Gottes Geist bewirkt versöhntes Leben

Predigt beim Abschluss der Renovabisaktion in Heilbad Heiligenstadt am Pfingstsonntag, 20. Mai 2018

Bild: Bistum Erfurt / Jens-Ulrich Koch; in: Pfarrbriefservice.de

Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,

in den letzten drei Jahren wurden hierzulande viele 25-jährige Jubiläen begangen. Sie erinnern an die vielfältigen und grundlegenden Veränderungen, die durch die friedliche und erfolgreiche Revolution des Jahres 1989 ausgelöst wurden. Zu all diesen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zählt auch die Gründung des Bischöflichen Hilfswerks Renovabis im Jahr 1993. Es war und ist ein wichtiges Anliegen der katholischen Bischöfe und der Katholiken in Deutschland, die Katholische Kirche in den Ländern Ost- und Mitteleuropas zu unterstützen, die über 40 Jahre lang unter der Knechtschaft des Kommunismus zu leiden hatten. Es freut mich, dass dieses Jubiläum in dem Teil Deutschlands begangen wird, in dem die Katholiken auch unter der Diskriminierung durch eine sozialistische Staatspartei zu leiden hatten.

Die Katholiken im Eichsfeld hatten den Vorteil, dass sie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellten, was es den Anti-Theisten schwerer machte, ihre religionsfeindliche Ideologie durchzusetzen. Allerdings war die Repression durch den Staat für viele eine alltägliche Lebenserfahrung, weil ein Drittel des Eichsfeldes im sogenannten Sperrgebiet lag, einem 5 km breiten Streifen, den nur diejenigen betreten durften, die dort wohnten. Die Erteilung der Besuchserlaubnis für Andere war ein Akt staatlicher Willkür.

Die friedliche Revolution hat in der ehemaligen DDR die Diktatur der SED abgeschüttelt und für die Katholische Kirche neue Möglichkeiten eröffnet, wie z.B. die Gründung einer katholischen Schule, auch hier in Heiligenstadt, die Übernahme mancher ehemals kommunaler Kindergärten, die Gründung von katholischen Verbänden und die Erfahrung von Weltkirche durch Kontakte mit Katholiken in aller Welt.

Das bischöfliche Hilfswerk zur Unterstützung in Ost- und Mitteleuropa hat sich mit Bedacht den Namen „Renovabis“ gegeben. Im Antwortpsalm des Pfingsthochamtes wird der Psalm 104 zitiert: „Du erneuerst (renovabis) das Antlitz der Erde.“ (Ps 104,30).

Gottes Heiliger Geist, dessen Fest wir heute an Pfingsten feiern, erneuert nicht nur die Kirche, sondern er erneuert das Antlitz der Erde. Die Werkzeuge, mit denen er dies tut, sind die Christen, die in den Sakramenten mit der Kraft des Heiligen Geistes gestärkt wurden. Ein Symbol dafür ist die Salbung mit Chrisamöl. So wie das geweihte Öl in die Haut einzieht, so zieht die Kraft des Heiligen Geistes in die Christen ein bei der Taufe, bei der Firmung bei der Priester- und Bischofsweihe.

So sind wir befähigt und berufen, in der Kraft des Heiligen Geistes das Antlitz der Erde zu verwandeln. Der Eröffnungsvers des Pfingstsonntags ist ein Abschnitt aus dem Römerbrief, der zu meinen Lieblingsbibelstellen zählt: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.“ (Röm 5,5). Die materielle Unterstützung, die das bischöfliche Hilfswerk durch die Weitergabe von Kollekten, Spenden und Stiftungen der Kirche in Ost- und Mitteleuropa geben kann, dient der Unterstützung des vom Heiligen Geist gewirkten Glaubenszeugnisses und Engagements der Christen.

Die Situation in den ost- und mitteleuropäischen Ländern war und ist unterschiedlich. In manchen Ländern waren und sind die Christen in der Mehrheit. In anderen, auch in den neuen deutschen Bundesländern, bilden die Christen eine kleine Minderheit, so auch im größten Teil des Bistums Erfurt.

Es ist eine weltweit besondere Erfahrung, die die Katholiken in Ostdeutschland und in Tschechien machen, wo der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung Religion seit Generationen völlig fremd ist. Durch die ideologische Indoktrination der kommunistischen Diktatur wurde ihnen vermittelt, dass Religion ein vorwissenschaftliches Phänomen der Vergangenheit ist, das in der Moderne keinen Platz mehr hat.

Der Name „Renovabis“ wird hier zu einem anspruchsvollen Programm, das die Glaubenden darin ermutigt, ihr Leben in die Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater und mit dem auferstandenen Herrn, Jesus Christus, zu führen und so mitzuwirken, dass Gottes guter Geist das Antlitz der Erde und das Miteinander in der Gesellschaft ständig erneuert.

Das Leitwort der diesjährigen Renovabisaktion beleuchtet einen Aspekt dieser ständigen Renovierungsarbeiten: „miteinander.versöhnt.leben“. Es erinnert daran, dass der Heilige Geist die Kraft Gottes ist, die die Menschen nicht nur in Gemeinschaft mit Gott und dem auferstandenen Herrn Jesus Christus hält, sondern auch mit der Gemeinschaft untereinander. 

Dies betrifft nicht nur die Gemeinschaft mit den Menschen, mit denen wir in der Familie, in der Nachbarschaft, im Dorf, in der Schule oder am Arbeitsplatz zusammen leben, sondern dies betrifft auch die Gemeinschaft mit Menschen, die als Fremde zu uns kommen. Es gehört zur Geschichte Europas, dass Menschen ihre Heimat verlassen oder verlassen müssen und als Fremde irgendwo hinkommen.

Man braucht nur auf die Geschichte der letzten 100 Jahre hier im Eichsfeld zurückzuschauen. Vor 100 Jahren herrschte hier bittere Armut, die viele Eichsfelder dazu zwang, als Arbeitsmigranten anderswo ihr Brot zu verdienen. 20 Jahre später mussten die Juden, die hier lebten, das Eichsfeld verlassen.

Wenige Jahre später kamen Heimatvertriebene aus den ostdeutschen Gebieten. Viele zogen durch das Eichsfeld in den Westen, manche blieben hier. Wiederum kurz darauf verließen viele Eichsfelder, manchmal ganze Dörfer, ihre Heimat, um der Diktatur der SED zu entfliehen. Manche wurden an der innerdeutschen Grenze erschossen. In den Jahren 1989 und 1990 zogen hunderttausende DDR-Bürger in den Westen. Schließlich kamen Asylanten auch in die neuen Bundesländer.

Im Jahr 2015 gelang es, alle Geflüchteten, die ins Eichsfeld geschickt wurden, hier auch unterzubringen. So stehen wir in Europa ständig vor der Herausforderung, versöhnt miteinander zu leben, damit Menschen nicht gezwungen sind, in die Fremde aufzubrechen. Und wir stehen vor der Herausforderung, Fremde, die zu uns kommen, aufzunehmen.

Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und sein Ebenbild. Der Heilige Geist, der auch der Schöpfergeist ist, stärkt uns, versöhnt miteinander zu leben und so das Antlitz der Erde zu erneuern.