Nuntius Lajolo würdigt Integration der Theologischen Fakultät Erfurt in die Universität Erfurt

Ansprache in der Thüringer Staatskanzlei in Erfurt am 19. November 2002

Im Folgenden dokumentieren wir die Ansprache des Apostolischen Nuntius Erzbischof Dr. Giovanni Lajolo anlässlich der Unterzeichnung des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen über die Integration der Theologischen Fakultät Erfurt in die Universität Erfurt:



Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

sehr geehrte Frau Ministerin,

sehr geehrte Herren Minister,

Hochwürdigste Herren Bischöfe,

sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrter Herr Rektor,

meine Herren Professoren,

meine Damen und Herren!



1. Mit dem heutigen Akt der Unterzeichnung des Vertrages zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen, der mit dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft treten wird, fängt das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt, das 1952 gegründet und 1999 zur Theologischen Fakultät erhoben wurde und nun als Katholisch-Theologische Fakultät in die Universität Erfurt integriert wird.


Es ist eine Geschichte, auf die die Kirche nicht ohne lebhafte Genugtuung schaut - wegen der hohen wissenschaftlichen Leistungen der Professoren, aber auch wegen der großen Zahl von Priestern und Laien, die dort ihren theologischen Abschluss erhalten oder auch das Lizentiat oder das Doktorat in Theologie erworben haben - die letzteren über viele Jahre in Verbindung mit der Pontificia Universit? Gregoriana in Rom. Nicht weniger hervorzuheben ist, dass das Philosophisch-Theologische Studium in Erfurt in den dunklen Jahren des kommunistischen Regimes ein Ort geblieben ist, an dem sich wissenschaftliche Forschung und Lehre frei von ideologischer Beeinträchtigung behaupten und die akademische Freiheit ihr klares kirchliches Profil bewahren konnte.


2. Mit dem vorliegenden Vertrag beginnt - wie gesagt - eine neue Phase, die - das ist unser aller Zuversicht - von nicht weniger Engagement und Fruchtbarkeit geprägt sein wird als die zu Ende gehende. Der Heilige Stuhl hat dem Wunsch des Bischofs von Erfurt entsprochen, der darin die Unterstützung der Bischöfe der ostdeutschen Diözesen, des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz sowie der Professoren und der Studentenschaft der Theologischen Fakultät hatte, und - auf der anderen Seite dem im Staatskirchenvertrag bekundeten Anliegen der Landesregierung. Indem der Heilige Stuhl diesem Wunsch entspricht, möchte er ein Zeichen der Ermutigung und der Wertschätzung für die neue Universität Erfurt geben - für eine kleine Universität, die aber die Absicht hat, durch einige Spezifika Profil zu gewinnen: a. durch die Ü;bernahme der international gängigen Abschlüsse des Bakkalaureus und des Magister, b. durch einen vorgeschriebenen Anteil von wenigstens 20 % interdisziplinärer Lehrveranstaltungen am Gesamt der Lehrveranstaltungen, c. durch eine besondere Nähe der Dozenten zu den Studenten.


Der Heilige Stuhl hegt die Zuversicht, dass die Präsenz der Katholisch-Theologischen Fakultät, die zur Philosophischen, zur Staatswissenschaftlichen und zur Erziehungswissenschaftlichen Fakultät sowie dem Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien hinzukommt, sich bereichernd und befruchtend auswirkt und selbst durch den Dialog Förderung erfährt. Es gibt Fragen - und Antworten -, die nur von den anderen Wissenschaften kommen können. Und es gibt Fragen und Antworten, die nur von der theologischen Wissenschaft kommen können. Es sind aber Fragen und Antworten, die von der anderen Seite nicht ignoriert werden können, betreffen sie doch letztlich alle "la condition humaine". Im Gegenteil, die verschiedenen Wissenschaften geben sich gegenseitig Anregungen, beleuchten einander und tragen zur Weitung des Horizonts auf der anderen Seite bei. Das Miteinander trägt zu einer größeren Konkretheit bei, es hilft den Menschen, umfassender zu erkennen und in diesem Sinn menschlicher zu sein. Möge also diese interdisziplinäre Begegnung - die ja nicht erst jetzt anfängt - Anstoß zu neuen fruchtbaren Entwicklungen geben.


3. Verschiedene Artikel des vorliegenden Vertrages verdienen es hervorgehoben zu werden. Ich möchte mich darauf beschränken, die Aufmerksamkeit auf zwei Aspekte der vorliegenden Vertragsnormen zu lenken, die dem Heiligen Stuhl in besonderer Weise am Herzen liegen:

a. die Bindung der katholischen Theologie an das Lehramt der Kirche und

b. die einmalige Stellung des Bischofs in seinem Verhältnis zur Katholisch-Theologischen Fakultät.


a. Was den ersten Punkt betrifft, so sei es mir erlaubt, an einige Worte zu erinnern, die Papst Johannes Paul II. vor einigen Monaten an die Teilnehmer am Internationalen Forum der Päpstlichen Akademie für Theologie gerichtet hat. Er erklärte: "Die Wahrheit der christlichen Offenbarung eröffnet in der Geschichte immer neue Horizonte der Erkenntnis des Geheimnisses Gottes und des Menschen. Dieser der Sache innewohnende Drang zum Neuen hat nichts mit Relativismus oder Historizismus zu tun, sondern er steht für eine höchste Konzentration der Wahrheit, deren Verständnis einen Weg und vor allem eine Nachfolge beinhaltet, nämlich die Nachfolge Christi - der Weg, Wahrheit und Leben ist. ... Die freie Forschung des Theologen wird [nämlich] im Rahmen des Glaubens und der Gemeinschaft der Kirche ausgeübt. ... Die kirchliche Gemeinschaft ist nicht etwa eine Begrenzung, sondern sie ist in Wirklichkeit jener Ort, der die theologischen Ü;berlegungen beseelt, ihren Wagemut fördert und ihren prophetischen Charakter belohnt. ... Der katholische Theologe ist sich bewusst, dass das Lehramt nicht eine der Wahrheit und dem Glauben äußerliche Wirklichkeit ist, sondern im Gegenteil als wesentlicher Bestandteil der Kirche im Dienst am Wort der Wahrheit steht, das es vor Verirrungen und Entstellungen bewahrt. ... Das Verhältnis zwischen Lehramt und theologischer Arbeit wird demnach vom Grundsatz der Harmonie geleitet. Da beide im Dienst an der göttlichen Offenbarung stehen, entdecken sie auch beide neue Aspekte und Dimensionen der offenbarten Wahrheit wieder. Wo es um die Gemeinschaft im Glauben geht, muss man sich an das Prinzip der Einheit in der Wahrheit halten; wo es sich hingegen um Meinungsunterschiede handelt, gilt der Grundsatz der Einheit in der Liebe." So der Papst am 16. Februar d. J. (L?Osservatore Romano [Deutsche Ausgabe] vom 8. März 2002).


Es ist wohl klar: Das Lehramt als Teil der apostolischen Sendung und die theologische Forschung und Lehre als spezifische Ausdrucksformen der "fides quaerens intellectum" stehen beide unter dem Licht des Wortes Gottes und sind beide darauf ausgerichtet, dieses Licht des Wortes Gottes dem Menschen zu übermitteln - dem Menschen mit seinen Lebensproblemen, mit den Entdeckungen und Fragestellungen seines Wissens. Die theologische Wissenschaft hat im kirchlichen Lehramt einen sicheren Rückhalt, und das kirchliche Lehramt empfängt von der theologischen Wissenschaft unentbehrliche und wertvolle Elemente, die es ihm ermöglichen, seinen Auftrag den Menschen der jeweiligen Zeit gegenüber zu erfüllen.


b. In bezug auf den zweiten Aspekt - die einmalige Stellung des Bischofs - sagt das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution über die Kirche Lumen gentium: "Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof lehren, sind von allen als Zeugen der göttlichen und katholischen Wahrheit zu verehren. Die Gläubigen aber müssen mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittenfragen übereinkommen und ihm mit religiös begründeten Gehorsam anhangen" (Lumen gentium Artikel 25).


Deswegen soll der Dialog zwischen den Professoren und dem Bischof ständig, offen und vertrauensvoll sein. Ü;brigens handelt es sich hier in Erfurt - ich kann das hier nur mit Freude feststellen - um ein gegenseitiges Verhältnis, das wohl eine gefestigte Tradition hat. Das wird auch in der Tatsache sichtbar, dass der jetzige Bischof von Erfurt aus den Reihen der Professoren des Theologischen Studiums hervorgegangen ist. Zudem ist er nicht der einzige Bischof, der aus diesem hochqualifizierten Lehrkörper ins Bischofsamt berufen wurde. Das möchte ich ausdrücklich als Anerkennung der Kirchlichkeit dieses Gremiums hervorheben.


4. Ich habe es als angebracht erachtet, diese beiden Punkte des vorliegenden Vertrages besonders zu beleuchten, weil eine Einstellung der Lehrenden, die ihnen entspricht, die Katholisch-Theologische Fakultät nicht nur befähigen wird, eben als katholische Instanz mit den anderen Wissenschaften einen glaubwürdigen Dialog zu führen, sondern auch dem Bedürfnis und dem berechtigten Anspruch der Gläubigen zu entsprechen, gut ausgebildete Priester zu bekommen, die sie auf ihrem Glaubensweg festigen und führen - ist doch die Ausbildung der Priesteramtskandidaten ja ein primäres Ziel der Fakultät.


Darüber hinaus wird sie imstande sein, den besonderen Erwartungen der Gesellschaft in diesem Teil Deutschlands zu entsprechen: Sie wird helfen, ihre immer noch lebendige, wenn auch oft verkannte christliche Wurzel wiederzuentdecken. Sie wird die im menschlichen Geist lebendigen, wenn auch oft beschwichtigten Erwartungen neu wecken - sie wird die kulturellen Werte der katholischen Tradition, die in diesem Lande bewundernswerte Zeugnisse in Zivilisation und Kunst hinterlassen haben, aufdecken - sie wird einen unersetzlichen Beitrag leisten zu einem christlichen Humanismus in der heutigen kulturellen Landschaft.


5. Ein Vertrag zwischen Kirche und Staat ist immer ein Werk, in dem verschiedenartige Erfordernisse in Einklang gebracht werden müssen. Das verlangt Verhandlungen, die manchmal langwierig und schwierig sind und viel Verständnis für den Standpunkt des Vertragspartners verlangen. So ist es für mich an dieser Stelle ein aufrichtiges Bedürfnis, allen Dank auszusprechen, die zum Gelingen dieses Werkes beigetragen haben. Es sind nicht wenige, die mit vielen Argumenten auf die heutige Lösung hingearbeitet und mit Nachdruck die Verwirklichung des Zieles in der Gestalt dieses Vertrages betrieben haben. Stellvertretend für alle möchte ich auf der Seite der Kirche Herrn Bischof Wanke von Erfurt und als Leiter der Delegation der Apostolischen Nuntiatur Herrn Nuntiaturrat Prälat Dr. Gullickson sowie den Leiter des Katholischen Büros in Erfurt, Herrn Ordinariatsrat Weinrich, und auf der Seite des Freistaates Thüringen Herrn Ministerpräsidenten Vogel und als Leiter der Verhandlungsdelegation der Regierung Herrn Ministerialdirigent Dr. Görgen nennen.


6. Dass dieses Werk tatsächlich ein gelungenes Werk ist, werden vor allem Sie, sehr geehrte Herren Professoren der Katholisch-Theologischen Fakultät, und Ihre Nachfolger unter Beweis stellen müssen. Ihnen wie auch den anderen maßgeblichen Autoritäten der Universität Erfurt, der Sie bald angehören werden, angefangen mit Herrn Präsidenten Bergsdorf, gelten daher meine Glück- und Segenswünsche.


Möge das Licht der Weisheit, die von oben kommt, Ihre verantwortungsvolle Tätigkeit immer begleiten und fruchtbar machen.



Pressemitteilung zur Unterzeichnung des Vertrages