"Ein Mahl verwandelt zum Leben"

Predigt von Bischof Joachim Wanke bei der Heilig-Blut-Wallfahrt in Walldürn


Predigt von Bischof Joachim Wanke bei der Heilig-Blut-Wallfahrt in Walldürn

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

liebe Wallfahrtsgemeinde!


"Und noch in der gleichen Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück" - so endet das Evangelium von den beiden Emmausjüngern. Sie hatten mit dem Auferstandenen das Mahl gefeiert - und das hat sie verwandelt. Aus enttäuschten und resignierten Jesusjüngern, die gerade dabei waren, sich ins Private zurückzuziehen, wurden neue Menschen, wurden Osterzeugen!



I. Eucharistie und Neuschöpfung


Der Evangelist Lukas lässt erkennen, das es kein gewöhnliches Mahl war, was da im Haus von Emmaus gefeiert wurde, sondern die Eucharistie. Wir müssen also unsere erste Feststellung genauer fassen: Die Eucharistie verwandelt die verzagten Jünger. Sie erweckt sie aus der Verzagtheit und Resignation zu neuem Leben.


Was geschieht hier?

Schauen wir auf den Ursprungsort der Eucharistie. Das ist der Abendmahlssaal in der Nacht vor dem Karfreitag. Der Herr macht in dieser Nacht vor seinem Sterben aus einer menschlichen Gewalttat eine Tat der Hingabe, eine Tat der Liebe - für uns und die vielen. Diese Umwandlung des geballten Hasses, der Jesus vernichten will, zu einer Tat hingebender, schenkender Liebe geschieht auf Golgatha. In der Feier im Abendmahlssaal nimmt der Herr diese Umwandlung im Zeichen des gebrochenen Brotes und des allen dargereichten Kelches vorweg.


Hier geschieht, was unsere Rettung ist: Gewalt wird in Liebe verwandelt, und so der Tod in Leben. Das ist gleichsam die "Kernspaltung" im Innersten des Seins, wie das Papst Benedikt in seiner Predigt beim Abschlussgottesdienst am Weltjugendtag ausgedrückt hat, eine "Kernspaltung", von der alle weiteren Verwandlungen wie in einer Kettenreaktion ausgehen und so allmählich die Welt verändern. Hier, am Kreuz unseres Herrn, geschieht die Ü;berwindung des Bösen von innen her, aus der Kraft einer Liebe, die alles menschliche Maß übersteigt. Das ist das Einmalige, das Erlösende an der Tat Jesu. Hier wird ein Raum eröffnet, in den auch wir eintreten können, um zu neuen österlichen Menschen zu werden.


Das feiern wir in jeder Eucharistie. Mehr noch: Wir lassen uns bei der Mitfeier der hl. Messe hineinziehen in diesen Umwandlungsprozess, der mit Jesus in dieser Welt seinen Anfang nahm. Die Verwandlung des Brotes und Weines in den Leib und das Blut Christi soll nicht aufhören. Sie will Fortsetzung finden in unserer Umwandlung, die sich zeigen soll in der kleinen Münze eines Lebensstiles in der Gesinnung, in der Art Jesu. Nichts weniger als Neuschöpfung passiert, wenn wir uns dem Anspruch der Eucharistie aussetzen. Ja, wir können sagen: Wir werden mehr und mehr das, was wir empfangen: Leib Christi.


Darum, liebe Schwestern und Brüder, ist uns katholischen Christen die Eucharistie so kostbar - nicht weil sie Gemeinschaftserlebnisse schafft, nicht weil sie fromme Gefühle weckt oder sonst wie nützlich ist. Sie ist kostbar, weil wir in der Mitfeier der Eucharistie uns der Umwandlung anschließen können, die mit Jesu Todeshingabe als Tat der Liebe für uns begonnen hat.


Halten wir uns das immer wieder vor Augen: Veränderung der Welt, Ü;berwindung des Todes, Erneuerung des Lebens geschieht nicht von außen, nicht durch menschliche Programme und Initiativen. Alles, was wir tun oder ersinnen können, bleibt oberflächlich. Es kann nicht retten.


Wirklich Verwandlung dieser Todeswelt in nachhaltiges Leben geschieht im Anschluss an Jesus Christus und seine Liebe. Weil er uns geliebt hat, hat der Tod jetzt nicht mehr das letzte Wort über uns. Und weil er uns in Liebe an sich zieht, verwandelt sich unser todgeweihtes Leben in ein Leben in Fülle, jetzt noch verborgen und unter Geburtsschmerzen - dann aber einmal in Herrlichkeit und bleibender Freude.


Jetzt verstehen wir, was wir an der Emmausgeschichte gelernt haben: Hier geht es um ein Mahl, das mehr ist als Stärkung auf einem Weg. Hier werden wir selbst verwandelt - Schritt um Schritt in ein neues, österliches Leben, zum Lob Gottes, der das alles bewirkt.


Ich gebe zu: Diese Begegnung mit dem auferstandenen Herrn im eucharistischen Mahl bleibt ein verborgenes Geschehen. Seine Gegenwart ist verhüllte Gegenwart. Das macht unsere Mitfeier der hl. Messe oder das Gebet vor dem Tabernakel oft so mühselig. Wir denken dann im Stillen: Ach, bei mir passiert ja nichts!


Aber stimmt das wirklich? Was wäre aus dir geworden, wenn du nicht so treu und beständig dich um eine innere, geistliche Mitfeier der Eucharistie in deinem Leben bemüht hättest? Bist du vielleicht doch auf dem Weg der inneren Umwandlung schon ein Stück vorangekommen?


Nein, Christus will keinen Zwang und Druck ausüben. Er will uns in aller Freiheit gewinnen für den Weg, den er uns vorangegangen ist. Darum ist jede Mitfeier der hl. Messe eine neue Einladung, ihn in der Verborgenheit des sakramentalen Zeichens neu zu entdecken. Wir brauchen bei der hl. Messe Augen, die tiefer sehen, wir brauchen ein Herz, das sich in Sehnsucht nach ihm ausstreckt. Wir brauchen eine Frömmigkeit, die den vertrauten liturgischen Ritus immer wieder aufbricht hin zu einer personalen Begegnung mit ihm.


Es braucht, um die Eucharistie zur Lebensverwandlung werden zu lassen, die Haltung ehrfürchtiger Anbetung. Wir müssen uns ihm ganz und gar überlassen - dann geschieht das Wunder der Neuschöpfung auch an uns.


Der hl. Thomas fasst diese Haltung der Eucharistie gegenüber in die Worte:


"Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir.

Unter diesen Zeichen bist du wahrhaft hier.

Sieh, mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin,

weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin."


Weil Dein Wunder der Liebe auf Golgatha mich Armen reich macht! Diese Verse sind ein würdiges Gebet für jeden Christen vor der hl. Kommunion.



II. Eucharistie und Sendung


Lasst mich bei einem Gedanken noch ein wenig verweilen, der an der Geschichte der Emmausjünger gut ablesbar ist. Wie zeigte sich bei ihnen die Verwandlung? Die Begegnung mit Jesus verscheucht ihre Resignation. Sie brechen nach dem Mahl auf und gehen nach Jerusalem zu den anderen Jüngern zurück. Mit ihnen zusammen werden sie zu Boten der Auferstehung Jesu. Eucharistie und Sendung gehören zusammen.


Liebe Schwestern und Brüder!

Das Gebot der Stunde in der Kirche der Bundesrepuplik Deutschland lautet heute: Wir brauchen Osterzeugen. Wir brauchen Emmausjünger- und zwar Jünger, die sich nicht resigniert ins Private zurückziehen, sondern die sich vom Auferstandenen neu senden lassen. Wir müssen lernen, ganz persönlich in Glaubensdingen auskunftswillig und auskunftsfähig zu werden. Wie kann das gehen?


Es gibt Fragen, die irgendwann jedem von Ihnen schon einmal gestellt worden sind. "Wie packst du das nur?" " Wie ist es dir ergangen als der Arzt sagte: bösartig?" Oder: "Wie kommst du mit deiner Ehe zurecht, mit dem schwierigen Jungen, dem behinderten Mädchen?" Oder: "Warum rennst du, der du doch sonst so normal bist, dauernd zur Kirche?" Wer hat das nicht schon einmal erlebt - solche Sticheleien, die durchaus nicht lieblos gemeint sind, sondern vielmehr eine versteckte Anfrage sind: "Lass doch einmal etwas von deinem Innern gucken!" "Ist dir das wirklich alles ernst, was da im Credo steht?"


"Gestandene" Frauen und Männer, die aus einem entschiedenen Gottesglauben ihr Leben meistern, Christen, die vielleicht selbst mit einem schweren Lebenskreuz zu ringen haben, sind durchaus für ihre Mitmenschen interessant - wenn denn gespürt wird: Das sind Menschen, die glaubwürdig sind.


Die nichtkirchlichen Zeitgenossen erwarten keine religiösen Ansprachen. Aber sie erwarten, dass du bei solchen kritischen Anfragen ganz wach da bist - mit Hand, Herz und Mund. Ja, auch mit einem guten Wort. Ein einziges Wort, zur rechten Zeit gesagt - in Liebe und mit Einfühlungsvermögen, kann wie ein Widerhaken sein, der sich im Innern eines Mitmenschen festmacht.


Du bist in deiner Umgebung als praktizierender Christ bekannt. Man schaut auf dich. Man bewertet dein Leben. Das ist uns manchmal lästig. Aber das ist auch eine Chance. Sag einfach, woraus du lebst! Steh dazu, dass du nicht nur aus Gewohnheit zur Kirche gehst, sondern dass dir der Gottesdienst wichtig ist, "weil der Mensch eben nicht nur vom Brot allein lebt, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt" (Mt 4,4).


Noch einmal: Christen sind nicht Leute, denen immer und sofort alles gelingt. Im Bild gesprochen: Man kann sogar mit leicht "angeschwärztem Hals" einen anderen auf die reinigende Kraft des Wassers aufmerksam machen! Hier geht es nicht um 100-Prozentigkeit! Aber kritische Zeitgenossen spüren sofort, aus welchen Quellen einer lebt, besonders dann, wenn er allen Grund hätte, am Leben und an der Welt zu verzweifeln.


Was würde uns heute der hl. Bonifatius raten? Der heilige Kilian? Ich meine: Christliches Profil zeigen - denn nur das, was Profil hat, weckt Interesse. Im Alltag Gebrauch machen vom Evangelium! Das Taufwasser im eigenen Leben wirksam werden lassen! Die Gesinnung Jesu Christi wirklich zur eigenen innersten Lebenshaltung machen - nicht nur, wenn wir ins Gesangbuch schauen, sondern auch dann, wenn wir unseren Mitmenschen ins Gesicht schauen!


Lasst uns darum unseren Gottesglauben nicht verstecken! "Geht, verkündet das Evangelium allen Menschen!" "Seid meine Zeugen - auch im anbrechenden 21. Jahrhundert!", so ruft es uns der Herr zu.


Dieser Auftrag Christi soll uns wieder bewegen, zumindest soll er uns unruhig machen. Ich muss sagen: Mich bedrängt, dass in unserem Thüringer Land so viele Menschen leben, die Gott nicht wirklich kennen. Sie gehen zwar hin und wieder zu einem Orgelkonzert in die Kirche, aber sie wissen nicht mehr, wozu diese Kirchen eigentlich gebaut wurden.


Es mag ihnen so gehen, wie einem Weimarer Kunstprofessor der Goethezeit. Als er zum Sterben kam, reichte man ihm ein Kruzifix. Er sah es an, murmelte noch mit schwacher Stimme: "Herzogliche Kunstsammlungen, Weimarer Zopfstil, 18. Jahrhundert", drehte sich zur Wand um - und starb.


Wir sind in Deutschland dabei, das kostbarste Erbe zu verschleudern, das wir besitzen: Gott zu kennen, wie ihn uns Jesus Christus bekannt gemacht hat. Ich meine: Das muss sich ändern. Und zwar durch uns. Wir alle können dafür sorgen, dass gott- und kirchenferne Menschen die Chance erhalten, Jesus Christus berühren zu können!


Ich rufe euch, liebe katholische Mitchristen auf, so etwas wie "Lobbyisten" des Evangeliums zu sein. Gute Nachrichten verbreiten sich im Normalfall nicht so schnell wie Katastrophenmeldungen. Für gute Nachrichten muss man etwas tun. Sie brauchen eine Lobby. Diese Lobby-Arbeit für seine gute Botschaft will Jesus Christus von uns. Das ist sein klarer Auftrag.


Wie kann das gehen? Hier nur einige wenige Anregungen:

  • Gebetshelfer werden für andere, für Kinder, Jugendliche, Suchende und Zweifler.
  • Besuche machen, um einsame Menschen nicht mit sich und ihren Zweifeln und enttäuschten Hoffnungen allein zu lassen.
  • Brückenbauer werden, um manchen zu helfen, wieder in die Pfarrgemeinde hineinzufinden, die sich aber alleine nicht trauen.
  • Durch kleine Zeichen an die Gottesgegenwart erinnern unter Freunden, in der Ehe, in der Familie, bei Festen und Gedenktagen.
  • Sich "im Namen Jesu" in der Welt, in der Gesellschaft auch öffentlich zu Wort zu melden.

Wenn wir uns nicht scheuen, unseren Kollegen, Bekannten und Freunden gute Urlaubs- oder Einkaufstipps zu geben - warum sollten wir ihnen nicht sagen dürfen, was uns unser christlicher Glaube bedeutet? Wir sind reicher als wir meinen. Wir Christen besitzen Hoffnungsgüter, von denen die Welt morgen leben wird.


Und dies mag uns dabei Rückenwind geben: Auch diese unsere Zeit gehört dem Herrn. Sein Geist ist mächtig, auch aus Steinen Kinder Abrahams zu erwecken, wie die Schrift sagt. Aber der Herr will, dass wir ihm dabei helfen. Ich vermute: Er will das um unsretwillen! Damit wir nicht einschlafen - darum gibt er uns jetzt einen nichtgetauften Thüringer oder Sachsen oder einen aus der Kirche ausgetretenen Katholiken als Nachbarn - oder gar einen muslimischen Arbeitskollegen.


Ich behaupte einmal: Die wenigsten Menschen sind wirkliche Atheisten. Das ist ja auch ernsthaft kaum ein Leben lang durchzuhalten. Aber die meisten unserer Mitbürger sind misstrauisch, oft auch der Kirche gegenüber. Sie sehen bei uns zu viel Apparat. Sie sehen zu wenig Evangelium. Das - so meine ich - muss sich ändern! Das kann sich ändern - wenn wir uns in der immer neu gefeierten Eucharistie verwandeln lassen.


Das muss uns tief innerlich prägen: Wir feiern die Eucharistie nicht für uns selbst. Wir müssen aus ihr verwandelt in die Welt, zu unseren Mitmenschen gehen. Ite missa est - ja, zur Aussendung ist uns diese Feier geschenkt, nicht zum Verbleiben im alten Trott. Nicht kirchliche Stubenhocker sollen wir sein, sondern Sendboten des Auferstandenen, Jünger, die nicht in ihrem Emmaus bleiben und sich dort gemütlich einrichten, sondern die sich nach Jerusalem aufmachen, in die Stadt mit all ihren Gegensätzen und Problemen, ihrer Hektik und ihrer Unruhe, ihrem Spott und ihrem Unglauben - ja, dort will uns der Herr sehen. Dort sollen wir sagen: Der Tod hat nicht das letzte Wort, denn er, Christus, ist wahrhaft auferstanden!



Liebe Schwestern und Brüder,

Nehmt von diesem Wallfahrtstag in Walldürn diesen Impuls, diese Botschaft mit: "Das Evangelium gehört auf den Leuchter, nicht unter den Scheffel." Das Evangelium muss zu den Menschen kommen und sie österlich verwandeln. Darum, so sei unsere Bitte: "Herr, fange damit bei mir an!" Amen.



Gehalten am 14. Juni 2007



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