Kein Osterglaube ohne Folgen

Predigt von Bischof Ulrich Neymeyr am Ostersonntag im Dom St. Marien, Erfurt

"Auferstanden von Toten", so heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Dieser Satz ist ein Glaubenssatz im Unterschied zu den vorherigen Teilen des Glaubensbekenntnisses "gelitten und Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben". Dass Jesus von Nazareth unter dem römischen Statthalter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde, dass er starb und begraben wurde, kann man als historisch gesichert bezeichnen. Der Satz, dass er am dritten Tag von den Toten auferstanden ist, ist dagegen ein Glaubenssatz, hat allerdings auch ein kleines historisches Fundament. Der Kirchenhistoriker Hans Freiherr von Campenhausen schrieb 1952 in einer Abhandlung über den Ablauf der Osterereignisse: "Man fand und zeigt aller Wahrscheinlichkeit nach wirklich ein leeres Grab".  Dieses vorsichtige Urteil spiegelt die Diskussionen wieder, die es um die Frage gab, ob der Leichnam Jesu tatsächlich aus einem Grab verschwunden war. Die Diskussionen dauern bis heute an, wobei immer darauf hingewiesen wird, dass das leere Grab alleine die Auferstehung Jesu nicht beweisen kann. Schon im Matthäusevangelium steht, dass die Grabwächter bestochen wurden, damit sie den Leuten erzählten: "Seine Jünger sind bei Nacht gekommen und haben ihn gestohlen, während wir schliefen." (Mt 28,13) Heutige Forscher wie Thomas Söding und Ulrich Wilckens "stellen mit Recht fest, dass im Jerusalem von damals die Verkündigung der Auferstehung schlechterdings unmöglich gewesen wäre, wenn man auf den im Grab liegenden Leichnam hätte verweisen können" .
In seinem Jesusbuch schreibt Papst Benedikt XVI.: "Das leere Grab als solches kann die Auferstehung nicht beweisen, das ist wahr. Aber es gibt die umgekehrte Frage: Ist Auferstehung mit dem Verbleiben des Leichnams im Grab vereinbar? Kann Jesus auferstanden sein, wenn er im Grab liegt? Welche Auferstehung ist das dann?"
Die Begegnungen mit dem Auferstandenen waren völlig neue und außergewöhnliche Begegnungen für die Jüngerinnen und Jünger. Sie wurden durch diese Begegnungen Zeugen der Auferstehung. Sie konnten diese Erfahrung nicht für sich behalten und beschrieben das, was sie erlebt hatten, mit dem schlichten Satz: "Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen." (Lk 24,34) Es waren Begegnungen, die sich wirklich ereignet haben. Daran lassen die Zeugnisse der Jüngerinnen und Jünger keinen Zweifel. Es waren Ereignisse, die sich als Begegnung zugetragen haben, als Begegnung, die allein vom Auferstandenen ausgingen, und es waren Ereignisse, die sich vermutlich nur als Begegnung zugetragen haben. Der 1978 verstorbene Neutestamentler Heinrich Schlier hat in einer Abhandlung über die Auferstehung Jesu Christi geschrieben: "So kann man sagen, dass sich die Auferstehung Jesu Christi in der Geschichte als "Begegnis" ereignet"  haben.
Unser Glaube an die Auferstehung Jesu Christi gründet also auf dem Bekenntnis der ersten Christen: "Der Herr ist wirklich auferstanden." Das älteste schriftliche Zeugnis von der Auferstehung findet sich im ersten Brief des Apostels Paulus an die Korinther, der etwa zwanzig Jahre nach der Kreuzigung Jesu geschrieben wurde. Die Sätze hat Paulus nicht selbst formuliert, sondern sie wurden zwanzig Jahre lang auf mündlichem Weg weitergegeben: "Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf." (1 Kor 15,3-5) Diese Sätze wurden kurz nach den Auferstehungsbegegnissen formuliert. Auf ihnen gründet unser Glaube an die Auferstehung Jesu Christi. Auf ihnen gründet unser Osterfest.
Wer Ostern ernst nimmt, traut dem Leben mehr zu als dem Tod. Aus diesem Grund wird er das Leben schützen, vom Anfang bis zum Ende. Wer Ostern ernst nimmt, wird die Grenzen der unbegründeten Angst, etwa vor Ausländern und Flüchtlingen, überschreiten. Er wird gegen die Selbstgenügsamkeit den entscheidenden Schritt tun und für Benachteiligte, Alte, Behinderte, Ausgegrenzte und Schwache Partei ergreifen. Ein österlicher Mensch kann nicht anders als der Versuchung zu widerstehen, die Hände in den Schoß zu legen und auf bessere Verhältnisse zu hoffen. Er wird aktiv in den drängenden Fragen der Zeit. Weil, das ist das Ostergeheimnis, die Liebe stärker ist als der Tod.

4.5.2015