Meine lieben Schwestern und Brüder im Herrn,
in diesem Brief möchte ich drei Einladungen aussprechen:
Sie werden schon vermuten, dass ich Sie zum 103. Deutschen Katholikentag vom 29. Mai bis zum 2. Juni 2024 nach Erfurt einlade. Der Abschlussgottesdienst des Katholikentags am Sonntag, den 2. Juni 2024 ist zugleich unsere diesjährige Bistumswallfahrt.
Ich möchte Sie aber auch in diesem Jahr besonders zur Männer- und Frauenwallfahrt einladen. Mit Rücksicht auf diese beiden großen Wallfahrten, zu denen ja auch viele Gläubige aus der Diaspora kommen, findet der Katholikentag nicht über Christi Himmelfahrt statt, sondern über Fronleichnam. Das ist für die Organisatoren des Katholikentags eine große Herausforderung, weil Fronleichnam in Thüringen – außer im Eichsfeld – kein staatlicher Feiertag ist.
Schließlich möchte ich Sie einladen, das Leitwort des Katholikentags zu einer persönlichen Reflexion zu nutzen. „Zukunft hat der Mensch des Friedens.“ Das ist die optimistische Perspektive des Psalms 37, die in den großen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit viele Fragen aufwirft. „Frieden“, „Mensch“, „Zukunft“, das sind drei Schlagworte, die viele Probleme unserer Zeit ansprechen. Darüber wird beim Katholikentag in Erfurt diskutiert und nachgedacht werden. Aber in diesem Brief soll es nicht um die politischen Dimensionen des Leitworts gehen. Vielmehr möchte ich Sie einladen, unter den drei Schlagworten „Frieden“, „Mensch“, „Zukunft“ Ihr persönliches Leben zu bedenken.
Beginnen wir mit dem Wort „Frieden“: Die Fastenzeit kann eine Mahnung sein, verstärkt um den Frieden in der Welt zu beten. In den Nachrichten hören wir vom Leid der Menschen in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Erde. Da dürfen wir nicht aufhören, den Himmel zu bestürmen, dass die Menschen überall in Frieden und Sicherheit leben können. Die Fastenzeit kann aber auch darüber hinaus eine Zeit sein, in der wir die schwierigen Beziehungen unseres eigenen Lebens vor Gott hinhalten. Es können ja auch große Streitigkeiten oder Zerwürfnisse dazu gehören. Wenn wir solche schwierigen Beziehungen vor Gott bedenken, wird er uns einen Spiegel vorhalten, der uns zeigt, welchen Anteil wir daran haben. Vor dem barmherzigen Vater im Himmel, von dem wir ja die Vergebung unserer Sünden erhoffen, kann unser Herz weit und warm werden, wir können barmherzig werden. Dazu fordert uns Jesus auch auf: „Seid barmherzig wie es auch euer himmlischer Vater ist.“ (Lk 6,36) Vielleicht ergibt sich dann die Gelegenheit zu einem klärenden Gespräch. Vielleicht ergibt sich dann die Gelegenheit, um Vergebung zu bitten – oder die Gelegenheit, Vergebung zu gewähren. Manche Beziehungen zu unseren Mitmenschen sind ja auch nur deswegen schwierig, weil sie uns – wie wir sagen – auf die Nerven gehen. Im Bischöflichen Ordinariat beten wir vor unseren Sitzungen ein Gebet, in dem es unter anderem heißt: „Hilf uns, unsere eigenen Schwächen und die der anderen anzunehmen.“ Das ist auch ein schönes kurzes Gebet, um das friedliche Miteinander in der Fastenzeit einzuüben.
„Zukunft hat der Mensch des Friedens.“ Das zweite Schlüsselwort ist das Wort „Mensch“. Wenn wir uns über den Menschen Gedanken machen, dann müssen wir immer wieder dankbar betrachten, dass jeder Mensch ein einmaliges Geschöpf Gottes ist. Wer sich selbst als Geschöpf Gottes begreift, für den bekommt der erste Satz aus dem Glaubensbekenntnis eine sehr persönliche Bedeutung. „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ – der auch mein Schöpfer ist! Dieser Glaube an Gott als den Schöpfer jedes Menschen hat auch Konsequenzen: Wir müssen uns einsetzen für den Schutz des menschlichen Lebens von der Zeugung bis zum Tod. Wenn ein Mensch gezeugt ist, ist er ein Geschöpf Gottes, ein ungeborener Mensch. Er will leben und Gott will, dass er lebt. Das ist nicht nur eine wichtige Botschaft der Kirche in unsere Gesellschaft, das kann auch persönliche Konsequenzen haben: An einem Schwangerschaftsabbruch gibt es viele Beteiligte – in der Familie, im Betrieb, im Dorf. Da kann es sein, dass Großeltern gefordert sind, sich um ein Enkelkind zu kümmern, dessen Geburt nicht geplant war. Da kann es im Betrieb erforderlich sein, dass viele mithelfen, damit eine Mitarbeiterin Mutterschutz und Elternzeit nehmen kann. Jede Schwangerschaft sollte ein Grund zur Freude sein: Gott hat einen neuen Menschen geschaffen!
Der Glaube daran, dass Gott jeden Menschen geschaffen hat und dass er Anfang und Ende des Lebens bestimmt, mahnt uns auch, über unseren eigenen Tod nachzudenken. Wer Gott als den Herrn über Leben und Tod respektiert, für den ist der assistierte Suizid keine Lösung, auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit dazu eröffnet hat. Der assistierte Suizid respektiert Gott nicht als Herrn über Leben und Tod. Die Alternative zum assistierten Suizid ist nicht ein qualvolles Sterben, sondern palliativmedizinische Betreuung. Sie setzt allerdings voraus, dass alle das Sterben akzeptieren: der todkranke Mensch und seine Angehörigen. Gerade die Fastenzeit und die Karwoche sind gute Gelegenheiten, über das eigene Sterben und den eigenen Tod nachzudenken. Wir können uns einüben, Gott als den Herrn über Leben und Tod zu respektieren und Jesus Christus zu danken, dass er uns durch seine Auferstehung das Tor des Himmels geöffnet hat. Dazu gehört auch, in der Familie über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht zu sprechen.
Auch das dritte Wort des Leitworts zum Katholikentag regt zum Nachdenken an: „Zukunft“. Junge Menschen sorgen sich zu Recht um die Zukunft unseres Planeten. Jeder Einzelne kann und muss dazu beitragen, die Erderwärmung aufzuhalten, die die Schöpfung bedroht. Papst Franziskus hat in seinem neuesten Schreiben „Laudate Deum“ vom 4. Oktober 2023 sehr deutlich geschrieben: „Das Einhergehen der globalen Klimaphänomene mit dem beschleunigten Anstieg der Treibhausgasemissionen (…) lässt sich nicht verbergen. Eine überwältigende Mehrheit der Klimawissenschaftler sieht diesen Zusammenhang und nur ein winziger Prozentsatz von ihnen versucht, diese Evidenz zu bestreiten. (…) Ich sehe mich gezwungen, diese Klarstellung (…) aufgrund bestimmter abschätziger und wenig vernünftiger Meinungen vorzunehmen, die ich selbst innerhalb der katholischen Kirche vorfinde.“ (Nr. 13f.) Jeder Mensch kann durch sein Verhalten die Schöpfung schonen: weniger heizen, weniger Auto fahren, weniger Produkte kaufen, die um den halben Globus transportiert wurden, Lebensmittel der Saison essen usw.
Zum Wort „Zukunft“ fällt mir aber noch etwas Weiteres ein: Es scheint irgendwie zum Altwerden zu gehören, dass man die Vergangenheit verklärt und die Zukunft pessimistisch sieht – „Früher war alles besser.“ Da stirbt jede Freude am Leben. Und diejenigen, die die Zukunft gestalten wollen, wenden sich ab. Auch in der Kirche war früher nicht alles besser. Wir erleben jetzt, dass Vieles oberflächlich war und dass Schlimmes unter den Teppich gekehrt wurde. Wer heute am Leben der Kirche teilnimmt, sucht Halt im Glauben, möchte den Glauben mit anderen feiern und teilen und sein Leben in Berührung bringen mit dem Leben Gottes. Ältere und altgewordene gläubige Menschen sind heute wichtige Glaubenszeugen, gerade in der Welt der Jugend, nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit ihrem persönlichem Glaubenszeugnis. Erzählen Sie, wann der Glaube Sie getragen hat, wann die Hoffnung Ihnen Kraft gegeben hat, die Zukunft auch unter ganz schwierigen Bedingungen anzugehen.
Vielleicht können Ihnen diese Gedanken eine Hilfe sein, Ihr persönliches Leben unter dem Leitwort des Katholikentags zu bedenken: „Zukunft hat der Mensch des Friedens.“ Ich möchte mit einem Abschnitt des Katholikentaggebets schließen: „Verleihe uns deine Zukunft, Gott, damit wir Menschen deiner Zukunft werden. Erneuere deine Kirche hier vor Ort, damit wir selbstbewusst Zeugnis von dir geben und Menschen von deiner Liebe in Jesus Christus erfahren. Durch ihn rufen wir zu dir, leben wir aus deiner Geistkraft und wollen wir als Kinder Gottes Menschen des Friedens sein.“
Dazu segne Euch alle der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.