"Er macht wieder mit!" Diesen Satz hörte ich als Reaktion auf die Nachricht: Michael Schumacher ist 2010 wieder beim Formel-1-Rennen dabei. Der Kommentator fügte hinzu: Das Come back Schumachers werde in der Sportwelt nicht missgünstig oder gar mit Häme aufgenommen, sondern es löse in der Branche und bei den Fans Freude aus. Die älteren Formel-1-Fahrer wollen es noch einmal wissen und die Nachwuchsfahrer sind interessiert, sich an ihrem früheren Idol zu messen. Schumachers Come back - ein Imagegewinn für alle: Fahrer wie Formel-1-Begeisterte, so das Fazit des Reporters.
Wie kommt man von Michael Schumacher zu Weihnachten? Vielleicht über das Stichwort: "Wieder mitspielen". Ist nicht die Botschaft dieses Festes so etwas wie die Nachricht: Gott spielt wieder mit?
Im Johannesprolog, einem uralten Weihnachtslied, lesen wir die
Worte : "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." Die Welt, die Schöpfung insgesamt, die von Gott in die Freiheit entlassene Menschheit - sie ist nicht nur bleibend und für immer Gottes Eigentum. Gott hat mit der Menschheit vielmehr etwas vor. Die biblischen Autoren fassen diese Absicht Gottes, mit den Menschen Gemeinschaft zu haben, in das Bildwort vom Bund. Gott ist es, der uns nicht nur erschaffen, sondern auch zu Partnern gemacht hat, die ihrem Schöpfer in Freiheit auf seine Liebe antworten können. Aber menschliche Widerspenstigkeit und Eigensinn haben immer wieder diesen Bund gebrochen und außer Kraft gesetzt.
Ist damit alles aus und vorbei? Ist das letzte Wort im Heilsdrama der Schöpfung gesprochen - und zwar im Sinne einer negativen Verwerfung? Die Antwort Gottes auf menschliche Verweigerung ist eine andere. Er geht einen überraschend neuen Weg, uns zu suchen und heimzuführen. Er geht in seine Schöpfung, in sein "Eigentum" hinein. Er eröffnet in der Geburt Jesu in Bethlehem ein grandioses Spiel der werbenden Liebe. Er sucht mit dem Menschen einen neuen Anfang im Dialog, der in dieser Geschichtszeit nie enden soll und sein Ziel hat in der Seligkeit eines ewigen Gesprächs von Schöpfer und Geschöpf, gleichsam von Angesicht zu Angesicht in der neuen Welt, die Gott für uns bereit hält.
Zugegeben, mein Anknüpfungspunkt aus der Welt des Sports mag etwas trivial sein. Aber das ist es, was wir zu Weihnachten feiern: Gottes Come back in die von uns verdorbene Geschichte mit ihm, unseren Schöpfer und Herrn. Gott will einen neuen Anfang, eine neue Chance eröffnen. Er will nicht nur aus einer erhabenen Abseitsposition heraus zuschauen und Urteile abgeben, sondern er will "mitspielen", übrigens mit allen Risiken, die ein solches Wagnis beinhaltet. Dass dazu Gottes Liebe bereit ist - das ist der tiefste Grund unserer Weihnachtsfreude.
Dieses Fest ist eine Einladung, auf Gottes Offerte einzugehen, selbst neu und vertieft mitzuspielen im Spiel seiner werbenden Liebe. Dazu möchte die Kirche anstiften, darum lädt sie alle Menschen zu Gottesdiensten ein - und es ist erfreulich, dass viele, zumindest zu Weihnachten, dieser Einladung zum "Mitmachen" folgen.
Was mich bewegt und was ich gerade heute einmal am Weihnachtsfest bedenken möchte ist dies: Könnte dieses partielle weihnachtliche Come back mancher Menschen zur Kirche nicht zu einem nachhaltigen Come back werden, sich für Gott auch sonst in ihrem Leben zu öffnen?
Ich werde in den Medien gerade zu Weihnachten oftmals nach der Situation der Kirche befragt. Ich soll Stellung nehmen zu ihrer Zukunft, zu Kirchenaustrittszahlen und zu dem, was mir als Bischof als pastorale Gegenstrategie dazu einfällt. Ich bin da immer etwas verlegen um eine Antwort. Was kann überzeugen, wenn ich als Bischof für die Mitgliedschaft in der Kirche werbe? Ist nicht schon die Tatsache, dass ich ein Kirchenmann bin, Grund zur Verdächtigung, hier rede jemand nur pro domo?
Ein wenig habe ich noch den Vorteil, dass ich aus einer kirchengeschichtlichen Situation komme, wo Kirchenmitgliedschaft keine Vorteile bot - im Gegenteil, nur Schwierigkeiten bereitete. Die gelernten DDR-Bürger unter Ihnen wissen, was ich meine. Zumindest kann diese Erfahrung einem das sagen: Was gut und richtig ist, lässt sich nicht allein in Zahlenverhältnissen angeben. Ü;ber die Wahrheit, zumal, wenn sie Wahrheit für mich und mein Leben sein will, kann man schlecht abstimmen. Sie muss aus sich heraus einladend, überzeugend sein. Ü;brigens: 2 /3 unseres Volkes meinen das auch und bleiben in ihren Kirchen, auch wenn sie dieses oder jenes Problem mit ihr haben.
Nüchtern betrachtet wird es vermutlich so sein, dass angesichts des wachsenden Pluralismus und des Abschmelzens bisher tragender, gemeinsamer Ü;berzeugungen und Traditionen in den westlichen Gesellschaften Kirchenzugehörigkeit nicht mehr die Regel sein wird. Wir treten in eine Phase der Kirchengeschichte ein, in der sich Gewohnheiten zu Ü;berzeugungen verdichten werden, und sich Traditionen zu neuen Angeboten für den Menschen heute wandeln müssen. Ich frage darum einmal ganz direkt:
Was sind überzeugende Gründe, in der Kirche zu sein?
Ein erster Grund: Weil dort mir das Evangelium verkündet wird, die Botschaft, die mir mein Leben deutet und meinem Leben Sinn und Ziel gibt. Weil dort die Sakramente gespendet werden, die Quellorte eines neuen, übernatürlichen Lebens sind, das ich nicht selbst hervorzaubern kann. Religiosität allein hilft nicht, mag sie noch so modisch werden wie etwa gegenwärtig. Religiosität kann substanzlos und somit Selbsttäuschung sein. Wir sehen ja, was auf dem religiösen Markt derzeit alles angeboten wird, selbst bei uns hier im Osten. Darum gilt ein
zweiter Grund: Ich bin in der Kirche, weil dort Religiosität "gewartet" wird. (Ich gebrauche einmal diesen technischen Ausdruck, den jeder Autofahrer kennt). Religiosität ist zunächst einmal eine menschliche Eigenschaft wie es auch andere gibt: Musikalität, sportliches Vermögen, schnelle Auffassungsgabe, Sprachbegabung und ähnliches. Der eine ist mehr religiös veranlagt, der andere weniger. Manche meinen, besonders hier in Mitteldeutschland, sie seien überhaupt nicht religiös begabt. Doch vermutlich täuschen sie sich, weil ihr religiöser Sensus aus bestimmten Gründen gleichsam verdorrt und vertrocknet ist.
Religiosität muss sich entwickeln können - in einer Familie, durch Unterweisung und Wissen, durch gottesdienstliche Praxis. Sie muss gepflegt werden, denn sie kann auch verwildern, wie ein Garten, an dem man sich zunächst erfreut, der aber auf längere Zeit ohne Hege und Pflege verkommt und zu einem Dschungel wird, der den Menschen verschlingen kann. Die Grenze zwischen Glaube und Aberglaube, zwischen Entschiedenheit und Fanatismus ist bekanntlich schmal. Ohne die Kirche könnte diese Grenze im Blick auf den christlichen Glauben nicht gewahrt werden - und wir sehen das an abschreckenden Beispielen in der Frömmigkeitsgeschichte. Es ist gut und heilsam, wenn ein Garten einen Gärtner hat, der das, was nicht er, sondern Gott wachsen lässt, hegt und pflegt und beim Blühen und Frucht tragen Hilfestellung bietet. Das ist die Aufgabe der Kirche - und darum ist es gut, in ihr und mit ihr den Glauben zu leben. - Und schließlich ein ganz pragmatisches drittes Argument:
Es ist gut, in der Kirche zu sein, weil nur gemeinschaftlich der christliche Glaube für eine Gesellschaft prägend sein kann. Wir staunen über merkwürdige Urteile aus Strassburg, die christliche Zeichen aus den Schulen verbannen wollen und über Politiker, die sich vor der Erwähnung Gottes in der europäischen Verfassung fürchten. Pluralismus heißt ja nicht: Beliebigkeit. Natürlich muss Religions- und Bekenntnisfreiheit das Fundament einer Gesellschaft sein, aber eben nicht nur die passive, sondern auch die aktive. Es muss und darf möglich sein, eigene Wertüberzeugungen in das gesellschaftliche Gespräch einzubringen und über Fragen, die uns alle angehen, aus der Perspektive des christlichen Glaubens heraus öffentlich nachzudenken und zu reden. Ü;brigens: Auch in den Parteien.
Darum ist es gut, wenn die Kirchen eine öffentliche Stimme haben und in dieser Stimme von vielen gestützt werden. Sonst wird z.B. Karlsruhe mit seinen Bundesverfassungsgericht auch den Sonntag nicht mehr lange als gemeinsamen freien Tag für alle halten können. Ich fürchte in Thüringen nicht Minarette, sondern Kirchtürme, die den Leuten keine Botschaft mehr vermitteln. Wer den Gott und Vater Jesu Christi kennt, hat keine Angst vor anderen Religionen, auch nicht vor dem atheistischen Humanistischen Verband, der dem Christentum den Kampf angesagt hat. Er sollte nur ganz bewusst sagen: Ich möchte auch als Christ eine Rolle spielen in dem gesellschaftlichen Gespräch, das über unsere Zukunft entscheidet, ob und wie diese Zukunft gerecht, human, barmherzig und lebenswert auch für unsere Kinder sein kann.
Mein Wunsch wäre, dass einmal der Johannesprolog umgeschrieben werden könnte: Er kam in sein Eigentum - und die Seinen nahmen ihn auf! Meine Einladung geht an jene, die einmal in der Kirche getauft und aus irgendwelchen Gründen dann den Anschluss verloren haben oder gar ausgetreten sind. Fragen Sie sich einmal, ob nicht auch für Sie ein Come back möglich sein könnte. Ich kann ihnen als Bischof keinen Millionenvertrag anbieten wie die Branche dem Michael Schumacher. Aber anbieten kann die Kirche etwas, was niemand anderes kann: In Kontakt zu kommen mit dem, der für uns und um unsretwillen in diese Welt gekommen ist, um uns Leben zu ermöglichen, Leben aus einer Freude und Geborgenheit, für die die Weihnachtsfreude nur ein schwacher Abglanz ist.
Und wir, die wir in Treue unseren Glauben mit Gott in der Kirche leben, sollten mehr als bisher unsere Mitmenschen als potentielle Mitchristen ansehen. Und wenn wir einzelne kennen, die Anschluss an Kirche suchen, offene Eingangstüren in die Gemeinden hinein, dann sollten wir sie dabei freundlich unterstützen und uns mit ihnen freuen, wenn das gelingt: "Er, sie, macht (wieder) mit!" Das könnte unser Weihnachtsgeschenk für den Herrn sein, eine Antwort darauf, dass er gekommen ist, um "mitzumachen", um uns zum großen Spiel seiner Liebe einzuladen. Amen.
Gehalten im Erfurter Dom am 1. Weihnachtstag 2009
Foto: pfarrbriefservice.de/Peter Weidemann