Predigttext: Hebräer 12, 1-3
Heute fand in Erfurt wieder der traditionelle Sylvesterlauf statt. Für diesen Lauf ist charakteristisch, dass jedermann teilnahmen kann, nicht nur Spitzensportler. Hier gilt: Dabei gewesen sein ist alles! Man muss nur durchhalten und ans Ziel kommen, nicht unbedingt auf dem Treppchen stehen wollen.
Vermutlich dachte der Verfasser des Hebräerbriefes auch an einen solchen Lauf, wenn er seinen Mitchristen aufmunternd schreibt: "Lasst uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist!" Die Leistung besteht im Durchhalten, weniger in der Schnelligkeit! Alle, die am Ziel ankommen, werden prämiert, nicht nur die ersten drei.
Wir sind am Ende des Jahres 2003 angekommen. Die heutige Stunde ist allerdings nur ein Etappenziel beim Lauf unseres Lebens. Der Lauf geht 2004 weiter. Das Ziel liegt noch vor uns. Wie lange noch zu laufen ist? Keiner von uns weiß es genau. Aber es tut gut, an einem Abend wie dem heutigen einmal beim Laufen etwas innezuhalten und geistlich zu "verschnaufen".
Mancher von uns ist noch gut und fit im Rennen, mancher ist im verflossenen Jahr etwas kurzatmiger geworden. Manche waren noch bei Jahresbeginn mit uns am Laufen, jetzt sind sie nicht mehr unter uns. Wir trauern um sie. Sie fehlen uns. Im Glauben wissen wir: Sie haben zwar nicht das Kalenderziel Sylvester 2003 erreicht, dafür aber das andere Ziel, jenes himmlische Ziel, das Gott uns allen gesetzt hat und auf das allein es ankommt.
Unwillkürlich geht am letzten Abend des Jahres der Blick zurück. 2003 - was hat es uns gebracht?
Ich zähle einmal einiges aus meiner Sicht Erfreuliches und Schönes auf: Der Start der neuen katholisch-theologischen Fakultät an der Universität Erfurt; der Ökumenische Kirchentag in Berlin; unsere Bistumswallfahrten im Klüschen Hagis, auf dem Kerbschen Berg bei Dingelstädt und hier in Erfurt zum Mariendom; das 150-Jahr-Jubiläum der Kolpingfamilie Erfurt; das ökumenisch ausgerichtete Meister-Eckart-Jahr in Erfurt, bei dessen Eröffnung der Bundespräsident eine erfrischend fromme Rede gehalten hat, die Einweihung des neuen Katholischen Krankenhauses St. Nepomuk; der Pastoralkongress unseres Bistums im Oktober in Erfurt mit dem Anliegen: Wie können Menschen hierzulande mit dem Evangelium in Berührung kommen?
2003 war das von allen Kirchen getragene "Jahr der Bibel". Auf unserem Domplatz stand vor Pfingsten für einige Tage die Bibelbox. Es gab Veranstaltungen vielfältigster Art, nicht nur in den Kirchen! Christliche und nichtchristliche Schüler lesen nicht nur Harry Potter. Sie haben sich auch zu einigen Tausend an einem Bibelwettbewerb beteiligt. Manche Familien haben für das Gemeinde- Lektionar das jeweilige Sonntagsevangelium eigenhändig abgeschrieben und mit Berichten aus ihrem Leben kommentiert. Selbst die säkularen Medien haben auf ihre Weise auf das Buch der Bücher aufmerksam gemacht. Ich habe mich sehr über die zahlreichen Aktivitäten im Bibeljahr gefreut. Wir durften erfahren: Die Bibel als Wort Gottes ist Zuspruch und Stärkung bei unserem Lauf als Christenmenschen auf den Straßen dieser Welt - unserem himmlischen Ziel entgegen.
2003 war das Jahr von Kriegen und Katastrophen. Wir sind besorgt, was aus dem Irak-Krieg noch alles an bösen Folgen erwachsen wird. Wir bangen mit den Menschen im Nahen Osten, ob ein Friede bei so viel Hass und Gewalt noch möglich sein kann. Unser Mitgefühl und unsere Solidarität sind bei den Tausenden von Opfern des Erdbebens im Iran. Unser Glaube an einen guten Gott und Vater im Himmel wird immer wieder angefragt durch solche Bilder des Elends und des Schreckens, wie sie uns im Fernsehen präsentiert werden. Nein, wir leben nicht in einer lieblichen Welt voll Harmonie und Freundlichkeit. Trotz des Osterlichtes kann es schrecklich finster im Leben zugehen. Auch wir Glaubende und Hoffende sind nicht davor gefeit, mit der Welt und unserem eigenen Schicksal zu hadern.
Der Hebräerbrief hat Recht: Der Lauf auf der Lebensbahn kann hart und anstrengend sein. Die Gefahr zu resignieren, gar aufzugeben ist sehr realistisch. Jeder einzelne wird dieses und jenes an persönlichen Belastungen noch hinzufügen können: Krankheit und Sorgen verschiedenster Art, Arbeitslosigkeit und beruflicher Ärger, Kummer mit anderen und die Hilflosigkeiten, manchem Ü;bel nicht besser wehren zu können - als eben, es auszuhalten und zu ertragen.
Wie kann man zum ausdauernden Laufen ermuntern? Der Hebräerbrief macht es so: Er zählt die auf, die schon vor uns losgelaufen und ans Ziel gekommen sind, die berühmte "Wolke von Zeugen", die er unmittelbar vor unserem Briefabschnitt lang und breit beschrieben hat. Er hat bei dem gerechten Abel angefangen, er hat an Henoch, Noach, Abraham und die Patriarchen erinnert. Er hat Mose und David nicht vergessen. Und selbst die Dirne Rahab wird als Zeugin dafür aufgerufen, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann. Wir kennen diese Art von Argument. Hartnäckige Trainer arbeiten damit, Erzieher, die es gut mit ihren jungen Leuten meinen. Sie sagen: Wenn die es geschafft haben, wirst Du doch nicht aufstecken wollen! So packt uns der heilige Schriftsteller bei unserem Ehrgeiz: Wenn andere, warum nicht auch DU?
Ich muss sagen: Manchmal hilft mir ein solches Argument. Wenn Weihbischof Josef Freusberg sich in Kriegs- und Nachkriegszeiten erfolgreich für diesen Dom eingesetzt hat, wirst Du doch jetzt nicht um den Domberg Angst bekommen, bloß weil das Geld knapper wird? Wenn Bischof Hugo Aufderbeck der kommunistischen Ideologie Paroli geboten hat, wirst Du doch nicht als Bischof wegen des heutigen Zeitgeist-Geschwätzes weiche Knie kriegen?
Nein - christliches Leben und Wirken für Gott und seine heilige Kirche waren früher möglich und sind es auch heute. Es kommt auf uns an, auf unser Wollen, auf unsere Bereitschaft. Blicken wir auf jene, die vor uns gekämpft und sich abgemüht haben! Im kommenden Jahr denken wir an den hl. Bonifatius. 2004 jährt sich sein Todesjahr zum 1250mal. Bonifatius hat in Thüringen klein angefangen: in Ohrdruf, in Sülzenbrücken und hier auf dem Domberg. Und doch hat er Großes bewirkt.
Aber nicht nur die Glaubenszeugen aus grauer Vorzeit sind wichtig. Wichtiger ist es, dass wir uns untereinander ermuntern. Sich gegenseitig zu Glaubenszeugen werden, darauf käme es an. Lassen wir uns einander auch religiös ins Herz schauen! Ihr Eltern und Großeltern: Sprecht unbefangen davon, was ihr Gott in eurem Leben verdankt und warum euch das Vertrauen auf ihn wichtiger ist als das Bankkonto! Und warum sollte nicht auch einer seinen Freund, seine Freundin nach dem fragen dürfen, was ihm oder ihr im Leben Halt und Profil gibt? 60 000 Jugendliche tun das derzeit im Zeichen von Taiz? in Hamburg. Warum sollte das nicht auch in Erfurt möglich sein? Schon jetzt lade ich euch junge Christen zur Jugendwallfahrt 2004 ein?. Sie wird im kommenden Jahr schon ganz im Zeichen der Vorbereitung des großen Weltjugendtreffens mit unserem Papst 2005 in Köln stehen.
Der Verfasser des Hebräerbriefes hat noch ein zweites Argument in petto, das freilich letztlich auch in die gleiche Richtung zielt. Er sagt: Schaut nicht nur auf menschliche Glaubenszeugen, sondern schaut auf den Glaubenszeugen schlechthin, auf den, der uns den Gottesglauben ins Herz gepflanzt hat und der kraft dieses Glaubens schon zum himmlischen Ziel, zur Vollendung beim Vater gelangt ist: Jesus Christus, unser Herr. Ihn nennt der Hebräerbrief mit einer in der Bibel einmaligen, höchst interessanten Bezeichnung den "Urheber und Vollender des Glaubens". Christus ist dem hl. Schriftsteller so etwas wie ein "Kolumbus des Glaubens". In einer Zeit, in der niemand gewagt hat, beim Anblick des Ozeans an ein anders Ufer zu glauben, ist dieser Genuese mit einer mutige Mannschaft einfach losgefahren - und hat einen Kontinent entdeckt. So geht Glauben: Einer geht voran, einer wagt etwas - und in seinem Windschatten gelingt auch anderen, was sie allein nicht fertig gebracht hätten. Der Hinweis auf das Kreuz Christi besagt: Solcher Glaubensweg ist kein Spaziergang. Dieser Weg kostet Kraft und Selbstüberwindung. Man muss auch manchmal den Mut haben, allein gegen eine andersdenkende Welt zu stehen und sich belächeln zu lassen. Aber wenn das in der Nachahmung Jesu Christi geschieht, ist diesem Laufen der Siegespreis sicher.
Letztlich können wir nur Christen sein, glauben, hoffen und lieben, weil ER, der Herr uns vorangegangen ist. Sein Ostern ist unsere Hoffnung. Sein Sitzen zur Rechten des Vaters macht uns stark. Weil er unser Anwalt bei Gott ist, soll uns selbst unsere eigene Sünde, unser eigenes Versagen nicht erschrecken. Wir müssen nur ihn, unseren Herrn im Blick behalten: Tag für Tag, von Sonntagsevangelium zu Sonntagsevangelium, von einem Sakramentenempfang zum anderen. "Bleibe bei uns, Herr!" Das soll wieder das Gebet sein, das uns durch das neue Jahr tragen soll.
So mache ich mir heute am Sylvesterabend die Aufmunterung unseres Schrifttextes zu eigen: Liebe Schwestern und Brüder, "werdet" auch 2004 "nicht matt, verliert" auch im kommenden Jahr "nicht den Mut!"
Ich habe auf meinem Schreibtisch eine Spruchkarte liegen, auf der eine kleine Schnecke abgebildet ist, wie sie sich an einem Grashalm wiegt. Und darunter ist zu lesen: "Mit Ausdauer kam auch die Schnecke noch in die Arche"! Sie kam sicher nicht als Erste hinein, aber sie kam hinein - mit Ausdauer und Geduld.
Erbitten wir uns diese Ausdauer und Geduld jetzt vom Herrn. Er kennt das Ziel - und er kennt das Jahr 2004. Vor allem: Er kennt uns! Was immer das neue Jahr bringen mag: Mit IHM, unserem Herrn, an seiner Seite wird es ein Jahr des Heiles werden. Amen.
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