In jedem Jahr erreicht mich die freundliche Einladung, Gast Ihrer Landessynode zu sein. Nicht immer kann ich persönlich dieser Einladung folgen. Der Ökumenebeauftragte unseres Bistums, Herr Offizial Heinz Gunkel, nimmt diese Einladung in meinem Auftrag wahr und berichtet mir von Ihren Beratungen. Heute freilich habe ich Gelegenheit, für diese Einladung einmal persönlich zu danken und Sie alle von Angesicht zu Angesicht zu grüßen.
Es ist keine Floskel, wenn ich sage: Das ökumenische Netz zwischen Bistum Erfurt und Landeskirche Thüringen ist fest und tragfähig. Durch mancherlei gemeinsame Kontakte, Gespräche und Teilnahme an Gottesdiensten, wie etwa bei den festlichen Ordinationsgottesdiensten, ist die Verbindung mit der Thüringischen Landeskirche in den Jahren vertiefter, ja vertrauensvoller geworden. Soeben habe ich in Ilmenau Landesbischof Dr. Kähler in einer Vortragsreihe zum Römerbrief nachfolgen können - er sprach in der katholischen St. Josefskirche, ich in der evangelischen Jakobuskirche. So wirken wir zusammen, auch wenn wir uns nicht ständig begegnen. Dennoch: Es gibt Wochen, da sehe ich Bruder Kähler (und vorher Bruder Hoffmann) häufiger als meinen Generalvikar.
Im Juli dieses Jahres habe ich mit meinen engsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Besuch Ihrer Kirchenleitung in unserem Ordinariat in Erfurt durch einen Gegenbesuch hier in Eisenach erwidern können. Die Teilnehmer werden bestätigen: Es war ein vertrauensvoller Austausch über viele Fragen, die uns gemeinsam bewegen. Die Freuden und Sorgen der einen Kirche werden mehr und mehr auch die Freuden und Sorgen der anderen. Das ist nicht selbstverständlich und beileibe noch nicht flächen- und gremiendeckend von allen geteilte Grundüberzeugung. Darum gilt es, dieses menschliche und geistliche Band der uns jetzt schon möglichen Einheit weiter zu stärken und zu pflegen.
Dass mir diese Verbindung zur Thüringer Landeskirche persönlich, besonders auch im Kontakt mit Ihrem Landesbischof, Bruder Kähler leicht fällt, sage ich hier gerne öffentlich. Es liegt nicht nur daran, dass uns die Freude an der Auslegung der Hl. Schrift verbindet. Auch die gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnisse in DDR-Jahren können das ökumenische Lernen heute in veränderter Situation beflügeln. Was für Verkündigung und Seelsorge im Sozialismus nicht falsch war, kann auch beim geistlichen Bestehen in der Marktwirtschaft hilfreich sein!
Es freut mich, dass Landesbischof Dr. Kähler nun in seiner neuen Verantwortung im Rat der EKD und als Stellvertreter des Ratsvorsitzenden diese Erfahrungen auch über Thüringen hinaus bundesweit einbringen kann. Nochmals von dieser Stelle aus, Ihnen, lieber Bruder Kähler, meinen Glückwunsch zu dieser erweiterten Würde (und Bürde)!
Gern greife ich noch einmal das auf, was auch bei der letzten EKD-Synode in Trier thematischer Schwerpunkt war: Die Bedeutung der Bibel. Wir Christen beider Kirchen hören gemeinsam auf das Wort der Schrift, und wir sind gehalten, mehr und mehr gemeinsam darauf zu antworten - im gemeinsamen Bekenntnis des Glaubens und mit gemeinsamem christlichem Lebenszeugnis. Das ist meine feste Ü;berzeugung: Im Glauben eins werden kann man nur, wenn man zuvor intensiv und demütig hört, was Gott uns zu sagen hat.
Das "Jahr der Bibel" war und ist für mich ein herausragendes ökumenisches Ereignis. Mich hat bewegt, wie beim Ökumenischen Kirchentag in Berlin jeden Morgen viele Tausende sich eine ganze Stunde lang konzentriert, mit offenem Sinn und bereitem Herzen zum Hören um das Wort Gottes versammelt hatten. Ich selbst habe eine solche Bibelarbeit in einer großen, gefüllten Kirche Berlins halten können. Diese Gemeinsamkeit im Hören auf Gottes Wort stimmt mich im Blick auf unseren weiteren ökumenischen Weg zuversichtlich.
Und dass sich in Thüringen viele - häufig von der Kirche weit entfernte - Schulkinder nicht nur mit Harry Potter beschäftigen, sondern sich auch in einem Schülerwettbewerb mit der Bibel auseinander gesetzt haben, ist ein Geschenk. Das gehört zum "Kerngeschäft" unserer Kirchen: Das Evangelium unter die Leute bringen, auch hier in diesem unserem schönen Land.
Ich hatte vor kurzem bei einem Pastoralkongress unseres Bistums, der sich genau mit diesem Thema einer missionarischen Präsenz der Kirche beschäftigte, die Parole ausgegeben: "Aufbewahrtes Manna verdirbt!" Gottes Geschenke bleiben frisch, wenn man sie sofort unter die Leute bringt, wenn man sie gebraucht und nicht für vermeintlich bessere Zeiten hortet. Das Wort Gottes ist natürlich auch uns Christen gesagt, aber eben nicht nur uns, sondern allen Menschen. Es will allen die Chance zu einer geistlichen Lebensweitung geben, die über den Horizont hinausreicht, den uns der jeweilige Zeitgeist suggeriert.
Es gibt auch bei Menschen, die Gott nicht kennen, Sehnsüchte, die nicht durch Euros befriedigt werden können. Oder ich sage es einmal positiv: Es ist gut zu wissen, dass man beschenkt ist. Aber noch besser ist es zu wissen, wer mich beschenkt. Den Geber einer guten Gabe zu kennen, macht reicher als die Gabe selbst! Helfen wir gemeinsam mit allen unseren Möglichkeiten, als Kirchen und als Einzelne, dass möglichst viele Menschen in diesem Land mit Jesus Christus in Berührung kommen, dass sie sich dem "verdankt" wissen, der uns auch im Sterben halten kann.
Den Beratungen Ihrer Synode wünsche ich einen erfolgreichen Verlauf. Fassen Sie Beschlüsse, die nicht nur den Mitgliedern Ihrer Landeskirche, sondern allen Menschen in diesem Freistaat zugute kommen! Helfen Sie mit, dass katholische und evangelische Christen immer besser lernen, "Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus" - wie der Apostel Paulus sagt - "einträchtig und mit einem Munde zu preisen" (Röm 15,6).
Eisenach, 13.11.2003
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