Tür an Tür mit Schwestern

Den Erfurter Ursulinen ist das Kloster zu groß geworden, der Caritas die Verwaltung zu klein. Also zieht die Caritas bei den Schwestern ein.

Seit 1667 leben Ursulinen in Erfurt. Doch die Schwestern müssen sich verändern. Für den Konvent mit heute zehn Frauen im Alter von 59 bis 90 Jahren ist das Kloster am Anger zu groß geworden. Die Schwestern haben sich daher entschlossen, nur noch einen Teil des Klosters zu nutzen und die anderen Räumlichkeiten dem Caritas-Verband des Bistums Erfurt zur Verfügung zu stellen. Der soll dort 2016 mit seiner Verwaltung einziehen - Tür an Tür mit den Schwestern.

"Wenn es sich gemäß den Zeiten und Bedürfnissen ergeben sollte, etwas neu zu ordnen oder etwas anders zu machen, tut es klug und nach guter Beratung!" - An diesem Vermächtnis ihrer Ordensgründerin Angela Merici (gest. 1540) haben die Erfurter Ursulinen stets festgehalten. Nur so war es ihnen möglich, trotz Wirren, Umbrüchen, Nöten und Revolutionen im Lauf der Zeiten 345 Jahre ununterbrochen am Anger zu wirken und dem "Auftrag" ihres Ordens nachzukommen, nämlich der Bildung und Erziehung vornehmlich junger Mädchen.

Mittlerweile muss sich die Gemeinschaft dem Umstand stellen, dass der Nachwuchs ausgeblieben ist. Gab es in den Jahren nach der friedlichen Revolution 1989 noch Eintritte, musste die 2009 zur Oberin gewählte Schwester Angela Tiller sogar erleben, dass die beiden jüngsten Schwestern das Kloster verließen. Der Altersdurchschnitt der Gemeinschaft stieg deutlich an, und nicht zum ersten Mal, jetzt aber noch dringlicher, stellte sich die Frage, wie die Ursulinen mit weniger und älter werdenden Schwestern das Kloster betreiben sollten. Ein nicht nur wirtschaftliches Problem. Die Oberin und ihre Vorgängerin Schwester Katharina Wenselowski besannen sich auf die Empfehlung ihrer Gründerin, gute Beratung zu suchen, und wandten sich ans Bistum Erfurt.

"Für uns war das eine Selbstverständlichkeit", sagt Schwester Angela. Jedes Ursulinenkloster sei zwar autonom und damit unabhängig vom Bischof. Doch in Erfurt habe es immer schon eine starke Bindung zwischen Kloster und Bistum gegeben. Und Schwester Katharina bekräftigt: "Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können." Das sollte sich auch bei den gemeinsamen Beratungen zeigen, die drei Rahmenbedingungen für die Problemlösung ergaben: Die Schwestern bleiben im Kloster. Es muss ein verkleinertes und verändertes Raumprogramm gefunden werden. Eine Fremdnutzung von Räumen muss sich "konventsverträglich" gestalten lassen.

Das Bistum sieht im Kloster am Anger und in der Präsenz der Ursulinen so etwas wie eine "geistliche Oase" für die Stadt, die es aus seelsorglichen Gründen, wenn irgend möglich, zu erhalten gilt. Und tatsächlich wollen die Schwestern auch gerne ihre pastoralen Angebote für jedermann fortsetzen: die "offene Kirche" mit den Mittagsgottesdiensten, die Exerzitien im Alltag, die Gespräche als Lebenshilfe. "Die Klosterkirche ist für unsere Innenstadt-Seelsorge unverzichtbar, das Beten und Wirken der Schwestern so etwas wie ein Gesundbrunnen", sagt Domkapitular Raimund Beck, bis zum Amtsverzicht des Erfurter Bischofs Generalvikar und jetzt Ständiger Vertreter des Diözesan-Administrators. Dagegen sei es weniger entscheidend, ob die Ursulinen das ganze oder nur einen Teil des Klosters nutzen würden. "Die Gebäude sind für die Schwestern da, nicht die Schwestern für die Gebäude", sagt Beck. Dennoch sollte die Auswahl eines "Mitnutzers" sorgfältig erfolgen und nicht dem Geist und Zielen der Ordensgemeinschaft widersprechen.

Als himmlische Fügung kann daher gelten, dass der Diözesan-Caritasverband für seine Verwaltung immer wieder nach einer häuslichen Alternative gesucht, nie aber eine gefunden hatte. Das Haus mit seinen 40 Mitarbeitern in der Wilhelm-Külz-Straße ist schon lange viel zu klein. In den Büros geht es beengt zu, größere Konferenzräume gibt es nicht, und das Archiv musste bereits ausgelagert werden. Caritas-Direktor Bruno Heller erlebte darum eine freudige Ü;berraschung, als ihm die Bistumsleitung den Einzug ins Ursulinenkloster als Lösung für sein Raumproblem vorschlug, und sagte nach Gesprächen mit den zuständigen Gremien zu.

Der von Kloster, Bistum und dann auch Caritas entwickelte Plan sieht den Umzug der Schwestern ins so genannte "Rektorhaus" vor. Dabei handelt es sich um ein Gebäude am Kloster-Innenhof, direkt der Pforte gegenüber, das künftig das Wohngebäude der Schwestern mit Küche und Gemeinschaftsraum sein wird. Der Konvent nutzt außerdem im Erdgeschoss des Klosters die Räume, die er für sein geistliches und soziales Leben benötigt, darunter die als "Chörchen" bezeichnete Kapelle, Sprech- und Besucherzimmer sowie den Garten. Haupteingang des Ursulinenklosters bleibt die Pforte im Innenhof. "Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren", hatte Schwester Pia, damals mit 91 Jahren die älteste Ursuline in Erfurt, gesagt, als im Kloster über diesen Plan abgestimmt wurde - mit elf Ja-Stimmen! Schwester Pia ist gestern (15.10.) leider verstorben, so dass nur noch zehn Schwestern am Anger leben.

Auch für die Caritas liegen die Vorteile klar auf der Hand. Die Verwaltung wird ihre Büros, Konferenz-, Archiv- und Technikräume in den oberen Etagen und in dem Teil des Erdgeschosses einrichten, den die Schwestern nicht mehr benötigen. Dank des ebenerdigen, separaten Zugangs und des schon vorhandenen Aufzuges können erstmals auch Menschen mit Behinderung die Caritas barrierefrei aufsuchen. "Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden in Büros mit historischem Flair arbeiten", freut sich Caritas-Direktor Heller und nennt als weitere Pluspunkte gegenüber dem alten Standort die entspannte Parkplatzsituation und die Lage mitten in der Stadt.

"Das ist eine Win-win-Situation für die Schwestern und uns Caritas-Leute", sagt Heller und unterstreicht, dass man im Kloster künftig "unter Freunden" sei. Caritas und Ursulinenkloster pflegten seit langem eine gute Beziehung. Als Beispiel nennt er die sozialpädagogische Ausbildung von Erzieherinnen für die katholischen Kindergärten in der DDR. Trägerin der Fachschule war die Caritas, aber die Leitungs- und Lehrkräfte stellten die Ursulinen.

Miete muss der Caritas-Verband keine zahlen, die Schwestern stellen die Kloster-Räume unentgeltlich zur Verfügung, was für das Kloster nicht ungewöhnlich ist. "Die Edith-Stein-Schule steht auf unserem Grund und nutzt ebenso wie das Bildungshaus St. Ursula Gebäude, die uns gehören. Warum sollen wir ungenutzt lassen, was wir selbst nicht brauchen", sagt Schwester Angela.

Im Kloster bedarf es nur noch ergänzender Bauarbeiten für die Caritasräume, etwa die Verlegung von IT-Leitungen. Das Rektorhaus muss dagegen komplett saniert werden. Die Rechnungen begleicht das Bistum Erfurt. Es muss bei seinen Planungen berücksichtigen, dass nach menschlichem Ermessen der Zeitpunkt kommt, an dem keine Ursuline mehr in Erfurt leben wird. "Wir wollen dem Wirken des Heiligen Geistes keine Grenzen setzen", sagt Domkapitular Beck, "aber wir werden das Rektorhaus so sanieren, dass wir uns so viele Optionen wie möglich erhalten, das Gebäude zu nutzen."

Glücklicherweise lassen sich die Baumaßnahmen im Kloster begrenzen, weil das Konventsgebäude bereits grundsaniert ist. Der miserable Zustand der Bausubstanz, zusätzlich von aggressivem Schwammbefall geschwächt, hatte vor einigen Jahren dringende Gegenmaßnahmen erfordert. Die ältesten Teile des Klosters stammen aus dem 12. Jahrhundert, denn die Ursulinen sind bereits die dritte Ordensgemeinschaft, die - nach den Augustiner-Chorfrauen und den Magdalenerinnen - hier wohnt. Für die Stadt Erfurt ist das Ursulinenkloster deshalb ein "Baudenkmal von überregionaler Bedeutung", dessen Erhalt mit Städtebaufördermitteln unterstützt wurde.

Jetzt, nachdem auch Maßnahmen für die Innen-"Sanierung" des Klosters beschlossen sind, sehen Schwestern und Bistumsleitung gelassener in die Zukunft. "Das Ursulinenkloster ist baulich gesichert und dank der Doppelnutzung durch Orden und Caritas nicht in Gefahr, eine tote Gebäudehülle zu werden", freut sich Domkapitular Beck. Stattdessen werde es auch künftig im Inneren von Leben erfüllt sein und so die Stadt bereichern.

Peter Weidemann

www.ursulinenkloster-erfurt.de

Videobeitrag: MDR Thüringen-Journal und Videokanal von TA - TLZ - OTZ (bitte anklicken!)

 

Die Ursulinen und ihr Kloster in Erfurt


Die Ursulinen gehen auf die aus Oberitalien stammende hl. Angela Merici (1470-1540) zurück. Sie hatte es sich mit gleichgesinnten Frauen zur Aufgabe gemacht, junge Mädchen anzuleiten, innerhalb der Familie Zeugnis zu geben: durch ein jungfräuliches Leben in der Nachfolge Jesu und im Dienst am Nächsten. Die Vereinigung dieser Frauen verpflichtete sich zu Armut, Keuschheit und Gehorsam, ohne dafür ein Gelübde abzulegen. Zudem führten sie anfänglich kein gemeinschaftliches Leben. Nach dem Tod Angela Mericis verbreitete sich die Gemeinschaft mit dem Namen "Gesellschaft der hl. Ursula" sehr schnell, und schon bald (1566) übertrug ihnen der Mailänder Kardinal Karl Borromäus die Erziehung und Unterweisung der Kinder sowie diakonische Aufgaben.

Derselbe Kardinal veranlasste die Ü;berarbeitung der Regel, nach der die Frauen bis dahin gelebt hatten. Sie waren nun zur "vita communis", d.h. einem gemeinschaftlichen Leben verpflichtet. Im 17. Jahrhundert übernahmen die meisten Ursulinen die sog. Augustinusregel sowie die feierlichen Gelübde und die Klausur. Mit der Einrichtung von Mädchenschulen - sowohl Elementar- als auch höhere Schulen mit Internaten - wurden die Ursulinen wegweisend für eine neuzeitliche Mädchenbildung. In heutiger Zeit sind neben die traditionellen Tätigkeiten in der Schule viele überwiegend pastorale Arbeitsfelder getreten.

Ü;ber Frankreich kommend breitete sich der Orden in Deutschland aus. Nach Köln wurde als zweites Kloster in Deutschland das in Erfurt gegründet. 1667 erhielten die Ursulinen das fast leerstehende Kloster am Anger, das bis dahin von Magdalenerinnen bewohnt war, durch den Fürstbischof von Mainz, Johann Philipp von Schönborn, als Stiftung. In der Säkularisation (1803) blieb das Kloster wegen seiner ausgeübten Bildungs- und Erziehungsaufgaben von der Aufhebung unberührt; während des Kulturkampfes  (1871-1887) war ihnen jedoch bei bleibendem Wohnrecht die Tätigkeit für neun Jahre verboten. Ebenso verhielt es sich während der Zeit des Nationalsozialismus. In der DDR-Zeit blieb ihre Bestimmung, wenngleich eingeschränkt, als Kloster erhalten.

Nach der friedlichen Revolution 1989 in der DDR und der Deutschen Einheit im Jahr darauf sind die Ursulinen mit verschiedenen Angeboten für Menschen aller Altersgruppen in der Thüringer Landeshauptstadt präsent. In den 2000er Jahren wurde das Klostergebäude saniert.

Andrea Wilke