Das Leben bei Gott ist wichtig

Predigt von Weihbischof Hauke am Hochfest Maria Himmelfahrt

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Ein armenisches Lektionar in Jerusalem aus dem 5. Jahrhundert nennt den 15. August „Tag der Gottesmutter Maria“. Wie ein Märtyrergedenken wurde dieser Tag als Geburtsfest – natale – begangen. Man feierte den Heimgang der Gottesmutter Maria und zugleich ihren Geburtstag für das ewige Leben. Kaiser Maurikios von Byzanz – er regierte von 582-602 – ordnete diesen Tag als Festtag in seinem ganzen Reich an. Erst im 7. Jahrhundert feiert man auch in Rom am 15. August den Heimgang Mariens als „Natale Sanctae Mariae“. Papst Sergius I  - er regierte von 687-701 – gestaltete diesen Tag mit einer Prozession von der Hadrians-Kirche nach Sancta Maria Maggiore. Am Ende des 8. Jahrhunderts sprach man in Rom erstmalig von der „Aufnahme Mariens in den Himmel“. Als dann am 1. November 1950 das Dogma durch Papst Pius XII verkündet wurde, nahm die Verehrung der Gottesmutter an diesem Tag durch Gottesdienst und Brauchtum weiterhin zu. Was diesen Festtag vom Fest der Märtyrer unterscheidet, wird im Dogma und im Tagesgebet zum Ausdruck gebracht: „Allmächtiger ewiger Gott, du hast die selige Jungfrau Maria, die uns Christus geboren hat, vor aller Sünde bewahrt und sie mit Leib und Seele zur Herrlichkeit des Himmels erhoben.“ So etwas gab es bisher noch nie und zeichnet den Heimgang Mariens besonders aus.

Für mich ist bedeutsam, dass sich diese Glaubensaussage ohne biblischen Hintergrund schon 500 Jahre nach dem Ereignis herausgebildet hat und mit einem Fest begangen wurde. Niemand empfand es als sonderbar im Vergleich zum Sterben der Märtyrer und anderer Heiliger, dass bei diesem Festtag besondere Gedanken über Maria gefeiert wurden und sich dann die Aussage des Dogmas von 1950 herausgebildet hat, die von der Mehrheit des katholischen Gottesvolkes ohne Widerstand angenommen wurde. Im Erfurter Dom sehen wir das Altarbild von Tobias Jacob Hildebrandt aus dem Jahr 1697, das dieses Ereignis darstellt und nun schon über 300 Jahre am Festtag mit Freude und Staunen betrachtet wird, weil hier schon ausgedrückt ist, worin unsere Hoffnung besteht: Die Aufnahme in die himmlische Gemeinschaft und die Teilnahme am Hochzeitsmahl des ewigen Lebens.
Hoffnungen werden geweckt und geschürt durch Bilder, die das Zukünftige darstellen. Es beginnt ja schon bei den Bildern in den Urlaubskatalogen mit weißem Strand, dem blauen Himmel und dem blauen Meer, den grünen Wiesen und den hohen Bergen, die mit Mühe und Freude erklommen werden. „Da will ich hin!“ – sagen dann die Urlaubshungrigen und klagen bei Gericht, wenn es nicht so war wie im Katalog angegeben. Und was sind die Bilder und Wünsche im Bereich der Bildung?  In wenigen Tagen beginnt in Thüringen ein neues Schul- und Studienjahr und die Erwartungen sind hoch, was die Qualität von Bildung angeht. Wir hoffen, dass es keine zu großen Enttäuschungen bei Schülern und Studenten geben wird, aber versprechen können wir es keinem.

Was ist das, was mit dem Wort „Heimgang“ in der Heiligen Schrift und der Tradition an Gedanken verbunden wird? Wir werden über die Tatsache hinaus, dass es sich um ein Geborenwerden für den Himmel handelt, auch mit dem Gedanken des Bundes durch die Vision des heiligen Johannes von der Bundeslade im Tempel beschenkt, aber auch mit dem Gedanken vom großen Heil, das durch Christus und die Geburt Jesu von Maria, der Jungfrau, in die Welt kommen will. Alles scheint zusammen zu gehören und durch den Bundesgedanken zusammengefügt zu werden. Zwar bezieht sich der Bund und die Heilszusage im Magnifikat, das Maria bei Elisabeth singt, noch ganz und ausschließlich auf das Volk Israel und hat noch keine universale Bedeutung erlangt, aber schon der Hebräerbrief weist auf die Erweiterung des Heilsgedankens hin, wenn er durch den Hinweis auf Adam alle Menschen in den Blick nimmt, die wegen der Verbundenheit mit dem ersten Menschen Adam im Tod auch in die Verbindung mit der Auferstehung Jesu kommen. Die Herrschaft Christi soll eine universale werden – unabhängig von Konfession, Religion und Atheismus. „Heimgang“ bedeutet also für jeden Menschen das Ankommen dort, wo der Heilswille Gottes im Gottesreich seine Erfüllung gefunden hat.

Der Blick in die Tageszeitung heute wird kaum dazu beitragen können, die Hoffnung auf das Gottesreich auszudrücken und die Menschen dorthin einzuladen. Wir werden wieder von politischen Unruhen etwas lesen, von Naturkatastrophen durch Brände oder Hochwasser, von sozialer Ungerechtigkeit und neuen Lösungsangeboten, die unsere Welt retten könnten. Was mir immer fehlt ist dabei der Gedanke an die Verantwortung vor Gott und daher der Gedanke, dass wir uns vor allem hüten sollen, was den Menschen zum Egoisten macht – wie es der Teufel verkörpert. Dieser will selbst dem neugeborenen König, der die Welt mit eisernem Zepter regieren soll, das Leben nehmen und dem neuen König mit neuem Stil keine Chance lassen. „Es muss alles bleiben, wie es schon immer wahr:“ Dieses Wort bedeutet Stillstand und Tod. Es bedeutet Gewalt und Fremdherrschaft. Der neugeborene König möchte retten und in der Vollmacht herrschen, die Gott, der Vater, ihm gegeben hat. Das ist eine Herrschaft der Liebe, die jedoch auch mit eisernem Zepter geführt werden kann, damit das Böse – wo es nötig ist – beim Namen genannt wird, und das Gute mächtig werden kann. Ich wünsche mir manchmal, dass unser christlicher Glaube an den Sieg des Guten über das Böse und letztlich den Tod in unserem Denken mächtiger wird und wir nicht kleinmütig sind.

Ich freue mich angesichts von Hoffnungslosigkeit in der Welt über alle Initiativen, die Flüchtlingen eine Chance geben, hier heimisch zu werden und auf eigenen Füßen stehen zu können. Wir spüren, dass selbst bis in den Sport und in die Kunst hinein – ja sogar in der Politik gegenüber Menschen aus anderen Rassen und Völkern – die Fremdenfeindlichkeit bisweilen eine Rolle spielt. Der Gedanke, dass alle Menschen von Gott geliebt sind und auf ihn hin unterwegs sein sollen, ist dann fern und exotisch. Vielleicht wird er noch respektiert, aber in der Praxis spielt er keine Rolle mehr. Der Mut der jungen Kirche, in alle Welt zu gehen und den Glauben in verschiedene Kulturen zu integrieren, ist für mich ein deutliches Zeichen für die Kraft des Glaubens, die unabhängig von allen Unterschieden bei den Menschen eine Einheit möglich macht, weil es das gemeinsame Ziel gibt – besser: den gemeinsamen Gott, der uns liebt und bei sich auf ewig haben will. Wir müssen die unterschiedlichen Prägungen der Menschen in ihren Kulturen ernst nehmen, aber wir sollen uns nicht fürchten, wenn sich Gedanken ausprägen, die vielleicht mit der ursprünglichen Lehre, wie wir sie kennen, nicht übereinzustimmen scheinen. Wenn es die Zustimmung der Herzen aller Gläubigen gibt, dann kann ein solcher Gedanke zum Glaubensgut der Kirche werden – so geschieht es zumindest bei der Herausbildung der Glaubenssätze, die wir Dogmen nennen. Wir sehen die Spuren Gottes im Sand, die auf einen Weg führen, der uns zum Heil bringt. Dass Gott eine einfache Frau sich auswählt, um durch sie die Welt zu retten, ist ein Gedanke, den man nicht selbst produzieren kann. Hätten wir über den Heilsweg bestimmen sollen, dann wären wir vielleicht eher einen sicheren Weg mit Unterstützung der Mächtigen gegangen, was ja auch in der Missionspraxis üblich war. Aber es bleibt dabei, dass der Weg des Heiles über die einfachen und schwachen Menschen führt.

Immer noch bin ich beeindruckt von einem Video über das Leben und Wirken von Papst Franziskus. Man muss etwas Zeit mitbringen, um den Film anzusehen und zu erspüren, aus welchem Geist der heutige Papst lebt. Immer hatte ich dabei den Gedanken: „Wird das gut gehen?“ Das Fahren im offenen Wagen und die Nähe zu den Menschen – auch dort, wo große Sicherheitsmaßnahmen nicht getroffen werden konnten, da der Papst kurzfristig Orte entschieden hatte, wo er sein wollte. Er scheut sich nicht, auch mit Machthabern zu reden, von denen Unrecht ausgeht, um sie auf Missstände hinweisen zu können. Auch er wünscht sich den offenen Himmel für alle Menschen und ermutigt alle, die sich der Hilfebedürftigen annehmen. Es soll durch die Botschaft des Evangeliums ein neuer Duft in die Welt kommen. Die Segnung der Kräuter an diesem Tag, ist seit dem 10. Jahrhundert üblich. Sicherlich gibt es heidnische Hintergründe, aber wir können sie umdeuten und sagen: „Durch den Segen Gottes, der besonders im Leben von Maria sichtbar wurde, kommt ein neuer Duft in diese Welt, der vom himmlischen Duft Zeugnis gibt.“ Wenn auch nicht überall in der Welt der heutige Tag als Geburtstag Mariens für den Himmel gefeiert wird, so soll diese Welt doch durch uns Christen, die den Tag in diesem Gedanken begehen, eine positive Ausrichtung bekommen. Der Festtag Mariä Himmelfahrt ist somit ein Tag der Zusage des neuen Lebens, das von Gott kommt und an Maria sich schon ausgewirkt hat. Wir schauen auf zu ihr in Sehnsucht und Hoffnung, dass sich auch für uns einmal der Himmel öffnet und wir in ewiger Freude wie Maria bei Christus sein können. Das ist kein Bild aus einem Urlaubskatalog, das uns einmal sehr enttäuschen wird. Es ist ein Bild, das im Kampf gegen die Macht des Drachen durch Gottes Macht der Liebe entstanden ist und dadurch uns nicht enttäuschen kann. Die Macht der Liebe Gottes konnte nicht zulassen, dass Maria im Grab verwest. „Sie hat sich verduftet, die schönste Blume auf dem Feld der Welt“ – schreibt Wilhelm Willms in seinem Musical „Ave Eva“. Sie ist uns voraus gegangen und lockt uns, im Vertrauen auf die Liebe Gottes unseren Weg zu gehen, auf dem Gott uns vorausgegangen ist. Wir erfinden das Bild des Himmels nicht neu. Es ist geschaffen durch die Liebe Gottes seit Ewigkeit. Möge es uns locken und lenken. Amen.

Es gilt das gesprochene Wort