Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
das Leitwort der diesjährigen Bistumswallfahrt lautet „Lust auf Zukunft“. Es scheint so gar nicht zum weit verbreiteten Zukunftspessimismus zu passen. Es ist auch mehr als eine allgemeine, nicht begründete Ermutigung zum Optimismus wie etwa der Satz „Alles wird gut“ oder der dritte Artikel des Kölschen Grundgesetzes: „Et hätt noch immer jot jejange“.
Für glaubende Menschen ist die Einstellung zur Zukunft auch aus ihrem Glauben begründet. Wir können mit einer gewissen Gelassenheit akzeptieren, dass das einzig Sichere, das wir über unsere Zukunft wissen, die Tatsache ist, dass wir sterben werden. Die Heilige Theresia von Lisieux hat es ganz einfach so gesagt: „Nicht der Tod wird mich holen kommen, sondern der liebe Gott.“
Unser Glaube prägt aber nicht nur unsere Hoffnung auf eine ewige Zukunft bei Gott, sondern er prägt auch unsere Einstellung zur irdischen Zukunft.
Ich selbst bin dabei geprägt vom ersten Katholikentag, an dem ich teilgenommen habe, dem ersten großen westdeutschen Katholikentag 1978 in Freiburg im Breisgau. Er stand unter dem Leitwort aus dem Prophetenbuch Jeremia: „Ich will euch Zukunft und Hoffnung geben“ (Jer 29,11). 80.000 Menschen waren damals nach Freiburg gekommen, um unter diesem Leitwort Gottesdienste zu feiern, ihren Glauben zu leben und die aktuellen gesellschaftlichen Fragen zu diskutieren. Mir ist damals bewusst geworden, dass die Zukunft der Gesellschaft und der Menschheit in Gottes Hand liegt. Er muss uns Zukunft und Hoffnung geben. Dann können wir in dieser Kraft eine gute Zukunft für unsere Gesellschaft, für die Menschen auf der Erde und für unseren Globus schaffen.
Viele von Ihnen werden jetzt an das große Katholikentreffen in Dresden im Jahr 1987 denken. Da waren sogar noch mehr Gläubige aus der gesamten DDR gekommen. Die Teilnehmerzahl wird auf mehr als 100.000 Menschen geschätzt. Das Motto dieser Tage war weitaus prägnanter als das des Katholikentags in Freiburg. Es lautete: „Gottes Macht – unsere Hoffnung“. Dieses Leitwort machte die gläubige Überzeugung deutlich, dass eine gelungene Zukunft nicht in der Macht der Menschen liegt. Weder in einer politischen Ideologie noch in den technischen Fähigkeiten des Menschen. Unsere Hoffnung ist Gottes Kraft. Sie macht uns Lust auf Zukunft.
Wenn Gottes Macht unsere Hoffnung auf Zukunft ist, dann müssen wir Debatten über den richtigen Weg in die Zukunft nicht mit der Schärfe – man kann auch sagen Brutalität – führen wie es in unserer Gesellschaft immer mehr üblich wird. Das mag auch mit der Enthemmung in der virtuellen Welt des Internets zusammenhängen. Aber die Unversöhnlichkeit der Debatten hat ihren Grund auch darin, dass Menschen überzeugt sind, dass nur der Weg, den sie für richtig halten, einen Weg in die Zukunft öffnet. Die einen sehen nur in der Globalisierung, im Austausch von Waren und Ideen einen Weg zum Frieden. Die anderen sehen nur in der Regionalisierung, in der Beschränkung auf das, was im eigenen Land wächst und möglich ist, den richtigen Weg. Die einen wollen nur als Deutsche unter Deutschen leben, die anderen erfreuen sich an der Vielfalt menschlicher Kulturen und Religionen. Sie kennen die gesellschaftlichen Debatten, die geführt werden.
Auch in unserer Kirche ist der Stil der Auseinandersetzungen zunehmend rau und unversöhnlich. Bei den Debatten in den Synodalversammlungen bin ich mir mitunter vorgekommen wie bei einer Parlamentssitzung. Ich hoffe, dass der große internationale Prozess der Synodalität, den Papst Franziskus angestoßen hat, auch bei uns in Deutschland den Geist der Synodalität stärkt: den Geist, in dem jeder seine Überzeugung äußern kann, den Geist des Hinhörens und den Geist der Bereitschaft, seine Meinung zu ändern, um einen gemeinsamen Weg zu finden und vor allem den Geist der gläubigen Überzeugung, dass wir gemeinsam herausfinden müssen, welchen Weg der auferstandene Herr Jesus Christus mit seiner Kirche gehen möchte. Wir dürfen uns in unseren Debatten und Diskussionen nicht die Heilige Schrift um die Ohren hauen oder die Lehre der Kirche wie eine Rüstung vor uns hertragen.
Die Kirche ist als Volk Gottes gemeinsam unterwegs, begleitet und erleuchtet vom Heiligen Geist. Diese gläubige Überzeugung, dass der auferstandene Herr Jesus Christus im Heiligen Geist die Kirche leitet, wird in der katholischen Kirche sehr konkret durch ihre hierarchische Verfassung. Manche empfinden diese hierarchische Verfassung der Kirche als Zumutung, die sie nicht akzeptieren wollen. Für andere ist es ermutigend, dass der Herr inmitten seiner Kirche getaufte und gefirmte Mitchristen durch das Sakrament der Weihe beauftragt, ihrem Glauben zu dienen und sie auf der Spur des Evangeliums zu halten. Für diejenigen, denen diese Aufgabe anvertraut ist, gilt die ständige Mahnung des 2. Korintherbriefs, nicht Herren über den Glauben zu sein, sondern Helfer zur Freude (2 Kor 1,24).
Wenn Gottes Macht unsere Hoffnung auf Zukunft ist, dann heißt dies nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen, um Gott nicht in die Quere zu kommen. Vielmehr hören wir immer wieder hin, was uns unser Glaube sagt zu den Herausforderungen, die sich unserer Gesellschaft und unserer Welt stellen.
Unser Glaube, dass Gott die Welt geschaffen und uns Menschen anvertraut hat, muss uns hellhörig machen für die Erkenntnisse und Mahnungen der Wissenschaftler und muss uns anspornen, dass jede und jeder Einzelne, aber auch die Kirche als Organisation zur Schonung und zum Erhalt der Schöpfung beiträgt. Unser Glaube, dass die Zeugung eines Menschen Teilhabe am Schöpfungshandeln Gottes ist, prägt unseren Blick auf die Sexualität und unsere sexualmoralischen Einstellungen. Unser Glaube, dass Gott jeden Menschen erschaffen hat und auch den Feind nicht vom Erdboden verschlucken lässt, mahnt zu steter Mitmenschlichkeit und Toleranz, zu Friedfertigkeit und Versöhnungsbereitschaft.
Das Leitwort des Katholikentags im kommenden Jahr hier bei uns in Erfurt greift besonders diesen Aspekt auf: „Zukunft hat der Mensch des Friedens.“
Dieser provokante Satz steht im Psalm 37. Dieser Psalm ist ein langes Ringen um die Frage, wer am Ende die besseren Karten hat: derjenige, der sich nimmt, was er kriegen kann, der nur seine Interessen verfolgt, oder derjenige, der sich um Gerechtigkeit für alle müht. Dieses Ringen mündet in den Satz: „Zukunft hat der Mensch des Friedens“. Die Begründung für diese Zuversicht ist nicht, dass der Krieg unter Menschen Zukunftsperspektiven zerstört oder dass der Krieg gegen die Schöpfung die Lebensgrundlagen des Menschen ruiniert. Die Begründung dafür, dass der Mensch des Friedens Zukunft hat, ist darin begründet, dass er Gott auf seiner Seite hat: „Die Rettung der Gerechten kommt vom Herrn. (…) Der Herr hat ihnen geholfen und sie gerettet, / er wird sie vor den Frevlern retten und ihnen Heil schenken, denn sie haben sich bei ihm geborgen.“ (Ps 37,40f.)
In unserem Engagement für eine gute Zukunft für alle Menschen haben wir Gott auf unserer Seite. Er lässt uns in jedem Menschen sein Geschöpf sehen. Jesus ruft uns zu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) Lassen wir uns nicht entmutigen in Mitmenschlichkeit und Toleranz. Versuchen wir nicht, eine kleine Insel der Seligen zu bauen, weder in einem Deutschland für Deutsche noch in einer Kirche für katechismusfeste Katholiken. Sehen wir den Menschen und lassen wir uns ermutigen: „Zukunft hat der Mensch des Friedens.“
Ich lade Sie ein, diesen Glauben zu feiern und zu diskutieren beim Katholikentag vom 29. Mai bis 2. Juni 2024 hier in Erfurt. Der Abschlussgottesdienst am 2. Juni 2024 wird im kommenden Jahr die Bistumswallfahrt sein: „Zukunft hat der Mensch des Friedens.“