Die Eucharistie und das Verständnis der Glaubenswahrheiten

Predigt von Zenon Kardinal Grocholewski am Patronatsfest der Kath.-Theologischen Fakultät

Gehalten im Erfurter Dom am 14. November 2003



Es ist mir eine große Freude, anlässlich des Patronatsfestes dieser Theologischen Fakultät und des Regionalen Priesterseminars in Erfurt mit Ihnen Eucharistie zu feiern, vor allem weil gerade dadurch die Bedeutung der Eucharistie für Studium und Lehre der Theologie offenbar wird.


Vor uns steht die eindrucksvolle Gestalt des Heiligen Albertus Magnus, der es verstand, das Studium mit dem Gebet zu verbinden. Ich bin überzeugt, dass er, der Lehrer des heiligen Thomas von Aquin, von dem herrliche eucharistische Hymnen stammen, einen angemessenen Hintergrund bildet, vor dem die Verbindung zwischen Eucharistie und Theologiestudium zu zeichnen ist.



1. Um die göttlichen Wahrheiten zu erkennen, braucht es das Gebet


Das Wort Jesu an die Apostel, ?Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen? (Joh 16,13), und viele andere Stellen der Heiligen Schrift lenken unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass unsere menschlichen Kräfte nicht ausreichen, um die göttlichen Wahrheiten erkennen zu können. Vielmehr bedarf es dazu des Eingreifens Gottes selbst. Von unserer Seite ist deshalb vor allem die Empfänglichkeit für die Stimme des Geistes erforderlich - und diese gibt es nicht ohne Gebet.


Daran erinnert uns auch Papst Johannes Paul II in seinem Apostolischen Schreiben Novo millenio ineunte (6. Januar 2001). Nachdem er die Worte Jesu an Petrus in Caesarea Philippi ?Nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel? (Mt 16,17), zitiert hat, erklärt der Heilige Vater: "Der Ausdruck ?Fleisch und Blut? bezieht sich auf den Menschen und die allgemeine Weise des Erkennens. Diese allgemeine Art genügt im Fall Jesu nicht. Es braucht eine Gnade der ?Offenbarung?, die vom Vater kommt (vgl. ebd.). Lukas bietet uns einen Hinweis, der in dieselbe Richtung geht, wenn er anmerkt, dass dieses Gespräch mit den Jüngern stattfand, während ?Jesus in der Einsamkeit betete? (Lk 9,18). Beide Hinweise stimmen darin überein, uns bewusst werden zu lassen, dass wir allein mit unseren Kräften nicht zur vollen Betrachtung des Angesichtes des Herrn gelangen, sondern nur, wenn wir uns von der Gnade an der Hand nehmen lassen. Allein die Erfahrung des Schweigens und des Gebetes bietet den geeigneten Horizont, in dem die wahrste, getreueste und stimmigste Erkenntnis [des Geheimnisses Gottes] heranreifen und sich entfalten kann? (Novo millenio ineunte, n. 20; vgl. ebd. nn. 27, 33b).


Das gilt nicht nur für das Verstehen der göttlichen Geheimnisse, sondern auch für ihre Vermittlung in solche Weise, dass sie die Hörer wirklich im Geist des Evangeliums umzuwandeln vermögen. Und tatsächlich haben in der Geschichte gerade die Heiligen, die in vertrauter Gemeinschaft mit Gott lebten, den entscheidensten Einfluss auf die Erneuerung des Glaubens und des christlichen Lebens ausgeübt. Dafür ist uns der Heilige Albertus Magnus, den wir heute feiern, genauso ein Beispiel, wie der Heilige Augustinus, Thomas von Aquin, Ignatius von Loyola, Robert Bellarmin und viele andere. Dazu kommen noch jene Heiligen, die nicht viel studiert haben, wie Franz von Assisi, der Pfarrer von Ars oder auch Katharina von Siena. Es ist doch vielsagend, dass gerade sie, die weder lesen noch schreiben konnte, zur Kirchenlehrerin erhoben wurde.


So verwundert es nicht, wenn Papst Johannes Paul II in Novo millenio ineunte unter den pastoralen Prioritäten als Erste die Heiligkeit erwähnt, die im Gebet gründet (vgl. n. 30ff.). Innerhalb der theologischen Fakultäten darf dies nicht vergessen werden. Mehr denn je braucht es heilige Theologen und Lehrer der Theologie, die ihre Kenntnis der Wahrheiten Gottes nicht nur aus ihren Studien, sondern auch aus der Kontemplation, aus der tiefen Vereinigung mit Gott gewinnen.


Deswegen ist es kein Zufall, dass wir das heutige Fest mit der Feier der Heiligen Eucharistie beginnen, nicht nur, um auf Fürsprache des Heiligen Albertus Magnus den Segen Gottes zu erbitten, sondern auch, um uns die Bedeutung des Gebets wie vor allem der Eucharistie für Studium und Lehre der Theologie erneut bewusst zu machen.



2. Die kirchliche Dimension der Eucharistie


Vor kurzem hat uns die Kirche gerade zum Thema der Eucharistie eine bedeutsame Enzyklika gegeben (Ecclesia de Eucharistia, 17.04.2003). Kurz zuvor hat sie die Einsetzung der Eucharistie unter die Geheimnisse des Rosenkranzes aufgenommen, um zusammen mit Maria auch diese verehrungswürdige Wirklichkeit betrachten zu können (Apost. Schreiben Rosarium Virginis Mari?, 16.10.2002, n. 21) Bei der genannten Enzyklika und den durch sie vertieften und geklärten Wahrheiten möchte ich einwenig verweilen, damit die Eucharistie von uns immer besser und tiefer erfasst werden kann, damit sie immer mehr zur Quelle unserer Weisheit und Heiligkeit werde und so fruchtbar beitrage für Euren besonderen Dienst in der Kirche.


Die Eucharistie wird in der Enzyklika vor allem aus kirchlichem Blickwinkel betrachtet. Ich zitiere die wichtigsten Aussagen nahezu wörtlich:


    - ?Aus dem Ostermysterium geht die Kirche hervor? und dieses Geheimnis ist gegenwärtig in der Eucharistie (3a, 5b, 21b);


    - "die Kirche lebt von der Eucharistie? (1a, 6, 7, 12a), sie wird durch sie ernährt (1b, 7, 9a, 34a), erleuchtet (6); und aus ihr ?schöpft die Kirche die notwendige geistliche Kraft, um ihre Sendung zu erfüllen? (22b);


    - die Eucharistie baut somit die Kirche auf (Kap. II, 21-25), sie steht "im Zentrum des Wachstumsprozesses der Kirche? (21a), stärkt die Einheit der Kirche (23a) und heiligt sie (23b);


    - sie bewahrt und fördert ?die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott wie auch die Gemeinschaft unter den Gläubige? (34a; vgl. Kap. IV passim u. 24b); sie baut, mit anderen Worten, die Kirche als ?Communio? auf;


    - die Eucharistie ist engstens an die Apostolizität der Kirche gebunden (Kap. III passim);


    - sie "enthält zusammenfassend den Kern des Mysteriums der Kirche? (1a), in ihr bringt die Kirche deshalb "ihr Wesen zum Ausdruck? (34a);


    - ?die heiligste Eucharistie enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle? (1b), "sie ist das wertvollste Gut, das die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte haben kann? (9a); "Die Kirche hat die Eucharistie von Christus, ihrem Herrn, nicht als eine kostbare Gabe unter vielen anderen erhalten, sondern als die Gabe schlechthin, da es die Gabe seiner selbst ist? (11b);


    - in ihr erweist Christus ?seine unendliche Liebe? (1b); ?eine Liebe, die ?bis zur Vollendung? (Joh 13, 1) geht, eine Liebe, die kein Maß kennt? (11c);


    - In der Eucharistie ist ?die ganze Geschichte als Adressat der Erlösungsgnade? umfangen (5c; vgl. 5b), sie baut deshalb die Kirche vom Ereignis des Abendmahlssaales her auf ?bis zum Ende der Zeiten? (21c);


    - über diese geschichtliche Perspektive hinaus manifestiert sie die eschatologische Dimension der Kirche, denn in ihr empfangen wir das ?Unterpfand der künftigen Herrlichkeit? (18); sie selbst "drückt die Gemeinschaft mit der himmlischen Kirche aus und stärkt sie? (19);


    - ja, "auch dann, wenn man die Eucharistie auf dem kleinen Altar einer Dorfkirche feiert, feiert man sie immer in einem gewissen Sinn auf dem Altar der Welt. Sie verbindet Himmel und Erde. Sie umfasst und erfüllt alles Geschaffene? (8). Deshalb ist die Kirche vor allem durch die Heilige Eucharistie universales Heilssakrament (22b);


    - deshalb steht die Eucharistie "schlechthin im Mittelpunkt des kirchlichen Lebens? (3a; 7), ist sie ?Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens? (1b) und ?zeigt sich [...] als Quelle und zugleich als Höhepunkt der ganzen Evangelisierung? (22b);


    - von daher obliegt der Kirche eine ganz besondere Sorge um die Schönheit und Würdigkeit ihrer Zelebration (Kap. V u. 9a);


    - schließlich ist es Maria gerade als Mutter und Urbild der Kirche, die uns immer tiefer in das eucharistische Geheimnis hineinführen kann (Kap. 4).




3. Die grundlegenden Glaubenswahrheiten über die heiligste Eucharistie


Alle diese Aussagen - die auf die vielfältige kirchliche Dimension der Eucharistie verweisen - finden ihr Fundament, ihre Begründung und Klärung in der grundlegenden dogmatischen Wahrheit über das Allerheiligste Sakrament. Und darin liegt die zentrale Aussage der ganzen Enzyklika, die Glaubenswahrheit, von der alles andere abhängt; nämlich:


a.) In der Eucharistie ist das gesamte Triduum paschale, das Geheimnis von Tod und Auferstehung Christi "gewissermaßen gesammelt [...] und für immer konzentriert? (5b). ?In dieser Gabe übereignete Jesus Christus der Kirche die immerwährende Vergegenwärtigung des Ostermysteriums. Mit ihr stiftete er eine geheimnisvolle ?Gleichzeitigkeit? zwischen jenem Triduum und dem Gang aller Jahrhunderte? (5b).


Mit anderen Worten gesagt, ist die Eucharistie nicht nur eine Erinnerung des Leidens und Sterbens des Herrn, "sondern seine sakramentale Vergegenwärtigung. Sie ist das Kreuzesopfer, das durch die Jahrhunderte fortdauert? (11a). ?Dieses zentrale Mysterium des Heils [wird] wirklich gegenwärtig und ?vollzieht sich das Werk unserer Erlösung?? (11c; vgl. 21a). ?Vollzieht sich?, das bedeutet nichts anders, als "jetzt?, dann nämlich, wenn durch unsere Feier der Eucharistie das Kreuzesopfer wirklich unter uns gegenwärtig wird. ?Dieses Opfer ist für die Erlösung des Menschengeschlechtes so entscheidend, dass Jesus Christus es vollbrachte und erst dann zum Vater zurückgekehrte, nachdem er uns [in diesem Sakrament] das Mittel hinterlassen hatte, damit wir so daran teilnehmen können, als ob wir selbst dabei gewesen wären. Jeder Gläubige kann auf diese Weise am Opfer Christi teilnehmen und seine Früchte in unerschöpflichem Maß erlangen? (11c).


b.) Diese Gegenwart Christi in der heiligsten Eucharistie, die Gegenwart in seinem Tod und in seiner Auferstehung, ist nicht nur ?wirklich? (Christus ist auch auf andere Weise in seiner Kirche ?wirklich? gegenwärtig), sondern ganz einzigartig, ?substantiell?. An dieser Stelle verweist die Enzyklika auf die Lehre des Konzils von Trient: ?Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt? (15a). Deshalb ist die Eucharistie ?mysterium fidei, ein Geheimnis, das unser Denken übersteigt und das nur im Glauben erfasst werden kann? (ebd.).


c.) Diese Gegenwart Christi in der heiligsten Eucharistie hat ihrer Wirkung nach zwei hauptsächliche Dimensionen: sie ist Opfer und sie ist Mahlfeier. Der Heilige Vater drückt seinen tiefen Schmerz darüber aus, dass sie heute vielfach ihres "Opfercharakters beraubt? wird (10b). Christus nämlich beschränkte sich bei der Einsetzungn der Eucharistie "nicht darauf zu sagen: ?Das ist mein Leib..., das ist mein Blut?, sondern fügte hinzu: ?der für euch hingegeben wird ..., das für euch vergossen wird? (Lk 22, 19-20). Er bekräftigte nicht nur, dass das, was er ihnen zum Essen und zum Trinken gab, sein Leib und sein Blut war, sondern brachte auch dessen Opfercharakter zum Ausdruck? (12a). Die Heilige Messe setzt deshalb stets dieses Opfer gegenwärtig (12b-c), das Opfer Christi, der sich für unsere Sünden dahingibt: und deshalb ist die Eucharistie ein "Opfer im eigentlichen Sinn? (13a).


Es ist wichtig festzuhalten, dass "indem Christus der Kirche sein Opfer schenkte, [...] er sich auch das geistliche Opfer der Kirche zu eigen machen [wollte], die berufen ist, mit dem Opfer Christi auch sich selbst darzubringen? (13b; vgl. 56 sowie Lumen gentium 11). So sollen auch wir nicht mit leeren Händen kommen, sondern unser eigenes Opfer mitbringen, um es mit dem Opfer Christi zu vereinen. Andererseits ist die heiligste Eucharistie auch wirklich "ein wahres Mahl, in der sich Christius als Nahrung darbietet?, und zwar tatsächlich und nicht nur in einem bildhaften Sinn; er selbst nämlich hat uns versichert: "mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank" (Joh 6, 55) (16). Mit der Gabe seines Leibes und seines Blutes erweckt Christus zugleich auch die Gabe seines Geistes, des Heiligen Geistes (17).



4. Konklusion


All diese grundlegenden Aussagen über die fortdauernde Vergegenwärtigung des Leidens und Sterbens Christi, sind in der Tat etwas ganz Außergewöhnliches. Das Niveau unserer Anteilnahme an der Eucharistie wird wesentlich davon abhängen, inwieweit wir diese Grundswahrheiten verstehen und leben. Aber auch das Verständnis der anderen Aspekte jenes großen Glaubensgeheimnisses hängt davon ab, wie überhaupt unsere Fähigkeit, die Wahrheit Gottes zu begreifen. Und davon wiederum hängt die Qualität unseres Dienstes in der Kirche wesentlich ab.


Diesen grundlegenden Glaubenswahrheiten gegenüber empfindet der Heilige Vater ?ein großes und dankbares Staunen? (5c) und er wünscht, dass dieses Staunen auch in uns aufs neue erwache (vgl. 6). Er schreibt: "Dieses Staunen muss die Kirche immer ergreifen, wenn sie sich zur Feier der Eucharistie versammelt? (5c).


Bitten wir den Herrn, dass dieses allergrößte Sakrament für uns niemals zur einer Gewohnheit werde, sondern stets Ursache unseres "Staunens? und Quelle unserer aufrichtigen und großmütigen Bereitschaft sei, die Kirche aufzubauen. Amen.




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