Bischof warnt vor Altersarmut

Ansprache von Bischof Joachim Wanke für den Jahrespresseempfang des Bistums Erfurt

(BiP). Die Ansprache des Bischofs hat Generalvikar Dr. Georg Jelich verlesen, da der Bischof am Tag des Jahrespresseempfangs wegen Unwohlseins ein Krankenhaus zur Beobachtung aufsuchen musste und daher am Empfang in der Erfurter Bildungsstätte St. Martin nicht teilnehmen konnte.



Am 1. Mai 2004 hat sich die Europäische Union nach Osten und Südosten hin erweitert. Das ist ein Ereignis, dessen Tragweite nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Europa wird mehr und mehr zu einer Gemeinschaft, die - im Bild gesprochen - mit zwei Lungenflügeln atmen kann.


Die Entwicklungen hin zu einer vertieften Einheit Europas brauchen freilich nicht nur politische Anstrengungen. Das Gefühl von Zusammengehörigkeit und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, muss von unten her wachsen. Bestehende Fremdheit kann nur durch Begegnung, durch Austausch und Dialog überwunden werden.


In den Gemeinden und Verbänden unseres Bistums gibt es eine Reihe von Aktivitäten, die speziell nach dem Osten Europas hin Brücken schlagen. Ich habe für Sie einmal eine (sicher nicht ganz vollständige) Liste solcher Initiativen erstellen lassen. Man muss hinzufügen: Auch schon vor der politischen Wende gab es eine Reihe von Verbindungen nach osteuropäischen Ländern, natürlich mit den Einschränkungen, die damals gegeben waren. Ich denke nur an die Begegnungen mit Jugendlichen aus den sog. "Bruderländern" im Jugendhaus St. Sebastian während der DDR-Zeit, jetzt als Internationale Glaubenswoche fortgeführt. Nach Polen, nach der früheren CSSR, besonders auch nach Ungarn hin, wurden persönliche Kontakte geknüpft und manchmal auch Hilfen für die dortigen Ortskirchen geleistet.


Jetzt ist viele besser und effektiver zu gestalten, nicht zuletzt auch dank unseres katholischen Hilfswerkes RENOVABIS. Aber es ist eben keine Selbstverständlichkeit, dass alle Priester unseres Bistums 1% ihres Gehalts für die Lohnaufbesserung ihrer Berufskollegen in der rumänischen Diözese Iasi geben. Die Hilfswerke können und wollen nicht ersetzen die Hilfe von Gemeinde zu Gemeinde, von Person zu Person. Die aufgelisteten Aktivitäten sollen Beispiele dafür sein, was der EU-Erweiterung auf oberster politischer Ebene korrespondieren muss: Brückenbau auf der Ebene von Mensch zu Mensch.


Eine besondere Chance dafür bietet auch der 2005 in Köln stattfindende Weltjugendtag. Auch hier werden wir im Bistum Erfurt Gastgeber besonders für Jugendliche aus Osteuropa sein. Die Jugendlichen können sich kaum sprachlich verständigen. Doch hat sich in den vergangenen Weltjugendtagen gezeigt: In den 10 Tagen der Begegnung können Freundschaften wachsen, die oft lange anhalten. Das sind einmal die positiven Seiten der oft gescholtenen Globalisierung!


Lassen Sie mich noch einige aktuelle Fragen ansprechen, deren erste indirekt mit dem Stichwort EU-Erweiterung zusammenhängt.



1. EU-Verfassungsvertrag


Am 17./18. Juni 2004 hat der Europäische Rat sich auf den Text eines "Vertrags über eine Verfassung über Europa" verständigt. Es ist zu begrüßen, dass sich die Staats- und Regierungschefs bei dem Gipfeltreffen in Brüssel auf den Text eines Europäischen Verfassungsvertrages geeinigt haben. Es ist zu hoffen, dass dieser Text in allen Mitgliedsstaaten auch ratifiziert werden kann.


Ich begrüße ausdrücklich, dass die Wertgebundenheit der Europäischen Union durch die Aufnahme der Grundrechte-Charta in den Verfassungstext deutlich zum Ausdruck kommt.


Darüber hinaus ist positiv zu bewerten, dass die Europäische Union im Verfassungsvertrag den Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften in den Mitgliedsstaaten achtet und sie als Partner im gesellschaftlichen Dialog ansieht. Dies kommt insbesondere in den ersten beiden Absätzen des Artikels I-51 zum Ausdruck: Er stellt die Grundlage für die Achtung des nationalen Staatskirchenrechts durch die EU für die Zukunft dar bzw. sichert das bewährte Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland. Die Verankerung des gesellschaftlichen Dialoges zwischen der EU und den Kirchen im 3. Absatz des Artikel I-51 bietet die Möglichkeit, die besondere Rolle und die positive Bedeutung von Religion und Kirche für die Integration Europas deutlich zu machen.


Leider ist es nicht gelungen, die Prägekraft des jüdisch-christlichen Erbes für Europa in der Präambel des Verfassungsvertrages zu verankern bzw. angesichts der leidvollen Erfahrung von Kriegen und Diktaturen in Europa durch einen Bezug auf die Verantwortung vor Gott deutlich zu machen, dass Politik nie absolut ist. Vielmehr beschränkt sich die Präambel auf die Benennung der kulturellen, religiösen und humanistischen Ü;berlieferungen Europas.



2. Zum geplanten Zuwanderungsgesetz


Die langwierigen Verhandlungen über die Eckdaten zu einem Zuwanderungsgesetz haben inzwischen zu einem parteiübergreifenden Konsens auf Bundesebene geführt. Auch wenn sicher verschiedene Wünsche an ein Zuwanderungsgesetz offen geblieben sind (auch kirchliche Vorschläge - z. B. Nachzugsalter für Kinder) ist zu hoffen, dass der Gesetzentwurf nun bald die notwendigen parlamentarischen Hürden nehmen kann.


Seitens unserer Kirche werden besonders Verbesserungen im Bereich der humanitären Zuwanderung begrüßt:


    - Gewährung des Flüchtlingsstatus auch bei nichtstaatlicher Verfolgung


    - Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung, wenn eine Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.


    - Einführung einer Härtefallregelung (die Oberste Landesbehörde darf auf Ersuchen einer von der Landesregierung eingerichteten Härtefallkommission anordnen, dass einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Auch wenn die Einrichtung einer Härtefallkommission im Ermessen der Länder liegt, gibt es Signale der Thüringer Landesregierung, nach Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes eine Härtefallkommission einzurichten. Ich möchte das sehr unterstützen.




3. Zur Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ("Hartz IV")


Ungeachtet der noch offenen Fragen der praktischen Umsetzung des Hartz-IV-Konzeptes (Verantwortlichkeiten und Lastenverteilung zwischen Kommunen und den Agenturen für Arbeit) sind die Folgen der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für die hohe Zahl von Langzeitarbeitslosen in den neuen Bundesländern aus meiner Sicht zu wenig bedacht worden.


Abgesehen von den schrittweisen Leistungskürzungen ab 01. Januar 2005 stellt sich die Frage nach einer realistischen Beschäftigungsmöglichkeit. In der längerfristigen Zukunft erwartet die neuen Arbeitslosengeld-II-Bezieher eine unausweichliche Altersarmut. Es handelt sich in der Regel um Personen, die nicht mehr in der Lage sind, ihre strukturschwache Region zu verlassen und ihre Rentenansprüche durch Beschäftigung in anderen Regionen aufzubessern.


In den neuen Bundesländern ist es notwendig, die anstehende Reform viel mehr aus dem Blickwinkel der Arbeitslosen als aus dem Blick der Sozialhilfeempfänger zu sehen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Sicht in den nächsten Wochen mehr Berücksichtigung in der Politik findet.



4. Patientenautonomie am Lebensende


Am 10. Juni 2004 hat die vom Bundesjustizministerium eingesetzte Arbeitsgruppe zur Patientenautonomie am Lebensende Empfehlungen zur gesetzlichen Regelung der sogenannten passiven und indirekten Sterbehilfe vorgelegt.


In dem Bericht der Arbeitsgruppe werden ethische, rechtliche und medizinische Aspekte in Verbindung mit Patientenverfügungen zusammengefasst. Vorschläge, die generell Fälle passiver und indirekter Sterbehilfe straffrei stellen, möchte ich freilich kritisch anfragen. Die Duldung des ärztlich assistierten Suizids wäre das Einfallstor für aktive Sterbehilfe.


Konzepte aktiver Sterbehilfe, wie kürzlich von einigen Bundestagsabgeordneten in die Diskussion gebracht, scheinen zwar dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft entgegen zu kommen. In Wirklichkeit ersetzen sie aber das umfassende Bemühen für den Menschen in seiner letzten Lebensphase durch die Technik der schmerzfreien Tötung.


Humanes Sterben verlangt deshalb eine ganzheitliche Sorge und Solidarität, die dem leidenden Menschen nicht auch noch die Last der Entscheidung der eigenen Tötung auflädt.



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