Im Folgenden ist die Ansprache dokumentiert, die Bischof Joachim Wanke beim Elisabeth-Empfang am 19. November 2002 in der Erfurter Brunnenkirche gehalten hat:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Vogel!
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, liebe Frau Lieberknecht!
Sehr geehrter Herr Präsident des Thüringer Verfassungsgerichtes Dr. Bauer!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Herr Ruge!
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Hans Maier!
Verehrte Abgeordnete des Thüringer Landtages!
Meine Damen und Herren aus dem politischen, kirchlichen und öffentlichen Leben unseres Landes!
Heute ist es wieder einmal möglich, den Bistumsempfang wirklich am Festtag der Hl. Elisabeth zu halten! Beim Gottesdienst im Dom haben wir soeben dieser großen Thüringerin gedacht. Sehr herzlich und mit Freude heiße ich Sie alle hier in der Brunnenkirche willkommen! Dass wir hier in diesem Raum begonnen haben, hat mit der heute eigens hervorzuhebenden 10-jährigen Tradition dieses Empfanges zu tun. Professor Hans Maier aus München hat auf meine Einladung hin dazu durch sein Wort an uns einen besonderen Akzent gesetzt. Und das sollten Sie nicht stehend anhören müssen! Ihnen, sehr geehrter Herr Professor Maier ein herzliches Danke!
Ich danke für die freundlichen Grußworte des Ministerpräsidenten, der Landtagspräsidentin und des Oberbürgermeisters unserer Landeshauptstadt.
Meine Einladung verstehe ich wie in jedem Jahr immer auch als ein Zeichen des Dankes und der Anerkennung Ihnen allen gegenüber, die Sie in Politik und Gesellschaft für unser Land Verantwortung tragen.
Einen Willkommensgruß und auch Glückwunsch an die neuen und wiedergewählten Bundestagsabgeordneten aus Thüringen, (auch wenn heute nur wenige hier sein können, da in dieser Woche eine zusätzliche Plenarsitzung in Berlin stattfindet). Ein Dank aber auch den Abgeordneten, die bis zur letzten Legislatur politische Verantwortung getragen haben und die nicht wieder im neuen Bundestag vertreten sind.
Der Dienst in öffentlich-politischer Verantwortung ist ohne Zweifel schwieriger geworden und verdient überall dort, wo er gewissenhaft wahrgenommen wird, Respekt. Wenn Gestaltungsspielräume geringer und die Bindekräfte der Gesellschaft schwächer werden, besteht die Gefahr, dass Leitlinien politischen Handelns wie Nachhaltigkeit, Orientierung am Gemeinwohl und soziale Gerechtigkeit in den Hintergrund gedrängt werden.
Es braucht heute mehr denn je: Mut für Zumutungen.
Was könnte das bedeuten?
1. Mut zur Wahrhaftigkeit:
- für Wähler und Gewählte vor - und nach der Wahl
- in Katastrophen - aber auch im normalen Alltag
- in guten - wie auch in weniger guten Zeiten
- sowohl in Konjunktur- als auch in Rezessionszeiten
Mut für Zumutungen könnte heißen:
2. Mut zu Wertgebundenheit und Entschiedenheit
In diesem Zusammenhang werde ich nicht müde, immer neu das Thema Ehe und Familie in den Blick zu rücken.
Nach wie vor genießen Ehe und Familie eine hohe Wertschätzung. Eine große Mehrheit der Menschen bejahen und suchen Ehe und Familie als Orte der Liebe, der menschlichen Nähe und der Verlässlichkeit. Die Ehe ist die Form, in der die weit überwiegende Mehrzahl der Menschen ihre Partnerschaft leben will.
So ist die auf Ehe gründende Familie ihrer Bedeutung wegen für das Gemeinwesen besonders wichtig. Ehe und Familie stehen zurecht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Das schließt nicht aus, dass um der Gerechtigkeit willen Personen, wie z. B. Alleinerziehende, die außerhalb der Ehe vergleichbare familiäre Leistung erbringen, nicht zuletzt auch im Interesse der Kinder einen entsprechenden Anspruch auf Förderung haben.
Ein Familienbegriff, der von Ehe absieht, greift zu kurz. Er vergißt den Grund, in dem die Werte wurzeln, die sich in der Familie entfalten sollen: das unaufkündbare Miteinander und Füreinander von Menschen. Man kann das Wesen einer Sache nicht von den Rändern her definieren. Nicht das Design macht das Auto aus, sondern der Motor unter der Blechhaube. Nicht alles, was wie Familie aussieht, ist immer auch Familie.
Mut für Zumutungen könnte heißen:
3. Sachgerechte und zukunftsweisende Entscheidungen wagen
Ich möchte dies am Thema Bildung und Erziehung deutlich machen.
Die derzeitige Debatte über Inhalte von Bildung und Erziehung sowie über gerechte Beteiligungsmöglichkeiten braucht sowohl neue Impulse als auch richtungsweisende Entscheidungen. Bildung darf nicht ausschließlich auf spätere ökonomischer Verwertbarkeit reduziert werden. Bildung dient dem Ganzen des Lebens in seiner Vielfalt. Kinder sind mehr als künftige Ingenieure! Erforderlich ist eine Verständigung über einen zeitgemäßen Bildungsbegriff und die Entwicklung tragfähiger Maßstäbe für die Inhalte eines lebenslangen Lernens.
In diesem Sinne begrüße ich die Bildung der Enquetekommission "Erziehung und Bildung in Thüringen", mit der sich alle Landtagsfraktionen für eine zukunftsweisende Gestaltung von Erziehung und Bildung in unserem Land aussprechen. Wir werden uns als Kirche an der Arbeit dieser Kommission gern beteiligen. Vor allem auch deswegen, weil diese Kommission sich an den Schnittstellen zwischen Schule, Familie, Vorschulerziehung sowie Kinder- und Jugendhilfe ansiedelt. Diesen Ansatz halte ich für bemerkenswert.
Zu den derzeit laufenden Beratungen des Landtages über Veränderungen in der Schulgesetzgebung nur diese Hinweise:
Ich möchte den Gesetzgeber darin bestärken, den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule hinsichtlich eines kritischen Umgangs der Schüler mit Medien sehr zu unterstützen. Die Schreckenstat in unserer Stadt vom 26. April müßte uns wenigstens in dieser Hinsicht dünnhäutig machen. Wer mögliche Ü;berschwemmungen verhindern will, muss Dämme bauen. Ü;berlassen wir das nicht nur Einzelnen! Dämme baut man zusammen - oder man hat im vorhinein schon verloren.
Natürlich ist auch anderes wichtig: Schule ist Raum zur Entfaltung von Begabungen, die zu fördern sind, aber es muss auch Chancen für Schwache geben. Ich warne freilich vor einer Ü;berforderung der Schule: Die Lehrer allein können nicht alles richten! Ohne das Fundament häuslicher Erziehung steht die Schule im Regen! Auch eine Ganztagsschule!
Ausdrücklich begrüßen möchte ich eine verstärkte Kooperation zwischen Schule und den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der Schuljugendarbeit. Als ein erfreuliches Zeichen sehe ich auch die Möglichkeit der Weiterführung von Religionsunterricht für Schüler an Fachschulen und höheren Berufsfachschulen. Gerade an den Fachschulen für Altenpflege und Sozialpädagogik leistet der Religionsunterricht einen unersetzlichen Beitrag zu wertorientiertem Handeln.
Allerdings bedauere ich es, dass entgegen der ursprünglichen Absicht die Schulpflicht für Kinder und Jugendliche von Asylberechtigten und Asylbewerbern nun doch nicht in die Schulgesetzgebung aufgenommen werden soll. Auch das Grundrecht auf Bildung für diese Kinder und Jugendlichen sollte auf einem gesicherten rechtlichen Fundament stehen. Wer eine gemeinsame (!) Zukunft will, darf nicht mit Ausgrenzungen beginnen.
Zum Abschluss noch ein Wort zu dem erfreulichen Ereignis, das heute in der Staatskanzlei stattgefunden hat: Die Unterzeichnung des Vertrages, der die Integration der Theologischen Fakultät in die Universität Erfurt zum Inhalt hat. Dass diese Unterzeichnung gerade am Fest unserer Bistums- und Landespatronin erfolgte, freut mich besonders.
Mein Dank gilt der Thüringer Landesregierung, insbesondere Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel. Im Blick auf den langen Weg, der bis zum heutigen Tage geführt hat, darf ich dankbar feststellen: Die Thüringer Landesregierung unter Leitung von Ministerpräsident Dr. Vogel, aber auch die Vorgängerregierungen haben stets das Votum des Wissenschaftsrates bezüglich der Integration der Theologischen Fakultät in die Universität Erfurt unterstützt. Die Integration ist in der Tat, wie Peter Glotz am vergangenen Samstag geschrieben hat, ein Sieg der Vernunft. Als Bischof füge ich hinzu: Und eine List des Heiligen Geistes, der dafür bekannt ist, dass er gern heilsame Unruhe stiftet - bei den Frommen und den weniger Frommen!
Danken möchte ich den Verhandlungsführern auf staatlicher Seite: Herrn Dr. Görgen, Frau Dr. Born und Herrn Dr. Debes.
Mein Dank gilt in gleicher Weise den Verhandlungsführern auf kirchlicher Seite, Herrn Nuntiaturrat Dr. Gullickson, Herrn Dr. Rainer Ilgner vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und vor allem Herrn Ordinariatsrat Winfried Weinrich vom hiesigen Katholischen Büro. Und ich schließe einmal besonders auch seine Sekretärin, Frau Monika Willwohl ein. Die in gut 10 Jahren beschriebenen Papierseiten füllen wohl schon ein gutes Dutzend Aktenordner!
Dank sage ich auch den Damen und Herren, die von Seiten der Universität und des Bistums bzw. des Domkapitels an der Umsetzung der Integration gearbeitet haben und noch arbeiten.
Katholische Kirche und der Freistaat Thüringen schließen einen Vertrag, der sich am Standard der staatskirchenrechtlichen Regelungen für eine Katholisch-Theologische Fakultät in der Bundesrepublik Deutschland orientiert. Wer unvoreingenommen die Gesamtheit der Vereinbarungen studiert, erkennt, dass es der kirchlichen Seite nicht um eine einseitige Entlastung auf Kosten des Steuerzahlers geht. Steuern zahlen übrigens auch wir Katholiken! Wir wollen und können in die Universität etwas einbringen: eine Hochschule, die nicht am Nullpunkt steht, sondern eine erfolgreiche 50-jährige Geschichte hat; vor allem eine Einrichtung, die in bedrängten Zeiten für nicht korrumpiertes Denken und für weltanschauliche Geradlinigkeit gestanden hat - ohne dass ein Bischof auf sein letztes Wort pochen oder gar einen Professor maßregeln musste.
Die fünf Trägerbistümer - Berlin, Dresden-Meißen, Magdeburg, Görlitz und Erfurt - beteiligen sich durch namhafte einmalige Beiträge, aber auch durch fortdauernde Leistungen an der Erfurter Theologischen Fakultät. Wir bleiben an ihr auch weiterhin interessiert, nicht zuletzt, weil wir diesem Land und uns selbst gut ausgebildete, dialogfähige Pfarrer und theologisch versierte Frauen und Männer wünschen.
So hoffe ich mit Blick auf die bevorstehende parlamentarische Behandlung des Gesetzes zum Staatsvertrag auf eine möglichst fraktionsübergreifende Zustimmung. Dafür möchte ich an dieser Stelle noch einmal werben!
Dass die Katholische Theologie mit all ihren Lehrenden und Lernenden an der Universität Erfurt willkommen ist, wie das einstimmige entsprechende Senatsvotum vor wenigen Tagen gezeigt hat, freut mich sehr. Und dass auch aus den Partnerkirchen Offenheit für diese Fakultät signalisiert wird, werte ich als eine erfreuliche ökumenische Vertrauensbekundung. Es ist uns Wunsch und Verpflichtung, weiterhin einer ökumenisch ausgerichteten Theologie in Erfurt treu zu bleiben.
Meine Damen und Herren! Nicht alle Wege führen immer nur nach Rom. Sie führen manchmal auch von Rom nach Erfurt! Quod erat demonstrandum!
Eine herzliche Einladung nun in die benachbarte Bildungsstätte St. Martin und Ihnen allen noch einen guten Abend!