Not erkennen und handeln

Ansprache von Bischof Joachim Wanke beim Elisabethempfang für Thüringer Politiker


Bischof Joachim Wanke
Ansprache von Bischof Joachim Wanke beim Elisabethempfang für Thüringer Politiker

Heute am Festtag der heiligen Elisabeth, am Abend des zu Ende gehenden Gedenkjahres der großen europäischen Heiligen, ist es für mich eine große Freude, Sie alle zum alljährlichen Empfang hier in der Brunnenkirche ganz herzlich willkommen zu heißen.


Bereits beim Gottesdienst im Dom haben wir an diesem Abend der großen Thüringerin gedacht.


Zunächst danke ich Ihnen, Herr Ministerpräsident und Ihnen Frau Landtagspräsidentin für die freundlichen und wegweisenden Grußworte. Mein besonderer Dank gilt in dieser Stunde Ihnen, Herr Professor Di Fabio für Ihren "kulturellen Eigensinn", entfaltet anhand des Freiheitsbegriffs in einem anregenden Festvortrag.


Sehr geehrte Damen und Herren,

verstehen Sie bitte meine Einladung besonders in diesem Jahr als ein Zeichen der Wertschätzung und der Anerkennung sowie des Dankes für Ihren verantwortungsvollen Dienst in Gesellschaft und Politik.


Gestatten Sie mir, dass ich diesen Dank an dieser Stelle kurz entfalte:

Es war für mich als Bischof in der thüringischen Diaspora beim Rückblick auf das vergangene Jahr keineswegs eine Selbstverständlichkeit, mit welcher Vielfalt und Tiefe in einer doch eher säkular geprägten Gesellschaft der heiligen Elisabeth gedacht wurde.


Dies gilt in unterschiedlicher Art und Weise für zahlreiche Kommunen, Vereine und Verbände, für wissenschaftliche Institutionen, für soziale und schulische Einrichtungen, aber auch für die Thüringer Medien.


Ich möchte stellvertretend für die vielen Initiativen einige Beispiele nennen:

  • die eindrucksvolle Landesausstellung in Eisenach, die dem Leben und der Rezeption der großen Heiligen gewidmet ist. (Die Ausstellung geht heute Abend zu Ende),
  • ebenfalls der in Eisenach stattgefundene Thüringentag,
  • auch der im Thüringer Landtag veranstaltete parlamentarische Abend "Europäisches Forum. Frauen heute" ging mit aktuellen Bezügen den Spuren der heiligen Elisabeth nach,
  • insbesondere eine Vielzahl von Veranstaltungen im kommunalen Bereich, an Hochschulen, politischen Stiftungen und Theatern verdienen Anerkennung und Würdigung,
  • ausdrücklich möchte ich den Vertretern der Städte und Landkreise sowie des Landes für die Mitwirkung und Kooperation bei der diesjährigen Bistumswallfahrt danken. Ich denke besonders an die Burgengottesdienste, aber auch an die Lichterprozession in der abendlichen Erfurter Innenstadt.

Und auch das möchte ich an dieser Stelle sagen: Es ist nur zu begrüßen, wenn etwa der Besucher einer Landesausstellung erkennen kann, auf welchem geistigen Fundament unser Land Thüringen steht. Wenn sich eine Landesausstellung mit der Biographie einer heiligen Landgräfin und deren Wirkungsgeschichte beschäftigt, so ist das ein Hinweis darauf, wie sich christlicher Glaube und politisches Handeln gegenseitig durchdringen. Staat und Kirche haben je eigene Wirkungsfelder, aber sie begegnen sich in ihrem gemeinsamen Wirken zum Wohl der Menschen. Elisabeth gehört als überzeugende Christin zur positiven Bilanz Thüringischer Geschichte. Je mehr Menschen das erkennen, desto besser für Thüringen!


Sehr geehrte Damen und Herren,

erlauben Sie mir, dass ich in gebotener Kürze auch einen Blick nach vorn werfe und einige aktuelle Anliegen anspreche.



1.

Wir brauchen eine zunehmende Wachheit für die Nöte und die sozialen Fragen unseres Gemeinwesens


Die "Werke der Barmherzigkeit für Thüringen heute", die ich Ihnen vor einem Jahr vorgestellt hatte, waren ein Versuch, Sensibilität für verschiedene heutige Notlagen zu wecken. Die Resonanz auf diese Werke auch über den kirchlichen Bereich hinaus war überraschend groß.


In unserem Bistum und unseren Pfarrgemeinden werden wir Vorschlägen wie z.B. der Gründung von Caritasteams und dem Erstellen von Sozialreports auf der Ebene der Gemeinden nachgehen.


Gerechtigkeit ist freilich auch Ziel und inneres Maß der Politik. Papst Benedikt schreibt in seiner ersten Enzyklika Deus caritas est: "Die Politik ist mehr als Technik der Gestaltung öffentlicher Ordnungen: Ihr Ursprung und Ziel ist eben die Gerechtigkeit, und die ist ethischer Natur."


Konkret: Familien- und Kinderarmut in Deutschland nehmen zu. Mehr als 1,9 Millionen Kinder unter 15 Jahren leben in diesem reichen Land auf Sozialhilfeniveau und das mit zunehmender Tendenz, angesichts einer in diesen Tagen veröffentlichten Vermögensverteilung, nach der nur 10 % der Bevölkerung knapp 60 % des Gesamtvermögens besitzen. Deshalb meine dringende Bitte: es muss ein familiengerechtes Einkommen gesichert werden.



2.

Neben der Gerechtigkeit braucht ein lebensfähiges Gemeinwesen die Barmherzigkeit


Es ist richtig: Grundprinzip des Staates ist die Verfolgung der Gerechtigkeit, aber es gibt keine gerechte Staatsordnung, die den Dienst der Liebe überflüssig macht. Jeder Mensch braucht über Gerechtigkeit hinaus die Erfahrung von Barmherzigkeit und Solidarität.


Gerade im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen gilt es, der gesellschaftlich anzutreffenden Kälte zu widerstehen und Räume zu bewahren und auszubauen, in denen der Mensch Zuwendung und Wärme empfangen kann. Hier öffnet sich übrigens ein weites Feld der Zusammenarbeit von Christen und Nichtchristen für ein Thüringen "mit Herz", ganz im Sinne der heiligen Elisabeth.


Denn Barmherzigkeit ist kein Privileg, das sich nur auf den kirchlichen Raum erstreckt oder das nur der Christ beansprucht. Die Bereitschaft des Sich-Verlierens für den anderen in einem ehrenamtlichen Dienst - in der Kommunalpolitik, im Verein, im Besuchsdienst, in der Hospizgruppe, im Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderäten ist Kultur des Lebens und der Barmherzigkeit.


Bitte behalten Sie bei der Förderung des Ehrenamtes die geeigneten Maßstäbe im Blick, damit dieser unersetzliche Dienst wirklich "unbezahlbar" bleibt.



3.

Die bloße Diagnose gesellschaftlicher Defizite reicht nicht. Wir brauchen politische und ethische Therapie.


Ich weiß um die Schwierigkeit und Kompliziertheit von Entscheidungen und um das damit verbundene Handeln, insbesondere im politischen Bereich. Aber die Ansammlung von immer hochgestocheneren wissenschaftlichen Gutachten zu allen möglichen Problemlagen reicht nicht.


Ich gebe zu: Unsere Zeit hat andere Nöte und Herausforderungen als jene des mittelalterlichen Feudalstaates, in dem Elisabeth zur Hocharistokratie gehörte. Was sie jedoch von ihren Standesgenossen unterschied, war ihre Bereitschaft, angesichts der Not ihrer Zeit nicht nur genau hinzuschauen, sondern auch zu handeln. Sie wusste, dass sie als Landesfürstin und Politikerin in der Verantwortung stand.


Den Mut zum Handeln bezog sie nicht aus wissenschaftlichen Gutachten. Sie bezog ihn aus dem Wort Gottes. Sie verstand ihren Weltdienst als Gottesdienst. Bundespräsident Horst Köhler hat dies im September auf dem Domplatz so formuliert:

    "Die heilige Elisabeth widersprach mit ihrer tatkräftigen Nächstenliebe weltlichen Erwartungen und Denkmustern. Sie wies falsche Ansprüche ihrer adligen Zeitgenossen von sich. Sie folgte dem Gebot Gottes. Menschliche Ordnungen galten in ihren Augen nur etwas, wenn sie mit dem Glauben vereinbar waren."



Und ich füge hinzu: Aber eben darin zeigt uns Elisabeth auch: Wer den Himmel ernst nimmt, wird für die Erde tauglich. Wer mit Gott rechnet, fängt an sich selbst zu mögen - und seine Mitmenschen.


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bin froh und dankbar, wenn in der Politik verantwortlich - und vor allem auch wertgebunden entschieden und gehandelt wird. Dazu möchte ich weiterhin Mut machen und jeden einzelnen von Ihnen aufrufen, seinem Gewissen zu folgen - und das Gewissen ist ja so etwas wie Gottes Anruf an unseren inneren Menschen.


Der christliche Glaube weiß nicht alles besser - aber er lässt uns unruhig bleiben angesichts einer Politik, die manchmal nur noch pragmatisch ist und wirkliche ethische Ü;berzeugungen vermissen lässt. Hier versteh ich mich als Bischof, der ich ja auch ein Bürger dieses Landes bin, und wir uns als Kirche vor Ort als Gesprächspartner der Politik, der Wissenschaft und Kultur.


Die vertragliche Grundlage für das Entscheiden und Handeln im Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Thüringen hatte in diesem Jahr ihren 10. Geburtstag. Nach meinem Urteil hat sich das Thüringer "Konkordat" bewährt und grundsätzlich ein offenes und vertrauensvolles Miteinander möglich gemacht. Von dieser Basis her, die im Alltag immer wieder neu mit Leben gefüllt und ausgestaltet werden muss, ist eine konstruktive, aber auch kritische Politikbegleitung unerlässlich.


Wenn ich mich im letzten Jahr z.B. kritisch zu Defiziten zum vorgelegten Thüringer Bildungsplan geäußert habe, so kann ich heute feststellen, dass inzwischen das Anliegen einer religiösen Bildung und Erziehung im Sinne eines ganzheitlichen Bildungsbegriffs Berücksichtigung gefunden hat. Ich möchte dem Kultusminister für all seine diesbezüglichen Bemühungen danken. Hier wurde nicht nur geredet, sondern auch gehandelt.


Auch beim uns gemeinsam bewegenden Thema der Förderung der Schulen in freier Trägerschaft gebe ich das Prinzip Hoffnung nicht auf. Die guten Gründe für freie Schulen, insbesondere in kirchlicher Trägerschaft, sind hinlänglich ausgetauscht worden. Die hohe Wertschätzung einer christlich geprägten Bildung an unseren Schulen durch Eltern und Schüler spricht für sich.


Damit wir als Träger von Schulen im allgemeinbildenden und berufsbildenden Bereich diesem Anspruch weiterhin gerecht werden können, brauchen wir auf dem Weg einer Gleichbehandlung gegenüber staatlichen Schulen Kontinuität und Planungssicherheit bei der öffentlichen Förderung.


Ich will heute nicht über die Berücksichtigung oder Nicht-Berücksichtigung von Gutachten streiten. Aber wir brauchen dringend ab 2008 eine Umkehr der seit dem Jahr 2000 bestehenden schiefen Ebene der Schulfinanzierung für alle Schulformen, auch für berufsbildende Schulen. War das nicht eigentlich auch ohne Gutachten einsehbar? Ich nenne in diesem Zusammenhang besonders die Erzieherausbildung und die Altenpflegeausbildung.


Ich weiß, dass zu diesen Bildungsgängen erfolgversprechende Gespräche laufen und dass die Abgeordneten den Spielraum im Haushalt erweitert haben. Es ist gut, dass auch hier nicht nur geredet wurde, sondern gehandelt wurde und noch gehandelt wird. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, im Elisabethjahr die Altenpflegeausbildung weiter zu kürzen. Allen, die daran arbeiten, muss Erfolg beschieden sein.



Gehalten in der Erfurter Brunnenkirche am Montag, 19.11.2007



Ankündigung desElisabethempfangs