(Aachen, 18. Juni 2020) Weltweit hat die Corona-Krise das Schicksal von Flüchtenden noch einmal verschärft, zugleich aber ihr Elend in den Schatten gedrängt. Besondere Sorge bereitet die Lage im Libanon, das Land, das pro Kopf die meisten Flüchtlinge weltweit aufgenommen hat und eine Schlüsselrolle im zerbrechlichen Gefüge des Nahen Osten spielt. Seit Monaten befindet sich der Libanon in einer bedrohlichen Wirtschafts- und Finanzkrise, das Bankensystem ist praktisch kollabiert. Anfang März erklärte sich der hochverschuldete Staat als zahlungsunfähig. Beinahe zeitgleich legten die strikten Beschränkungen zur Eindämmung des Coronavirus die Wirtschaft fast vollkommen lahm. Das Land steht nun vor der größten Versorgungskrise seit Ende des Bürgerkriegs. Gemeinsam mit Syrien war der Libanon das Beispielland der diesjährigen MISEREOR-Fastenaktion.
„Ein Großteil der Erwerbstätigen hat keine Arbeit mehr. Mehr als die Hälfte der Libanesen sind mittlerweile von Armut bedroht und können sich kaum mehr die teuren Lebensmittel und Medikamente leisten. Flüchtlinge, die nicht auf Erspartes zurückgreifen können, sind erst recht Leidtragende der Situation und von Hunger bedroht“, erklärt Michel Constantin, Regionaldirektor der MISEREOR-Partnerorganisation Pontifical Mission im Libanon. „Gelegenheitsjobs oder der Verkauf von Obst und Gemüse auf den Märkten sind durch die strikten Corona-Maßnahmen nun endgültig weggefallen. Gerade die Geflüchteten können nach vielen Jahren nicht auf Ersparnisse zurückgreifen und sind deshalb noch mehr als zuvor auf Hilfe angewiesen“, so Constantin. 70 Prozent der Geflüchteten hatten angegeben, nicht mehr ausreichend Nahrung kaufen zu können.
Angst vor bürgerkriegsähnlichen Situationen
MISEREOR-Partnerorganisationen wie Pontifical Mission und der Flüchtlingsdienst der Jesuiten halten unter schwierigen Bedingungen ihre Arbeit im Bereich Bildung und psychosoziale Hilfe aufrecht. Mehr und mehr geht es jetzt aber darum, die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken, sie mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten zu unterstützen. Die Abwertung des Libanesischen Pfund macht jedoch die Arbeit der lokalen Hilfsorganisationen immer schwieriger. Schon im Februar hatten die MISEREOR-Partnerorganisationen über die gefährliche Lage im Land berichtet und vor Unruhen gewarnt. Die weitere Zuspitzung durch die Corona-Pandemie wecke nun Ängste vor bürgerkriegsähnlichen Situationen.
Internationaler Kraftakt zur Stabilisierung des Libanon erforderlich
„Die Welt darf dieser Krise im Libanon nicht tatenlos zusehen“, so MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon. Das Land erhalte viel zu wenig Unterstützung zur Versorgung der Flüchtlinge. Nur 12 Prozent der benötigten UNHCR-Gelder sind bislang finanziert. Besonders in den Flüchtlingslagern würde die Situation immer bedrohlicher. „Die Corona-Pandemie ist global und erfordert als Antwort ebenso einen internationalen Kraftakt wie die gewaltigen Konjunkturpakete in Deutschland und in der EU. Zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie müssen zusätzliche Mittel mobilisiert werden. Zudem muss die ausreichende Finanzierung der UN Hilfsprogramme in der Region gewährleistet werden.
Darüber hinaus sollte Deutschland im Rahmen der EU Ratspräsidentschaft eine koordinierte konzertierte Aktion der EU auf den Weg bringen, um den Libanon zu stabilisieren und damit die gesamte Region“, fordert Bröckelmann-Simon. Zugleich müssen die Gläubigerstaaten Wege finden, die Schuldenlast des Libanon zu verringern. Ein internationales Insolvenzrecht ist dringend notwendig. Das Überleben von Menschen hat Vorrang, nicht der Schuldendienst. Gleichzeitig müsse dies an ein entschiedenes Vorgehen der libanesischen Regierung geknüpft werden, Schritte zur Bekämpfung der Korruption umzusetzen.
Im Libanon fördert MISEREOR zurzeit 13 Projekte in Höhe von über 5,4 Millionen Euro im Bereich der Arbeit mit Geflüchteten. Insgesamt werden aktuell 152 Projekte in 40 Ländern weltweit im Flucht und Migrationskontext in Höhe von insgesamt 44 Millionen Euro gefördert.
Als Werk für Entwicklungszusammenarbeit der katholischen Kirche kämpft MISEREOR für Gerechtigkeit und Bildung, gegen Hunger, Krankheit, Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzungen sowie deren Ursachen. Gemeinsam mit einheimischen Partnern unterstützen wir Menschen unabhängig von ihrem Glauben, ihrer Kultur und ihrer Hautfarbe. Seit der Gründung von MISEREOR im Jahr 1958 wurden über 110.000 Projekte in Afrika und dem Nahen Osten, in Asien und Ozeanien, in Lateinamerika und der Karibik gefördert. MISEREOR ist Mitglied im Bündnis Entwicklung Hilft: www.entwicklung-hilft.de.