Erfurt (BiP). Im Folgenden dokumentieren wir den Vortrag "Von der Freude der Buße", den Bischof Joachim Wanke am Montag, 11. März 2002, im Rahmen der "Erfurter Vorträge" in der Bildungsstätte St. Martin, Erfurt, gehalten hat:
Bischof Dr. Joachim Wanke
"Von der Freude der Buße"
Gedanken zu einem ungeliebten Sakrament
"Erfurter Vortrag" am Montag, 11.3.2002,
in der Katholischen Bildungstätte St. Martin, Erfurt
Mark Twain erzählt in seinem bekannten Buch "Tom Saywers Abenteuer und Streiche", wie der Held der Erzählung als Strafe für irgendeine Lausbüberei den langen Gartenzaun vor dem Haus zu streichen hat. Außer der lästigen Arbeit scheut er am meisten den Spott der Kameraden. Als gerade einer seiner Freunde um die Ecke kommt und ihn bei seiner Strafarbeit erblickt, kommt Tom die rettende Idee: Er sagt nichts, erklärt nichts, er antwortet nicht auf entsprechende Kommentare des Freundes, er verteidigt sich auch nicht. Er streicht einfach hingebungsvoll und sorgfältig den Zaun. Er führt sorgsam den Pinsel, begutachtet ab und zu selbstgefällig sein Werk und erweckt so den Anschein, ganz liebevoll und freudig am Werk zu sein. Der Freund reagiert wie erwartet: Mit der Zeit erwacht sein Interesse, er hört auf zu spotten und will sogar selbst einmal den Pinsel führen - was Tom sich natürlich nur gegen harte Gegenleistung abhandeln lässt.
Was hier als amüsanter Trick vorgeführt wird, macht auf eine tiefe Wahrheit aufmerksam: Nur was ich andere gern und engagiert ausführen sehe, weckt Interesse und Bereitschaft zur Nachahmung. Was ich als lästige Pflichtübung oder gar als Strafe vorexerziert und auferlegt bekomme, weckt Widerwillen und instinktive Abneigung.
Sind wir in der Seelsorge mit dem Bußsakrament falsch umgegangen? Haben wir etwas Kostbares und Schönes durch unsachgemäßen Gebrauch zu einem Straf- und Zwangsmittel gemacht? Erklärt sich daher zumindest zum Teil die derzeitige Krise des Bußsakramentes, das Fernbleiben so vieler von dem, was als Quelle der Freude und Ermöglichung des Neuanfangens gedacht ist?
Es soll also um uns selbst gehen, über unsere eigene Beziehung zum Bußsakrament. Dabei geht es natürlich nicht ohne Nachdenken über die geistige Situation, in der wir kirchlicherseits derzeit stehen. Ich gebrauche ein Bild: Wir können die Großwetterlage, die vorherrschende Richtung des Windes z. B. nicht beeinflussen. Aber wir können gemeinsam überlegen, wie wir angesichts der konkreten Situation in uns und um uns die "Segel" zu setzen haben. Das seelsorgliche Bemühen der Kirche ist immer von einer Doppelstrategie bestimmt: Sie hat ein festes Ziel im Blick (die Christusbegegnung der Menschen zu ermöglichen und den Einzelnen, die Gemeinden und Gemeinschaften darin zu bestärken), das sie freilich sehr flexibel zu erreichen sucht, je nach der Bereitschaft und Offenheit des einzelnen Gläubigen bzw. der Menschen der jeweiligen Zeit und je nach der geistigen und gesellschaftlichen "Großwetterlage", in der die Kirche ihr Werk ausrichten muss.
Mein Vortrag zielt auf uns als Empfänger des Bußsakramentes. Er zielt also auch auf mich bzw. auf uns Priester, die wir dieses Sakrament spenden sollen. Es darf durchaus ab und zu einmal gesagt werden: Wir Priester sind auch Christen! Ich habe einmal einen kleinen Artikel geschrieben mit der Ü;berschrift: "Von der Schwierigkeit, den eigenen Glauben zum Beruf zu machen. Sechs nachdenktliche Sätze für Frauen und Männer im Seelsorgedienst." Einer dieser Sätze lautete: Wir Seelsorger möchten manchmal gern "dienstlich" und "privat" trennen - und merken, dass uns unser Dienst zu unserem eigenen Heil auch privat nicht loslässt. Mir ging es damals um die gerade unter Seelsorgern Mode gewordenen Dienstpläne, Freizeitregelungen, um Kompetenzabgrenzungen zwischen Priestern und Laien, auch um den in Priesterkreisen damals heiß diskutierten "freien Tag". Die Quintessenz meiner Ü;berlegungen war die Feststellung: Wenn das Feuer erloschen ist, fängt das Rechnen an.
Ist das mit dem Bußsakrament ähnlich? Man redet meist erst dann über Dinge, wenn sie einem entgleiten: der Sonntag beispielsweise, die Feiertage, aber auch andere Wirklichkeiten wie die Familie, die Ehe, der priesterliche Dienst, das Gottesthema überhaupt. Aber professorale Weisheit, die sich über solche Themen ausbreitet, oder das aus Umfragen erhobene Material der Statistiker bringt uns meist auch nicht weiter voran. Wir wissen dann vielleicht genauer, was uns fehlt, aber das Verlorene wird uns dadurch auch nicht zurückgegeben. Nein, wir müssen radikaler ansetzen, und "radikal" heißt in diesem Zusammenhang: dem Ursprung verpflichtet. Wir müssen wieder (nicht nur bei diesem Thema) die Quellen suchen, sie säubern, sie neu zugänglich machen, damit das in den Blick treten kann, was an dem fraglich Gewordenen ursprünglich ist.
Wie also unser Thema angehen? Ich versuche es einfach mit einem persönlichen Bekenntnis: Auch mir fällt das Beichten schwer, und ich beichte nicht mehr so häufig (vierzehntägig), wie uns seinerzeit im Pastoralseminar empfohlen wurde. Mir ist auch beim Tod meines letzten Beichtvaters der Umstieg zu einem anderen Mitbruder als Beichtpriester nicht leicht gefallen. Aber alles in allem: Das persönlich empfangene Bußsakrament gehört zu meinem priesterlichen Selbstverständnis, wenn ich auch bekennen muss, dass ich das jeweils nach der Beichte unbeschwerter sage als vorher.
Es gibt aber einen Tag, wo mir die persönliche Beichte ausgesprochen leicht fällt: am Dienstag in der Karwoche, dem sogenannten dies sacerdotalis, der bei uns im Bistum Erfurt eine gute Tradition hat. Die Mehrzahl der Priester und Diakone versammeln sich an diesem Tag im Mariendom zu Erfurt, wir hören gemeinsam einen Recollektionsvortrag, dem sich gottlob keine Diskussion anschließt, gehen dann gemeinsam in eine Zeit des geistlichen Schweigens hinein und verteilen uns in dem für diese zwei Stunden zugesperrten Dom und seinen Seitenkapellen, um dort füreinander sichtbar und erfahrbar bei Mitbrüdern zu beichten, die sich für diesen Dienst zur Verfügung stellen. Wohlgemerkt: Mitbrüder aus der eigenen Priesterschaft! Und der Bischof steht dann zusammen mit allen in der Reihe und wartet, bis er dran ist! Anschließend ist dann die öffentlich zugängliche "Ölweih-Messe", die sog. missa chrismatis, alle empfangen im Anschluss daran die sakramentalen Öle und gehen frohgemut in den Dienst der heiligen österlichen Tage! In der Tat: frohgemut. denn das ist eine seltsame, sich immer wieder trotz des stereotypen Ablaufs wiederholende Erfahrung dieses Tages: Gerade dieser Tag hat ein besonderes "flair". Er ist, solange ich diese Praxis kenne, nie in unserer Mitte in Frage gestellt worden. Wer irgend sich freimachen kann, kommt und nimmt an diesem Treffen teil - vielleicht und gerade wegen dieser besonderen Beichterfahrung.
Und ich muss sagen: Es ist etwas Bewegendes, die älteren Mitbrüder und die jungen, die Domkapitulare und die eichsfelder Dorfpfarrer, die "frommen" und die weniger "frommen" Mitbrüder gemeinsam im Dom vor den improvisierten Beichtstühlen stehen zu sehen - im Wissen darum, dass wir miteinander allesamt der Vergebung der Sünden bedürfen. Ist die besondere "Gestimmtheit" dieses Tages psychologisch bedingt? Handelt es sich nur um einen kollektiven Entlastungsritus ohne tiefere Bedeutung für den nachfolgenden Dienstalltag? Ich behaupte sehr überzeugt: Nein! In dieser Stunde des gemeinsamen Bekennens und Losgesprochen-Werdens geschieht mehr. Da erfahre ich eine tiefe Gemeinschaft, die uns als Priester mehr verbindet als nur der gemeinsame Seelsorgsauftrag. Da ist vorhanden, wovon wir sonst trocken und angestrengt reden. Das braucht nicht ausdrücklich ins Wort gehoben zu werden: Da ist einer gegenwärtig, der uns als "Bischof und Hirt unserer Seelen" (1 Petr 2,25) voll Erbarmen zusammenführt, uns ausruhen lässt, so wie einst der Herr die Jünger beiseite nahm, sie ausruhen ließ, sich von ihnen berichten ließ, vermutlich auch, wie es ihnen ganz persönlich als Boten des Gottesreichs ergangen war (vgl. nur Mk 6,31). Im 1. Johannesbrief heißt es an einer Stelle: "... wir werden unser Herz in seiner Gegenwart beruhigen. Denn wenn das Herz uns auch verurteilt - Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles" (1Joh 3,19f). Nein, der Bischof muss nicht alles wissen. Gott sei Dank! Aber der Herr darf alles wissen. Das ist entscheidend.
Ich entfalte einmal auf dem Hintergrund des dies sacerdotalis im Erfurter Dom eine mir wichtige Grunderfahrung des Bußsakraments. Was dieser Tag mir und den Mitbrüdern vermittelt, ist: Die Erfahrung einer tiefen Freude. Und diese Freude erwächst aus der Erfahrung des Angenommen-Seins als Diener Christi - trotz allem!
Man könnte auch sagen: Im Bekenntnis der Sünden und der empfangenen Lossprechung (ein langer Zuspruch ist technisch kaum möglich) erfahre ich, dass sich unser Herr von meinen Sünden keine Grenzen setzen lässt. Seine Liebe ist nicht konditioniert: Ich liebe dich, wenn du so oder so bist, dieses oder jenes leistest, diesem oder einem noch besseren Standard gerecht wirst. (Für mich war es als junger Mensch lange eine geistliche Schwierigkeit, mich vom Vergleichen mit anderen freizumachen, im Positiven wie im Negativen! Erst diese Loslösung hat mich begreifen gelehrt: Es geht um mich ganz persönlich und um niemand anderen. Gott vergleicht nicht, sondern er liebt - so wie Männer auch weniger schöne Frauen lieben und umgekehrt!). Das Bußsakrament als Sakrament der Versöhnung ist für mich die immer neue Zusage Gottes: "Mit ewiger Liebe habe ich Dich geliebt" - das sollst du neu und gerade jetzt wissen und spüren!
Um es einmal weniger theologisch, aber auf der Sachebene ebenso präzise auszudrücken, erzähle ich nach, was ich bei P. Willi Lambert SJ fand. Er passte diese Dimension der ganz persönlichen Liebe in eine etwas "anrüchige" Geschichte eines kleinen Mädchens hinein: "Der Hund der Familie kommt eines Tages völlig verdreckt und stinkend vom Feld heim und springt auf den Sessel im Wohnzimmer. Die Frau des Hauses schreit entsetzt auf. Das kleine Mädchen dagegen umarmt den Hund liebevoll und meint kurz: Wen man lieb hat, der darf auch stinken!"
Wir wissen ohne lange nachdenken zu müssen, wie anstrengend eine Zuwendung zu einem Menschen sein kann, den man "nicht riechen" kann. Ohne Zweifel geben wir bei Gott nicht immer den guten Geruch ab, von dem Paulus spricht: "Wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen" (2 Kor 2,15). Den wirklichen Wohlgeruch muss wohl der Herr selbst verbreiten, "den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten" (ebd.) - oder "duftet" der Erfurter Klerus nach dem dies sacerdotalis doch etwas besser als sonst?
Dafür steht bei mir das Angebot der Beichte: Angenommen sein aus Gnade, aus reinem Erbarmen, so wie man ist, mit dem, was man einbringt, selbst mit der Schuld, die einen belastet, und die man den Herrn, den göttlichen Lastenträger bittet, einem abzunehmen. Ich füge hinzu, was für mich dann als befreiende Erfahrung daraus folgt: Wenn das so ist, wenn Gott mich annimmt, wie ich bin, dann gibt es für mich eigentlich keinen Grund, warum ich mich nicht annehmen sollte! Und warum ich nicht auch die Mitbrüder und alle meine Mitmenschen annehmen sollte!
Damit berühre ich einen neuralgischen Punkt in der Existenz vieler Priester, aber auch vieler aus der Mitte des Glaubens lebender katholischer Christen. Ich habe das Gefühl, dass manche Seelsorger die derzeit so schwierige Situation der Kirche, die Misserfolge in ihrer Arbeit, das zurückgehende Interesse vieler Menschen an religiösen Fragen weithin auf ihr eigenes Schuldkonto setzen. Sicherlich müssen wir, die wir die Seelsorge zu unserem Beruf gemacht haben, immer auch die eigene Arbeit selbstkritisch betrachten. Wir haben uns redlich zu bemühen, uns den Anforderungen unseres Berufes zu stellen. Und diese sind ohne Zweifel in unserer Zeit gestiegen (ich denke nur an das ganze Feld der Zusammenarbeit in der Seelsorge oder die gestiegene Empfindlichkeit der Menschen, die größte Sensibilität und Beweglichkeit auf Seiten des Seelsorgers erfordert). Um so wichtiger ist es, angesichts der schwierigen objektiven Situation in der Pastoral mit den eigenen Schwächen, Fehlern, ja der eigenen Schuld so zurechtzukommen, dass ich unter der Last der Probleme nicht zerbreche. Der Seelsorger braucht gerade heute ein gestandenes Selbstwertgefühl. Er darf sich nicht selbst abschreiben.
Das Bußsakrament sagt mir, wieviel ich meinem Herrn wert bin. Er lässt sich durch mich in seiner Zuwendung für die Welt keine Grenzen setzen. Er braucht sogar (das "sogar" ist schon falsch!) mich! Was nicht angenommen ist, kann nicht verwandelt werden. Das ist ein altes theologisches Axiom, das ursprünglich verständlich machen will, warum Gott zu unserer Erlösung den "Einfall" der Menschwerdung seines ihm gleichewigen göttlichen Sohnes gehabt hat. Gott "musste" gleichsam ganz in die menschliche Wirklichkeit eintauchen, um diese von innen her zu verwandeln. So ist dieser Satz in der theologischen Tradition gemeint gewesen: "Was nicht angenommen ist, kann auch nicht verwandelt werden." Dieser Satz hat seine innere Evidenz, seine Einsichtigkeit aber auch für andere Lebensbereiche. Ich wende ihn hier einmal auf unsere Erfahrung mit dem Bußsakrament an. In der Vergebung und der Lossprechung von meiner Schuld erfahre ich Annahme, deshalb kann ich an Verwandlung glauben. Auch bei mir.
Ich versuche noch einmal von einer anderen Seite dieses Angenommensein in seiner Tiefendimension in den Blick zu nehmen. Ich gehe dabei von der Aufgabe aus, durch das Bußsakrament meine Wirklichkeit in den Blick zu nehmen und diese Wirklichkeit auszuhalten! Mich im Licht der Wahrheit Gottes zu sehen, mich anschauen zu lassen, so wie ich wirklich bin, und darüber nicht zu verzweifeln. Dazu müssen wir uns vor Augen halten, was das eigentlich bedeutet: "Sich der Wahrheit stellen."
Paulus, der uns in seinen Briefen eine tiefe Einsicht in das Geheimnis unserer Erlösung und Rettung vermittelt, spricht im Römerbrief einmal an einer Stelle vom "Niederhalten der Wahrheit durch Ungerechtigkeit" (vgl. Röm 1,18). Es gibt so etwas wirklich. Wir im Osten haben das als handgreifliche gesellschaftliche Wirklichkeit erfahren: Das unwahre Ideologiesystem als Ganzes brachte immer wieder die Lüge als Einzeltat oder anderes individuelles Einzelunrecht aus sich hervor. Wie ein Pilzgeflecht, das verborgen im Erdreich liegt, immer neu Giftpilze an die Oberfläche treibt, so kam es in dieser gesellschaftlichen "Luft" des alten SED-Staates zu stets neuer Heuchelei, zu angepasstem Handeln, zu Lügen und Unrechtstaten. Wir im Osten wissen, wie schwer es ist, sich solch einer Gesamtatmosphäre zu entziehen und nicht durch Gewöhnung an solche Verhältnisse blind zu werden für das Unrecht als Einzeltat (derzeit erleben wir ja, wie alles im Nachhinein "schöngeredet" wird).
Oder ein anderes "systemübergreifendes" Beispiel: Das Lebensrecht der ungeborenen Kinder. Es ist kaum zu glauben: In einem Land mit dem höchsten Lebensstandard auf Erden wird einem vorgerechnet, dass Kinder zu teuer sind. Ich gebe zu: Im Vergleich zu anderen bedarf es für unsere Familien einer noch stärkeren ausgleichenden Finanzgerechtigkeit. Das sei unbestritten. Aber grundsätzlich gesprochen: Wenn das Lebensrecht des Ungeborenen davon abhängig gemacht wird, was dem Einzelnen an Einschränkung im Lebensstandard zugemutet werden darf oder nicht, wird die einzelne Abtreibung als Tötung von menschlichem Leben mehr und mehr bagatellisiert. Es entsteht gleichsam ein Verblendungszusammenhang, der durch allgemein verbreitetes Urteilen, durch öffentliche Meinung und Darstellung von Verhaltensweisen in Filmen und Literatur immer dichter gewoben wird. Das Unrecht als Einzeltat tritt fast nicht mehr in den Blick bzw. es wird zur schrecklichen Normalität. Und wehe dem, der überhaupt noch von Abtreibung als Unrecht spricht! Ihm wird vorgeworfen, er mache den Menschen nur ein schlechtes Gewissen.
Oder um ein Beispiel aus dem ehelichen Zusammenleben heranzuziehen: Die eine oder andere Handlungsweise, die eine Ehe langsam aber sicher zerbrechen lässt, weist erfahrungsgemäß auf eine tiefer liegende Entfremdung zwischen den Partnern hin, auf fehlende Gesprächsbereitschaft z. B. auf mangelnde Aufmerksamkeit für die Nöte des anderen, kurz: auf das Fehlen von Zuwendung und Liebe.
Wie kann es da zu einer Heilung kommen? Echte Heilung kann nicht an der Oberfläche, sondern muss in der Tiefe ansetzen. Aber wir alle wissen, wie schwer, ja wie nahezu aussichtslos das ist, wenn ein bestimmtes Maß der Entfremdung, etwa zwischen Ehepartnern, erreicht ist. Jeder Seelsorger, jeder, der im Beratungsdienst steht, weiß da um seine Ohnmacht. Denn wir haben es ja nicht mit unpersönlichen Dingen zu tun, die man je nach Geschick und Möglichkeit wieder reparieren könnte, sondern mit freien Personen, die sich nicht einfach von außen bestimmen lassen wollen. Wir wissen, wie empfindlich an dieser Stelle wir Menschen sind. Wenn wir nur den leisesten Verdacht haben: "Da will einer etwas von mir..." "Da will mich einer belehren..." "Da will einer meine Freiheit beschneiden, mich einzwängen, nötigen...", da gehen bekanntlich alle Türen zu. Derjenige, der helfen und heilen will, steht hilflos und ratlos mit seiner guten Absicht draußen. Diese Reaktion trifft auch auf ältere Menschen zu, bei denen man ehesten eine gewisse Lebensreife und Eigenerfahrung voraussetzen könnte. Aber angesichts ihrer Einsamkeit oder eines schweren Lebensgeschicks können gerade auch sie oftmals sehr verbittert sein und sich abweisend verhalten - auch angesichts gutmeinender Menschen, die sie aus ihrer Isolation herausholen wollen.
Wie kann solch ein (durch eigene oder fremde Schuld) verhärteter Lebenspanzer aufgebrochen werden? Durch gute Worte? Durch Zureden? Durch moralische Appelle an die bessere Einsicht? Wir wissen, wie fruchtlos das ist.
Das ist für mich eine "Anknüpfungserfahrung" für die Einsicht des Glaubens: Jede Sünde ist auf ihre Weise wirklich hoffnungslos, weil der Sünder sich selbst von einer möglichen Rettung abschneidet, weil er gleichsam untergehen will und jeden Rettungsversuch als freiheitsberaubende Zumutung von sich weist. Das Kostbarste, was Gott uns geschenkt hat, die Freiheit - sie wird uns in der Sündenverfallenheit zum Verhängnis. Darum kann der Apostel Paulus manchmal von der Sünde so reden, als handle es sich um eine Macht, um einen tragischen Verblendungszusammenhang, aus dem es kein Entrinnen gibt. Sünde hält in der Tat "die Wahrheit nieder", macht uns unfähig, wahrhaftig zu leben, der Wirklichkeit ins Angesicht zu schauen.
Wie geht nun Gott mit der Sünde um? Ich gebrauche einmal einen Vergleich, der in diesem Zusammenhang sehr sprechend ist. Was macht eine Mutter, die ihr quengelndes Kind mit keinem Mittel beruhigen kann? Das Kind bockt und greint und weiß am Schluss gar nicht mehr warum. Es will eben bockig sein. Eine gute Mutter wird, so meine ich, ganz einfach das Kind in ihre Arme schließen, es fest an sich drücken und den kindlichen Trotz, das Aufbegehren und den Zorn des Kindes auf sich selbst hinwegschmelzen mit einem mütterlichen Zeichen der Liebe.
Für mich sind solche Einstiege und Verstehenshilfen aus der menschlichen Erfahrungswelt in die Zusammenhänge der theologischen Erlösungslehre besonders wichtig, und ich meine, wir sollten sehr aufmerksam danach suchen.
Hans Urs von Balthasar, einer der großen katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, hat einmal in einem seiner letzten Artikel, vom Mutter-Kind-Verhältnis ausgehend, den Grundansatz seines Denkens als Philosoph und Theologe erklärt. Ich zitiere einmal diese Stelle im Wortlaut, weil sie vieles erklären kann, was in unserem Zusammenhang von Buße, Umkehr und Neuanfang wichtig ist:
"Der Mensch .... existiert nur im Dialog mit seinem Nächsten. Ein Kind wird durch die Liebe, das Lächeln seiner Mutter, ins Bewusstsein gerufen. In dieser Begegnung eröffnet sich ihm der Horizont des gesamten unendlichen Seins und zeigt ihm vier Dinge: 1. Dass es "eins" ist in der Liebe mit seiner Mutter, obwohl ihr gegenübergestellt, also dass alles Sein "eins" ist. 2. Dass diese Liebe "gut" ist: also alles Sein "gut" ist. 3. Dass diese Liebe "wahr" ist, also alles Sein "wahr" ist. 4. Dass diese Liebe "Freude" weckt, also alles Sein "schön" ist." (H.U.von Balthasar, Mein Werk. Durchblicke, Einsiedeln 1990, 92).
Balthasar spricht hier von den vier großen Grundbestimmungen des Seins, auch "Transzendentalien" genannt. Er wendet dieses uralte Wissen des Menschen auf das gott-menschliche Heilsdrama an: Gott zeigt sich in seiner Liebe, er gibt sich in seinem Sohn, er spricht sich in ihm für alle Menschen verstehbar aus, so dass wir Menschen Gott grundsätzlich antworten können - wenn wir wollen. Das macht übrigens die Gliederung seines großen vielbändigen Hauptwerkes verstehbar: 1.Theologische Ästhetik, 2.Theo-Dramatik, 3.Theo-Logik. Weil sich der Urgund des Seins, der dreifaltige Gott, nicht egoistisch festhält, sondern sich frei schenkt, ja verschenkt, kann es überhaupt so etwas geben wie Schöpfung, menschliches Sein, Leben und Heil für den Menschen.
Aber kehren wir zu unserem Grundgedanken zurück:
Dort, wo die Dimension der Freiheit mit ins Spiel kommt, gibt es beim Ü;berwinden von Schuld und Sünde keine Gewaltlösungen. Wirkliches Heil kann letztlich nicht erzwungen werden. Freiheit ist nur durch eine noch größere Freiheit zu bewegen - und das ist eine Liebe, die bereit ist, bis zur Selbstaufgabe zu gehen.
Hier eröffnet sich mir der Uransatz der christlichen Erlösungsbotschaft. Sie erschließt mir das Kreuz des Herrn nicht als ein tragisches Geschehen, als eine Art göttlichen Verkehrsunfall, der bei besserem Zusammenspiel der Kontrahenten hätte vermieden werden können oder gar als Konsequenz eines grausamen göttlichen Sühnebedürfnisses. Die Hingabe des Herrn bis zum Äußersten ist "notwendig" (mit großer Vorsicht ist dieses Wort zu gebrauchen), so wie notwendig Trotz und Bosheit letztlich nur durch Liebe aufgehoben werden können, einer Liebe, die bereit ist, sich durch nichts erbittern zu lassen, auch nicht durch den schmerzbringenden Widerstand dessen, dem die Liebe gilt.
Vielleicht ist "notwendig" nicht das richtige Wort. Gott ist mehr als notwendig! Wie immer man sich diesem Geheimnis leidensbereiter Liebe nähern möchte: Es bleibt ein Geheimnis, das rational nicht bis ins Letzte auflösbar ist. Doch bietet die menschliche Erfahrung zumindest ansatzweise ein Verständnis dafür, dass es wahre Erlösung, wirkliches Heilwerden nur durch eine Liebe geben kann, die bereit ist, schwach zu werden.
Genau hier sind wir bei dem Punkt, auf den es mir ankommt. Es ist ein Paradox, aber doch kein Unsinn, wenn ich sage: Liebe, die ganz stark ist, kann ganz schwach werden. Je stärker eine Liebe ist, desto mehr wird sie ihre alles überragende Kraft durch die Fähigkeit einer unbegreiflichen Schwäche offenbaren. Es ist einfach wahr: Je lauter einer mit dem Säbel rasselt, desto mehr offenbart er seine Angst, letztlich seine Schwäche. Wahre Souveränität zeigt sich darin, dass einer seine Macht verbergen, ja nahezu verleugnen kann. Je größer eine Last ist, die ein Träger aufzuheben versucht, desto tiefer muss er sich bücken, desto kleiner muss er sich machen, um unter die Last zu kommen, um sie dann kraftvoll auf seine Schultern zu heben, um sie fortzuschleppen. "Ich nehme hinweg, ich schleppe hinweg die Sünde der Welt." Das griechische Wort airo heißt: wegtragen, beseitigen durch vorheriges Aufheben.
Unsere menschliche Erfahrung stößt hier an Grenzen des Verstehens. Im rein zwischenmenschlichen Verhalten ist uns eben das, was Gott vermag, nicht möglich. Wir können nur ansatzweise "aufheben", aufzuheben versuchen. Aber es gibt Lasten, die wir nicht wegzuschleppen vermögen: den Verrat des Freundes, die in den Schmutz getretene Liebe, die menschenverachtende Folterung, den Genozid als die Vernichtung eines ganzen Volkes. Fassungslos stehen wir vor der Wirklichkeit unserer Sünde. Sie ist zu schwer für uns. Man muss wohl in diese Tiefen steigen, um wirklich zu ermessen, was wir da jeden Tag sagen: "Seht das Lamm Gottes, das aufhebt und wegträgt die Sünde der Welt!" In diese Tiefendimension auch meines in der Sünde gefangenen und dennoch erlösten Lebens lässt mich das Bußsakrament Einblick nehmen. Hier berühre ich die Quelle, aus der das Leben sich erneuern kann, für mich und für die Welt.
Wir wissen alle um die Not des Bußsakraments. Wir werden nicht von heute auf morgen mit einer gewaltigen Neubelebung der Andachtsbeichte zu rechnen haben. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Geschenk des Herrn an seine Kirche demnächst wieder neu in seinem wirklichen Glanz aufleuchten wird - als Ort der Versöhnung, des Neuanfangs, als Ort der Gnade, wo wir ohne Angst vor Beschimpfung und Lächerlichmachung Lebenslasten und Lebensängste ablegen können.
Vielleicht muss unsere Rede von Gottes Liebe tiefgründiger werden, den Beigeschmack des Billigen, des Niedlichen verlieren. Gottes Liebe ist brennendes Feuer. Es ist gefährlich, sich auf diese Liebe einzulassen - aber es gibt nichts Schöneres, als so brennend und fordernd zugleich geliebt zu werden. Denken wir an die großen Linien der biblischen Verkündigung, besonders bei den alttestamentlichen Propheten: Gottes Liebe ist "eifersüchtig", sie ist wie verzehrendes Feuer, sie nimmt ganz und radikal in Beschlag. Israel kann gar nicht anders, als sich diesem Gott ganz anheimzugeben. Ja, "es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen" (Hebr 10,31) - aber vergleichsweise so furchterregend, wie in steilen Alpenbergen auf schmalen Felsvorsprüngen über Abgründe hinweg einem Gipfel zuzustreben.
Christliches Leben ist kein Spaziergang. Wer hohe Ziele anstrebt, kann auch tief fallen. Dort, wo Gottes Licht in unser Leben fällt, werden auch die Abgründe tiefer und bedrohlicher. Man spricht von einem Judas-Verrat dann, wenn es zuvor wirkliche Freundschaft gab, echte Lebenstreue. Aber es gibt nichts Schöneres, als das zu erleben: in einer lebenslangen Treue gehalten, in einer selbstlosen Freundschaft bereichert, in einer Liebe "bis zum Äußersten" geliebt zu werden... Merken wir, dass unser Glaube nicht von einer billigen Gnade redet, von einem niedlichen Gott?
Echte Buße und Umkehr kommt allein durch die tiefe Beschämung zustande, nicht richtig, nicht hinreichend genug auf umsonst empfangene, selbstlose Liebe geantwortet zu haben - oder diese sogar mit Füßen getreten, sie verraten zu haben. Darum wussten (merkwürdigerweise!) gerade die Heiligen, dass sie die größten Sünder waren. Wer ganz im Licht steht, sieht schärfer die Schatten! (Dieser Satz gilt auch umgekehrt: Wer keinen Schatten sieht, steht vielleicht nicht im Licht!) Das ist die Gabe Gottes im Sakrament der Buße: dass da Gott auf mich wartet - wie der Vater mit ausgebreiteten Armen auf den verlorenen Sohn! Lebe ich selbst aus dieser Gabe?
Natürlich kann man sagen: Irgendwie "zu Hause" war der verlorene Sohn auch schon "bei den Schweinen", als er den Entschluss der Rückkehr fasste und den ersten Schritt zurück machte. Da erkannte er nämlich, wie sehr er geliebt war und bleibend geliebt ist. Doch es gehört eben dazu, dass er - dem der Vater schon längst verziehen hatte - das Bekenntnis auch selbst ausspricht: Vater, ich habe gesündigt... und die Seligkeit erfährt, wieder in die Arme genommen zu werden.
Vielleicht kann man mit dem Hinweis auf dieses Gleichnis ein verbreitetes Missverständnis beseitigen, das so sagt: Warum braucht es eigentlich das Bußsakrament, wenn Gott doch längst schon vorher verzeiht, auch außerhalb des sakramentalen Zeichens?
Hierauf möchte ich in zweifacher Weise antworten. Zum einen: Sakramente machen ausdrücklich, was Wirklichkeit ist. Ich erwarte ja auch am Geburtstag Geschenke, obwohl ich weiß, dass meine Frau, die Kinder mich gern haben. Sakramente sind Besiegelung, Bekräftigung dessen, was Gott an mir ein für allemal getan hat - weil er eben in mir Jesus, seinen Sohn liebt. "Liebes-Zeichen" sind unsere Sakramente, und wer verzichtet schon gern darauf, Zuwendung und Liebe gezeigt zu bekommen? In den Zeichen kommt ja die Wirklichkeit des Bezeichneten zum Tragen. (Die Linguisten reden vom "performativen" Sprechen.)
Und zum anderen: Sakramente empfange ich immer auch für andere. Der verlorene und angenommene Sohn soll seinem daheimgebliebenen Bruder zu einem tieferen Begreifen seiner Situation verhelfen. Sie soll ihm zeigen, dass auch er, der niemals von zuhause ausgerissen war, sich "verdankt" wissen darf und soll. Wir wissen: Im Gleichnis zeigt sich, dass der Daheimgebliebene sich verweigert. Das wird offenbar durch die Rückkehr des Verlorenen. Diese Rückkehr ist also etwas, was auch den anderen Bruder angeht. Das Geschehen der Rückkehr und des Neuanfangs ist nicht nur ein Geschehen zwischen Vater und verlorenem Sohn. Es betrifft auch andere.
Wir sehen also. Sakramente haben eine Dimension des Sozialen, besser: des Ekklesiologischen, auch des Zeugnishaften für andere. Ich werde getauft - nicht nur für mich allein; geweiht - nicht nur für mich, sondern für das Gottesvolk; getraut - weil das innerste Wesen der Kirche in einer konkreten Ehe für andere aufleuchten soll, und: Mir wird vergeben - ebenso auch für andere, damit ich nun hingehe und bezeugen kann, was Versöhnung und Angenommensein heißt und wie es sich auswirkt, wenn einer nicht um sich selbst kreisen muss, sondern sich wieder befreit den Mitmenschen zuwenden kann... Wir müssen die Sakramente aus der Ecke der Privatisierung herausholen, in die sie z. T. geraten sind, besonders das Bußsakrament.
Von Gott geistliche Gaben empfangen, sie als Reichtum entdecken, als Quelle der Freude, zunächst für mich: Gottes Wort, die Nähe des Herrn in der Eucharistie, im Sakrament der Vergebung... Dann werden auch uns nahestehende Menschen "Geschmack" an dem finden, was uns "schmeckt".
Es führt jetzt zu weit, auf praktische Fragen des persönlichen Beichtens einzugehen. Aber da ich weiß, dass ich immer sehr aufmerke, wenn mir einer sagt, wie er persönlich eine Aufgabe konkret anpackt, möchte ich doch kurz diese wenigen Anmerkungen zu meiner eigenen Beichtpraxis machen.
Meine persönliche Beichte versuche ich manchmal so zu gestalten, dass ich mich an den drei Begriffen festhalte: Halt - Haltungen - Verhalten.
Die tiefste Lebensdimension kommt in der Frage zum Ausdruck: Wo habe ich meinen Halt? Woran halte ich mich? Wer ist wirklich "mein Gott"? Der Sünder ist der haltlose Mensch. Er hält sich an alles Mögliche, nur nicht an den "Fels seines Heils". Er zeigt Gott den Rücken, nicht das Gesicht... usw.
Aus dieseHaltlosigkeit erwachsen Haltungen. Damit ist alles gemeint, was uns im Innersten prägt und bestimmt, unsere Vorurteile und Stimmungen, unsere Einstellungen und Neigungen. Es ist mit den Haltungen wie mit der Stimmung eines Instruments. Wenn die Saiten falsch gestimmt sind, dann kann selbst der beste Spieler nur falsche Klänge hervorbringen. Dauernde Selbstrechtfertigung etwa produziert nur Abwehr und "Stacheln". Bequemlichkeit erstickt alle Lebenstapferkeit. Die Angst, zu kurz zu kommen, lässt mich alles Mögliche und Unmögliche anstellen, meine Lebensgier zu befriedigen. Mutlosigkeit macht mich ängstlich, übervorsichtig, phantasielos. Schwächliches Selbstmitleid führt zu übertriebener Eigensorge und macht mich in den Augen normal belasteter Menschen lächerlich usw.
Aus diesen Haltungen erwächst dann konkretes Verhalten, die Einzeltat. Sie ist aber eben nicht isoliert zu sehen, sondern vielmehr wie die Spitze eines größeren, im Wasser verborgenen Eisbergs. Wir sollten bei der Beichte nicht nur diesen sichtbaren Teil unseres "Lebenseisbergs" ist den Blick nehmen, sondern auch das, was in der Tiefe verborgen ist. Das heißt für mich: Mir liegt bei meinem Beichtbekenntnis daran, nicht alles an Einzeltaten ängstlich hervorzukramen, sondern aus dem einem oder anderen konkreten Verhalten auf Haltungen zu kommen und daraus den Akt des Grundvertrauens zu setzen: Gott - sei du wieder neu mein Halt!
Eine andere Weise meines persönlichen Beichtens ist von Fragen der Heiligen Schrift bestimmt, besonders von Fragen, die Jesus seinen Jüngern stellt. Die beste Beichtvorbereitung ist das Gespräch mit dem Herrn, das Sich-Stellen im Vis-?-vis, in dem solche und andere Fragen dann ihr Gewicht erhalten. In den Fragen klingen die konkreten biblischen Perikopen an. Ich lasse dann zu, dass Jesus mich fragt: "Willst du wirklich zu mir kommen? Kannst du mit mir Einsamkeit im Gebet aushalten? Hast du den Mut, mit fünf Broten und zwei Fischen zu den vielen Menschen zu gehen? Solltest du nicht besser auf dem Weg zur Kirche umkehren, um dich mit deinem "Bruder", deiner Gemeindereferentin etwa, zu versöhnen? Glaubst du an die Macht der Sanftmütigen?" Alle diese Fragen und viele andere mehr sammeln sich in der einen entscheidenden Frage, die Jesus dem Petrus stellt: "Liebst du mich?" Vielleicht wird uns dann auch wie dem Petrus die Gabe der Tränen geschenkt...
Ich schließe meine Ü;berlegungen zum Bußsakrament mit einer Erfahrung, die wir dem Hl. Ignatius von Loyola verdanken. Er war, wie wir wissen, ein Mensch, der leidenschaftlich Ruhm, Anerkennung und Lebensglück in Fülle suchte. Vielleicht hing das damit zusammen, dass er ein Baske war (das ist eine Steigerung von Spanier!). In seiner Jugend suchte er Lebensglück und Lebensfreude in einer militärischen Karriere. Als er durch eine Kanonenkugel aus dieser Karriere herausgerissen wird, sucht er in seiner Langeweile auf seinem Krankenlager auf seinem heimatlichen Schloss in Loyola Unterhaltung. Und er lässt sich alle greifbaren Ritter- und Schauerromane bringen. (Wir würden heute sagen: Er ließ sich vom Privat-Fernsehen berieseln!). Als diese Art von Lektüre ausging, waren nur noch eine Heiligenlegende und ein Buch mit den vier Evangelien da. In seiner Verzweiflung griff Ignatius schließlich auch dazu.
Da machte Ignatius eine merkwürdige Erfahrung, über die er später selbst berichtete: Jedesmal, wenn er die seichte Lektüre praktizierte, hatte er zwar im Augenblick ein gewisses Vergnügen, aber danach breitete sich in seinem Inneren Öde und Verdrießlichkeit aus. Anders dagegegen, wenn er sich mit dem Leben der Heiligen und den Worten Jesu beschäftigte: Das war im Augenblick nicht sonderlich vergnüglich, aber im Nachhinein (wir würden sagen: nachhaltig!) erfasste sein Herz beim Bedenken dieser Biographien bzw. dieser Jesusworte eine innere Freude und Zuversicht. "Ja, so müsstest Du, so möchtest Du selbst auch sein!" Ignatius fasste diese spirituelle Erfahrung später in die Formel: Wir können in unserem Leben durchaus "die Geister unterscheiden"! An den Wirkungen erkennen wir, was vom Geist Gottes kommt und was nur Geist dieser Weltzeit und seines Herrschers ist. Nachhaltige Freude und innere Lebenszuversicht sind als Früchte des Heiligen Geistes erkennbar.
Zu welchen Erfahrungen kann uns das Bußsakrament verhelfen? Es ist, das gebe ich gern zu, zunächst wie eine bittere Medizin. Aber ich kann bezeugen: Im Nachhinein bewirkt es nachhaltige Freude. Und daran merken wir, dass hier Gott selbst am Werk ist.
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