(Aachen, 20. Mai 2020) "Bleiben Sie zu Hause. Oder ernähren Sie Ihre Kinder"! So drastisch wird in Simbabwe das Dilemma beschrieben, mit dem Menschen – verursacht durch die Corona-Pandemie - derzeit nicht nur in diesem afrikanischen Staat, sondern in zahlreichen Regionen des Südens konfrontiert werden. "Die mit der Ausbreitung von COVID-19 verbundenen Ausgangsbeschränkungen und Jobverluste führen vielerorts zu gewaltigen Problemen", sagt MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon. "Den Betroffenen ist es oft kaum noch möglich, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, die Angst vor einer Hungerkrise ist häufig größer als vor dem Virus. Große Sorgen macht uns auch die Gefährdung des ohnehin knappen Gesundheitspersonals, Infektionsschutz in Krankenhäusern und Gesundheitsposten ist daher dringend geboten". MISEREOR hat zur Linderung der Corona-Folgen und zur Prävention in Afrika, Asien und Lateinamerika bereits 3,6 Millionen Euro investiert, bereitet weitere rasche Hilfen vor und bittet angesichts der Größe der Herausforderungen um anhaltende Solidarität.
In Simbabwe sei die Ernährungslage schon vor Ausbruch der Pandemie sehr schlecht gewesen, berichtet Désiré Nzisabira, Leiter der MISEREOR-Verbindungsstelle in Johannesburg. "Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner in Elendssiedlungen leben von ungeregelten kommerziellen Aktivitäten und Tagelohnarbeit. Beispielsweise putzen sie in Betrieben oder Privathaushalten oder sind Industriearbeiterinnen oder -arbeiter ohne gesicherte Arbeitsverträge. Ihr Hungerlohn kann sie nur ernähren, wenn sie zur Arbeit gehen. Werden aber massive Ausgangsbeschränkungen durchgesetzt, bricht ihnen direkt ihre einzige Einkommensquelle weg. Die Möglichkeit, sich etwas zu essen zu kaufen, wird ihnen genommen. Wenn das Virus kommt, sind sie vom Hunger schon so geschwächt, dass ihre Überlebenschance noch zusätzlich gesunken ist. Oder sie sterben bereits ohne Corona-Infektion an Hunger."
Keine staatliche Hilfe
Ein Blick nach Lateinamerika zeigt, dass sich dort Millionen Menschen in ähnlich prekärer Lage befinden. MISEREOR-Berater Georg Krekeler nennt als Beispiel ein junges Ehepaar aus Santa Cruz in Bolivien: Die 23-jährige Carla M. hat wegen Corona ihre Anstellung als Haushaltshilfe verloren. "Carla hat seit Beginn der Pandemie keinen Cent verdienen können. Bei ihrem Lebenspartner sieht es nicht besser aus. Er arbeitet normalerweise als Tagelöhner auf dem Bau – seit Wochen steht seine Baustelle still. Einkommen Fehlanzeige. Die Kinder der beiden, zwei und fünf Jahre alt, sowie die Mutter von Carla, die mit ihnen im Haushalt lebt, wollen versorgt werden. Hunger hat derzeit ein städtisches Antlitz – ein Ende ist nicht in Sicht. Carla berichtet, dass sie ihre Familie derzeit nur dank gelegentlicher "Lunchpakete" von einigen solidarischen Familien, in deren Haushalten sie teils gearbeitet hat, mehr schlecht als recht durchbringt. Auf die staatlichen Hilfen angesprochen stellt sich heraus, dass Carla keine der verschiedenen Kriterien (u.a. Kinder im schulpflichtigen Alter, Familienvorstand älter als 65) erfüllt."
"Alle 38 Landkreise von Bihar (indischer Bundesstaat in der Ganges-Senke südlich des Himalaya) sind nun von COVID 19 betroffen", schreibt die MISEREOR-Projektpartnerin Schwester Dorothy Fernandes aus der Verwaltungsmetropole Patna, "das Virus breitet sich böse aus". Die Gruppen und Gemeinwesen in der Zwei-Millionenstadt, mit denen sie zusammenarbeitet, sind stark von der Ausgangssperre betroffen. In den leergefegten Gassen rund um den riesigen Ghandiplatz können sie nichts mehr verkaufen. Nachdem sie ihre eigenen Vorräte aufgegessen hatten, bedeutete das für sie und ihre Familien schlicht Hunger. So ergeht es auch den Maurern, Elektrikern und Hilfsarbeiterinnen. Die Subunternehmer tauchen nicht mehr auf, weil viele Baustellen still liegen. Die Schwester hat in enger Abstimmung mit MISEREOR ein Hilfsprogramm gestartet, welches Hungertote und entwicklungsgeschädigte Kinder vermeiden soll, bis dass die staatliche Hilfe anläuft.
Dürre, Flut, Heuschreckenplage
Nach Angaben von Peter Meiwald, einem der Leiter der Abteilung Afrika und Naher Osten bei MISEREOR, steht insbesondere Afrika angesichts der Corona-Krise vor "sich überlappenden und verstärkenden Multiproblemlagen, die zu sich verschärfenden großflächigen Hungerkrisen führen. Dürren, zum Beispiel in Simbabwe, Mozambik und Angola, Überflutungen, Heuschreckenplagen am Horn von Afrika, Misswirtschaft und Zyklone" seien in diesem Zusammenhang zu nennen. Durch eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und wegbrechende Transportkapazitäten infolge der Corona-Krise würden die genannten Faktoren in ihrer Wirkung potenziert werden.
Misereor
Als Werk für Entwicklungszusammenarbeit der katholischen Kirche kämpft MISEREOR für Gerechtigkeit und Bildung, gegen Hunger, Krankheit, Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzungen sowie deren Ursachen. Gemeinsam mit einheimischen Partnern unterstützen wir Menschen unabhängig von ihrem Glauben, ihrer Kultur und ihrer Hautfarbe. Seit der Gründung von MISEREOR im Jahr 1958 wurden über 110.000 Projekte in Afrika und dem Nahen Osten, in Asien und Ozeanien, in Lateinamerika und der Karibik gefördert. MISEREOR ist Mitglied im Bündnis Entwicklung Hilft: www.entwicklung-hilft.de.