In einem Reader der Kommission ADVENIAT für eine Studienreise nach Bolivien, an der ich vom 6. bis 17. Juli in diesem Jahr teilnehmen durfte, heißt es unter der Überschrift „Regierung“:
„Präsident Morales ernannte am 23. Januar 2015 seine neue Regierung, in der er 13 neue Minister berief; acht Ressortchefs behielten ihre Ämter. Bereits am 20. Februar 2015 wurde die erste Kabinettsumbildung vorgenommen. ... Am 23. Januar 2017 nahm Präsident Evo Morales eine größere Kabinettsumbildung vor. Dabei kam es auch zu einer Umstrukturierung bei den Ministerien. Die Ressorts für Autonomie bzw. Korruptionsbekämpfung wurden aufgelöst und deren Aufgaben dem Präsidialamt bzw. dem Justizministerium zugeschlagen.“
Unter der Überschrift „Parteien“ lesen wir:
Movimiento al Socialismo (MAS abgekürzt); gegründet 1987 als soziale Bewegung; 1999 als politische Partei eingetragen; linksgerichtet; versteht sich als Vertreter der inidgenen Bevölkerung, Bauern und gesellschaftlichen Randgruppen; kämpft gegen den Neoliberalismus und die Folgen der Globalisierung; wurde 2005 stärkste Partei und stellt seitdem den Staatspräsidenten Evo Morales; konnte bei den Wahlen 2009 und 2014 jeweils eine Zweidrittelmehrheit in beiden Parlamentskammern erringen.“ Bei diesen Zahlen sagen wir in Deutschland: Paradiesische Zustände?
10 Millionen Einwohner leben in Bolivien. Geografisch bedeutsam sind die Unterschiede zwischen dem Hoch- und dem Tiefland. Im Hochland finden sich zahlreiche Bodenschätze wie Gold, Silber, Kupfer, Blei, Wolfram und Zinn. Im Tiefland ist die Landwirtschaft vorherrschend. Erdöl- und Gasvorkommen könnten für das ganze Land zu großem Wohlstand führen, aber Korruption verhindert den Fortschritt für alle Bevölkerungsschichten. Für mich waren die Unterschiede zwischen der Stadt Potosi mit 175.000 Einwohnern und der Stadt La Paz mit ca. 1,5 Millionen Einwohnern schmerzlich erfahrbar. In Potosi graben junge Männer in den Abraumhalden der ehemaligen Silberbergwerke nach Resten von Bodenschätzen. Sie verwenden dazu Quecksilber und viel Wasser, obwohl die Qualität des Wassers schon deutlich verschlechtert ist. Es gibt Orte, an denen man sich mit dem Quellwasser nicht waschen – geschweige denn trinken - sollte. Das Lebensalter der jungen Bergleute beträgt 35 Jahre. Fast jeden Tag gibt es die Beerdigung eines jungen Bergmanns – sagt der Ortspfarrer. Das gegensätzliche Bild zeigt sich in La Paz, wo auch die Wohnung des Präsidenten zu finden ist. Eine beeindruckende Seilbahnanlage mit 8 Linien verbindet die Stadtteile, die in einem Höhenunterschied von ca 400 Metern liegen. Es ist ein Prestigeobjekt der Regierung – schweizerisches Fabrikat -, die sagen will: „Seht, was wir alles für euch geschaffen haben!“
Geht es dem Land gut? Geht es den Menschen gut? Ein Resümee ist dazu im Reader zu lesen:
„Trotz Reformen haben sich die grundlegenden Probleme der Justiz (v.a. Überlastung, Korruption, Abhängigkeit von der Regierung und schwierige Zugänglichkeit für die indigene Bevölkerung) bislang kaum geändert.“
Ich berichte von diesen Erfahrungen, weil mir dabei wieder deutlich geworden ist, wie groß die Verantwortung der Politiker ist, wenn es um die Frage des Wohls eines Volkes geht. Heute ehren wir eine Politikerin, die heilige Elisabeth von Thüringen, die im 13. Jahrhundert die Probleme der Bevölkerung ihres Landes wahrgenommen hat und mit kleinen Schritten Veränderungen bewirkte, die auch ihr eigenes Leben und ihren Lebensstil betrafen. Sie suchte nach Auswegen für die Tatsache, dass Arme und Kranke schutz- und hilflos starben. Die Einrichtung von Hospizen und Armenhäusern war ihre Antwort auf die Tatsache von Krankheit und Hunger. Sicherlich hätte sie noch grundsätzlicher die Not bekämpfen können, aber ihre Macht war auch beschränkt und wurde zunehmend von ihrer Verwandtschaft beschnitten. Sie hatte kaum Gesinnungsgenossen außerhalb der franziskanischen Bewegung. Hier allein fand sie Menschen, die aufgrund ihres Glaubens es als sinnvoll und richtig bezeichneten, dass den Armen geholfen werden muss und ein Ausgleich der Güter zu geschehen hat. Das franziskanische Ideal hat heute nun bis in die höchsten Ämter der Kirche Anerkennung gefunden, wenn sich z.B. ein Papst „Franziskus“ nennt. Es ist „Franziskus I “! 2000 Jahre hat es dazu gebraucht. Wir sind als Katholiken sehr dankbar mit vielen Menschen in der Welt, dass wir derzeit diesen Papst haben dürfen und es berechtigt ist, wenn er immer wieder sagt: „Betet für mich!“ Selbstlosigkeit im Machtanspruch in allen Bereichen des Lebens ist ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft und Kirche. Darum wiegt es umso schwerer, wenn Menschen in Kirche und Gesellschaft ihre Macht zum eigenen Vorteil missbrauchen. Korruption in vielen Ländern Lateinamerikas ist ein Geschwür, das eine lange Überlebensdauer hat – trotz aller Bemühungen von kommunistischen Regierungen mit patriotischen und sozialen Gesinnungen. Ebenso ist der Missbrauch geistlicher Macht ein Geschwür, das in der Kirche neu entdeckt und aufgedeckt wurde und zu dessen Heilung alle, die in der Kirche Verantwortung haben, beitragen müssen. Gleichbedeutsam ist die Sorge um die Verlierer in Kirche und Gesellschaft. Die Betroffenen des Missbrauchsskandals haben unsere Sicht von Kirche verändert. Theologen sprechen neu davon, dass es die Kirche der Sünder gibt und nicht nur die „heilige Kirche“, wie sie in der ursprünglichen göttlichen Konzeption geplant ist. Ebenso braucht es die Überlegungen der Politiker, wie sozial Schwache eine Lebensmöglichkeit erhalten, die ihre Würde als Menschen stärkt und ein Leben möglich macht, in dem Hunger, Obdachlosigkeit und Ausgrenzung von allen sozialen Bezügen keine Themen ist. So meine ich, dass die Enzyklika „Laudato si“ für Christen und Nichtchristen eine Orientierungshilfe sein kann, die aus dem Glauben an den Schöpfergott formuliert wurde und doch auch für alle, die sein Geschöpf der „Mutter Erde“ als schützenswertes Objekt betrachten, bedeutsam sein kann. Die Achtsamkeit für die ganze Schöpfung bewegt alle Menschen, die nicht nur an das Heute denken, sondern auch die Zukunft im Blick haben und die Kostbarkeit der Schöpfung bewahren wollen – um des Menschen und um Gottes Willen.
Die Sonderversammlung der Bischofssynode für das Amazonas-Gebiet, die im Oktober 2019 in Rom stattfinden wird, soll alle Menschen aufhorchen lassen. Das Amazonas-Gebiet ist für unseren Planeten eine der größten Reserven der Biodiversität (30 bis 50% der Flora und Fauna der Welt), des Süßwassers (20% des nicht im Eis gefrorenen Süßwassers) und umfasst mehr als ein Drittel der Urwälder des Planeten Erde. Wie einstmals König Salomon den Herrn um ein „hörendes Herz“ gebeten hat (vgl. 1 Kön 3,9), so sollen jetzt alle Völker, die im Amazonas-Gebiet liegen, das hörende Herz erbitten. Im Januar dieses Jahres schrieb Papst Franziskus zur Vorbereitung der Synode den Vertretern der verschiedenen Völker Amazonien:
„Ich wollte euch besuchen kommen und euch zuhören, um gemeinsam im Herzen der Kirche zu sein, uns mit euch in euren Herausforderungen zu vereinen und mit euch eine aufrichtige Option für die Verteidigung des Lebens, die Verteidigung der Erde und die Verteidigung der Kulturen zu bekräftigen ... Wahrscheinlich waren die autochtonen Völker (Ureinwohner) Amazoniens in ihren Territorien nie derart bedroht, wie sie es heute sind.“
Prälat Pirmin Spiegel, der Hauptgeschäftsführer der Aktion MISEREOR, ergänzt:
„Und mit diesen Völkern sind wir alle bedroht: die Armen und die Anderen, die Natur und die ganze Schöpfung. Wenn Amazonien die Lunge des Planeten Erde ist, wie wir es oft hören, dann leiden dieser Planet und seine Bewohner heute an einer akuten Lungenentzündung. In absehbarer Zeit könnte uns allen die Luft ausgehen. Durch die Amazonassynode will Papst Franziskus uns wachrütteln, Verantwortung für das Leben aller zu übernehmen und nach ‚neuen Wegen’ zu suchen“ durch ökologische und pastorale Bekehrung. Die Lungenentzündung Amazoniens ist wie ein Spiegel, der weltweit die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines sozialen und ökologischen Wandels anzeigt.“
Es gibt Fachleute dafür, die genau wissen, was man sagen und tun muss, um die Mitmenschen von der Bedeutsamkeit der eigenen und zu bewerbenden Idee oder Einrichtung zu überzeugen. Dabei wird jedoch das Schöne und Besondere betont und das Schwierige nicht sofort gesagt, denn damit zu werben ist nicht so leicht. Dennoch muss dann, wenn jemand Freude an einer Idee gefunden hat, diese Wahrheit mitgeteilt werden. Z.B. überlege ich mir schon im Kreis der Taufbewerber, wann ich welche Themen besonders anspreche, die vielleicht nicht sofort aus den Texten der Heiligen Schrift zu entnehmen sind. Aber irgendwann sind dann auch die biblischen Texte dran, die wir heute gehört haben und von der Feindesliebe sprechen. Die Feindesliebe ist die besondere Herausforderung des Christen, die ja auch durch Jesus Christus gelebt wurde und die wir ebenso am heutigen Festtag der heiligen Elisabeth bedenken müssen.
Die Beschreibung der Verkündigungssituation für diese Worte Jesu verwundert mich sehr, denn Jesus scheint kein Interesse zu haben, die Menschen mit wohlgesetzten Worten für das Gottesreich werben zu wollen. Gerade hat er noch die Feldrede gehalten, in der er die Seligpreisungen und Wehrufe formuliert hat und sicherlich die Menschen, denen es nicht gut geht und die im Glauben einen Halt suchen, Mut gemacht hat, dass Verfolgung und Not nicht das letzte Wort haben, und dann kommt diese Erwartung des Gebets für die Verfolger und Feinde und die Taten der Liebe gegenüber denen, die uns auf die Wange schlagen. Die Begründung dafür liegt in dem Gedanken: Was Du willst, dass es dir getan wird, das tue auch dem Anderen! Es ist die Goldene Regel, die dabei in Erinnerung gebracht wird und eigentlich bekannt ist. Jesus erinnert daran, dass auch die Sünder diese Regel beachten. Umso mehr müsste sie ja von den Heiligen beachtet werden und sogar noch in größerem Maß, dass keinerlei Gegenliebe und Gegenleistung erwartet werden sollte. Das ist wirklich eine große Herausforderung, denn in unserem Herzen wünschen wir uns doch zutiefst, dass unsere guten Werke Anerkennung und Beachtung finden. Der Lohn für dieses neue Denken wird groß sein – das ist das Versprechen Jesu. Söhne und Töchter Gottes dürfen wir dann sein! Das wird uns schon in der Taufe zugesagt und soll sich im Laufe des Lebens entfalten.
Der 1. Johannesbrief weist mit heftigen Worten darauf hin, dass wir selbst sehr schnell zu Mördern und Verbrechern werden können, wenn wir nicht aus der Liebe leben, denn auch die bösen Gedanken bringen schon die Mitmenschen um. Zwar leben sie dennoch weiter, aber unser bisheriges Verhältnis zu ihnen wird dadurch zerstört. Das kennen wir gut und werden es bestätigen, aber wir möchten auch gern dazu entschuldigend sagen: „So schlimm ist es doch nicht, wenn wir böse über andere denken oder unser Herz verschließen und ebenso das Portemonnaie.“ Täuschen wir uns nicht, was unser Denken mit uns macht. Das gilt negativ und auch positiv. Das gilt gegenüber dem Bettler vor meiner Tür und gegenüber dem Ureinwohner Amazoniens. Gern würden wir überall für unsere guten Gedanken und Taten in der Kirche und Politik Applaus empfangen. Darauf sollte uns aber nicht ankommen, wenn wir ein hörendes Herz von Gott erbitten. Nach meinem Wissen gab es im Leben der heiligen Elisabeth immer wieder Situationen, in denen sie enttäuscht war über die Reaktion derjenigen, denen sie geholfen hat. Dennoch die gute Tat anpacken war ihr möglich, weil sie in den Hilfebedürftigen Christus gesehen hat und ihm dienen wollte. Die Christen unter uns lade ich ein, diesen Blick auf Christus täglich zu praktizieren und zu fragen: „Was würdest Du an meiner Stelle jetzt sagen und tun?“ Wer keine Christusbeziehung hat und wünscht, der sollte in die Augen der Obdachlosen und Ureinwohner Amazoniens schauen und Gleiches fragen. Es wird uns allen gut tun.
In seiner ersten Predigt bei der Amtseinführung am 19. März 2013 sagte Papst Franziskus: „Die vielen, die verantwortliche Positionen in der Wirtschaft, in der Politik, im sozialen Bereich innehaben und alle Menschen guten Willens bitte ich: Seien wir ‚Behüter der Schöpfung’, der Spur Gottes, die in die Natur eingeschrieben ist, Behüter des anderen und der Umwelt; lassen wir nicht zu, dass Zeichen der Zerstörung und des Todes den Weg dieser unserer Welt begleiten.“
Es gilt das gesprochene Wort