"Da gibt es schon Schmerz"

Interview der Thüringer Allgemeinen mit Bischof Joachim Wanke über die neuen Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch

 

TA: Herr Bischof, Ihre Kirche will künftig sensibler mit Opfern von Missbrauch umgehen. Was ändert sich?

Bischof Dr. Wanke: Zum Beispiel, dass die Vertrauensperson, an die sich Opfer wenden können, nicht direkt aus dem Leitungsbereich des Bistums stammen darf. Auch besteht nun eine Meldepflicht, wir arbeiten also grundsätzlich in solchen Fällen mit der Staatsanwaltschaft zusammen - unbeschadet einer kirchlichen Untersuchung. Nur wenn das Opfer ausdrücklich darum bittet, von einer Verfolgung abzusehen, besteht von dieser Regel eine Ausnahme. Allerdings wird der Fall dann intern von uns dokumentiert, um alles später im Zweifel nachvollziehen zu können.

Das alles ist nur eine Art Feinschliff an den Leitlinien von 2002. Warum fanden diese nicht genügend Beachtung?

Der Umgang mit den Leitlinien war für uns alle ein Lernprozess. Auch wir hier im Bistum haben Fehler gemacht.

Gravierend war der Fall jenes Priesters, der aus Hessen gleichsam zur Therapie nach Thüringen kam . . .

. . . und hier rückfällig wurde. Es war sicherlich falsch, den Mann im seelsorgerischen Umfeld einzusetzen. Die Frage freilich, was man mit solch einem Menschen macht, muss noch anders beantwortet werden.

Es laufen ja noch Ermittlungen in anderen mutmaßlichen Missbrauchs-Fällen, die dieses Jahr bekannt wurden.

Die Ermittlungen gegen einen Mitarbeiter wurden eingestellt, wegen Verjährung. In einem anderen Fall hat der Geistliche den Vorwurf der sexuellen Nötigung eingeräumt, damit ist die Staatsanwaltschaft Mühlhausen noch befasst. Schließlich haben wir noch einen dritten, komplizierten Fall zur Anzeige gebracht, hier allerdings streitet der Geistliche die Vorwürfe ab.

Empfinden Sie es als ungerecht, dass gerade die katholische Kirche für ein gesamtgesellschaftliches Phänomen in Haftung genommen wird?

Nein. Wir erheben einen besonders hohen moralischen Anspruch, deshalb werden wir auch mit besonders hohen Maßstäben gemessen. Damit müssen wir umgehen.

Wie ist die Stimmung in Ihrem Bistum?

Ich habe im April in einem Hirtenbrief versucht, unser aller Mitgefühl mit den Opfern auszudrücken. Dazu begannen wir neuerlich, unsere Mitarbeiter weiterzubilden, zu sensibilisieren. Auch gibt es nun für jeden hauptamtlichen Mitarbeiter in der Seelsorge ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis.

Aber wie reagieren die Kirchenmitglieder selbst?

Da gibt es schon Schmerz und Trauer. Es gibt ein Leiden an der Situation. Wir müssen lernen zu unterscheiden zwischen dem, was tagtäglich positiv geleistet wird und dem, was in wenigen Fällen schuldhaft gewesen ist. Ich finde es wichtig, dass wir auch künftig in Geduld und mit einer gewissen Grundzuversicht unseren religiösen  Hauptauftrag in den Gemeinden erfüllen, also dass wir weiter Ehrenamtliche finden, dass wir mit Kindern, Jugendlichen arbeiten . . .

Verlieren Sie weiter so viele Gläubige wie zu Jahresbeginn?

Wir haben im ersten Halbjahr 359 Austritte registriert, das ist deutlich mehr als üblich. Es gibt aber Zeichen dafür, dass sich dies gerade wieder normalisiert.

Gespräch: Martin Debes


Quelle: Thüringer Allgemeine vom 1.9.2010