"Christus ist in unseren Herzen aufgeleuchtet" (2 Kor 4,5)

Predigt von Bischof Joachim Wanke bei der Frauenwallfahrt 2009


Bischof Joachim Wanke
Lesen Sie den Wortlaut der Predigt von Bischof Wanke zur Frauenwallfahrt

Im Folgenden lesen Sie die Predigt von Bischof Joachim Wanke bei der Frauenwallfahrt des Bistums Erfurt zum Kerbschen Berg bei Dingelstädt (Eichsfeld) am 24. Mai 2009:

Das ist zu einer geläufigen Redewendung geworden, die auf viele Lebenslagen anwendbar ist: Die Rede "vom Licht am Ende des Tunnels". Wer schon einmal durch den beinahe 9 km langen Oberhofer Tunnel gefahren ist oder einen der langen Alpentunnels in Österreich oder der Schweiz, der kann das nachempfinden. Es ist zwar spannend und interessant, durch einen längeren, vielleicht noch gewundenen Tunnel zu fahren - aber irgendwie unheimlich ist es doch. Man denkt an dieses oder jenes Unglück, von dem man gehört hat. Man überlegt, ab wann man wohl im Crash-Fall eher vor- oder doch lieber noch zurücklaufen würde. Auf jeden Fall: Mir geht es immer so, dass ich sehr froh und dankbar bin, wenn ich das Tageslicht am Ende des Tunnels sehe.

Das Licht am Ende des Tunnels - das möchten in diesen Tagen viele sehen, besonders Politiker, Konzernvorstände und Bankiers und die vielen, deren Arbeitsplätze durch die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise gefährdet sind.

Und manch anderer steht vielleicht in seinem ganz persönlichen Leben in einer "Tunnel-Situation". Eine schwierige, in ihrem Verlauf unabsehbare Erkrankung, eine Krise in der Ehe, Ausgebranntsein im Beruf, Ärger oder Streit, bei dem das Ende nicht absehbar ist. Manchmal muss man lange auf Licht am Ende eines Tunnels warten. Umso größer die Freude, wenn das geschieht.

Von einem ganz anderen Licht ist heute hier bei der Wallfahrt die Rede. Der Apostel Paulus kennt seine Christen in Korinth. Er weiß, aus welchen Dunkelheiten heraus sie von Gott gerufen wurden. Und nun schreibt er ihnen, im Wissen um ihr neues Leben in Christus einen Satz, der an den Schöpfungsbericht in der Genesis erinnert: "Denn Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi" (2 Kor 4,6).
Der Apostel vergleicht das das, was in den Herzen, in den Biographien der Korinther geschehen ist, mit dem Lichtwerden am ersten Schöpfungstag. Die Korinther sind eine neue, von Gott erleuchtete Schöpfung in Christus geworden.

Durch Taufe und Glauben sind wir der Dunkelheit dieser Welt, vergleichbar einer Fahrt im Tunnel, entrissen, eben - weil wir Christus kennen, weil sein Licht in unseren Herzen aufgestrahlt ist. Denn er, der Herr, der in uns wohnt, ist, wie wir im Credo beten, "Gott von Gott, Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott".

Was bedeutet diese Botschaft für unser Leben? Stecken wir nicht noch - im Bild gesprochen - im dunklen Tunnel dieser Welt mit seinen diversen Finsternissen? Bleiben wir ruhig einmal bei diesem Bild einer Tunnelfahrt.

Drei Dinge darf man während einer Fahrt durch einen Tunnel nicht machen: 1. sich ablenken lassen, 2. in Panik geraten, oder 3. beim Fahren einschlafen.

1. Sich nicht vom konzentrierten Fahren ablenken lassen. Ohne Bild gesprochen: Der Christ sollte sich in der Mitte des Glaubens, im Zentrum der Kirche festmachen.

Es ist für viele katholische Christen derzeit schwierig, so manche Geschehnisse in der Kirche zu verstehen. Da gibt es sogenannte Traditionalisten, die unbedingt die alte Messe und manches andere aus der Vorkonzilszeit wiederhaben wollen; da gibt es Modernisierer, die manche Gebote (z. B. Du sollst wenigstens einmal im Jahr zur Beichte gehen) für altmodisch erklären. Sie picken sich aus dem Christsein nur das heraus, was ihnen passt. Bei denen gerät der Papst unter Beschuss, wenn er an einige katholische Ü;berzeugungen erinnert, z. B. dass Kirche zum Christsein dazu gehört und nicht jeder sein eigener Papst oder Bischof sein kann. Oder da hört man von Spannungen zwischen Bischöfen und katholischen Laienvertretern über die rechte Verteilung der jeweiligen Aufgaben in der Kirche, weil manche meinen, die Bischöfe seien nur für die Frömmigkeit und die Moral und die Laien nur für die Politik und sonstige weltliche Dinge zuständig. Und da könnte man noch manche anderen z. T. heftigen innerkirchlichen Kontroverspunkte nennen, jetzt etwa das Stichwort Vergrößerung von Pfarreien, was in manchen Diözesen schon für mächtige Aufregung gesorgt hat.

Vielleicht haben wir es hier in den neuen Bundesländern leichter als unsere katholischen Geschwister im alten Westen: Wir mussten uns immer wieder angesichts der Bedrohung durch die kommunistische Ideologie und die offenen und versteckten Angriffe der Partei gegen das Christentum auf das Zentrum unseres Glaubens besinnen: auf den auferstandenen Herrn in unserer Mitte und in unserem Herzen. So verstehen wir manchmal gar nicht, wie man sich um scheinbare Nebensächlichkeiten so heftig streiten, ja sich gegenseitig das rechte Christsein absprechen kann.

Natürlich gibt es Fragen, die sich in einer veränderten Zeit neu stellen. Viele Selbstverständlichkeiten von früher sind ins Wanken geraten. Aber tun wir nicht so, als müsste das Christsein heute neu erfunden werden.

Mein Rat und meine Bitte ist: Bleiben wir in der Mitte des Glaubens verankert. Nicht die alten Gewänder und Riten machen uns zu besseren Christen, sondern die andächtig mitgefeierte Messe, die uns mit Christus verbindet und die im Alltag durch das vertiefte Hineinwachsen in den Lebensgehorsam Christi gegenüber seinem Vater von jedem mit dem eigenen Leben untersetzt, gleichsam ratifiziert werden muss. Das galt vor dem Konzil und das gilt auch nach dem Konzil, egal ob man die Messe in Latein oder in Deutsch feiert.

Ihr wisst doch: Manche Talkshows, in denen es um Kirche und Glauben geht, leben vom Aufreißen von Gegensätzen. Es muss etwas zum Aufspießen geben. Ruhiges, sachliches und gar differenziertes Reden ist da nicht gefragt. Da werden Meinungen gegeneinander gehetzt - und wenn viel Blut fließt, gilt die Sendung als gelungen. Das kann nicht der Stil unserer Kirche und nicht das Verhalten von Christenmenschen sein. Unterscheiden wir das, was die Mitte unseres Glaubens ausmacht von Sachfragen, die es dann auch zu lösen gilt, nach bestem Wissen und Gewissen. An die Ministrantinnen haben wir uns inzwischen gewöhnt. Und wir werden auch mit schwierigen Fragen leben müssen, die heute von vielen nicht verstanden werden, etwa, dass die Kirche meint, keine Befugnis zu haben, Frauen zu Priestern zu weihen. Das hat nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, sondern mit der Treue zu einer Tradition, die schon für die apostolische Kirche des Anfangs galt (und übrigens heute, falls ein Papst das abändern würde, eine heillose Kirchenspaltung bewirken würde).

Worauf es im Christsein ankommt, wissen wir:

  • heilig zu werden, wie es heute im Evangelium hieß (vgl. Joh 17,11-19);
  • sich ins Licht Christi zu stellen und selbstkritisch das eigene Gewissen zu prüfen, ob es sich etwas vormacht; (das nennt man: beichten!);
  • das Gute in Beruf, Familie und Ehrenamt zu tun, um Gottes willen, gegebenenfalls ohne dafür gelobt zu werden;
  • am sonntäglichen Gottesdienst festzuhalten, auch wenn das die Nachbarn schon lange nicht mehr tun.
  • Und das nenne ich bewusst als Markenzeichen eines Christen dazu, weil da die Finsternis heutzutage besonders intensiv ist: das menschliche Leben hochzuhalten und zu schützen, auch das ungeborene Leben im Mutterleib.

Also: den christlichen Glauben aus seiner Mitte heraus leben - und sich nicht verwirren lassen, wenn selbsternannte Päpste und Reformer eine neue Kirche basteln wollen. Was uns zum Heile dient, wissen wir. Und Jesus Christus in uns durch unser Leben auch für andere aufleuchten lassen, das ist jedem von uns möglich. Das ist das Entscheidende. Und das glaubwürdig und treu zu tun - das genügt.

Ich will nur andeuten, was meine zwei anderen falschen Verhaltensweisen bei einer Tunnelfahrt meinen:

2. Bei einer Tunnelfahrt darf man nicht in Panik geraten. Es geht um ein Grundvertrauen, dass jeder Tunnel irgendwann ein Ende hat, dass mein Auto funktionstüchtig ist und die anderen vernünftig fahren.

Auf unser Wallfahrtsthema angewendet: Unsere Christusverbundenheit ist kein Garantieschein für weltliches Wohlergehen. Wir sind als Christen genauso den Dunkelheiten und Unwägbarkeiten dieser Welt ausgesetzt wie andere Menschen. So ist es nicht verwunderlich, wenn auch wir uns ängstigen, wie es z. B. mit der Finanz- und Wirtschaftskrise weitergehen wird. Aber - und das ist das, was uns von vielen anderen unterscheidet - darüber darf nicht unser Grundvertrauen ins Wanken geraten, dass auch die gegenwärtige Zeit und jeder Einzelne von uns selbst in Gottes Hand geborgen ist. Woran erkennt man einen Christen? Ich meine daran: dass er nicht in Panik gerät. Und dass er nicht zum Dauernörgler wird an der Welt, an den anderen und insbesondere an den Verhältnissen, die angeblich an allem schuld sind.

Ebenso wie die Männer bei ihrer Wallfahrt möchte ich euch aufrufen, an den kommenden Wahlen teilzunehmen. Wer nicht wählen geht, stärkt die extremistischen Ränder des politischen Spektrums - und das führt (wie die Geschichte gezeigt hat) für alle ins Verderben. Es braucht in unserem durch Krisen und tief greifende Wandlungen gebeutelten Land eine breite Koalition der Vernünftigen, die dafür sorgen, dass verantwortlich regiert werden kann.

Es braucht das Vertrauen, dass wir in unserer kleinen Lebenswelt, in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis, im beruflichen und ehrenamtlichen Umfeld viel Gutes bewirken können. In Thüringen sind nach der Wende in der Gesellschaft über 1000 Selbsthilfegruppen entstanden. Es wächst das Vertrauen in die eigene Kraft. Politik ist überfordert, wenn man sie als Ersatzmutter ansieht, die alles für uns richten soll. Politik soll gute Rahmenbedingungen für die Bürger schaffen, aber handeln und sich regen müssen diese selbst. (Das ist wie mit dem Ertrinkenden, der in höchster Not zu Gott um Hilfe ruft. Und da hört er eine Stimme von oben, die sagt: Ja, ich will dich retten, aber schwimmen musst du schon selbst!)

Ist es mit der Kirche und unserem Leben in den Pfarrgemeinden und Verbänden nicht ähnlich? Bei meinen Besuchen in den Gemeinden werden mir immer wieder Menschen vorgestellt, von denen andere sagen: Gut, dass die da sind. Es sind Personen, die auf unterschiedlichste Weise etwas "ausstrahlen", ohne sonderliches Aufheben, ohne sich in den Vordergrund zu spielen: Sie helfen einfach mit, dass etwas gelingt, im Gang bleibt, in Treue Tag für Tag oder Woche für Woche erledigt wird - und das, obgleich sie manchmal auch eigene schwere Lebenslasten zu tragen haben.

Gott sei Dank - dass es das gibt. Daran erkennt man das Licht Christi: wenn Menschen ihr Herz offen halten für andere, wenn Mütter sich beim Erstkommunion- oder Firmkurs als Begleiter beteiligen, wenn Menschen dort Hand anlegen, wo keine hauptamtliche Anstellung mehr möglich ist, wenn vorgebetet wird, auch wenn kein Pfarrer zur Hand ist, wenn zum Gelingen des Gottesdienstes von vielen etwas beigetragen wird, weil er dann einfach schöner wird.

Wir sind in unserem Bistum, auch hier im Eichsfeld in den kommenden Jahren vermehrt auf solche "Lichtträger" angewiesen. Dunkel ist es von alleine. Aber hell werden und hell bleiben kann es nur, wenn Menschen sich etwas zutrauen, wenn sie Dienste übernehmen, wenn sie gemeinsam überlegen und fragen, wie etwas in der Gemeinde weitergehen kann, auch wenn die Pfarrer weniger werden. Dann kann es Licht geben am Ende des Tunnels!

3. Und schließlich: bei einer längeren Tunnelfahrt darf man nicht einschlafen! Gerade wegen der Monotonie beim Durchqueren einer Fahrröhre ist das eine reale Gefahr.

Die größte Gefahr für die Kirche geht nicht von ihren Feinden, sondern von schlafenden Christenmenschen aus! Ihr wisst, was ich damit sagen will. Gerade unsere Zeit, in der Traditionen zerbrechen und stützende Vorgaben des gesellschaftlichen Konsenses fehlen, braucht es geistlich wache katholische Christen. Das Licht Christi ist in jedem von uns vorhanden - aber man kann es durchaus abdunkeln, ein Gefäß darüber stülpen oder es unter den Tisch stellen. Das Licht des Gottesglaubens, der Gotteshoffnung und der Gottesliebe muss gepflegt, geschützt und genährt werden. Christ bleibt man nicht im Selbstlauf. Man muss etwas dafür tun. Es gilt heute mehr und mehr "erwachsen" zu werden im eigenen Glauben. Dafür gibt es Angebote, Hilfen, Häuser und Kurse, etwa auch die Möglichkeit von Exerzitien im Alltag. Nutzt solche Möglichkeiten.

Und ihr jüngeren Frauen und Mädchen: Es ist nicht einfach so, dass man Christ bleibt, wenn man zur Erstkommunion und vielleicht noch zur Firmung war. Jede Generation muss heute neu bewusst Ja sagen zum christlichen Glauben, zu dem, was euch die Eltern und Großeltern mit auf den Weg gegeben haben. Der "Mehrwert" des Christseins will von euch bewusst gesucht, entdeckt und bejaht werden.

Gottlob, das gelingt durchaus - und der Beweis dafür seid ihr alle, die ihr euch heute am Kerbschen Berg versammelt habt. Dieser Berg mit seinen Angeboten für junge Mütter und Väter ist ja ein positives Beispiel dafür, wie ein solches Erwachsen- und Mündig-Werden im Glauben und im Mutter- und Vatersein begleitet werden kann. Ich danke allen, die sich hier, aber auch an anderen Stellen für eine solche "Aufmunterung" von Mitchristen - sozial, bildungsmäßig und geistlich - einsetzen.

Der Apostel Paulus hat uns heute auf das Licht in uns hingewiesen: Jesus Christus. Er, unser Herr, will durch uns in dieser Welt und Zeit aufstrahlen - als Wegführer zu Gott, als Orientierung bei unübersichtlichen Wegstrecken, als Begleiter, der Angst und Mutlosigkeit überwinden hilft.

Beruft euch im Gebet und im Gespräch untereinander immer wieder auf Christi Gegenwart. Zeigt, aus welchen Quellen euch wirklich Kraft und Stärkung herkommt. Und - lasst euch nicht von Nebensächlichem ablenken, lasst euch nicht Bangemachen von Katastrophenrednern, die es in Gesellschaft und Kirche reichlich gibt, und wehrt aller Schläfrigkeit, die auch Paulus bei den Christen seiner Zeit nicht unbekannt war. (Ist doch einer sogar in Troas während einer Predigt des Paulus eingeschlafen und aus dem Fenster gefallen, wie Apg 20 berichtet).
Gefährlicher ist freilich der geistliche Schlaf der Christen, der für den Glauben tödlich enden kann. Ein altchristliches Lied, im Epheserbrief überliefert, lautet:

"Wach auf, der du schläfst,
steh auf von den Toten -
und Christus wird dich erleuchten!" (Eph 5,14)

Diese Wallfahrt kann für uns alle wirklich eine geistliche Ermunterung werden. Und wenn ich euch alle vor mir sehe, so gebe ich gern zu: auch für mich als Bischof. Euch allen ein Danke dafür! Amen.



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