Bischof Wanke bei der Männerwallfahrt: "...die zeitlos gültige Aufgabe, jeder Zeit, auch der vor uns liegenden, das Evangelium Jesu Christi zu bezeugen"...
Leitwort der Wallfahrt: Ihr werdet meine Zeugen sein!
Liebe Wallfahrer!
50 Jahre sind für einen richtigen Baum kein Alter. Auf ca. 150 Jahre hatte es die Rotbuche im Erfurter Bischofsgarten gebracht - bis sie im vergangenen Jahr das Zeitliche segnete. Schade, es war ein wunderschöner Baum. Aber jetzt steht an der gleichen Stelle schon ein neues Bäumchen und treibt die ersten Blätter, damit meine Nachfolger in 50 und 100 Jahren sich auch an einer hoffentlich prächtigen Rotbuche erfreuen können.
50 Jahre Männerwallfahrt ins Klüschen Hagis! Auch das ist keine bedeutsame Zahl für eine Wallfahrtstradition. Aber es ist ein sprechendes Zeichen, wenn wir aus Anlass dieses Jubiläums Bäume pflanzen. 150 sind es insgesamt, 50 mal je drei Bäume, eine stolze Zahl. Diese Wallfahrt wird weitergehen - auch wenn wir nicht mehr dabei sind!
Ob noch Männer unter uns sind, die damals im Jahre 1957 hier im Klüschen dabei waren? Oder - die mehr als 40 Wallfahrten mitgemacht haben?
Die Bilder im Wallfahrtsheft erinnern an die Anfänge und an die damals agierenden Personen: der unvergessene Weihbischof Josef Freusberg, Rektor Ernst Göller, Herr Paul Klein und viele andere, nicht zuletzt unsere uniformierten und nicht uniformierten Genossen Schutzengel, die in mehrfacher Hinsicht gut aufpassen mussten. Ich habe übrigens in meiner Stasi-Akte auch von mir gehaltene Predigten wiedergefunden. Ich muss sagen: Die haben damals gut zugehört!
Liebe Wallfahrer!
Zeuge Christi sein im Wandel der Zeiten - gestern unter bedrückenden Verhältnissen, eingesperrt und unter Bespitzelung, heute in einer Freiheit, die die Gefahr mit sich bringt, im Glauben nachlässig und gleichgültig zu werden. 1957 war übrigens das Wallfahrtsmotto gleichlautend wie heute. Und das erinnert uns an die zeitlos gültige Aufgabe, jeder Zeit, auch der vor uns liegenden, das Evangelium Jesu Christi zu bezeugen.
Lasst mich das Bild des Baumes benutzen, um darzulegen, was zu diesem Zeugnis für den Glauben gehört. Was an einem alten, gestandenen Baum mit am Wichtigsten ist, ist nicht zu sehen: seine Wurzeln, mit denen er im Erdreich verankert ist. Zu einem gestandenen Christen gehört
1. seine Verwurzelung im Glauben und Leben der Kirche.
Ziehst du einen jungen Baum aus dem Erdreich heraus, mag er im Wassereimer vielleicht noch ein paar Tage überleben. Aber mit Sicherheit ist er auf Dauer zum Absterben verurteilt.
Liebe Wallfahrer!
Was diese Wallfahrtstradition im Klüschen so wertvoll macht ist die Tatsache, dass hier in jedem Jahr viele Tausende von Männern ein bewusstes JA zum katholischen Glauben und zum Mitleben mit der Kirche gesagt haben. In den DDR-Zeiten, in denen offiziell der Gottesglaube als unwissenschaftlich und zum Aussterben verurteilt galt, war das eine Abstimmung für das Christ-Sein mit den Füßen!
Ich bekenne ehrlich: Nach der Wende hatte ich kurze Zeit die Sorge, ob sich diese Wallfahrtstradition hier im Klüschen halten würde. Ich dachte: Jetzt ist der Druck weg. Jetzt können sie die Partei mit dieser Wallfahrt nicht mehr ärgern.
Doch gottlob - die Wallfahrer waren solider motiviert als ich annahm. Die Tradition ging weiter, ja, ich habe den Eindruck, die Teilnahme weitete sich nach der Wende noch ins Land hinein aus.
Im Glauben und Leben der Kirche verwurzelt sein - das ist eine Ü;berlebensfrage für den katholischen Christen. Das war sie damals, als man mit sublimen Drohungen und Verlockungen zum Kirchenaustritt nötigte; das ist sie heute, wo für manche die Kirchensteuer zum Fallstrick wird.
Lasst mich das in allem Ernst sagen: Wer aus der Kirche austritt, versagt ihr nicht nur die gebotene Solidarität. Er schneidet die Wurzel ab, von der her sein Christsein genährt wird. Er kann nicht mehr die Sakramente empfangen und verliert z. B. auch das Recht, Pate zu sein. Nein, es ist keine Bagatelle, mal so eben aus der Kirche auszutreten und zu denken: Im Herzen bleib ich ja gläubig und irgendwie werde ich am Ende schon beerdigt werden, wie - das ist mir dann ohnehin egal.
Ich spreche das einmal deutlich an, weil solche Gedanken sich heute ausbreiten. Das hängt mit der Mentalität zusammen, überhaupt Bindungen und Verpflichtungen nur als lästige Pflichten anzusehen und sie darum zu kappen. Manche möchten ja am liebsten auch aus dem Staat austreten, wenn das ginge. Und an eine verpflichtende Ehe - da denken viele ohnehin schon lange nicht mehr.
Liebe Wallfahrer, wer Wurzeln kappt, zerstört Leben - auch wenn man am Anfang noch wenig merkt. Ein Baum ohne Verwurzelung geht ein, ein Christ ohne Lebenszusammenhang mit der Kirche, ohne einen praktizierten, gelebten Glauben verdorrt. Das Eichsfeld ohne gläubige Männer und Frauen - da mag manches eine Zeit lang wie gewohnt weitergehen. Aber über kurz oder lang ist es kein Eichsfeld mehr.
Vor kurzem erzählte mir ein Katholik, der für ein größeres Team Leitungsverantwortung hatte (nicht im Eichsfeld!): Er sei mit seinen Leuten den Kalender durchgegangen und habe dargelegt, was für die Zeit nach Aschermittwoch an Aufgaben anstünde. Als er merkte, dass einige etwas erstaunt guckten, frug er in die Runde, ob sie denn wüssten, was der Aschermittwoch sei. Da habe einer gesagt: "Aschermittwoch? Das ist das Ende der Heizperiode!"
Seht, das ist der Endpunkt religiöser Verwahrlosung. Mit der Praxis verliert sich das Wissen - und mit dem Wissen verliert sich die Sache. Buße und Umkehr sind dann nur noch Fremdworte, Religionschinesisch, aber keine auch heute ernst zu nehmende Notwendigkeit mehr.
Darum rufe ich euch, liebe Wallfahrer, auf: Bleibt verwurzelt im Glauben eurer Väter und Mütter! Haltet unbeirrt fest an eurer kirchlichen Praxis, auch wenn andere um euch herum lahm und gleichgültig werden.
Es ist wie im Beruf: Wer aus der Ü;bung kommt, ist bald weg vom Fenster. Ohne solide Praxis, ohne ständiges Dranbleiben hängt man ab - im Beruf und auch als katholischer Christ. Es muss dabei bleiben, nicht nur wegen des Gebotes: Der Sonntagvormittag gehört dem Herrgott, auch wenn noch so viele Fußballspiele, Volksfeste oder sonstige Unterhaltungsevents locken.
Wie lesen wir beim Propheten Jeremia?
"Gesegnet der Mann, der auf den Herrn sich verlässt .... Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und am Bach seine Wurzeln ausstreckt. Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt, seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, unablässig bringt er seine Früchte" (Jer 16,7f).
Lasst mich am Bild des Baumes einen zweiten Gedanken entfalten. Manchen Bäumen sieht man an, dass sie schon so manchem Sturm und Wetter getrotzt haben. Die Äste sind knorrig, die Borke rissig und in der Krone ist schon mal da und dort eine Zacke. Solche Bäume sehen nicht sonderlich schön aus, aber solide - so wie viele hier unter euch! - Zu einem gestandenen Christsein gehört
2. Wetterbeständigkeit.
Mein Freund, ein passionierter Wanderer, sagt mir immer, wenn ich vor einem Gang in die Berge etwas ängstlich aus dem Fenster schaue: Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur unpassende Kleidung.
Bei der 2. Männerwallfahrt, die als Regen- und Schlammwallfahrt in die Erinnerung eingegangen ist, rief Rektor Göller den Männern zu: "Wir sind keine Schön-Wetter-Christen mit Bügelfalten im Anzug, sondern Männer, die es ernst meinen mit ihrer Kirche und dem Glauben!"
Besonders unsere Generation kann beurteilen, was Wetterumschwünge bedeuten. Wer hat schon so etwas wie eine Revolution zu eigenen Lebzeiten erfahren? Ich behaupte einmal: Auch in unserer Kirche gibt es derzeit so etwas wie eine kopernikanische Wende: die Wende vom Gewohnheitschristentum zum Bekenntnischristentum.
Ich mache es einmal fest an unserem derzeitigen Mangel an Priester- und Ordensberufen. Ihr wisst, dass wir das Netz unserer Gemeinden weitmaschiger gestalten müssen. Die Pfarrer werden für größere Bereiche zuständig und können manchmal nicht mehr wie gewohnt für die Gläubigen präsent sein. Was das im Einzelnen bedeutet, wird sich in Zukunft noch deutlicher zeigen.
Es ist richtig: Wir müssen besonders in den Eichsfeldorten zusammenrücken und uns auch gegebenenfalls von lieb geworden Gewohnheiten, etwa bestimmten Gottesdienstzeiten trennen. Aber es gilt auch: Kein wirklich aus dem Glauben lebender katholischer Christ wird in Zukunft ohne den Beistand der Sakramente und ohne die Heilige Messe leben müssen. Wer die Heilige Messe am Sonntag wirklich an die erste Stelle rückt, wird die Messe auch in Zukunft mitfeiern und einen Priester erreichen können. Aber wer eine schnelle Entschuldigung fürs Fernbleiben sucht oder bei Familienfeiern zuerst den Gastwirt nach der besten Zeit fragt und dann den Pfarrer, dem ist nicht zu helfen. Hier wird sich - wie auch früher in DDR-Zeiten - bald wieder die Spreu vom Weizen trennen.
Natürlich bereitet mir der mangelnde Priester- und Ordensnachwuchs Sorgen. Aber diese meine Sorgen würden sich reduzieren, wenn ich wüsste, dass wir im Kern unserer Gemeinden wirklich Bekenntnischristen hätten und nicht nur Gewohnheitschristen.
Das meine ich mit Wetterbeständigkeit. Wir müssen uns mehr und mehr darauf einstellen, das Gute und Wertvolle auch allein zu vertreten, ohne von Mehrheitsmeinungen gestützt zu werden. Wer die Regierung stellt, hängt von politischen Mehrheiten ab. So weit so gut. Aber was wahr, gerecht und gut ist, darüber kann nicht demokratisch abgestimmt werden. Die Abtreibungspraxis in unserem relativ reichen Land wird nicht deshalb richtig, weil die meisten daran nichts finden! Und am Kirchgang festzuhalten, auch wenn keiner aus der Straße mehr am Sonntag zum Gesangbuch greift - das ist nichts Heroisches, sondern etwas Normales. Und du als junger Christ: Dass du einen standfesten Charakter und Selbstbewusstsein haben musst, wenn es um Alkoholmissbrauch, Drogen oder sexuelle Freizügigkeit geht, darüber solltest du dich nicht wundern! Das Böse hat Mitläufer, das Evangelium sucht Bekenner.
Wer die Nachfolge Christi wirklich ernst nimmt, wird nicht auf Mehrheiten schielen können. Er wird auf eigene Einsicht und Entschiedenheit bauen und danach handeln, auch unter Anfechtungen. Denkt daran: Schon zweimal hat sich in unserer jüngsten Geschichte gezeigt, wie Anpassung und Mitläufertum unser Volk ins Verderben gestürzt haben. Hinterher will keiner dabei gewesen sein!
Darum ist auch in Zukunft diese Wallfahrt ein Bekenntnis zu Christus und seiner Kirche, und eine Einladung, das Beten und Singen hier bei der Wallfahrt mit dem Leben im Alltag, Beruf und Familie übereinstimmen zu lassen. Lebt, was ihr bekennt und seid, wozu ihr in der Taufe berufen wurdet: Zeugen Christi! Wetterbeständigkeit! Wetterfest sein und leben.
Ich nenne noch kurz einen dritten Gedanken: Ohne unsere Wälder und grünen Auen wäre unser Land eine betonierte Wüste. Es ist gut und richtig, dass die Behörden darauf achten: Wer einen Baum fällen muss, der soll auch wieder an anderer Stelle einen Baum pflanzen. Denn Bäume und Wälder mit ihrem Sauerstoff, mit ihrem Grün und ihrer Schönheit sind Garanten einer menschenfreundlich bleibenden Welt.
Ob das nicht auch für uns Christen gilt? Darum meine Behauptung:
Ein gestandener Christ ist
3. ein Gottesgeschenk für seine Umwelt.
Irgendwie war das auch schon damals in DDR-Zeiten unsere Erfahrung. Ein praktizierender Katholik konnte zwar nichts werden - aber sein sozialistischer Leiter war froh, einen verlässlichen und charakterfesten Christen in seiner Truppe zu haben. Manche Genossen Direktoren und LPG-Vorsitzenden waren insgeheim dankbar, wenn sie Christen hatten, auf die sie sich verlassen konnten.
Nun, wir haben die DDR nicht retten können, weil das System in sich entscheidende Webfehler hatte. Aber ist nicht auch heute die Gesellschaft davon abhängig, dass es Männer und Frauen gibt, die sich nicht korrumpieren lassen, die Charakter haben, die zu Ü;berzeugungen stehen und bei denen man weiß, woran man ist?
Ich will hier keine Heiligenscheine polieren. Es gibt Versagen und Schuld auch unter uns katholischen Christen. Leider. Aber das hält mich nicht davon ab, das hohe Lied derer zu singen, die durch ihre Treue in der Ehe, durch ihre solide Arbeit im Beruf, durch ihr ehrenamtliches Tun in der politischen und kirchlichen Gemeinde, durch ihr Vorbild für die Nachwachsenden echte Leuchttürme sind, an denen viele sich orientieren.
Ich denke an die Frauen und Männer, die sich ehrenamtlich der Kinder und Jugendlichen in den Sportverbänden annehmen, bei der Feuerwehr, bei den Pfadfindern, bei Kolping, in den Geistlichen Gemeinschaften.
Ich denke an jene, die Alte, Kranke und Behinderte liebevoll pflegen.
Ich nenne ausdrücklich die Lehrer, die unser aller Achtung und Hochschätzung für ihre Erziehungsarbeit verdienen.
Ich denke an die Verbandsarbeit, die ohne das Engagement so vieler einfach nicht ginge, an die Chöre, die Heimatvereine, nicht zuletzt auch an die Kirmesburschen! (Ihr Kreuzeberschen: Seid für das Bundestreffen der Kirmesburschen im Sommer gute Gastgeber!)
Ich denke an jene, die in der Politik, in der Wirtschaft, in Parteien und Gewerkschaften ihren Mann, ihre Frau stehen - und sich dafür noch manchmal beschimpfen lassen. Ob ihnen junge katholische Christen in solche öffentlichen Ämter nachfolgen werden? Das wäre wichtig!
Ich denke an jene, die einfach unauffällig gut sind und davon kein Aufhebens machen, Tag für Tag, in den Familien, in den Nachbarschaften, in unseren Gemeinden. Und gottlob - es gibt erfreulich viele, die silberne und goldene Hochzeit feiern können. Sagt den Jungen, was euch in eurer Ehe getragen hat und was euch durch die Liebe und Treue des Partners geschenkt wurde!
Liebe Männer! Auch ein einzelner Baum kann wie eine Oase sein. Er verbreitet gute Luft, gibt in der Hitze Schatten und lädt zum Verweilen und zur Erholung ein. Für andere zu einer Oase der Freundlichkeit, der Verlässlichkeit, der Menschlichkeit, der Christlichkeit werden - das wäre ein guter Wallfahrtsvorsatz, würdig für den heutigen Jubiläumsanlass. Und wenn deine Frau dich heute abends fragt, was denn der Bischof gepredigt hat, so sag einfach: das Eichsfeld braucht noch mehr Eichen! Aber du solltest bei dieser Antwort nicht schwanken - denn das gehört sich nicht für eine Eiche!
Das waren meine drei Punkte, festgemacht am Bild des Baumes:
- mit wetterfester Kleidung ausgestattet, standfest in Sturm und Regen, im Widerstreit der Meinungen, Bekenntnischrist, nicht Gewohnheitschrist
- und so zu einer Oase, zu einem Leuchtturm, zu einem Geschenk Gottes für die Menschen werden!
Verwurzelt im Glauben an Gott und im Leben der Kirche, im Kirchenjahr, im Sonntagsgottesdienst,
Dazu möge euch die heutige "Gold-Wallfahrt" eine Einladung sein. Bitten wir auf die Fürsprache Mariens, unserer lieben Frau vom Klüschen Hagis, Gott um Kraft, um Ausdauer und seinen Segen zu solchem Tun! Amen.
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