Erfurt (BiP). Eines ist sicher: Wenn Wolfgang Lukassek 1956 seine Eltern nicht überzeugt hätte, ihn nach Erfurt gehen zu lassen, wäre er heute nicht Leiter des Bischöflichen Bauamtes. Damals wollte der 16-Jährige nur eines: raus aus dem Eichsfeld, das ihm zu eng geworden war, und rein in die Stadt. Da der Vater als Bahnhofsvorsteher von einem Ort des Eichsfeldes in den nächsten wechselte und mit einem Umzug in eine größere Stadt nicht zu rechnen war, musste Wolfgang selbst aktiv werden. Sein Ziel hieß Erfurt, das er von den Wallfahrten zum Dom, den einzigen Reisen der Familie, kannte. "Ich habe mir einfach nach der 10. Klasse eine Lehrstelle als Maurer gesucht. Das war der erstbeste Lehrberuf, den ich in Erfurt erwischen konnte", erzählt Lukassek, wie er in die Stadt kam. Die Eltern erfuhren von der eher zufälligen Berufswahl ihres Sohnes erst, als sie den Lehrvertrag unterschreiben sollten. Mit ihrer Unterschrift besiegelten sie ungeahnt Wolfgangs weiteren Lebensweg. Als Maurerlehrling entdeckte er die Liebe zur Architektur: Lukassek wurde Bau-Ingenieur und trat in die Domwerkstätten ein. Am 5. November gratuliert man ihm im Bischöflichen Ordinariat zu 40 Jahren Dienst im kirchlichen Bauwesen. "Es war immer spannend", sagt Wolfgang Lukassek.
Die Liebe zur Architektur war eine Sache, Architekt zu werden eine andere. Lukasseks Zulassung zum Studium scheiterte nach der Lehre am Beamtentum des Vaters, der weder Arbeiter noch Bauer und obendrein katholisch war. Die formalen Voraussetzungen für die Ingenieursschule, Mittlere Reife und Berufsausbildung, genügten im Arbeiter- und Bauernstaat nicht. Wolfgang Lukassek musste sich erst politisch bewähren und arbeitete zwei Jahre als Putzer auf dem Bau. Dann die nächste Enttäuschung: "Ich wollte Architektur studieren, musste aber Bauwesen wählen, weil 1959 an der Erfurter Ingenieursschule kein Architektur-Studiengang begann." Lukassek wäre das künstlerisch anspruchsvollere Fach lieber gewesen.
1962 beendete er das Studium mit guten Berufsaussichten - wie er dachte - weil Bauleute in der damaligen DDR zu den gefragtesten Berufsgruppen gehörten. Aber Lukassek erhielt nur Absagen. "Wahrscheinlich wegen meines Engagements als Sprecher der Katholischen Studentengemeinde", vermutet er heute noch. Die Studentengemeinde war ihm in der ideologisch engen DDR zu einem geistigen Freiraum geworden. Hier feierte man Gottesdienste, hörte Vorträge und diskutierte über religiöse und philosophische Themen. "Das hat uns geprägt und für mich war es ein guter Ausgleich zum technischen Studium", sagt Lukassek im Rückblick.
Wegen der trüben Berufsaussichten im staatlichen Bereich wandte sich der frisch gebackene Bau-Ingenieur an die Erfurter Domwerkstätten. Hier baute Weihbischof Joseph Freusberg eine kircheneigene Bauabteilung auf. "In den 60er-Jahren machte es der Staat den Pfarrgemeinden praktisch unmöglich, Baumaßnahmen durchzuführen. Freusberg wollte darum eine Bauabteilung für die Gemeinden, die den dringendsten Baubedarf von der Planung bis zur Endabnahme zentral organisierte", beschreibt Lukassek den Plan des Weihbischofs. Ab Oktober 1962 war Lukassek für diese Arbeit verantwortlich. Es hätten natürlich immer nur einzelne, wichtige Projekte realisiert werden können, schränkt Lukassek das Arbeitsgebiet ein. "Für die Durchführung aller kirchlichen Bauvorhaben war die Abteilung mit zwei Leuten zu klein", bilanziert er.
Die Arbeit war kein Bürojob, auch wenn der Ingenieur regelmäßig am Zeichentisch stehen musste. Mehrmals die Woche fuhr er mit dem Auto auf die Baustellen und zu Besprechungen in die Pfarrhäuser. Die Betreuung der Feierabendbriganden gehörte zu Lukasseks wichtigsten Aufgaben. "Das waren Bautrupps in den Pfarrgemeinden, die unentgeltlich nach Feierabend auf den Baustellen arbeiteten. Eine tolle Leistung", erinnert sich Lukassek voller Anerkennung. Die meisten Baumaßnahmen der Kirche erfolgten in den Gemeinden in Eigenleistung, einschließlich der Beschaffung von Materialien, was zu den zeitraubendsten Arbeiten gehörte. "Man musste ständig auf der Pirsch sein, wo es wann Zement zu holen gab oder welcher Baubetrieb gerade Materialüberschuss hatte, den man kaufen oder tauschen konnte", erinnert sich Lukassek an die Herausforderungen. Oft transportierte er selbst Zementsäcke, Bauholz, Nägel und Kleinteile in seinem Auto zu den Baustellen.
Erst das sogenannte Limex-Sonderbauprogramm der Kirchen Mitte der 70er Jahre verbesserte die Situation. Damals, so Lukassek, habe man durch großzügige Finanzspritzen der westdeutschen Bistümer Material kaufen und Bauaufträge an ostdeutsche Firmen vergeben können. "Der DDR ging es natürlich um die Devisen, aber wir konnten so wichtige Bauvorhaben durchführen." Dank Limex sei beispielsweise das Katholische Krankenhaus Erfurt zu einem dringend benötigten OP-Anbau gekommen, sagt Lukassek.
Ohne Limex-Programm hätte Wolfgang Lukassek auch nie die Chance gehabt, drei neue Kirchen bzw. Gemeindezentren selbst zu planen und zu bauen: in Schlotheim (1979), Ilmenau (1983) und Leinefelde (1983-93). Doch auch an vielen anderen Kirchen, renoviert oder umgebaut, ist Lukasseks Handschrift zu erkennen: die Verbindung von Altem und Neuem. "Das ist ein unglaublich spannender Prozess: eine womöglich Jahrhunderte alte Kirche für eine moderne Gemeinde zu gestalten. Man muss beiden gerecht werden, der Geschichte und den Herausforderungen der Gegenwart", sagt Lukassek. Für ihn kann das nur im Dialog mit dem Pfarrer und der Gemeinde geschehen - ein mitunter zeitraubendes Unternehmen. "Gerade wenn es um moderne Kunst und Architektur geht, braucht man viel Geduld", ist Lukasseks Erfahrung. Er leistet diese Ü;berzeugungsarbeit gerne, weil er sich immer schon für moderne Kunst interessiert hat. So besuchte er zu DDR-Zeiten geheime Ausstellungen von Künstlern aus dem Erfurter Raum, die dem staatlichen Kunstverständnis nicht entsprachen. Unter Gleichgesinnten kam es im kleinen Kreis zu Begegnungen mit Künstlern wie dem Maler A.T. Mörstedt und dem Bildhauer Waldo Dörsch.
1979 wurde Lukasseks Bauabteilung als "Kirchliches Baubüro" aus den Domwerkstätten ausgegliedert. Die Umstrukturierung bedeutete eine Kleinigkeit zu dem, was mit der Wende auf die Bauleute zukam. "Im Bauwesen ging es drunter und drüber. Eine unglaublich harte Zeit für uns", erinnert sich Lukassek und gesteht ein: "Anfangs waren wir überfordert." VEB-Betriebe, die die Kirche vorher ignoriert hatten, drängten sich plötzlich als Geschäftspartner auf. Ungeahnte Möglichkeiten der Materialbeschaffung und der Auftragsvergabe taten sich auf, das Preis-Leistungs-Verhältnis musste geprüft werden, Preise waren auszuhandeln und staatliche Bauzuschüsse zu beantragen. Drei von sieben Mitarbeitern machten eigene Architekturbüros auf. Auch Lukassek rang mit sich, ob er den Schritt in die Selbständigkeit wagen sollte. Aber: "Die Liebe zum kirchlichen Bauen hat mich festgenagelt."
Lukassek blieb und leitet seitdem das Bischöfliche Bauamt, das das Kirchliche Baubüro 1989 ablöste. "Den Zeichenstift muss ich aus der Hand legen, Management ist gefragt", wurde Lukassek schnell klar. Sicherung von Bausubstanz und dringende Sanierungen, die in der DDR nicht zu realisieren waren, mussten jetzt in Angriff genommen werden. Indem man Architekten, Künstler und Handwerker projektweise beauftragte, bewältigte man die Arbeiten. So geht es im Bauamt noch heute. "Wir koordinieren, führen die Gespräche mit den Gemeinden, Behörden Architekten und Handwerksfirmen und stellen Finanzierungspläne auf", umreißt Lukassek das Handlungskonzept. Das Bauamt würde dabei auf hohe Qualitätsstandards achten. "Kunst und Architektur müssen immer auf der Höhe der Zeit sein", fordert Lukassek. Um die Rahmenbedingungen abzuklären, erstellte das Bauamt 1990 eine Bauordnung für das gesamte Bistum Erfurt. "Nur ein dünnes Heft mit 18 Paragraphen," meint Lukassek, "aber vom Arbeitsaufwand her ein Mammutwerk".
Drei Jahre sind es noch bis zur Rente, dann hat Wolfgang Lukassek fast ein halbes Jahrhundert für die Kirche gebaut. Die "Zwischenbilanz" zum Dienstjubiläum fällt positiv aus: "Es macht immer noch Spaß", freut sich Lukassek. Und er ist zuversichtlich, dass es auch so bleibt.
Peter Weidemann
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