Katholisches Büro Erfurt: Anmerkungen zum Flüchtlingsbericht Thüringen 2001

Fachtagung des Ausländerbeauftragten der Landesregierung "Asyl-Kultur in Thüringen" am 04.12.2002

Textdokumentation:



Vorbemerkung:


Zunächst gebührt dem Ausländerbeauftragten der Thüringer Landesregierung, Herrn Peters Dank dafür, dass erstmals im Auftrag des Ausländerbeauftragten ein Flüchtlingsbericht Thüringen erstellt werden konnte.

Der Bericht stellt sowohl in übersichtlicher Weise rechtliche Grundlagen und statistische Daten sowie Lebenssituation und soziale Lage der Flüchtlinge in Thüringen heraus.

Besonders danken möchte ich an dieser Stelle allen, die in unserem Land an der Entwicklung einer Asylkultur mitwirken: Ämter, Wohlfahrtsverbände, Betreiber von Gemeinschaftsunterkünften, Haupt- und Ehrenamtliche in der Flüchtlingssozialarbeit.


Das Katholische Büro wirkt im Auftrag der Bischöfe schon seit vielen Jahren an der Ausge-

staltung asylrechtlicher Regelungen auf Landesebene im Rahmen von Anhörungen und Gesprächen mit. Daneben ist das Katholische Büro immer wieder eine Anlaufstelle für Beratung und Hilfeleistung für Asylbewerber.



Anmerkungen zum Flüchtlingsbericht:



1. Zur Abschiebehaft von ausreisepflichtigen Asylbewerbern


Nach wie vor sind die Abschiebehäftlinge in Thüringen in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht. Ein langjähriges Anliegen der Kirchen, die Abschiebehaft vom Strafvollzug im Interesse der Abschiebehäftlinge zu trennen, wurde bisher nicht entsprochen. Eine Änderung der Zuordnung der Verantwortlichkeit für die Abschiebehaft ist sachgemäß, da diese nicht als Strafvollzug betrachtet werden kann.



2. Wohnsituation


Nach dem Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz ist es möglich, unter bestimmten Bedingungen (Aufenthaltsdauer über 12 Monate) Asylbewerber in dezentralen Ein-richtungen unterzubringen.

Leider liegen in Thüringen die Einzelunterbringungsmöglichkeiten bei ca. 15 % der Gesamtunterkunftskapazität. Positiv sind hier vor allem die Städte Erfurt und Gera hervorzuheben, jedoch werden die Spielräume der Landkreise und kreisfreien Städte zum Teil sehr beschränkt bis restriktiv genutzt.


3. Residenzpflicht


Benachbarte Landkreise bzw. kreisfreie Städte sollten auf Grund der Lage der Gemeinschaftsunterkünfte sinnvollen Regelungen bezüglich der Residenzpflicht der

Asylbewerber nicht entgegenstehen. In bestimmten Fällen erweist es sich als angemessen und notwendig, dass sich der Asylbewerber auch im benachbarten Kreis aufhalten kann (Zella-Mehlis/Suhl).


4. Soziale Betreuung


Der Flüchtlingsbericht weist darauf hin, dass sich in den letzten Jahren die Wohlfahrtsverbände und andere freie Träger aus der Betreibung und der sozialen Betreuung der Gemeinschaftsunterkünfte zurückgezogen haben. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sollten folgende Punkte geprüft und künftig Beachtung finden:


  • Erarbeitung einer Richtlinie für Flüchtlings-Sozialarbeit in Thüringen, die sowohl die
  • Förderung als auch Standards der sozialen Betreuung beinhaltet

  • Ergänzende Beibehaltung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen, um qualifiziertes Personal für die soziale Betreuung unterstützen zu können

  • Bei Neuausschreibungen für die Betreibung von Gemeinschaftsunterkünften sollte zunächst geprüft werden, ob ein freier Träger die soziale Betreuung übernehmen kann. Die gemeinsame Ausschreibung von Betreibung und sozialer Betreuung im Verband macht es freien Trägern nahezu unmöglich, sich zu bewerben.


5. Arbeitserlaubnis und gemeinnützige Tätigkeit


Die große Mehrheit der Asylbewerber besitzt keine Arbeitserlaubnis. Zum Teil werden gemeinnützige Tätigkeiten in den Gemeinschaftsunterkünften ausgeführt. Unter Beachtung der gesetzlichen Möglichkeiten sollte von den regionalen Arbeitsämtern immer wieder sorgfältig und differenziert geprüft werden, inwieweit auch für Asylbewerber eine Arbeitserlaubnis erteilt werden kann.


6. Gesundheitsversorgung


Der Flüchtlingsbericht weist darauf hin, dass Thüringen kein psychosoziales Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge vorhält. Aus diesem Grund ist darauf zu achten, dass für den Fall einer Behandlung in Thüringen entweder kompetente Ansprechpartner vorhanden sind oder die Nutzung von Einrichtungen in anderen Bundesländern (Behandlungszentrum für Folter in Berlin) unkompliziert möglich ist.


7. Schule und Ausbildung


Nach wie vor genießen Kinder von Asylbewerbern in Thüringen nur ein Schulrecht. Eine entsprechende Initiative der Thüringer Landesregierung im Rahmen der Novellierung der Schulgesetzgebung, die Schulpflicht für Asylbewerber-Kinder gesetzlich zu verankern, wurde von der Mehrheit des Thüringer Landtages nicht mitgetragen. Um so mehr sollten sich die Hausleitung der Gemeinschaftsunterkünfte und die Sozialbetreuer dafür einsetzen, dass durch eine Entscheidung der Eltern die Kinder von Asylsuchenden ihr Schulrecht wahrnehmen.


8. Auslegung der Altfallregelung für Asylbewerberfamilien


Unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht es die sogenannte Altfallregelung, dass Asylbewerberfamilien, die vor dem 01. Juli 1993 eingereist sind, eine Aufenthaltsbefugnis erhalten können. Aus humanitären Gründen sollte diese Regelung ihrem Geist und ihren Buchstaben nach im Interesse der Ausländerfamilien mit ihren Kindern ausgelegt werden.


9. Flüchtlings- und Asylproblematik in der Lehrerausbildung und in der Schule


Um eine nachhaltige Entwicklung einer Asylkultur in Thüringen zu fördern, erscheint es notwendig, in geeigneter Weise das Thema Flüchtlinge und Asyl sowohl in der Lehrerausbildung als auch mit den Schülern im Unterricht zu thematisieren. Dies könnte konkret vor Ort dazu beitragen, dass beispielsweise Vorbehalte gegenüber einer Gemeinschaftsunterkunft in einer Stadt oder einer Gemeinde abgebaut werden können.


10. Gesellschaftlicher Diskurs über die Anwendung des Begriffes der Integration auf die Flüchtlinge


Nach wie vor besteht in unserer Gesellschaft kein Konsens über die Anwendung des Begriffes der Integration auf Flüchtlinge und Asylsuchende. Der Begriff Integration wird in der öffentlichen Diskussion eher mit Zuwanderern, Aussiedlern, Spätaussiedlern und Kontingentflüchtlingen in Verbindung gebracht. Bei Flüchtlingen, insbesondere bei Asylbewerbern wird eher von der Gestaltung ihres Aufenthaltes gesprochen. Allerdings stellt sich bei langjährigen Asylverfahren die Frage, inwieweit beispielsweise der Aufenthalt einer Asylbewerberfamilie mit ihren Kindern (Kindertagesstätten und Schulbesuch) unter dem Integrationsgesichtspunkt betrachtet werden muss.



Ordinariatsrat Winfried Weinrich

Leiter des Katholischen Büros





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