Zeitgenossen daran hindert, innezuhalten und die Frage zu stellen: "Wo komme ich her?"

Mit dieser Frage sind wir auf der Spur zu einem überindividuellen, überpersönlichen Zusammenhang unseres Lebens, auf den ich gleich zurückkomme.

Wenden wir uns zuvor den Bauten zu, deren Schicksal Gottfried Kiesow und uns so am Herzen liegt. Es handelt sich um Räume, die mit ihren Plätzen und Zuwegungen, Mauern und Türmen, Ausstattungen und Bildern uns anzeigen, dass sie besondere Räume sind.

Sie sind "aus dem Boden der Tatsachen herausgesprengt", ausgegrenzter Freiraum. Hier werden nicht im üblichen Sinne die menschlichen Bedürfnisse befriedigt, hier werden keine Waren produziert oder gelagert, keine Dienstleistungen erbracht, hier wohnen keine Menschen. Es sind in einem elementaren Sinn funktionslose Räume, oder um es mit Thomas Mann paradox zu formulieren, Räume, deren Funktion die Darstellung des "Ü;bernützlichen" ist.

Das Besondere an diesen Räumen besteht darin, dass christliche Gemeinden in diesen "übernützlichen", nicht normalen Räumen die unsichtbare Gegenwart Gottes feiern. Es geht mit diesen Bauten seit 2000 Jahren um eine Zusage dieses Gottes, die Zusage nämlich, dass er für jeden einzelnen Menschen da sein will.
Am Sinai hörte Mose erstmals den Namen Gottes, der zunächst wie eine Namensverweigerung klingt und doch diese ungeheure Zusage enthält: "Ich bin der: Ich bin da".

Braucht dieser für die Menschen aller Zeiten da-seiende Gott ein Haus?

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof DDr. Karl Lehmann hat vor kurzem in einem Gespräch mit Architekten und Künstlern diese Frage so beantwortet: "Nein, Gott braucht kein Haus, aber wir, wir brauchen einen Platz zum Zeichen dafür, dass Gott unter uns ist."

Diese übernützlichen und heiligen Freiräume unterliegen natürlich den gleichen Gesetzen der Schwerkraft und Ökonomie wie alle anderen Räume auch. Wir sind hier zusammengekommen, um Informationen und Ideen auszutauschen und Wege zu suchen, wie diese Räume für uns und unsere nachfolgenden Generationen erhalten bleiben können, auch bei einer zunehmend säkularisierten und ökonomisch orientierten Lebensweise.

Von den großen Kathedralen des Mittelalters ist bekannt, dass ihr Fassungsvermögen in der Regel ein Vielfaches der Einwohnerschaft ihrer Stadt betrug. Erfurt besaß um 1500 bei ca. 20.000 Einwohnern 80 bis 90 Kirchen und Kapellen. Spätestens seit dieser Zeit prägt die Stadtkrone von Dom und St. Severi als Zeichen für die Verbindung von Himmel und Erde das Bild dieses Ortes. Was für eine Verschwendung! Was für ein luxuriöser Exzess! Aber sind es nicht diese Exzesse, in Holz, Glas, gespanntem, gewölbtem und behauenem Stein, die bis heute das Staunen auch derer hervorrufen, die im Einzelnen nicht mehr jede der dargestellten Legenden kennen, die oft nur mit gewissen Ahnungen und ohne die große Geschichte des Evangeliums und die vielen einzelnen Geschichten präsent zu haben, diese Räume betreten? Spüren sie noch etwas von dem eingangs erwähnten Versprechen des "Ich bin der: Ich bin (für euch) da"?

Mir als katholischem Bischof geht es um dieses Nachspüren und Vermitteln des Gottesgeheimnisses mitten in unserer so weltlich gewordenen Welt. Deshalb kommt für mich eine irreversible Umnutzung von Kirchen zum Kinosaal, zumRestaurant, zur Bibliothek oder zum Büro, also einer ökonomischen, sich rechenbaren Funktion, der Aufgabe dieser Verheißung gleich. Unser Tagungsort, die Brunnenkirche, weist eine reversible Alternative auf und zeigt uns noch einen - häufig nicht mehr nachvollziehbaren - Aspekt auf:

Wir kennen alle Beispiele, wo heilige Orte eine seltsame Kontinuität entwickeln, zum Beispiel im hessischen Fritzlar, wo eine Donareiche verehrt wurde und heute ein Dom steht. Der missionarisch engagierte südenglische Benediktinermönch Winfried, uns besser unter seinem späteren Namen Bonifatius bekannt, hat diese Kontinuitäten in besonderer Weise gepflegt.
Auch diese Brunnenkirche geht wohl auf ihn zurück, weil er an diesem vorchristlichen Kultplatz (vermutlich der Wassergöttin Siva) das Brunnenwasser zur Taufe nutzte.
In San Clemente in Rom findet sich in der tiefsten Unterkirche ein Mithrasheiligtum, darüber eine frühchristliche Kirche, darüber wieder eine mittelalterliche usw.
In der tiefen Krypta von Chartres, einer Kathedrale, die der Gottesmutter geweiht ist, findet sich das vorchristliche Heiligtum einer Muttergottheit.
So sehr der von mir eingangs entwickelte Gedanke der ausgrenzenden Funktionslosigkeit mit der Gründungsgeschichte unseres Monotheismus verbunden ist, so wenig ist der temenos, der eingefriedete, heilige Bezirk ein exklusiver Besitz der Christen. Der Umgang mit dem Heiligen gehört zur Geschichte der Menschheit.

Ist es nicht eigentlich tragisch, dass wir offensichtlich im beschleunigten, vernetzten Zugriff auf die ganze Welt die überlieferten heiligen Orte vor unserer Haustür, in unserer engsten Nachbarschaft vernachlässigen?

So unterscheiden sich die Hoffnungen und Sorgen eines katholischen Bischofs offenbar nicht wesentlich von den Gedanken des Denkmalpflegers Kiesow. Die einsamen Kirchen, die ihre Türme wie Merk- oder Wahrzeichen in den Himmel strecken, sollen stehen bleiben! Sie sind echte Denkmale, an die sich Memoria, eine Gedächtniskultur anheften kann. Wenn sich keine Gemeinden mehr finden, die sie, wie man inzwischen sagt, "bespielen" können, dann müssen sich Vereine oder Patenfamilien finden, die dann auch öffentliche Anerkennung und Förderung verdienen.

Zwei Beispiele möchte ich anführen und vielleicht auch Ihren Beiträgen vorwegnehmen, die das eben Gesagte differenzieren:

Die alte Klosterkirche Unserer lieben Frauen der Prämonstratenser in Magdeburg, die sogar noch das Grab des Hl. Norbert, des Ordensgründers beherbergt, ist in einem unguten Sinne purifiziert, das heißt bis auf die unmittelbare Raumhülle entleert worden. Der frühere Chorraum gibt heute sofort zu verstehen: Du bist hier nicht in einer Kirche.

Das kann man auch anders machen. Ebenfalls seit der Säkularisation ungenutzt und verstaatlicht, hat die Kirche der berühmten Zisterzienserabtei Eberbach im Rheingau sogar wieder einen einfachen Altar und ein Kreuz erhalten. Der Raum verleugnet nicht, dass es sich um eine Kirche handelt, auch wenn dort - vor allem während des Rheingau-Musikfestivals - große Konzerte veranstaltet werden.

Lasst die Kirchen Kirchen sein, damit die leise Sprache der Steine nicht untergeht im großen Lärm, den zur Zeit ein Ökonomismus veranstaltet, der im Begriff ist, uns alle zu vereinnahmen. Wer nach Umnutzung und einer Funktion sucht, fragt schon danach, ob eine Sache "sich rechnet". Will es sich unsere Gesellschaft leisten, Gebäude zu erhalten, die sich nicht rechnen und doch Geld kosten?

Und wer bezahlt, was sich nicht rechnet?

Das Erzbistum München und Freising kann bislang jährlich mehr als 100 Mio. DM an Zuschüssen für den Erhalt von Bauten oder die Pflege kirchlichen Kunstguts investieren. Das vergleichsweise kleine Bistum Fulda in wirtschaftlich überwiegend schwacher Region bringt zusammen mit den Kirchengemeinden bei rund 460.000 Katholiken jährlich mehr als 40 Mio. DM auf, um mittelalterliche, barocke oder neuere Bauten zu pflegen, die als Kulturgut gesetzlich, also staatlich geschützt sind. Zwei Dommuseen, deren Bestände teilweise von überregionaler Bedeutung sind, werden hier weitab von Großstädten unterhalten.
Mein Bistum Erfurt mit rund 200.000 Katholiken und ungefähr 300 Kirchen und Kapellen gehört sicher zu den kleinsten Bistümern in Deutschland. Unsere Aufwendungen zum Erhalt unserer historischen Bauten liegen stets an der Grenze unserer Möglichkeiten, wenn man bedenkt, dass dafür z. B. 1999 ca. 12 Mio. DM aufgewendet wurden und die Kirchensteuereinnahmen im gleichen Zeitraum ca. 23 Mio. DM betrugen.
Die Frage, wer bezahlt, ist berechtigt, wenn ich an meine Bischofskirche, den Mariendom hier in Erfurt denke. Da werden auf dem Domberg in den nächsten zehn Jahren ca. 30 Mio. DM für die Sanierung benötigt, nicht gerechnet die Aufwendungen für die übrigen res sacrae und das bewegliche Kulturgut.

Man darf von einer Summe deutlich über einer Milliarde DM sprechen, will man den Einsatz für die Denkmalpflege der katholischen Kirche in Deutschland in nüchternen Zahlen beschreiben. Noch dürften die Kirchen in der Bundesrepublik - die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen - mit ihren Investitionen in Bau- und Kulturdenkmale durch die Mehrwert- und Energiesteuern dem Staat sehr viel mehr zuführen, als an staatlichen Zuschüssen den Kirchen für ihre Baudenkmale wieder zurückfließen.

Mir ging es besonders darum, Nachdenklichkeit zu erzeugen und mich gegen allzu forsche Umnutzungsstrategien auszusprechen. Eine Dorfkirche, in der nicht jeden Sonntag ein Gottesdienst gefeiert werden kann, bleibt ein Wahrzeichen, ein Denk-Mal. An ihr ist genauso viel funktionslos wie an der überdimensionalen mittelalterlichen Kathedrale in der Ile de France.

Wir wissen inzwischen von den Soziologen, dass eine Säkularisierung im Sinne des Verschwindens von Religion nicht stattfindet. Der Mensch ist wohl "unheilbar religiös". Offensichtlich gibt es dabei, wie Johann Baptist Metz es formuliert hat, auch viele neue Formen gottloser Religiosität, ohne das "Ich bin der: Ich bin da", wie es Moses erfahren hat. Diesen Gott können wir nicht programmieren, er hat keinen genetischen Code, der zu entschlüsseln wäre ...

Neben den leerer werdenden Kirchen erleben wir weltumspannende kirchliche Jugendtreffen wie kürzlich zum Heiligen Jahr in Rom. Wir sehen eine Renaissance der Wallfahrten, mit der noch vor wenigen Jahren niemand gerechnet hätte. Viele der berühmten Stationskirchen auf dem Weg nach Santiago de Compostela, die seit dem Mittelalter eigentlich funktionslos waren, sind plötzlich wieder bevölkert und besucht. Wenn eine solche heilige Stätte erhalten bleibt, entwickelt sie einen seltsamen Magnetismus und eine eigene Dynamik, von der auch die Kirche gelegentlich überrascht wird. Dann kommt es nur darauf an, den Begriff der Funktion etwas weiter zu fassen. Wenn wir erklären müssen, weshalb wir für einen alten Sakralbau Geld ausgeben sollen, dann sollten auch Vokabeln ihr Recht behalten, die nichts mit dem "return on investment" zu tun haben. Ist das pure Erinnern nicht schon eine - allerdings spezifisch menschliche - Funktion und wäre es nicht falsch, den Begriff der Funktion rein ökonomistisch so zu verstehen, dass es nur um die marktfähige Befriedigung von Bedürfnissen geht? Wer nur fragt, was kann in einer nicht mehr benötigten Kirche funktionieren, was wird sich rechnen, der geht vom Status quo aus und lässt weder der Vergangenheit noch der Zukunft ihren Raum.

Alte Kirchen werden auch von Touristen gerne besucht. Das Land Sachsen-Anhalt und andere Länder haben wohl französischen Beispielen folgend, Rund-wege zu romanischen und gotischen Kirchen für Touristen ausgewie-sen. Dieses antiqua-rische und kunsthistorische Interesse muss nicht gegen das spiritu-elle Interesse ausge-spielt werden. Hier gibt es gleitende Ü;bergänge. Die Päpstliche Kommission für die Kulturgüter der Kirche, deren Präsident Erzbischof Marchisano uns mit seiner Anwesenheit beehrt, hat weltweit empfohlen, sich den Touristen ge-genüber einladend zu verhalten. Man kann, wie das unter dem Stalinismus gelegentlich geschehen ist, Kir-chen in Museen des Atheismus verwandeln und Führungen so veranstalten, dass Kir-chen, die von ihren Erbauern "zur größeren Ehre Gottes" gebaut wurden, zu Denkmä-lern der Ausbeutung von Werktätigen werden. Man kann aber auch von unseren Vor-fahren mit Empathie sprechen und so, dass man erkennt, dass es Kontinuitäten gibt, die auch für den gelten, der nicht im engen Sinne gläubig ist.

So darf ich am Schluss dem Deutschen Nationalkomitee für diese Tagung danken und einen guten Verlauf wünschen, uns allen aber einen interessanten Austausch der Erfahrungen, die wir mit der Wertschätzung und Last unserer Kirchengebäude gemacht haben.

Schließen möchte ich mit dem Wunsch, dass unsere Kirchengebäude, in denen Gebet und Liturgie die Aura des geformten Steins ausmachen, Orte spiritueller Kraft, Ausstrahlung und göttlicher Gemeinschaft bleiben können.


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