Mann der ersten Stunde

Winfried Weinrich leitet seit einem Vierteljahrhundert das Katholische Büro Erfurt. Ende des Jahres geht er in den Ruhestand

Erfurt (BiP). Der Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Ordinariatsrat Winfried Weinrich (63), geht mit Ablauf dieses Jahres in den Ruhestand. Weinrich gehört dem Katholischen Büro seit der Gründung im Jahr 1991 an und leitet es seit nunmehr 25 Jahren. Sein Nachfolger wird der Politologe Dr. Claudio Kullmann (36), bislang Leiter der Erfurter Bistumsakademie "Katholisches Forum" und des diözesanen Bildungswerkes. Die offizielle Verabschiedung von Ordinariatsrat Weinrich findet im Rahmen des jährlichen Elisabethempfangs am 16. November in Erfurt statt.

In Thüringen vertritt das Katholische Büro das 1994 neu gegründete Bistum Erfurt sowie die Diözesen Dresden-Meißen und Fulda, deren Territorien sich auch auf Thüringen erstrecken. Es versteht sich als eine Kontaktstelle der katholischen Bischöfe zur Landesregierung und ihren Ministerien, zum Landtag sowie zu Parteien und gesellschaftlichen Verbänden. So trägt es zur Gestaltung eines dialogischen und vertrauensvollen Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen bei. Katholische Büros gibt es in allen Landeshauptstädten sowie - auf der Bundesebene - in Berlin, dem Sitz der Bundesregierung. Winfried Weinrich ist mittlerweile der dienstälteste Leiter eines Katholischen Büros in Deutschland.

Zur Einrichtung des Büros kam es 1991 nach der Wiedergründung des Freistaates Thüringen und der Aufnahme der parlamentarischen Arbeit. In der DDR hatte es kein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Staat und Kirche gegeben, schon gar keine Kooperationen. Die DDR verstand sich als ein atheistischer Staat, der jeden Einfluss Dritter auf seine Bürgerinnen und Bürger zu unterbinden suchte. Insbesondere die Kirchen waren der herrschenden SED ein Dorn im Auge. Dann kam 1989/90 die friedliche Revolution, und schließlich die Deutsche Einheit. Jetzt war es auch den Kirchen in Ostdeutschland (wieder) möglich, sich am Dialog über gesellschaftliche Fragen zu beteiligen und Angelegenheiten, die Staat und Kirche gemeinsam betreffen, mit staatlichen Institutionen zu regeln.

In Erfurt war Winfried Weinrich Mann der ersten Stunde. 1991 trat der diplomierte Chemiker und Theologe als Referent in das Katholische Büro Erfurt ein, das vom damaligen Erfurter Generalvikar Georg Jelich geleitet wurde. Zuvor war Weinrich seit 1980 in der kirchlichen Gemeindearbeit und an der Studienstelle der Berliner Bischofskonferenz tätig gewesen. 1992 übernahm er die Leitung des Katholischen Büros. Dessen erster Arbeitsschwerpunkt im jungen Freistaat Thüringen bestand darin, die Erarbeitung einer Verfassung zu begleiten und zu unterstützen. Dies geschah im Rahmen einer ökumenischen Arbeitsgemeinschaft. Das erste Gesetz, zu dem das Katholische Büro eine Stellungnahme abgab, war das Vorläufige Bildungsgesetz für den Freistaat Thüringen. Drei Staatskirchenverträge wurden unter maßgeblicher Mitarbeit von Winfried Weinrich zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Thüringen abgeschlossen. Der erste Vertrag über die Errichtung des Bistums Erfurt 1994, ein zweiter regelte 1997 die sogenannten res mixtae, also die Freistaat und Katholische Kirche gemeinsam betreffenden Dinge, und 2002 wurde mit einem Staatskirchenvertrag die Integration der Theologischen Fakultät Erfurt in die Universität Erfurt besiegelt.

Weitere Meilensteine in der noch jungen Geschichte des Katholischen Büros waren die Vereinbarungen über die Seelsorge im Strafvollzug (1994), den Einsatz kirchlicher Mitarbeiter im schulischen Religionsunterricht (1994) sowie die Vereinbarungen über die Polizeiseelsorge und den berufsethischen Unterricht (1995). Aktuell beschäftigen das Katholische Büro die Rahmenbedingungen für Schulen in freier Trägerschaft. In diesem Zusammenhang arbeitet Weinrich auch als einer von zwei Koordinatoren der Landesarbeitsgemeinschaft freier Schulträger in Thüringen. In der Härtefallkommission, an die sich abgelehnte Asylbewerber wenden können, wenn ihre Abschiebung menschlich oder moralisch unerträglich wäre, ist Weinrich seit der Gründung im Jahr 2005 ständiges Mitglied. Zuvor hatte er sich für die Einrichtung einer solchen Kommission in Thüringen starkgemacht.

Hin und wieder gab es besondere Ereignisse, die den Einsatz des Katholischen Büros (mit) erforderlich machten, zum Beispiel die Vorbereitung des Papstbesuches im Jahr 2011. Höhepunkte, gewiss, aber die tägliche Arbeit bestand und besteht darin, Stellungnahmen für Gesetzesanhörungen zu erstellen, Verträge oder Vereinbarungen vorzubereiten, zu prüfen oder abzuschließen. Daneben gilt es, Kontakte zu pflegen, Hintergrundgespräche zu führen oder Diskussionsforen anzubieten, grundsätzlicher Art oder zu Themen, die Politikern auf den Nägeln brennen, wie etwa die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen oder dem Verständnis von Ehe und Familie.

Vieles davon geschieht in Absprache und Zusammenarbeit mit dem Evangelischen Büro, das die evangelischen Kirchen in Thüringen vertritt. Dabei geht es nicht nur um Politik. Winfried Weinrich und sein evangelischer Kollege, aktuell ist das Oberkirchenrat Christhard Wagner, laden beispielsweise vor den Plenarsitzungen des Landtages zu ökumenischen Gottesdiensten ein oder bieten ökumenische Gebetsfrühstücke an. Beide stehen Politikern auch für persönliche Gespräche zur Verfügung.

Ökumenisch unterstützen beide auch die Aufarbeitung des Themas "Christen in der DDR" im Freistaat Thüringen. Federführend ist zwar die Landesregierung, aber beide Kirchen arbeiten mit ihren Fachleuten in der jüngst zusammengestellten Arbeitsgemeinschaft "Christen und Kirchen im DDR-Unrechtsstaat" mit. Das Projekt steht noch am Anfang, und Ordinariatsrat Weinrich wird den Abschluss keinesfalls im aktiven Dienst erleben. Aber er weiß das Vorhaben bei seinem Nachfolger in guten Händen. Claudio Kullmann zeigte schon bei seiner Akademie- und Bildungsarbeit im Bistum Erfurt keine Angst vor heißen Eisen.

1981 geboren, wuchs Kullmann in Gernrode (Eichsfeld) auf. Nach dem Abitur studierte er Politikwissenschaft in Jena, Geelong (Australien) und Marburg. 2009 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik in Luzern, 2011 wechselte er zu den Deutschen Katholikentagen Mannheim, Regensburg und Leipzig. 2014 wurde er an der Universität Jena zum Dr. phil. promoviert. Seit April 2015 ist er beim Bistum Erfurt angestellt. Ab dem 1.1.2018 hat er gleich drei Bischöfe als Chefs. Dann übernimmt er die Leitung des Katholischen Büros Erfurt.

29.08.2017