Statement von Professor Dr. Josef Pilvousek beim Pressegespräch am Donnerstag, 23. Mai 2002, anlässlich des 50jährigen Jubiläums der Theologischen Fakultät Erfurt. Professor Pilvousek lehrt an der Theologischen Fakultät Erfurt Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit und hat unter dem Titel "Theologische Ausbildung und gesellschaftliche Umbrüche. 50 Jahre Katholische Hochschule und Priesterausbildung in Erfurt" eine Geschichte der Theologischen Fakultät vorgelegt:
Nach Kriegsende 1945 ergab sich für die bisher in Breslau, Prag und Braunsberg oder Leitmeritz und Weidenau studierenden Theologen aus Ostdeutschland eine völlig neue Situation. Die Teilung Deutschlands in vier Besatzungszonen bewirkte, dass in der SBZ keine einzige Ausbildungsstätte für katholische Priester vorhanden war. Da Theologen weiterhin an westdeutschen kirchlichen Ausbildungsstätten studieren konnten, die gesamtpolitische Entwicklung noch nach allen Seiten hin offen schien, war es nur zu verständlich, dass kaum grundsätzliche Ü;berlegungen zu Priesterausbildung und Priesternachwuchs angestellt wurden. Erst als das Innenministerium der DDR im August 1950 die Zuzugsgenehmigung für Personen aus Westdeutschland und aus den Westsektoren Berlins in das Gebiet der DDR nahezu unmöglich machte, wurden konkretere Ü;berlegungen über eine Priesterausbildungsstätte in Mitteldeutschland unumgänglich. Die Berliner Ordinarienkonferenz entschied am 2. Oktober 1951, vorbehaltlich der Zustimmung des Vatikans zu Ostern 1952 eine Theologische Hochschule als Regionalseminar für die Diözesen und Diözesananteile der DDR zu eröffnen. Nach schwierigen Verhandlungen mit Vertretern des Staatsapparates kam es schließlich am 5. Juni 1952 zur Gründung des Regionalpriesterseminars in Erfurt - Alumnat und Philosophisch-Theologisches Studium - als Priesterausbildungsstätte für die katholische Kirche in der DDR.
Das Konstrukt "Priesterseminar" vereinte als Ü;berbegriff beide Institute, die gleichrangig nebeneinander bestanden. Was andernorts Theologenkonvikt heißt, nennt man in Erfurt seit 1959 Alumnat, und was man gewöhnlich als Hochschule bezeichnet, wurde in Erfurt als Philosophisch-Theologisches Studium, kurz "Studium?, benannt. Der Begriff "Hochschule" wurde wegen möglicher politischer Implikationen vermieden. Beide Institute bestanden an einem Priesterseminar, so dass dieser Begriff auch synonym für Alumnat und Studium verwendet wurde.
Initiiert und energisch betrieben durch den Berliner Bischof Wilhelm Weskamm, ausgeführt durch Generalvikar Joseph Freusberg, Erfurt, und Regens und Rektor Erich Kleineidam war trotz vorangegangener "logistischer? Fehlleistungen und kirchenfeindlicher Aktionen des Staatsapparates - ein erster Versuch, in Berlin-Biesdorf ein Priesterseminar zur errichten, scheiterte im Mai 1952 - endlich eine Ausbildungsstätte für Priesteramtskandidaten in der DDR möglich geworden. Schon im Sommersemester 1952 nahm sie ihre Tätigkeit auf. Die Zahl der Theologen, die anfangs nur etwas über 30 Alumnen betragen hatte, stieg bis 1960 auf fast 300 an, so dass das Erfurter Priesterseminar zeitweise zum größten "Theologenkonvikt? Deutschlands wurde.
Die vorläufige Bewilligung durch die römische "Studienkongregation? erhielt das Priesterseminar 1953, das endgültige Approbationsdekret trägt das Datum vom 7. Oktober 1959.
Schon wenige Monate nach der Eröffnung wurden die Räume am Kreuzgang des Erfurter Domes zum Standort des Studiums, der heutigen Theologischen Fakultät. Die durch den damaligen Erfurter Dompropst und Weihbischof Joseph Freusberg großzügig zur Verfügung gestellten Räume am Mariendom und um die alte Propstei am Herrmannplatz genügten dennoch nicht, die immer größer werdende Zahl der Theologiestudenten unterzubringen. Erst der 1956 errichtete Neubau eines Seminargebäudes, des "Piushauses?, schuf hier eine Entlastung.
Die latente staatliche Ü;berwachung der Erfurter Ausbildungsstätte bis 1989 führte zu keinem Zeitpunkt zur von Staatsseite beabsichtigten Einflussnahme oder auch zur kompromissbeladenen Theologenausbildung, wie sie in anderen "sozialistischen Staaten? durchaus üblich war. Die dankbar begrüßte "Wende? des Jahres 1989 brachte nicht nur die staatliche Anerkennung, sondern schuf bis dahin nicht gekannte Möglichkeiten. Öffnung kennzeichnet seitdem Studium und Alumnat. Die bis dahin im Umfeld der Stadt Erfurt häufig wegen ihrer äußeren Abgeschlossenheit als exotisch betrachtete Priesterausbildungsstätte hatte Öffentlichkeitsarbeit zu leisten und hat dies bis heute auch erfolgreich getan. Die Pläne einer Integration des Philosophisch-Theologischen Studiums in die Universität Erfurt, die seit Beginn der neunziger Jahre bestehen und bis heute aus unterschiedlichen Gründen keinen Abschluss gefunden haben, verursachten zahlreiche missliche Irritationen. Umso erfreulicher war es, dass am 22. Mai 1999 die Päpstliche Kongregation für das Bildungswesen das Philosophisch-Theologische Studium zu einer Kirchlichen Theologischen Fakultät erhoben hat. Ü;ber 2000 Studentinnen und Studenten haben bis heute an der Erfurter Hochschule studiert. Die über 900 Diözesanpriester, die in Erfurt ausgebildet wurden, betreuen die ca. 900 000 Katholiken der Neuen Bundesländer in einer zumeist weit zerstreuten Diaspora. Zahlreiche Laien haben seit der "Wende? nicht nur in der Kirche ihren Dienst begonnen, sondern nehmen Aufgaben in der Politik und Gesellschaft in verantwortungsvollen Positionen wahr.
Die Zukunft wird zeigen, wie sich diese Katholische Theologische Ausbildungsstätte in dem Spektrum der vorhandenen Theologischen Fakultäten und Hochschulen positionieren kann.
Josef Pilvousek, Theologische Ausbildung und gesellschaftliche Umbrüche. 50 Jahre Katholische Hochschule und Priesterausbildung in Erfurt. Leipzig: Benno 2002 (Erfurter Theologische Studien 82). ISBN 3-7462-1525-9