Pressemitteilung zum Hochschultag
[...] Hintergrund der Einladung [an Thüringer Professorinnen und Professoren] ist zum einen das Jahr der Bibel, das uns an die kulturprägende Kraft dieses Buches erinnert, aber auch uns Christen mit der Frage beunruhigt, wie prägend sie denn eigentlich ist.
Zugleich erinnert uns das Jahr 2003 an Traditionen, die bis heute nachwirken: 1303 richten die Dominikaner die Ordensprovinz Saxonia ein. Sitz des ersten Provinzials wird Erfurt: Meister Eckhart - um den handelt es sich - war schon damals ein bekannter Prediger und Lehrer. Er kam direkt von der Universität in Paris, wo er lehrte, nach Erfurt.
Erfurt war zwar damals noch keine Universitätsstadt. Die Orden, die sich um diese Zeit in Erfurt ansiedelten, bildeten aber bereits wichtige Keimzellen der künftigen Universität.
1303 ist auch das Jahr der Gründung der römischen Universität "La Sapienza" durch Papst Bonifaz VIII. Im Juni diesen Jahres feierte die 1876 staatliche Universität gewordene Hochschule, die heute über 140.000 Studenten hat, ihre 700-Jahr-Feier. Aus diesem Anlass fand ein interessantes Symposium "Universität und Kirche in Europa" statt. Damit ordnet sich auch unsere bescheidenere Zusammenkunft in einen größeren Rahmen ein!
Beide Daten - 1303 Rom und 1303 Erfurt - erinnern uns gerade im zusammenwachsenden Europa an die Wurzeln der ursprünglich christlichen Institution Universität. Die im Zeitalter des Humanismus entstandenen Universitäten waren eine Synthese aus theologischem und philosophischem Wissen und dem Wissen anderer Fachdisziplinen. Der damals eingeübte Dialog zwischen Gottesglaube und Vernunft war und ist ein unverzichtbarer Dienst am Menschen und seiner Würde. Damals wie heute sind die Universitäten der erste Ort für das Aufeinandertreffen von Evangelium und Kultur.
Dieser Dialog findet gegenwärtig auf unterschiedlichen Ebenen statt. Da ist einmal der Dialog unterschiedlicher Wissenschaften mit der Theologie, der nicht nur für Natur- und Geisteswissenschaften eine durchaus wichtige Bereicherung darstellt. Das interdisziplinäre Gespräch ist für die Theologie und damit auch für die Kirche eine unerlässliche Grundvoraussetzung theologischer und pastoraler Arbeit überhaupt.
Die Hochschulen sind jedoch auch der Ort, an dem sich das Gespräch zwischen Christen und Nichtchristen, sowie zwischen Christen unterschiedlicher Konfessionen oder zwischen Christen und Vertretern anderer Religionen auf besondere Art ereignet. Dabei wird die Kirche durch ihre Hochschulseelsorger vertreten, aber zugleich durch die Christen, die sich ihren Kirchen zugehörig fühlen.
Dieser Dialog ist auf allen Ebenen konfliktreich und für alle Beteiligten nicht immer bequem. Eine besondere Herausforderung ist er sicher in einer Umwelt, die in allen gesellschaftlichen Bereichen durch säkulare Strukturen geprägt ist.
So scheint es auf den ersten Blick durchaus vermessen zu sein, wenn eine kleine Kirche - wie es die katholische Kirche im Bistum Erfurt ist - diesen Dialog wagen will. Dass wir dies dennoch tun, sei es durch eine Katholisch-Theologische Fakultät, sei es durch Bemühungen unserer Hochschulseelsorger, sei es durch die Angebote des Katholischen Forums, hat mit unserem Vertrauen zu tun, dass das, was über Jahrhunderte gut und richtig war, nicht plötzlich falsch sein kann. Auch in säkularen Strukturen können immer wieder die Prägungen und die Wirkmächtigkeit des Evangeliums erfahren werden. Das Jahr der Bibel hat uns dies wieder deutlich vor Augen geführt.
Zugleich erleben wir aber alle gemeinsam die ungeheuren Herausforderungen, die sich aus den Entwicklungen der Naturwissenschaften aber auch der Geisteswissenschaften ergeben. Ich denke hier an die Herausforderungen der Biotechnologie, an die Fragen der Wirtschaftswissenschaften - auch ganz aktuell - oder an Denker der Hypermoderne wie den Amerikaner Max More oder den Österreicher Hans Moravec.
Keiner von uns kann diesen Herausforderungen ausweichen und mehr denn je sind wir auf das Gespräch und den Austausch verwiesen. George Steiner bringt das gegenwärtige Spannungsverhältnis in seinem Buch, "Grammatik der Schöpfung" auf den Gegensatz von Schöpfung und Erfindung. Die "Erfindung" sei - so Steiner - Kind und Motor der menschlicher Geschichte. In den Sinnbezirken des Begriffs "Schöpfung" - den wir immer noch relativ selbstverständlich in der Kunst verwenden - sind dagegen theologische "Hintergrundgeräusche" zu vernehmen. Darauf selbst in einer säkular geprägten Gesellschaft aufmerksam zu machen, ist Aufgabe auch einer religiösen Minderheit. Jürgen Habermas hat ja bekanntlich in seiner Frankfurter Friedenspreisrede auf diesen notwendigen Dialog zwischen Nichtglaubenden und Gläubigen aufmerksam gemacht.
Freilich: Auch Christen müssen den Dialog lernen - besonders dort, wo an die Stelle einer schlichten Gottvergessenheit bzw. Gleichgültigkeit, wie sie in unserer Postmoderne so verbreitet ist, ein dezidierter Atheismus tritt.
Ich möchte an dieser Stelle den grundlegenden Einwand ansprechen, der heute von nichtchristlichen Menschen gegenüber einer sich religiös verstehenden Existenz gemacht wird: Es ist der Verdacht, mit einem religiösen Glauben verliere der Mensch seine Autonomie, seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Religion, und eben auch christliche Religion sei ein Zustand der Fremdbestimmtheit, in der dem Menschen das Recht auf schöpferische Selbstverwirklichung und moralische Autonomie genommen würde. Das ist der geheime Stachel, der viele auch nachdenkliche Zeitgenossen vom Glauben an Gott und an das Evangelium abhält.
Darauf mag es manches zu antworten geben, von der Anthropologie her, die weiß, dass wir grundsätzlich dialogische und nicht monologische Wesen sind, von der Theologie her, die uns zeigen kann, dass Gottes Freiheit nie als Konkurrenz, sondern nur als Synergie zur Freiheit des Menschen gedacht werden kann. Wie sagt der Psalmist? "In deinem Licht sehen wir das Licht!" (Ps 36,10). Aber es geht hier ja letztlich nicht um ein Austauschen bloßer rationaler Argumente. Hier geht es um Gründe, die allein das Herz kennt, wie Blaise Pascal sagen würde.
Ich gebe zu: In unseren Zeiten ist die Gotteswirklichkeit so abgedunkelt, dass manche nur sehr schwer Gottes Wirklichkeit wahrnehmen können. Wir modernen Menschen sehen überall nur uns selbst. Wir durchschauen - wie wir meinen - alles, aber auch wirklich alles, selbst die Religion, ihre Entstehung und ihre Existenzbedingungen. Wer aber alles durchschaut, sieht am Ende gar nichts mehr!
Ich denke manchmal: Muss einer, wenn er spricht, um die Grammatik wissen? Grammatik ist die selbstverständliche Voraussetzung beim Sprechen und Schreiben, an die wir im alltäglichen Gebrauch nicht denken. Jetzt nehme ich einmal meinen Mund sehr voll: Für mich ist die Welt Gottes weder fern noch verworren. Sie ist für mich eine Sache täglicher und stündlicher Erfahrung, wie vergleichsweise das Atmen. Die Leugnung Gottes kommt mir vor wie eine Art Amnesie, wie eine Geistesabwesenheit, eine Vergesslichkeit. Man denkt eben beim Lesen nicht an die Augen.
Es gibt also wichtige, aber auch faszinierende Gründe für das Gespräch. Es beginnt sicher hier und heute nicht neu, aber vielleicht kann ein solcher Abend dazu dienen, dass wir uns wieder seiner Bedeutung vergewissern.
Auch wenn wir - wie eingangs erwähnt - nur eine kleine Zahl sind, so freue ich mich dennoch, dass ich Vertreter von allen angesprochenen Gruppen hier begrüßen kann. Professoren unterschiedlicher Fachgebiete, Vertreter der Hochschulseelsorge und der Katholisch-Theologischen Fakultät, Mitarbeiter des Bistums, die sich in besonderer Weise dem Diskurs von Wissenschaft und Gesellschaft stellen, aber auch Vertreter von Dozenten und Professoren, die sich unserer katholischen Kirche zugehörig fühlen. Ich bin überzeugt, dass es uns gelingt, das notwendige Gespräch in Thüringen mit neuem Leben zu füllen.
Ganz besonders möchte ich mit Herrn Professor Dr. Jan Sokol jemanden begrüßen, dessen Biografie durch Neuanfänge und Vertrauen in die Zukunft sowie durch die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, geprägt ist.
Danke Ihnen allen, dass Sie sich auf dieses Gespräch einlassen. Ihre Erfahrungen als Christen und als Hochschullehrer sind uns wichtig. Seien Sie herzlich willkommen.
7.11.2003
link