Kunstbeauftragter des Bistums Erfurt geht in den Ruhestand: Gesamten Kunstbestand des Bistums er

"Gehen Sie auf Böden und öffnen Sie Schränke!"

Erfurt (BiP). Die Order lautete: "Gehen Sie auf Böden und öffnen Sie Schränke!" Wenn Rolf-Günther Lucke (65) an seine Anfänge als Kunstbeauftragter des Bistums Erfurt zurückdenkt, muss er schmunzeln. Damals, im Jahr 1986, erhielt er den Auftrag, in allen Pfarreien den gesamten Kunstbestand des Bistums zu erfassen. Vierzehn Jahre hat der promovierte Kunsthistoriker dafür gebraucht. In dieser Zeit ist er auf Türme und Dachböden geklettert, hat Kreuzwege im Wald aufgesucht sowie alles, was in Kirchen und Sakristeien nach Kunst aussah, in Augenschein genommen. Ob Hochaltäre, Deckenfresken oder Gemälde, Skulpturen, Kelche oder Paramente - rund 15.000 Kunstobjekte sind von Rolf-Günther Lucke gesichtet, fotografiert und dokumentiert worden. "Ich wollte diese Arbeit immer bis zur Rente erledigt haben. Es hat geklappt", freut sich der Kunstbeauftragte, der mit dem Monat Juli in den Ruhestand eingetreten ist.

Das Büro von Rolf-Günther Lucke ist klein. Vier, fünf Schritte genügen, den quadratischen Raum zu durchmessen. Regale mit Fachliteratur nehmen fast drei Seiten des Zimmers ein, dazu kommen ein Schreibtisch und eine mit Nadeln übersäte Karte des Landes Thüringen. Aber das Herzstück des Büros ist ein mittelgroßer Stahlschrank, der, grau und unscheinbar, in einer Ecke steht. Zusammen mit drei weiteren Schränken im Nebenraum enthält er auf Karteikarten alles, was Lucke über das Kunstgut des Bistums zusammen getragen hat. Auf einige Zentner schätzt Lucke das Gewicht der Karten; selbst er kennt ihre genaue Anzahl nicht.

Akribisch hat Lucke auf den Karteikarten den gesamten Kenntnisstand über die jeweiligen Kunstgüter festgehalten. Was wo und in welchem Zustand vorhanden ist, von welchem Künstler und aus welcher Epoche das Objekt stammt und ob es restauriert worden ist, dazu Gewichte, Maße, Eigentumsverhältnisse und anderes mehr. 50.000 Fotografien, alle von Lucke aufgenommen und beschrieben, zeigen die Objekte aus verschiedenen Perspektiven. Jede Karteikarte, so Lucke, sei so etwas wie ein "Personalausweis des Kunstwerkes".

Eine herkulische Leistung, zumal Rolf-Günther Lucke auf keinerlei Vorarbeiten zurückgreifen konnte. "Ich habe buchstäblich bei Null angefangen", erzählt er über den Beginn seiner Arbeit. Selbst die Möbel für das Büro sind von ihm ausgesucht worden. Gelegentlich zeigt Lucke Besuchern einen Karton aus jener Zeit, der ein Stempelkissen und einige Reißzwecken enthielt. "Das war meine erste Büroausstattung", bemerkt er. Allerdings sei er sich der Unterstützung durch das Ordinariat immer sicher gewesen. So wurde, für DDR-Verhältnisse ungewöhnlich schnell, innerhalb eines Jahres ein Trabant als Dienstwagen angeschafft, damit der Kunstbeauftragte die Pfarreien in ganz Thüringen erreichen konnte. Denn erfasst hat Lucke die Kunst vor Ort, "bewaffnet" mit Zollstock, Fotokamera und Notizblock. "Manchmal sah ich aus wie ein Schornsteinfeger, wenn ich von einem verstaubten Dachboden herunter war", sagt er, und sein Schmunzeln zeigt, dass es ihm nichts ausgemacht hat.

Mindestens einen Tag dauerte die Erfassung des Kunstgutes in einer Gemeinde. In größeren Pfarreien wie St. Severi im Schatten des Erfurter Domes konnten es auch schon einmal mehrere Monate sein. Wie lang es gedauert hätte, das Kunstgut im Dom zu erfassen, weiß Lucke nicht zu sagen. Denn hier ist das Dombauamt zuständig. So ist der Dom die einzige Kirche des Bistums, die nicht von ihm bearbeitet wurde.

Allerdings war die Arbeit von Rolf-Günther Lucke mit dem Erfassen von Kunstobjekten nicht getan. Der Kunstbeauftragte musste sich auch um die Sicherung und Restaurierung des Kunstgutes kümmern. Jedes Jahr erstellte Lucke dazu eine Dringlichkeitsliste und schlug dem Generalvikar vor, was restauriert werden musste. Für die Auftragsvergabe und die Zusammenarbeit mit den Restaurierungsfirmen war er ebenfalls zuständig. Heute kann Lucke sagen, dass keinem der kirchlichen Kunstgüter aktuell Schaden oder Verfall droht. Und weil sich sein Traum von einem Diözesan-Museum nicht erfüllen ließ, hat er immerhin dafür gesorgt, dass für das Kunstgut, das in den Pfarreien nicht benötigt wird, ein Kunstmagazin am Dom eingerichtet wurde. "Da ist es sicher und geschützt untergebracht", stellt Lucke erleichtert fest.

Bereut hat es Rolf-Günther Lucke nie, 1986 vom Institut für Denkmalpflege der DDR ins bischöfliche Ordinariat zu wechseln. Die Aufgabe, die sich ihm bei der Kirche bot, war zu verlockend. "Außerdem hatte ich im Institut schlechte Aufstiegschancen, weil mir die Verbindungen zur Partei fehlten. Ich wäre immer nur Oberkonservator geblieben", ergänzt er die Gründe für den Arbeitswechsel. Jetzt, nach vierzehn Jahren, ist er im Ruhestand. Aber von seiner Arbeit kann Lucke nicht lassen. Kunstbeauftragter des Bistums Erfurt bleibt er weiterhin - "Natürlich nur im Nebenamt", fügt er hinzu. Wie gewohnt, werde er auch an Büchern mitschreiben; zur Zeit etwa am "Fachlexikon für die Inventarisation des kirchlichen Kunstgutes", für das er eine Vielzahl von Artikeln verfasst. Auch die Kriminalpolizei kann sich seiner Mithilfe nach wie vor sicher sein: So manches geraubte Kunstgut konnte nämlich dank der Karteikarten von Rolf-Günther Lucke identifiziert und an seinen Ort zurück gebracht werden. "Mir hat die Arbeit immer Spaß gemacht", beteuert Lucke im Gespräch. Er hätte es nicht eigens erwähnen müssen.



link